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„Gesundheitswesen stützen, damit es noch besser schützen kann“

Berlin – Um das Gesundheitswesen und die Pflege bei der Bewältigung der Corona-Epidemie zu unterstützen, hat das Kabinett heute zwei von Bundesgesundheitsminister Spahn vorgelegte Formulierungshilfen für Gesetzentwürfe beschlossen. Mit dem „COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz“ werden die wirtschaftlichen Folgen für Krankenhäuser und Vertragsärzte aufgefangen. Mit dem “Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite” wird die Reaktionsfähigkeit auf Epidemien verbessert.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Ärzte, Pflegekräfte – alle, die im Gesundheitswesen arbeiten, brauchen gerade jetzt unsere volle Unterstützung. Deswegen kompensieren wir Einnahmeausfälle, bauen Bürokratie ab und setzen Sanktionen aus. Und wir sorgen dafür, dass wir schneller in epidemischen Lagen reagieren können. Wir bündeln Kompetenzen, so dass wir künftig in einer Lage wie dieser binnen Stunden für Ärzte, Pflegekräfte, Apotheker und alle anderen, die weit über das normale Maß anpacken, Bürokratie wegnehmen, Regeln anpassen, Vergütungen erhöhen.“

Formulierungshilfe für einen „Gesetzentwurf zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen“ (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz)

Die Bundesregierung unterstützt Krankenhäuser, Vertragsärzte und Pflege, um die Auswirkungen der Corona-Epidemie schultern zu können. Krankenhäuser werden unterstützt, um die Versorgungskapazitäten für eine wachsende Anzahl von Patienten mit einer Coronavirus-Infektion bereitzustellen. Ebenfalls abgefedert werden Honorareinbußen der niedergelassenen Ärzte. Auch Pflegeeinrichtungen sollen befristet von Bürokratie entlastet und ebenfalls finanziell unterstützt werden.

  • Krankenhäuser erhalten einen finanziellen Ausgleich für verschobene planbare Operationen und Behandlungen, um Kapazitäten für die Behandlung von Patienten mit einer Coranavirus-Infektion frei zu halten. Für jedes Bett, das dadurch im Zeitraum vom 16. März bis zum 30. September 2020 nicht belegt wird, erhalten die Krankenhäuser eine Pauschale in Höhe von 560 Euro pro Tag. Der Ausgleich wird aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds, der aus dem Bundeshaushalt refinanziert wird, bezahlt.
  • Krankenhäuser erhalten einen Bonus in Höhe von 50.000 Euro für jedes Intensivbett, das sie zusätzlich schaffen. Die Kosten dafür werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Darüber hinaus sollen die Länder kurzfristig weitere erforderliche Investitionskosten finanzieren.
  • Für Mehrkosten, insbesondere bei persönlichen Schutzausrüstungen, erhalten Krankenhäuser vom 1. April bis zum 30. Juni 2020 einen Zuschlag je Patient in Höhe von 50 Euro, der bei Bedarf verlängert und erhöht werden kann.
  • Der so genannte “vorläufige Pflegeentgeltwert” wird auf 185 Euro erhöht. Das verbessert die Liquidität der Krankenhäuser und wird auch zu erheblichen Zusatzeinnahmen für die Kliniken führen.
  • Die Rechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst wird zur Entlastung der Krankenhäuser umfassend erleichtert, der so genannte “Fixkostendegressionsabschlag” für das Jahr 2020 ausgesetzt und deutlich mehr Flexibilität bei den Erlösausgleichen eingeräumt.
  • Die Liquidität der Krankenhäuser wird durch eine auf fünf Tage verkürzte Zahlungsfrist in diesem Jahr zusätzlich gestärkt.
  • Unter bestimmten Voraussetzungen können zur Entlastung der Krankenhäuser auch Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen Krankenhausleistungen erbringen.
  • Niedergelassene Ärzte sowie Psychotherapeuten werden bei einer zu hohen Umsatzminderung aufgrund einer geringeren Inanspruchnahme durch Patienten mit Ausgleichszahlungen sowie mit zeitnahen Anpassungen der Honorarverteilung geschützt.
  • Die Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten die zusätzlichen Kosten für die Finanzierung außerordentlicher Maßnahmen, die während des Bestehens der epidemischen Notlage erforderlich sind (wie zum Beispiel die Einrichtung von „Fieberambulanzen“), von den Krankenkassen erstattet.
  • Die Ausgleichzahlungen für die Freihaltung von Bettenkapazitäten durch die Verschiebung planbarer Operationen, Eingriffe und Aufnahmen in Krankenhäusern bedeuten Mehrausgaben für den Bundeshalt in Höhe von voraussichtlich rund 2,8 Mrd. Euro in 2020. Für die GKV entstehen durch das Hilfspaket im Krankenhausbereich in diesem Jahr geschätzte Mehrausgaben in Höhe von rund 5,9 Mrd. Euro, von denen 1,5 Mrd. Euro direkt aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert werden. Die Mehrausgaben im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung sind nicht quantifizierbar.
  • Die ambulante und stationäre Pflege wird durch das befristete Aussetzen von Qualitätsprüfungen, Änderungen bei der Durchführung von Begutachtungen und den Verzicht auf die – nach geltendem Recht obligatorischen – Beratungsbesuche bei Pflegebedürftigen entlastet.
  • Pflegeeinrichtungen wird durch eine Regelung die Sicherheit gegeben, durch die Pandemie bedingte finanzielle Mehrausgaben oder Mindereinnahmen über die Pflegeversicherung erstattet zu bekommen.
  • Für die Aufrechterhaltung der Versorgung kann insbesondere von den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben und Rahmenbedingungen zur Personalausstattung abgewichen werden. Pflegekassen wird zudem ein weiterer Gestaltungsspielraum zur Vermeidung von pflegerischen Versorgungslücken in der häuslichen Versorgung eingeräumt.
  • Junge Menschen in Ausbildung, die sich in der aktuellen Krise engagieren und einen wertvollen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems leisten, werden keine Nachteile beim Bezug von BAföG nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erleiden.

Formulierungshilfe für einen „Gesetzentwurf zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“

Um auf eine Epidemie effektiv reagieren zu können, müssen schnell Entscheidungen getroffen werden. Dazu soll der Bund in einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ für einen befristeten Zeitraum zusätzliche Kompetenzen erhalten. Eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ wird so definiert, dass entweder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Pandemie ausruft und die Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit droht oder eine bundesländerübergreifende Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit droht.

In diesem Fall ist es möglich, dass die Bundesregierung eine solche Lage erklärt. Der Deutsche Bundestag oder der Bundesrat erhalten das Recht, die Aufhebung dieser Feststellung zu verlangen.

Das Bundesministerium für Gesundheit wird u. a. ermächtigt, durch Allgemeinverfügung oder durch Rechtsverordnung Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung zu treffen und die Gesundheitsversorgung sicher zu stellen, etwa durch:

  • Vorschriften für den grenzüberschreitenden Reiseverkehr, etwa wenn im Bahn- und Busverkehr Meldepflichten eingeführt werden,
  • Melde- und Untersuchungspflichten,
  • Regelungen, die im Normalfall durch die Selbstverwaltungspartner getroffen werden,
  • Maßnahmen zur Sicherstellung der Grundversorgung mit Arzneimitteln, Schutzausrüstung und Labordiagnostik,
  • Flexibilisierung von Vorschriften in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen,

Ferner enthält der Gesetzentwurf Ausnahmen vom Baurecht, um etwa kurzfristig medizinische Einrichtungen errichten zu können.

Zudem wird eine Entschädigungsregelung für Eltern geschaffen, deren Kindern der Besuch einer Betreuungseinrichtung durch entsprechende behördliche Schließungen nicht mehr möglich ist. Sie erhalten bis zu sechs Wochen 67% ihres Verdienstausfalls (maximal 2016 Euro).
Das „COVID19-Krankenhausentlasungsgesetz“ bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ bedarf der Zustimmung des Bundesrates.

Beide Gesetzentwürfe sollen diese Woche abschließend vom Deutschen Bundestag sowie vom Bundesrat beschlossen werden.

Sie treten im Wesentlichen am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Weitere Informationen und Quelle: www.bundesgesundheitsministerium.de

Orthopäde in Rom: Jeder kann und muss seinen Beitrag leisten!

Berlin/Rom – Der Orthopäde Dr. Gabriel Buntin stammt ursprünglich aus München. Am Klinikum rechts der Isar hat er seine Facharztausbildung gemacht. In Berlin war er mehrere Jahre in der Niederlassung tätig. Seit 2004 lebt er in Rom und führt in der italienischen Hauptstadt eine orthopädische Praxis mit insgesamt 35 Kolleginnen und Kollegen. Wie hat er den Ausbruch der Pandemie erlebt und was rät er seinen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland? Ein Telefonat.

BVOU: Herr Dr. Buntin, auf Ihrem Profil in den sozialen Netzwerken steht geschrieben „Bleiben Sie zu Hause #stayhome, wenn Sie nicht wollen, dass ein Orthopäde und Unfallchirurg Ihre Lungenentzündung behandelt!“ (Abbildung siehe unten). Was hat es damit auf sich?
Dr. Gabriel Buntin: Ich weiß, der Satz ist zynisch. Die Aussage trifft es jedoch auf den Punkt. Der Spruch soll gerade diejenigen wachrütteln, die noch nicht an die Ernsthaftigkeit der momentanen Lage glauben möchten und die derzeitige weltweite Krise herunterspielen.

BVOU: Sie sind in Italien in einer großen Gemeinschaftspraxis tätig: Wie haben Sie den Ausbruch der Corona-Pandemie erlebt?
Dr. Gabriel Buntin: Zugegebenermaßen haben wir hier, wie auch überall in der restlichen Welt, zunächst beobachtet, wie sich die Sache in China entwickelt. Das schien zu Beginn noch relativ weit von uns entfernt. Wir dachten : Klar, das betrifft uns, aber irgendwie auch noch nicht wirklich. Wir haben dann mit einigen Präventivmaßnahmen angefangen und beispielsweise die Patienten über Handdesinfektion und Händewaschen usw. informiert. Das war Ende Januar. Dann verstrich ein Monat. Aus der aktuellen Sicht sage ich heute: Das war ein Monat, den man hätte aktiv nutzen müssen, um sich auf die Verbreitung des Virus in Europa vorzubereiten. Es kamen dann Meldungen, dass in Rom infizierte Chinesen stationär aufgenommen wurden. Selbst das hatte man zunächst lediglich nur zur Kenntnis genommen. Erst gegen Ende Februar kamen die Nachrichten aus Norditalien, dass dort die Fallzahlen explosionsartig in die Höhe schossen. Südtirol, Bergamo, Lordi, Mailand, Venetien… Dann wurde uns bewusst, dass es sich nur um Tage handelt, bis das Virus in Rom angekommen ist.

Heute sage ich: Viel Zeit wurde damals vergeudet. Man hat sich gefragt: Ist die Aufregung nötig? Sind Einschränkungen notwendig? Ab März wurde auch dem Letzten klar: Die Lage ist außer Kontrolle. Wir haben mit Maßnahmen und Einschränkungen begonnen, sind aber bald darauf an unsere Grenzen gestoßen: Volles Wartezimmer und dann Sicherheitsabstände einhalten. Vieles funktioniert nur in der Theorie. Irgendwann hat auch das Personal nicht mehr mitgemacht.

BVOU: Das öffentliche Leben in Italien ist derzeit lahmgelegt: Kann man schon eine Beruhigung der Lage verzeichnen oder verschlimmert sich die Situation?
Dr. Buntin: Vielleicht kann man mittlerweile ganz leicht optimistische Prognosen wagen. Zumindest nehmen die Fallzahlen nicht mehr so exponentiell zu wie zu Beginn vor zwei Wochen. Da lagen wir bei einer täglichen Zunahme von Neuinfektionen von über 28%. Mittlerweile liegen wir immerhin bei ungefähr 12-13%. Die drastischen Maßnahmen seitens der Regierung zeigen also langsam Wirkung und wenn das so bleibt, können wir in der nächsten Woche neue Prognosen wagen. Die Kurve der Neuinfektionen hält sich momentan auf dem selben Standard. Wenn wir es schaffen, diese Kurve weiter abzuflachen, sind wir auf dem richtigen Weg.

BVOU: Während in Italien Ausgangssperren verhängt sind, ist dies in Deutschland bis jetzt nur vereinzelt der Fall. Wie denken Sie darüber?
Dr. Buntin: Zugegebenermaßen habe ich am Anfang die Ausgangssperren ebenfalls kritisch gesehen. In Italien ist eine Ausgangsperre vor erst acht Tagen erfolgt. Daran halten sich die Menschen auch größtenteils., Aber ich denke, der Staat wird in den nächsten Tagen noch einmal die Schraube anziehen und mehr Militärpräsenz auf den Straßen zeigen. Es wird sogar darüber gerade geredet, dass das Militär das Essen verteilt usw. Das macht meiner Meinung nach auch Sinn.

BVOU: Oft werden SARS-CoV-2 und Influenza miteinander verglichen. Wie schätzen Sie den Vergleich ein?
Dr. Buntin: Das ist garantiert nicht so, der Vergleich ist nicht richtig. Ich habe mit Kollegen gesprochen, die im Norden Italiens arbeiten. Dort ist die Lage weiterhin katastrophal: Die Menschen wissen nicht mehr, wohin mit den Patienten. Nur als Beispiel: Vorgestern [18.3.] sind im Norden mehr Menschen an dem Virus gestorben als an einem Tag weltweit zusammen: Nämlich fast 500. Die Bestattungsunternehmen haben nicht mehr genügend Särge zur Verfügung, die Toten werden einfach irgendwie weggetragen, Angehörige gerade einmal telefonisch informiert.

BVOU: Inwieweit unterstützen Sie als Orthopäde andere Kollegen und Ärzte aus anderen Fächern und Bereichen?
Dr. Buntin: In unserer Poliklinik haben wir insgesamt zwölf verschiedene Fachrichtungen. Es gibt Kollegen, die mit mir zusammen in den Praxen Notfälle und Menschen mit Corona-Symptomen untersuchen. Das machen wir aber nur unter bestimmten Voraussetzungen, damit andere Menschen nicht gefährdet werden. Lungenärzte und HNO-Ärzte sind ja besonders nah an solchen Patienten. Trotzdem sind wir extrem vorsichtig und müssen uns vor Augen halten: Arztpraxen sind immer Anlaufstellen für kranke Menschen.

BVOU: In Deutschland erhalten Ärzte bei Schließung der Praxen oder Quarantäne eine Entschädigung für den Dienstausfall – wie ist das in Italien?
Dr. Buntin: Um ehrlich zu sein: Dafür hatten wir in Italien noch keine Zeit uns Gedanken zu machen. Erst jetzt, wo mehrere Leute daheim sind, kommt das Thema langsam auf und wir beschäftigen uns mit der Problematik. Ich persönlich habe einen extrem hohen Kostenaufwand, um meine Praxis aufrechtzuerhalten. Nun gibt es anscheinend einen Gesetzeserlass mit Anspruch auf Dienstausfall-Entschädigung. Für Selbstständige ist so etwas nicht geplant. Aber vielleicht kommt das noch.

BVOU: Was raten Sie Ihren Kollegen hier in Deutschland? Was haben Sie erlebt, dass man hierzulande beachten und übernehmen sollte?
Dr. Buntin: Den Kollegen würde ich raten: Schauen Sie sich mal eine Beschreibung von TED Speaker Tomas Pueyo an. Er beschreibt in seinen Blogbeiträgen, wie aggressiv dieses neue Virus ist und seine Prognosen treffen zu. Er hat das genau erfasst, was am Anfang des Ausbruchs passiert ist, wo wir jetzt stehen, was in beispielsweise 14 Tagen sein wird. Mein Rat an meine deutschen Kollegen: Nehmen Sie dieses Virus verdammt ernst! Spielen Sie es nicht herunter und vergleichen Sie es nicht mit einer Grippe. Denn das ist es nicht.

Die Ausbreitungskurve muss so flach wie möglich gehalten werden. Jeder, wirklich jeder, kann und muss seinen Beitrag leisten. Ich weiß, es ist ein Problem, seinen Alltag sehr einschränken zu müssen und man weiß nicht, wie lange das andauern wird. Aber wir müssen Zeit gewinnen, damit besonders Ältere und Kranke diese Phase durchstehen. Auch bei der Weltgesundheitsorganisation gibt es eine gute Infoseite. Neben Händehygiene und Abstand halten, ist strikte Ausgangssperre die wirksamste Methode. Ich kann es nicht oft genug sagen und falls diese Nachricht meine Kollegen erreicht: Man muss die Sache extrem ernst nehmen. Es geht ums Ganze. Mit jeder Stunde früher, in der wir die Maßnahmen durchsetzen, retten wir Menschenleben: Je eher desto mehr!

Herr Dr. Buntin, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Janosch Kuno, BVOU Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Dr. Gabriel Buntin rät den Menschen zuhause zu bleiben. © privat