Schlagwort-Archive: Bertelsmann

Unseriöses Jonglieren mit großen Zahlen

Berlin – Zwei Drittel der Akutkrankenhäuser in Deutschland mal schnell geschlossen. Sieht so ein sinnvoller Vorschlag für die zukünftige Gesundheitsversorgung aus? „Diese Meldung ist Effekthascherei. Es ist der in den letzten Jahren von interessierter Seite immer mal wieder unternommene Versuch einer Kahlschlagdebatte in der Krankenhausversorgung. Die Meldung auf der Bertelsmann-Homepage ‘Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich‘ ist schlichtweg Unsinn. Bertelsmann ist dabei, seinen guten Ruf zu verspielen“, kommentierte VKD-Präsident Dr. Josef Düllings den neuesten Vorstoß, dieses Mal in Form einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.

Der Vorschlag kommt fast zur selben Zeit wie der Bericht der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ unter Vorsitz von Horst Seehofer. Ziel sei, so wurde in der Vorstellung betont, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zur Richtschnur für alle künftigen Vorhaben der Bundesregierung zu machen. Es gehe um den Ausbau einer flächendeckenden Infrastruktur – je nach Bedarf in der jeweiligen Region. Als Beispiel dafür wird auch die Gesundheitsversorgung genannt, wird auf Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen als wichtige Standortfaktoren verwiesen, die entscheidend seien für die Lebensqualität der dort lebenden Menschen.

„Genau das ist auch die Position des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands“, bekräftigt der VKD-Präsident. „Strukturen müssen den Notwendigkeiten in den jeweiligen Regionen entsprechend weiterentwickelt werden. Dabei müssen ambulante und stationäre Leistungen endlich besser miteinander vernetzt werden. Gerade in ländlichen Regionen sind die Krankenhäuser Anker einer funktionierenden Gesundheitsversorgung. Sie übernehmen vielfach schon jetzt Leistungen, für die der niedergelassene Bereich zwar zuständig ist, die er aber vor allem durch den Ärztemangel nicht zeitnah zur Verfügung stellen kann. Diese Strukturen zu zerschlagen, wäre abenteuerlich. Vielmehr muss diesen Kliniken, wie der VKD schon seit langem fordert, die Verantwortung für die ambulante Versorgung übertragen werden, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen schon seit langem nicht mehr sichergestellt werden kann.“

Das wäre sinnvoller als die Weiterführung von Parallelstrukturen. Es wäre wirtschaftlicher und im Sinne einer integrierten Versorgung auch besser für den Patienten, der dann nicht von einem Leistungserbringer zum anderen geschickt werden müsste. Es gehe nicht um die Wünsche von Krankenkassen oder Studienautoren, sondern um die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Der VKD wehrt sich in diesem Zusammenhang auch gegen das Schlechtreden kleiner Krankenhäuser, die häufig neben der geprüft guten Grundversorgung für die Patienten in ihren Regionen vielfach auch hochspezialisierte Leistungen anbieten und international anerkannte Experten beschäftigen. „Klein ist keinesfalls gleich schlecht“, so Dr. Düllings. „Die Studie verunsichert letztendlich mit ihren Bewertungen und Vorschlägen viele Menschen, die nun vielleicht befürchten, dass ihr Krankenhaus zu denen gehören könnte, die laut der Studie geschlossen werden sollten.“

Auch das Krankenhausmanagement sieht die Notwendigkeit zu weitreichenden Strukturveränderungen. Es sind vor allem die Kranhausmanager, die solche Veränderungen fordern und, wo dies mit entsprechenden finanziellen Ressourcen hinterlegt ist, sogar schon jetzt umsetzen. Dazu hätte die Studie einen Beitrag leisten können. Mit dem jetzigen Schwerpunkt hat sie leider das Thema verfehlt. Aus den Praxiserfahrungen ist für den VKD klar, dass solche Strukturveränderungen nicht zum Nulltarif zu haben sind – leider eine immer noch gepflegte Fantasie von Krankenkassen- und Länderseite. Angesichts einer historisch niedrigen Investitionsquote und eines beispiellosen Investitionsstaus ist eine solche Vorlage wie die Bertelsmann-Studie eher ein Papiertiger als zielführende Politikberatung. Diese Studie wird nicht Realität werden.

Quelle: VKD

Kritik an Knie-OPs: „Weckruf“ für Gesundheitspolitik

Berlin – In der am 19. Juni 2018 von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Studie unter dem Titel „Knieprothesen – starker Anstieg und große regionale Unterscheide“ werfen die Autoren die Frage auf: „Wird vorschnell operiert?“ Dazu beziehen die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik (AE), die Deutsche Kniegesellschaft (DKG) und der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) mit einer Pressemitteilung Stellung.

Der Anstieg für den Ersatz eines künstlichen Kniegelenkes seit 2009 liegt mit acht Prozent im internationalen Durchschnitt. Die Fachgesellschaften erwarten aufgrund des demografischen Wandels jedoch noch höhere Zahlen: Denn Deutschland befindet sich beim Altersdurchschnitt der Bevölkerung weltweit in einer Spitzengruppe. Daher verstärken die Fachgesellschaften DGOU, AE, DKG und BVOU seit Jahren ihre Maßnahmen im Bereich der Kniegelenkerkrankungen – sowohl  für die qualitätsgesicherte chirurgische Versorgung durch die Initiative EndoCert® zur Zertifizierung von endoprothetischen Versorgungszentren als auch für gelenkerhaltende Behandlungsmaßnahmen. „Diese Strategie kann aber nur dann noch erfolgreicher sein, wenn die Qualität und konservative Behandlung zukünftig wieder besser vergütet werden“, sagt Professor Dr. Carsten Perka, DGOU-Vizepräsident und AE-Präsidiumsmitglied.

Im Interview sprechen DGOU-Experte Professor Dr. Klaus-Peter Günther und BVOU-Präsident Dr. Johannes Flechtenmacher über die Gründe der Mengensteigerung bei Knie-Operationen, regionale Unterschiede, Maßnahmen der Fachgesellschaften und des Berufsverbandes und die Studie, die sie auch als Weckruf an die Gesundheitspolitik verstehen.  

Wie werten Sie die Studie der Bertelsmann-Stiftung?

Günther: Der erschienene Bertelsmann-Report zur Entwicklung der Knie-Endoprothetik in Deutschland wird in weiten Teilen von den Fachgesellschaften unterstützt. Leider weisen die Autoren nicht darauf hin, dass das Verfahren der regionalen Bestimmung von Operationsraten in der Endoprothetik bereits vor Jahren mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und des AOK-Bundesverbands etabliert wurde. Damals schon wiesen diese Institutionen auf eine auffällige Ungleichverteilung von Operationsraten in den einzelnen Bundesländern hin. Vor allem die Fachgesellschaften haben seither eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, die eine patientengerechte operative Versorgung unterstützen.

Welche Gründe gibt es für die Mengenentwicklung aus Sicht der Fachgesellschaften?

Günther: Betrachtet man den Anstieg der Endoprothesenzahlen nicht nur in den letzten drei Jahren, sondern – wie im Bericht der Bertelsmann-Stiftung eigentlich dargestellt – im Gesamtverlauf seit 2009, fällt die Steigerungsrate deutlich moderater aus und liegt mit etwa acht Prozent im internationalen Durchschnitt. Die wichtigste Ursache dafür ist der demografische Wandel. Hier würden eigentlich noch höhere Zahlen zu erwarten sein, denn Deutschland liegt im Altersdurchschnitt der Bevölkerung weltweit in einer Spitzengruppe.

Vor allem aber sind die Ergebnisse in der Knie-Endoprothetik in den letzten Jahren nochmals deutlich verbessert worden, wovon nicht nur ältere, sondern auch jüngere Patienten mit hohem Leistungsanspruch profitieren. Die besseren Ergebnisse führen auch zu einer verstärkten Nachfrage nach dieser Versorgung auch in dieser Altersgruppe, verbunden mit dem Ziel, wieder voll funktionstüchtig zu werden. Konservative Maßnahmen wie Physiotherapie, medikamentöse Therapie und Injektionen können dies in dieser Altersgruppe meist nicht im gewünschten Umfang leisten.

Welche Gründe gibt es für die Mengensteigerung, die im Vergütungssystem begründet liegen?

Günther: Der Bericht weist zu Recht auf wichtige Faktoren hin, die in der Mengenentwicklung von künstlichen Kniegelenken eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehört in erster Linie das im Gegensatz zu anderen Ländern exzessiv betriebene Refinanzierungssystem mit DRG-Fallpauschalen. Seit Jahren wird die alternative konservative Behandlung unzureichend vergütet. Wenn ärztliche Beratung und konservative Maßnahmen nicht angemessen honoriert werden, ist die frühere Entscheidung zum Kunstgelenkersatz keine Überraschung. Auch ist nach wie vor die Zahl der Einrichtungen, in denen der Kniegelenkersatz angeboten wird, zu groß.

Flechtenmacher: Eine konservative Behandlung zur Abwendung einer Operation braucht Zeit. Patienten mit Arthrose muss man intensiv beraten: Wie wichtig ist es abzunehmen? Welche Begleiterkrankungen sind zu beachten, bevor man Schmerzmittel empfiehlt? Warum ist Bewegung wichtig? Die Zeit dafür fehlt in den stark frequentierten Praxen, sie wird auch nicht vergütet. Und die Budgets erlauben es nicht, so engmaschig wie manchmal nötig Krankengymnastik zu verordnen.

Geht es auch anders, zum Beispiel mit einer intensivierten konservativen Therapie?

Flechtenmacher: Das funktioniert aktuell leider vor allem in Selektivverträgen. Darüber kann dann beispielsweise eine Option „Alternative konservative Behandlung bei drohenden Operationen“ angeboten und finanziert werden. Ein gutes Beispiel ist der gemeinsam von BVOU und der Deutschen Arzt AG verhandelte Selektivvertrag für Versicherte von DAK, Barmer und einigen Betriebskrankenkassen. Bei diesem Modell arbeiten Orthopäden und Physiotherapeuten eng mit dem Patienten zusammen, um unter anderem durch eine hohe Frequenz an Krankengymnastik und eventuell einem Gerätetraining eine Operation hinauszuzögern oder zu vermeiden. So schöpfen Patienten oft erst wieder Hoffnung, mit ihren Beschwerden und Schmerzen gut leben zu können – auch ohne eine Operation. Aber selbst die Patienten, bei denen eine Operation unumgänglich ist, profitieren von dem Angebot. Sie werden intensiv darauf vorbereitet und sind nach der OP rascher wieder mobil.

Auch der erfolgreiche Orthopädie-Facharztvertrag von AOK Baden-Württemberg, MEDI und dem BVOU ist ein gutes Bespiel für eine strukturierte und intensivierte ambulante Betreuung mit dem Fokus auf einer leitlinienorientierten konservativen Therapie bei Knie- und Hüftarthrosepatienten. Leider sind das bisher zu wenige regionale Leuchtturm-Ansätze. Die Schlussfolgerungen der Bertelsmann-Stiftung zeigen aber, wie notwendig die Implementierung und Finanzierung konservativer Therapiekonzepte ist. Das sollte als Appell an die Kostenträger verstanden werden.

Muss die Gesundheitspolitik an dieser Stelle wirksamer werden?

Flechtenmacher: Hochwertige Medizin ist sowohl in der konservativen Therapie als auch in der Endoprothetik nicht zum Billigtarif zu haben. Im Vergleich zu den von den Fachgesellschaften und vom Berufsverband bereits eingeleiteten Maßnahmen bleiben die Steuerungsmöglichkeiten der Gesundheitspolitik aktuell noch deutlich zurück – zum Beispiel hinsichtlich Qualitätsverträgen und Zentrumszuschlägen. Die umfassenden Möglichkeiten der ambulanten konservativen Therapie werden derzeit vom GKV-System nur über Selektivverträge vergütet und stehen damit weder flächendeckend noch für alle Versicherten gleichermaßen zur Verfügung.

Günther: Die jetzt beobachtete Mengensteigerung muss auch als starker Weckruf an die Gesundheitspolitik verstanden werden. Die Fachgesellschaften arbeiten seit Jahren an qualitätsfördernden Maßnahmen im Bereich der Endoprothetik. Dazu gehört in erster Linie die EndoCert-Initiative der DGOOC gemeinsam mit der AE und dem BVOU. Dort werden hohe Qualitätsstandards gefordert – insbesondere auch für die Indikationsstellung. Aktuell wird in allen EndoCert-Kliniken und darüber hinaus die ebenfalls mit Unterstützung von DGOOC und AE erstellte AWMF-Leitlinie für die Entscheidung zum Kunstgelenkersatz eingeführt. Diese Initiative soll sicherstellen, dass durch eine ausführliche ärztliche Beratung die Entscheidung zur Operation nicht zu früh getroffen wird und zuvor eine angemessene konservative Behandlung erfolgt ist.

Gleiches gilt für den Mehraufwand, den zertifizierte Kliniken in der Patientenfürsorge betreiben. Seit Jahren verstärken Fachgesellschaften wie die AE und die DKG gerade im Bereich der Kniegelenkerkrankungen die Schulung in gelenkerhaltenden Behandlungsmaßnahmen. Sollte nach allen ausgeschöpften gelenkerhaltenden Maßnahmen dann aber das Kunstgelenk notwendig werden, muss sichergestellt sein, dass die Behandlung in Einrichtungen mit ausreichend hohen Fallzahlen und geprüften Behandlungsstandards erfolgt. Beides sind entscheidende Voraussetzungen für den Behandlungserfolg, wie mittlerweile nicht nur international, sondern auch an deutschen Daten  nachgewiesen werden konnte: im EndoCert-Verfahren wie auch dem von der DGOOC etablierten Deutschen Prothesenregister EPRD.

Hier ist zu wünschen, dass einige der im Bertelsmann-Bericht gezogenen Schlussfolgerungen auch gehört werden.

Zu den Personen:

Professor Dr. Carsten Perka ist Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Professor Dr. Klaus-Peter Günther ist Geschäftsführender Direktor des Universitätscentrums für Orthopädie & Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.

Er hat als Mitautor an der 2013 erschienenen Publikation „Knieoperationen – Regionale Unterschiede und ihre Einflussfaktoren“ aus der Reihe Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann-Stiftung mitgearbeitet.

Dr. Johannes Flechtenmacher ist niedergelassener Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Ortho-Zentrum in Karlsruhe.

 Weitere Informationen:
www.dgou.de
https://www.ae-germany.com/
http://deutsche-kniegesellschaft.de/
https://www.bvou.net/

Kontakt für Rückfragen:

Susanne Herda, Swetlana Meier
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) e.V.
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 340 60 36 -06 oder -00Telefax: +49 (0)30 340 60 36 01
E-Mail: presse@dgou.de

Sabine Rieser
Kommunikation und Pressearbeit
Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU e.V.)
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 BerlinTelefon: +49 (0)30 797 444 55Fax +49 (0)30 797 444 45E-Mail: sabine.rieser@bvou.net