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„Das Dutzend ist voll“ – DGORh-Intensivmeeting goes online

Berlin – Nachdem das XI. DGORh-Intensivmeeting, welches in Lübeck hätte stattfinden sollen, im letzten Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer fiel, zeigte sich bereits Ende 2020, dass eine Präsenzveranstaltung auch beim XII. DGORh-Intensivmeeting unwahrscheinlich wäre, sodass dieses erstmals als Zoom-Format online geplant und durchgeführt wurde.

Unter dem Motto „das Dutzend ist voll“, erfolgte nach der Begrüßung und Bericht des Präsidenten, Prof. Ralph Gaulke (Hannover), eine ausführliche Bestandsaufnahme des Arthritis-Registers und des Komplikationsregisters der DGORh. Obwohl das Melden an beide Register nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, ist es über die Jahre jetzt doch gelungen, diese, zumindest an einigen Kliniken, so fest zu etablieren, dass regelmäßig gemeldet wird. Die ersten Ergebnisse haben direkte klinische Relevanz. Beim Arthritis-Register besteht diese darin, dass aus der Form der Synovialitis und der Zelltypisierung in vielen Fällen eine spezifische Empfehlung für eine Medikamentengruppe zur Basistherapie abgeleitet werden kann. Beim Komplikationsregister, in welchem alle rheumachirurgischen Eingriffe mit der aktuellen Medikation und den Nebenerkrankungen gesammelt werden, zeichnen sich gleichfalls für einzelne Medikamente Trends ab, sodass diese in der perioperativen Dosierung einer individuellen Abwägung bedürfen. Die Differentialtherapie hängt zum Teil von dem Medikament selbst, aber auch von der Co-Medikation und den Komorbiditäten ab. Abschließend wurde über die Ratifizierung der Zusatzweiterbildung Orthopädischen Rheumatologie durch die Landesärztekammern berichtet. Bis auf eine Landesärztekammer ist dies bereits bundesweit umgesetzt. Keine der Landesärztekammern ist dabei wesentlich vom Text der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Zusatzweiterbildung abgewichen.

Therapien beim Charcot-Fuß

Im Gastvortrag berichtet Dr. Ulrich Illgner aus Koblenz über die operative und konservative Therapie des Charcot-Fußes. Er betont ausdrücklich, dass der Charcot-Fuß keine exquisite Erkrankung des Diabetikers sei, sondern dass dieser auch bei der idiopathischen Neuropathie oder bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen vorkomme. Grundsätzlich handelt es sich um eine schubartig und progredient voranschreitende Erkrankung von Knochen und Weichteilen, in deren Mittelpunkt immer eine Polyneuropathie steht und die unbehandelt zu einem völligen Zusammenbruch des Fußes mit konsekutiven Ulzerationen und (Super-) Infektionen führt. Eingeteilt werden sollte die Erkrankung nur noch in aktive und nicht-aktive Stadien. Die konservative Behandlung eines aktiven Stadiums im Total-Contact-Cast (TCC), welche in Amerika und weltweit standardmäßig durchgeführt wird, ist in Deutschland nicht so etabliert, stattdessen werden hier häufig abnehmbare Orthesen eingesetzt. Ulrich Illgner zitierte hier eine Studie von Professor Andrew Bolton aus Manchester: Der Erfolg der konservativen Therapie aktiver Stadien des Charcotfußes ist bei Verwendung nicht abnehmbarer immobilisierender Gipsverbände signifikant höher als bei allen abnehmbaren Versorgungen. Die Dauer des aktiven Stadiums, Ulkushäufigkeit, Zeit im Krankenhaus und Anzahl der Operationen sinken im TCC signifikant. Dieser Unterschied erklärt sich durch die mangelnde Compliance der Patienten, welche abnehmbare Orthesen aus Bequemlichkeit häufig ablegen. Dies geschieht insbesondere nachts zu Hause, z.B. bei Toilettengang. Für die Ausheilung des Charcot-Fußes ist jedoch eine konsequente Ruhigstellung erforderlich. Die operative Therapie sollte nach Möglichkeit minimalinvasiv erfolgen. Als Implantate empfiehlt Illgner hier perkutan eingebrachte Steinmann-Nägel oder Fixateur-Systeme, welche dann problemlos wieder entfernt werden könnten. Die interne Osteosynthese geht, aufgrund des Voranschreitens der Charcot Osteoarthropathie, der Ataxie mit Fehl-/Überbelastung des Fußes durch die Polyneuropathie und damit auch der Unfähigkeit ein Bein teilzubelasten häufig mit Implantatversagen einher. Der wichtigste Unterschied zur Osteitis ist das Fehlen entzündlicher Laborparameter, hier insbesondere das CRP. Bei offenen Wunden hingegen, bei denen im Wundgrund der Knochen freiliegt, ist von einer Osteitis auszugehen. Die Behandlung ist entsprechend verschieden, so sollte die Osteitis primär operativ, die Osteoarthropathie hingegen primär konservativ behandelt werden. Entscheidend ist aber, dass es sich um eine klinische Diagnose und eine lebenslang progrediente Erkrankung handelt. Regelmäßige klinische Kontrollen, das Aufklären des Patienten und die kontinuierliche Anpassung der orthopädischen schuhtechnischen Versorgung nach Erreichen des inaktiven Stadiums mit adäquater Weichbettung und Schuhen ist entscheidend für den Langzeiterfolg, die Vermeidung von Amputation.

Fokus auf das Handgelenk

An den Gastvortrag schlossen sich zwei parallele Sitzungen zur operativen und konservativen Therapie an. In der operativen Sitzung wurden die Entwicklung und der aktuelle Stand der Handgelenkendoprothetik ausführlich durch Herrn Dr. Arnold aus Bremen erläutert. Er sieht für die Handgelenkendoprothese Indikationen, diese sollten jedoch sehr eng gestellt werden. So ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche endoprothetische Versorgung ein ankylisierender oder sekundär arthrotischer Krankheitsverlauf. Ein höhergradiger Knochenverlust und ein mutilierendes, d.h. instabiles, Handgelenk stellen Kontraindikationen dar, da hier rezidivierende Fehlstellungen und Luxationen zu erwarten sind.

Im zweiten Vortag berichtete Dr. Ludwig Bause aus Sendenhorst über die stadiengerechte Stabilisierung des Handgelenkes, hier zeigt sich ein deutlicher Trend weg von der totalen, radiometakarpalen Arthrodese hin zu den radiokarpalen Teilarthrodesen. Ob eine radiolunäre oder radioskapholunäre Arthrodese indiziert ist, hängt maßgeblich von der Stabilität der Weichteile ab. Kritisch wird von beiden Vortragenden die Resektion des Ellenköpfchens gesehen, da es durch den Verlust der Spannung der Membrana interossa zu einer longitudinalen Instabilität des Radius kommt, welche häufig zu Beschwerden führt. Im Zeitalter moderner Immunsuppression, in der die Patienten mobiler sind und auch körperlich anstrengendere Tätigkeiten durchführen, ist die Stabilität des Unterarmes essentiell für eine gute Gebrauchsfähigkeit der Hand.

Update Osteoporose

Als Referenten für die konservative Sitzung konnten dieses Jahr ausgewiesene Experten gewonnen werden. Zu Beginn gab Professor Maus aus Düsseldorf ein Update zur Osteoporose. Nach einem sehr prägnanten Überblick über die Erkrankung und deren Diagnostik ging er vor allem auf die große Bedeutung der Risikoeinteilung der Patienten vor Einleitung einer zielgerichteten Therapie ein. Als Hochrisiko-Patienten werden solche unter Cortisontherapie, von denen viele als Risikofaktor auch an einer entzündlich rheumatischen Erkrankung leiden, angesehen. Mit dem schon seit einigen Jahren zugelassenen Teriparatid und dem vor kurzem zugelassenen Romosozumab stehen zwei verschiedene osteoanabole Substanzen zur Verfügung. Bei Hochrisiko-Patienten wurde in Studien gezeigt, dass zuerst die Gabe von osteoanabolen Substanzen für ein Jahr, gefolgt von antiresorptiven Therapien einen großen Nutzen haben kann. Hierbei muss aber auch die genau Zulassung der einzelnen Medikamente beachtet werden, auch um Komplikationen zu vermeiden. Die Vorstellung beim Kieferchirurgen oder Zahnarzt vor Einleitung der Therapie wird ebenso empfohlen, wie eine Antibiotikaprophylaxe bei größeren zahnärztlichen Eingriffen.

Entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankungen

Anschließend hielt Prof. Torsten Witte aus Hannover einen Übersichtsvortrag über den aktuellen Stand der Diagnostik und differenzierten Behandlung der rheumatoiden Arthritis, der Psoriasisarthritis und der axialen Spondylarthritis. Während bei der rheumatoiden Arthritis die Biologika schon als “Klassiker” bezeichnet werden können, “spiele die Musik bei den JAK-Inhibitoren”. Bei diesen kommt es auf die verschiedenen JAK-Rezeptoren an, auf die Einfluss genommen werde. Ob tatsächlich eine relevante Erhöhung des Risikos für Thrombosen und Embolien bestehe, sei noch nicht abschließend geklärt. Bei der Psoriasisarthritis helfen die TNFα-Blocker in aller Regel sehr gut. Il17- Inhibitoren zeigten eine besonders gute Wirkung bei der Enthesitis und Il23-Inhibitoren beim Hautbefall. Mit Upadacitinib sei nun auch ein JAK-Inhibitor zur Behandlung der Psoriasisarthritis zugelassen. Bei der Behandlung der axialen Spondylarthritis ist bemerkenswert, dass eine Studie in Mecklenburg-Vorpommern bei ca. 17 % der gesunden Vergleichsgruppe MRT-Veränderungen gezeigt habe, die die aktuellen Kriterien einer Sakroiliitis erfüllten. Daher sollte bei Veränderungen im MRT die diagnostische “Latte höher gehängt” werden, um Übertherapien zu vermeiden.

Abschließend stellte Prof. Michael Bernateck aus Hannover dar, dass für den Rheumapatienten die schnelle Einstellung auf eine suffiziente Basistherapie insbesondere mit Biologika oder JAK-Inhibitoren eine hervorragende Schmerztherapie sei. Ferner solle im Rahmen des meist vorliegenden Mixed-Pain der neuropathische Schmerz gezielt erfragt, diagnostiziert und behandelt werden. Das gleiche gelte für Schlafstörung, Depression und Angst. Um dann in einem individuellen, differenzierten und oft multimodalen Ansatz die Schmerzlinderung, die für die meisten Patienten im Mittelpunkt steht, schnell und sicher zu erreichen. Hier ergaben sich in der ebenfalls lebhaften Diskussion auch sehr gute Ansätze für eine interdisziplinäre Herangehensweise. Ferner könnten auch Opioide sicher und zielgerichtet eingesetzt werden. Diese Therapie bedarf der Kontrolle und sollte bei Nichtansprechen oder Verdacht auf Missbrauch zügig ausgeschlichen werden.

Insgesamt zeigte sich ein hervorragendes Ineinandergreifen der Vorträge, in deren Mittelpunkt die klinische Untersuchung und das Eingehen auf dem Patienten standen, um eine zielgerichtete, differenzierte und individuelle Therapie zu ermöglichen. Ebenso wurde der überragende Effekt einer frühzeitigen Einleitung einer effizienten Basistherapie betont. Ein interdisziplinäres Herangehen wurde als gewinnbringend angesehen.

Im konservativen wie im operativen Block wurden die Vorträge von sehr ausführlichen und teils kontroversen Diskussionen begleitet, wodurch der Erkenntnisgewinn für die Teilnehmer erheblich gesteigert werden konnte. In einer kurzen Zusammenfassung durch die Moderatoren beider Sitzungen, wurden auch den Teilnehmern der jeweils anderen Sitzung die Kernaussagen der Vorträge und Diskussionen vermittelt. Danach erfolgte die Verabschiedung ins sonnige Wochenende.

Fazit

Zusammenfassend ist die erstmalige rein virtuelle Ausrichtung des DGORh-Intensivmeetings als voller Erfolg zu werten. Die sonstigen Teilnehmerzahlen sind in den letzten Jahren auf einen Wert von 60 gestiegen. Für das virtuelle Intensivmeeting lagen 200 Anmeldungen vor, von denen sich dann tatsächlich 160 Kollegen/innen, trotz frühlingshaften Wetters, einloggten.

Die Erkenntnis aus diesem neuen Format ist, dass wir künftige DGORh-Intensivmeetings sehr wahrscheinlich, so es die Pandemie zulässt, als Hybridveranstaltungen abgehalten werden. So können die Vorteile einer Präsenzveranstaltung, nämlich der intensivere persönliche Austausch, mit denen der Onlinepräsenz, mit dem Wegfall der Anreise und Abreise, kombiniert werden.

Prof. Ralph Gaulke
Präsident der DGORh
Unfallchirurgische Klinik
Sektion Obere Extremität, Fuß- und Rheumachirurgie
Medizinische Hochschule Hannover
gaulke.ralph@mh-hannover

Dr. Ulrich Illgner
Orthopädische Privatpraxis Seintsch und Illgner
Hohenzollernstrasse64
56068 Koblenz
Info@orthopaeden-koblenz.de