Archiv für den Monat: November 2016

52 Millionen Stunden in der Praxis nur für Bürokratie

Berlin – 52 Millionen Stunden ihrer Arbeitszeit werden die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland in diesem Jahr für sogenannte Bürokratie aufwenden müssen – und zwar nur für die Umsetzung von Vorgaben der Selbstverwaltung auf Bundesebene. Das entspricht einer Belastung von durchschnittlich 57 Arbeitstagen pro Praxis. Zählt man noch die Belastungen durch Bundes- und Landesgesetze hinzu, sind es noch rund 24 Millionen Stunden mehr.

Diese Zahlen gehen aus dem neuen Bürokratieindex (BIX) hervor, den die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am 22. November gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe und der Fachhochschule des Mittelstands vorgestellt hat.

„Zwar hat es an einigen Stellen Entlastungen gegeben“, sagte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen, „beispielsweise durch die Abschaffung der Auszahlscheine im Krankengeldfall. Aber es kommen auch immer neue Belastungen hinzu.“ Unter dem Strich ist der BIX zwar im Vergleich zu 2013 niedriger, statt 100 ist er auf 95,3 gesunken. „Doch 52 Millionen Stunden sind immer noch zu viel“, stellte Gassen klar.

Aufklärung der Patienten, AU-Bescheinigungen, Krankenbeförderungsformular  – das kostet Zeit

Die größte neue Belastung seit 2013 ist nach den Analysen der Fachhochschule des Mittelstands die Aufklärung der Patienten bei Überschreitung der Festbetragsgrenze. Danach folgen Verordnungen für Krankenbeförderung und als drittes die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit (AU) auf Muster 1 inklusive Prüfung.

Die wesentliche Entlastung ergibt sich rechnerisch durch weniger Überweisungen aufgrund des Wegfalls der Praxisgebühr. Es folgt als zweites die Entlastung bei AU-Bescheinigungen. Dies sei kein Widerspruch zum Vorherigen, hieß es bei der Vorstellung des BIX: Die Belastung ergebe sich durch ein neues Formular, was aber gleichzeitig zu einer größeren Entlastung führe aufgrund der Zusammenlegung zweier Formulare. Dritter Posten der Entlastung sei die Dokumentation im Bereich Qualitätsmanagement.

Mit dem BIX habe man nun ein Instrument, das die Entwicklung der Bürokratiebelastung im Verlauf sichtbar mache, sagte KBV-Vorstand Gassen. Doch man könne sich nicht ausruhen, man müsse weiter etwas tun. Die Bundesregierung habe mit dem Ziel der 25-prozentigen Entlastung der Wirtschaft schon vorgelegt. Auch KBV und die KVen sollten sich auf solch ein Ziel mit dem GKV-Spitzenverband verpflichten.

Ärzte sind keine freien Mitarbeiter der Krankenkassen

Während der Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen BIX wurde Gassen gefragt, ob manches an Bürokratie nicht einfach auch zu den ärztlichen Aufgaben zähle. Manches sei Teil des ärztlichen Tuns, antwortete dieser. Aber Informationen zu Festbeträgen zum Beispiel dienten den Rabattierungen der Kassen und anderem. So werde der Arzt quasi zum freien Mitarbeiter der Kasse. Man müsse prüfen, was wirklich ärztliches Tun sei. Sei es Aufgabe des Vertragsarztes, Rabattverträge einzelner Kassen für den Patienten zu plausibilisieren? Nein. Hier würden in breitem Umfang Dinge verlagert, die im Dialog zwischen Arzt und Patient eigentlich nichts verloren hätten.

Notfalldaten auf der eGK: Testlauf beendet

Münster – Ab Anfang 2018 können Patienten auf ihrer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) auf Wunsch einen Notfalldatensatz hinterlegen lassen. Die Erstellung dieser Datensätze und das entsprechende Notfalldatenmanagement (NFDM) wurden in den letzten sechs Monaten in dem Pilotprojekt „NFDM-Sprint“ getestet. Koordiniert wurde das Projekt vom Universitätsklinikum Münster (UKM), das die erhobenen Daten in den kommenden Monaten auswerten wird.

„Um zukünftig Akzeptanz für die Notfalldaten auf der elektronischen Gesundheitskarte zu erreichen, muss diese Anwendung praktikabel sein, also im medizinischen Alltag den Bedürfnissen der Ärzteschaft und der Patienten entsprechen. Das wollen wir mit NFDM-Sprint sicherstellen“, sagte Dr. Franz Bartmann, Vorsitzender des Ausschusses Telematik der Bundesärztekammer, vor dem Start des Projekts im Juni dieses Jahres. Seitdem haben 32 niedergelassene Haus- und Fachärzte aus dem Münsterland sowie sieben Ärzte des UKM im Rahmen des NFDM-Testlaufs anonymisierte Notfalldatensätze für etwa 4.000 Patienten angelegt.

Forscher untersuchen Praktikabilität für Ärzte

„Wir wollten mit dem Pilotprojekt bereits vor der bundesweiten Einführung sehen, wie gut die Anlage eines Notfalldatensatzes mit der entsprechenden Software funktioniert. Wo gibt es Hürden, wo gibt es Verbesserungspotential? Ziel muss sein, Daten schnell und effizient zu erfassen und den einzelnen Arzt so wenig wie möglich mit dieser Arbeit zu belasten“, erklärt Dr. Christian Juhra, Leiter der Stabstelle Telemedizin des UKM. Die Stabstelle koordinierte das sechsmonatige Pilotprojekt im Auftrag der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) und der Bundesärztekammer, die für die Entwicklung und Einführung des NFDM verantwortlich sind.

Lebensrettende Informationen im Notfall abrufen 

Bis Anfang 2017 werden die Datensätze aus dem Testlauf nun ausgewertet. Die Einführung des NFDM hat der Gesetzgeber im E-Health-Gesetz für Anfang 2018 vorgesehen. Dann können Versicherte auf Wunsch bestimmte Notfalldaten, zum Beispiel Informationen über Vorerkrankungen, Medikamente oder Allergien, auf ihrer eGK speichern lassen. In einer medizinischen Notfallsituation können Behandelnde diese Informationen unter Nutzung ihres elektronischen Heilberufsausweises dann auch ohne zusätzliche Einwilligung des Patienten abrufen. „Als Notarzt bin ich selbst oft genug bei Patienten gewesen, von denen ich nichts wusste“, sagt Juhra. „Ein Notfalldatensatz wäre da oft hilfreich gewesen.“

Auch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) begrüßt die Einführung des Notfalldatensatzes. Gerade angesichts der stetigen Zunahme älterer Sturzpatienten sei die Einführung des NFDM von hohem Wert, erklärte die DGU im Juni in einer Pressemitteilung. Ältere Menschen litten oftmals an unterschiedlichen Vorerkrankungen und nähmen zahlreiche Medikamente ein. „Die notfallrelevanten Daten helfen uns, schnell die richtige Entscheidung zu treffen und einen ungünstigen Krankheitsverlauf infolge gefährlicher Wechselwirkung von Medikamenten abzuwenden“, erklärte Prof. Michael Johannes Raschke, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am UKM, in der Mitteilung.

Neue Beschichtung verbessert Sitz von Endoprothesen

Mainz – Jährlich müssen sich etwa 35.000 Gelenkersatz-Patienten einer Wechseloperation unterziehen, weil sich ihre Endoprothese gelockert hat. Um diesem Problem zu begegnen und die Verankerung von Prothesen im Knochen weiter zu verbessern, hat der Mainzer Orthopäde und Unfallchirurg Dr. Andreas Baranowski eine neue bioaktive Implantatbeschichtung für Titanprothesen entwickelt. Für seine Forschung wurde er kürzlich mit dem diesjährigen Boehringer-Ingelheim-Preis ausgezeichnet.

Gemeinsam mit seinem Forschungsteam am Molekularen Forschungszentrum operativer Fächer an der Universitätsmedizin Mainz untersuchte Baranowski das knocheneigene Eiweiß Bone Sialoprotein (BSP) als mögliche Beschichtung für Titanimplantate. Dafür beschichtete er zunächst Titanscheiben mit BSP und siedelte daraufhin menschliche Knochenzellen auf dem Prothesenmaterial an.

Körpereigenes Eiweiß aktiviert Knochenzellen

Die Versuche zeigten, dass dank der BSP-Beschichtung knochenspezifische Gene aktiviert werden und sich die Knochenzellen vermehren. Dies könnte die Verbindung zwischen Titan und Knochen stärken, so die Forscher. Darüber hinaus beobachteten sie eine tendenziell erhöhte Knochenzellwanderung hin zum Titan. Zudem produzierten die Knochenzellen vermehrt knochenstärkende Kalksalze.

„Unsere Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass sich eine mit dem knocheneigenen Eiweiß BSP vorbeschichtete Prothese im Knochen besser verankert und langfristig stabiler sitzt“, erklärt Baranowski. „Wenn sich das bewahrheitet, ließe sich möglicherweise künftig der aufwändige Austausch gelockerter Prothesen deutlich reduzieren“, ergänzt der Nachwuchswissenschaftler.

Forscher setzen Versuche mit neuer Beschichtung fort

Er und sein Team forschen weiter an der aussichtsreichen Beschichtung und wollen deren Anwendungsgebiete weiter ausdehnen: „Bereits jetzt führen wir an der Universitätsmedizin Mainz Folgeversuche an mit BSP-beschichteten, mittels 3D-Druck hergestellten Knochenersatzmaterialien durch“, so Baranowski.

Ende Oktober wurde er für seine Forschungen mit dem diesjährigen Boehringer-Ingelheim-Preis gewürdigt. Der mit insgesamt 30.000 Euro dotierte Preis wird seit 1969 jährlich für herausragende wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der theoretischen und klinischen Medizin von der Boehringer-Ingelheim-Stiftung an Nachwuchswissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz vergeben. Neben Baranowski wurde in diesem Jahr auch der Mainzer Immunologe Dr. Georg Gasteiger für seine Erkenntnisse zur Funktionsweise der Immunabwehr mit dem Preis ausgezeichnet.

Quelle: Universitätsmedizin Mainz

SpiFa startet telemedizinisches Facharzt-Konsil

Berlin – Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) will im neuen Jahr telemedizinische Konsultationen einführen, um Patienten insbesondere mit chronischen und seltenen Erkrankungen zielgerichtet und schneller zu versorgen. Das „Facharzt-Konsil“ können hausärztlich tätige Mediziner nutzen, um ihre Patienten einem Facharzt vorzustellen und gemeinsam zu behandeln. Auch die Zusammenarbeit zwischen Fachärzten soll durch das neue telemedizinische Angebot intensiviert werden, wie es in einer Pressemitteilung heißt.

„Insbesondere für Patienten, die auf dem Land wohnen, eignet sich unser neues Facharzt-Konsil. Oftmals sind Fachärzte nicht überall zeit- und ortsnah verfügbar. Patienten sparen sich mitunter lange Anfahrtswege oder Wartezeiten beim Spezialisten und können von ihrem vertrauten Arzt vor Ort weiter betreut werden“, betonte Lars Lindemann, Hauptgeschäftsführer des SpiFA.

Telemedizin als Teil der zukünftigen Gesundheitsversorgung

Der SpiFa ist überzeugt, dass das neue „Facharzt-Konsil“ die zukünftige Gesundheitsversorgung außerordentlich bereichern wird. „Die Zahl der Arztpraxen ist heute schon rückläufig. Dazu kommt, dass ein großer Teil unserer jungen Kolleginnen und Kollegen sich Arbeitsmodelle, wie Jobsharing oder Teilzeitarbeit wünschen. Auch in dieser Hinsicht kann das „Facharzt-Konsil“ sehr hilfreich sein, da das telemedizinische Konsil nicht an feste Arbeitszeiten in der Praxis gebunden ist“, kommentierte Dr. Dirk Heinrich, HNO-Arzt aus Hamburg und Vorstandsvorsitzender des SpiFa, den Stellenwert der Telemedizin für zukünftige Ärztegenerationen.

Die Themen „Datenschutz“ und „Datensicherheit“ sind nach Darstellung des Spifa zentrale Elemente bei der Entwicklung des „Facharzt-Konsils“. Dabei werden die persönlichen Daten des Patienten von den Anamnesedaten getrennt. Die medizinischen Daten enthalten keine personenbezogenen Informationen und können nur von dem konsultierten Arzt einem Patienten zugeordnet werden. Die Übertragung der verschiedenen Informationen erfolgt auf separaten Servern, die sich alle in einem Rechenzentrum in Deutschland befinden und daher dem deutschen Datenschutzrecht unterliegen. Dieses sogenannte Data-Split®-Verfahren wurde vom Landesamt für Datenschutz in Bayern als sicheres Datenübertragungsverfahren positiv bewertet und ist beim Europäischen Patentamt zum Patent angemeldet (EPA 12 178 598.4). Die ersten Indikationen sollen bereits im ersten Quartal des neuen Jahres realisiert werden.

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Interview: „Nicht jedes Haus muss einen Hybrid-OP haben“

Hybrid-OPs sind inzwischen nicht mehr ausschließlich in großen Kliniken zu finden. Technisch anspruchsvoll ausgestattete Operationssäle ermöglichen nicht nur chirurgische Eingriffe auf hohem Niveau, sondern fördern auch ein modernes Klinik-Image. BVOU.net sprach mit Prof. Dr. med. Clemens Bulitta, dem Leiter des Instituts für Medizintechnik an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden, über den Nutzen von Hightech-OPs, über die Planung, die bereits vor einer Anschaffung nötig ist, und über den europaweit einzigartigen Zertifikatslehrgang zum Hybrid-OP-Techniker.

BVOU.net: Herr Prof. Dr. Bulitta, die Meldungen über neu eingerichtete Hybrid-OPs in Krankenhäusern häufen sich. Sie selbst schätzen, dass es in deutschen Kliniken inzwischen mehr als zweihundert gibt. Welchen Nutzen bringt ein Hybrid-OP?
Prof. Dr. med. Clemens Bulitta:
Wenn wir über den Hybrid-OP sprechen, dann über den Hybrid-OP mit einem Angiographiesystem. Manche sprechen auch von einem Hybrid-OP, wenn ein Computertomograph oder Magnetresonanztomograph im Saal vorhanden sind.

Mit einem Hybrid-OP hat man ein Werkzeug zur Verfügung, das ganz neue Behandlungen ermöglicht und es erlaubt, Ergebnisse direkt im Operationssaal zu überprüfen. Behandlungsentscheidungen, die man manchmal auch aufgrund der therapeutischen Situation akut noch einmal anpassen muss, können so besser getroffen werden.

Insbesondere im Bereich der kardiovaskulären Medizin profitieren dabei die Patienten, denen man früher nicht helfen konnte. Das Ganze ist eine Spirale, die sich kontinuierlich weiterentwickelt, denn durch die Verfügbarkeit solcher Technologien und der Bildgebung fangen die Ärzte an, über weitere Verbesserungen der Therapie nachzudenken – etwa neue Implantate und neue Möglichkeiten, diese einzusetzen. Dieser Prozess steigert dann auch die Nachfrage nach Hybrid-OPs.

Ähnliches gilt für die Gefäßchirurgie, wie etwa die Versorgung von Aortenaneurysmen. Diese müssen nicht mehr offen operiert werden, sondern können interventionell behandelt werden. Es gibt mittlerweile auch für beide Fälle Studiendaten, die belegen, dass diese interventionellen Verfahren mindestens vergleichbar für die entsprechenden Indikationen, und zum Teil sogar besser und überlegen sind, was die Behandlungsergebnisse angeht. Es ist ein klarer Patientennutzen gegeben – auch für andere medizinische Bereiche wie die Unfallchirurgie.

BVOU.net: Zu einem erfolgreichen Krankenhausbetrieb gehört auch ein durchdachtes Marketing. Schaffen sich manche Einrichtungen Hightech-Equipment wie Hybrid-OPs und OP-Roboter an, um in ihre Zukunft zu investieren und Patienten zu gewinnen?
Bulitta:
Es gibt natürlich mittlerweile mehr Disziplinen als die Herz- und Gefäßchirurgie, die den Hybrid-OP nutzen können. Das ist ein Grund, weshalb inzwischen auch kleinere Häuser solche Säle einrichten. Dort wird der Raum dann ergänzend mit anderen Eingriffen ausgelastet, womit eine vernünftige betriebswirtschaftliche Nutzung dieser doch teuren Investition sichergestellt ist. Man muss natürlich im Vorfeld überprüfen, ob man den Saal auslasten kann, damit er nicht nur ein Statussymbol ist. Das wäre fatal.

Aus medizinischer Sicht gibt es gute Gründe für die Einrichtung eines Hybrid-OPs, aber muss wirklich jedes Haus einen haben? Wenn man moderne Gefäßchirurgie betreiben will, muss man endovaskulär agieren, und dann ist in der Regel eine fest installierte Angiographieanlage von Vorteil. Aber es ist sicherlich korrekt zu sagen: Nicht jedes Haus muss einen Highend-Hybrid-OP haben.

BVOU.net: Also sollte man definitiv auf die Einrichtung verzichten, wenn man die Auslastung von vornherein nicht gewährleisten kann?
Bulitta:
Sie brauchen eine vernünftige Auslastung, medizinische Kompetenz und fachlich qualifizierte Ärzte. Ich will aber nicht ausschließen, dass es Häuser gibt, denen es die Investition wert ist, weil sie über das qualifizierte Personal verfügen, auch wenn sie den Saal nicht auslasten können. Das Marketing zielt ja nicht nur darauf ab, Patienten zu rekrutieren, sondern es gibt auch einen Wettbewerb um Ärzteköpfe – gerade in der Chirurgie. Natürlich ist der OP ein kostenintensives Segment. Aber ein Krankenhaus ist im weitesten Sinne auch ein Produktionsbetrieb, es produziert Gesundheit. Und der Produktionsbetrieb muss natürlich mit einer vernünftigen Produktionsinfrastruktur ausgestattet werden. Jedes produzierende Unternehmen hat seine Werkzeuge, die dabei unterstützen, möglichst effizient und effektiv das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Und wenn ich einen möglichst gut behandelten Patienten haben möchte, dann ist eine richtige Infrastruktur in den Händen der richtigen Bediener auch ein wesentlicher Vorteil.

BVOU.net: Was sollte das Klinik-Management bereits im Vorfeld beachten?
Bulitta:
Einen Hybrid-OP baut ein Haus nicht jeden Tag. Bei der Planung spielen drei wesentliche Themen zusammen: Der Raum ist als Gesamtsystem zu betrachten, und dazu gehören die Haus- und Gebäudetechnik, die Medizintechnik und die Personen, die im Raum arbeiten.

So ein OP ist immer eine individuelle Lösung des jeweiligen Hauses. Baue ich neu oder habe ich einen Bestands-OP? Bei der Planung muss man bereits überlegen, wer später im OP-Saal arbeiten soll. Diese Abteilungen sollten auch in die Planungen einbezogen werden, genau wie bestimmte Abläufe, etwa die Interaktion zwischen Röntgengerät und OP-Tisch. Welche anderen mobilen medizintechnischen Geräte werden noch benötigt, wo steht welche Person, was muss beim Strahlenschutz beachtet werden? Es hängt bei der Planung viel davon ab, welche Eingriffe man machen möchte. Wenn man einen Hybrid-OP baut, der rein für gefäß- oder herzchirurgische Eingriffe genutzt werden soll, dann kann man natürlich bestimmte Aspekte außen vorlassen, die man nicht außen vorlassen kann, wenn man unfallchirurgisch oder mund-, kiefer- und gesichtschirurgisch arbeitet. Zur Planung gehören natürlich auch das Management und die Abstimmung untereinander. Was die Abläufe und die Arbeit im Saal betrifft, muss man für sein Haus Standards setzen und es muss Routine reinkommen.

BVOU.net: Sie dozieren im Rahmen einer Ausbildung zum Hybrid-OP-Techniker an der Steinbeis-Hochschule in Berlin. In diesem Zertifikatslehrgang wird Personal gezielt für die Bedienung eines solchen Saales qualifiziert. Der Wille zur optimierten Auslastung und Bedienung ist in den Häusern also auf jeden Fall da?
Bulitta:
Wenn man A sagt zu der Investition, dann muss man auch B dazu sagen, dass man diese Investition im Betrieb richtig einsetzt. Dazu gehört auch, die Mitarbeiter, die dann mit diesem Instrument arbeiten, zu schulen, und die Prozesse im Hause so zu strukturieren, dass der Hybrid-OP auch effektiv und effizient eingesetzt werden kann. Sonst haben Sie niemanden, der das Werkzeug bedienen kann oder möchte, und haben ein Hybrid-OP-Museum stehen.

Ich bin mit verschiedenen Herstellern bildgebender Systeme in Kontakt. Die Industrie sieht einen gewissen Bedarf dafür, Benutzer weiter zu qualifizieren. Natürlich bietet die Industrie ein Basistraining an, aber die Bediener haben es nicht nur mit der reinen Bedienung der Anlage zu tun, sondern es ändern sich auch Abläufe, und die Komplexität steigt. So muss man sich zum Beispiel ganz anders mit dem Thema Strahlenschutz auseinandersetzen oder mit unterschiedlichen Aspekten der Hygiene. Das sind alles Aspekte, die einen zusätzlichen Qualifikationsbedarf zeigen und dafür sprechen, Weiterbildungsmaßnahmen zu entwickeln.

Die Frage ist, ob man nicht langfristig ein eigenes Berufsbild bräuchte. Im Moment ist es je nach Haus unterschiedlich. Zum Teil bedienen Ärzte das System, aber auch Mitarbeiter aus der Radiologie oder OP-Pfleger. Die OP-Pfleger kennen natürlich die Bildgebung nicht so gut, die MTA sind wiederum mit den Abläufen im OP nicht so vertraut. Der Hybrid-OP-Techniker ist ja quasi auch ein Hybrid – er muss die Chirurgie beherrschen und er muss die Bildgebung und Intervention ein Stück weit beherrschen. Ich glaube, wenn man Patienten effizient und effektiv behandeln will, braucht man ein eigenständiges Qualifizierungsprofil. Ob es dann wirklich einmal eine eigenständige Berufsgruppe wird, soll mal dahingestellt sein. Aber eine Spezialisierung und Zusatzbezeichnung als Hybrid-OP-Techniker für jemanden, der aus der OP-Pflege, dem MTA- oder dem OTA-Bereich kommt, könnte ich mir gut vorstellen.

Das Interview führte Yvonne Bachmann.   

Ein Symposium unter der Leitung von Prof. Dr. Bulitta zum Thema „Workflow-driven hospital and clinical engineering“ findet am Donnerstag, 17. November, von 14.10 bis 15.30 Uhr im Rahmen der Medizinmesse MEDICA in Düsseldorf statt.  

BÄK: verlässliche Informationen zum Anti-Korruptionsgesetz

Berlin – „Die übergroße Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland arbeitet korrekt und lässt sich nichts zuschulden kommen. Deshalb empfinden wir das Anti-Korruptionsgesetz für das Gesundheitswesen auch nicht als Bedrohung, sondern als Schutzmaßnahme für die vielen ehrlichen Kollegen. Die Neuregelungen können aber auch zu Unsicherheiten insbesondere bei den Ärzten führen, die sich beispielsweise in Netzen oder in sektorenübergreifenden Versorgungformen engagieren. Diese Kollegen brauchen verlässliche Informationen. Und die wollen wir ihnen geben.“

Das sagte Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), zum Auftakt der BÄK-Tagung „Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ am 12. November in Berlin. Auf der Tagung diskutierten Ärzte und Juristen, welche Kooperationsmodelle strafbar und welche Formen der Zusammenarbeit zwischen den Heilberufen untereinander, aber auch zwischen Leistungsanbietern und der Industrie weiterhin erlaubt sind.

Oberstaatsanwalt: keine massenhaften Ermittlungen

Prof. Dr. Karsten Gaede von der Bucerius Law School Hamburg sieht in dem Gesetz eine vernünftige Grundlage für die Strafverfolgung im Gesundheitswesen. Er wies jedoch darauf hin, dass die Delikte eine „vorsichtige Anwendung“ erforderten. Dies bestätigte Oberstaatsanwalt Alexander Badle von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Er glaubt nicht, dass Ermittlungen in diesem Bereich zu einem Massenphänomen werden. Wichtig sei für die Akteure, sich im Vorhinein zu informieren und so das Strafverfolgungsrisiko zu minimieren.

Badle stellte klar, dass sämtliche bislang zulässigen Leistungsbeziehungen und Kooperationen auch nach Inkrafttreten des Gesetzes uneingeschränkt zulässig bleiben. „Das Gesetz enthält keine neuen Verbote, es normiert lediglich eine strafrechtliche Sanktion für bereits verbotenes Verhalten. Das bedeutet auch, dass sämtliche bislang zulässigen Leistungsbeziehungen und Kooperationen auch nach Inkrafttreten des Gesetzes uneingeschränkt zulässig bleiben. Sie sollten aber auf etwaige strafrechtliche Risiken hin überprüft werden.“

Viele Klinikchefs lassen Altverträge prüfen

Tatsächlich ist der Beratungsbedarf seit Inkrafttreten des Gesetzes deutlich gestiegen. Dies berichtete auf der Tagung Prof. Dr. Dr. Thomas Ufer, Arzt und Fachanwalt für Medizinrecht. Vorgelegt würden nicht nur neue Kooperationsmodelle. Viele Klinikchefs ließen jetzt auch ihre Altverträge prüfen. Beratungsbedarf bestünde beispielsweise bei Kooperationen zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken. Auch sogenannte Anwendungsbeobachtungen führten zu Unsicherheiten. Diese könnten straffrei sein, es sei denn, die vorgesehene Vergütung entschädige nicht für zusätzlichen Aufwand, sondern für die bevorzugte Verordnung bestimmter Präparate, so Ufer.

Quelle: BÄK

Neue Art von Muskelatrophie entdeckt

Köln – Die Muskelatrophie kann verschiedenste Ursachen haben. So tritt sie zum Beispiel bei Immobilisierung nach Knochenbrüchen auf. Teils ist der Muskelschwund aber auch auf genetische Mutationen zurückzuführen. Es gibt viele Patienten mit erblicher Muskelatrophie, bei denen das krankheitsverursachende Gen jedoch unbekannt ist. Eine Forschergruppe vom Institut für Humangenetik der Uniklinik Köln und vom Zentrum für molekulare Medizin Köln hat nun Mutationen im PIEZO2 Gen identifiziert, welche eine neue Art von Muskelatrophie verursachen.

Die Augen sind geschlossen, die Arme angehoben: versucht man nun, blind beide Zeigefinger vor dem Gesicht zusammenzuführen, so gelingt dies den meisten mehr oder weniger leicht. Im Hintergrund jedoch laufen komplizierte Prozesse ab, die diese Koordination ermöglichen. Obwohl es keine visuelle Information über die Position von Armen und Fingern gibt, kann man immer recht gut einschätzen, wo sich die Gliedmaßen befinden – eine Sinneswahrnehmung, die als Propriozeption bezeichnet wird.

Es ist ein Gefühl der Körperpositionierung im Raum. Die Wahrnehmung, ob ein Muskel kontrahiert ist oder nicht – auch ohne dies zu sehen, gibt Aufschluss darüber, wo sich einzelne Körperteile befinden. Genau für diesen Prozess benötigt man ein voll funktionsfähiges PIEZO2 Gen. Es ist ein Bauplan für ein Protein, das Druck und Dehnung in Muskeln und in der Haut wahrnehmen kann, ein sogenannter Mechanorezeptor.

Muskelzellen können Druck und Dehnung nicht wahrnehmen

Dr. Markus Storbeck, Postdoktorand in der Forschungsgruppe um Humangenetikerin Prof. Dr. Brunhilde Wirth, hat Sequenzdaten von mehr als 20.000 Genen von Patienten mit Muskelatrophie analysiert und Leserasterverschiebungen im PIEZO2 Gen entdeckt. Das bedeutet, dass ein kleines Stück DNA-Sequenz entweder fehlt oder eingefügt wurde, sodass der PIEZO2 Bauplan durcheinander gerät und nicht mehr gelesen werden kann. Dementsprechend können Zellen kein PIEZO2 Protein mehr produzieren. Die Abwesenheit dieses wichtigen Mechanorezeptors führt letztlich zur Erkrankung.

Ein weiterer Forscher der Gruppe, Doktorand Andrea Delle Vedove, hat aus der Haut der Patienten Zellen kultiviert und Experimente durchgeführt. So konnte er beweisen, dass die Zellen aufgrund der Mutationen im PIEZO2 Gen die Sequenz nicht mehr richtig lesen können. Die Zellen der Patienten sehen die Baupläne als Müll an und vernichten sie dementsprechend. Folglich fehlt den Zellen das PIEZO2 Protein; sie sind nicht in der Lage, mechanische Einwirkungen wie Druck und Dehnung wahrzunehmen. Obwohl es sich um eine erbliche Erkrankung handelt, sind die Eltern der Patienten nicht betroffen, aber tragen jeweils eine Kopie des mutierten Gens.

Erkrankung entsteht bereits im Mutterleib

Die durch den Verlust von PIEZO2 bedingte Erkrankung setze während der Embryonalentwicklung ein und sei zum Zeitpunkt der Geburt bereits ausgeprägt, so die Forscher. Ein gesundes Ungeborenes führt im Körper der Mutter bereits Bewegungen aus – eine Voraussetzung für die normale Muskelentwicklung durch Training. Die Wissenschaftler um Prof. Wirth glauben, dass Propriozeption, wie sie durch PIEZO2 vermittelt wird, zur Steuerung muskulärer Entwicklungsprozesse benötigt wird.

Skoliose oder Gelenksteifigkeit als Folge

Muskeln, die Dehnung nicht wahrnehmen können, sind zum Zeitpunkt der Geburt verkürzt. Dies führe zum Beispiel zu einer Skoliose oder zu Gelenksteifigkeit. Einige dieser Deformitäten könnten operativ korrigiert werden, aber es gebe keine Möglichkeit zur Behandlung der motorischen Defizite, so Wirth und ihre Kollegen. Wie bei allen genetischen Erkrankungen stehe die Identifizierung des ursächlichen Gens an erster Stelle. Um aber Strategien zur Therapie zu entwickeln, bedürfe es eines tieferen Verständnisses, wie die Abwesenheit von PIEZO2 zur Erkrankung führt. Dank ihrer Studie, so die Forscher, seien die Grundlagen dafür nun geschaffen.

Die Ergebnisse der Studie „Biallelic loss of proprioception-related PIEZO2 causes muscular atrophy with perinatal respiratory distress, arthrogryposis and scoliosis” wurden am 27. Oktober 2016 online im American Journal of Human Genetics veröffentlicht.

Quelle: Uniklinik Köln

Heil-Hilfsmittelversorgung: Blankoverordnung unumstritten

Berlin – Der Gesetzentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelverordnung wird von den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien unterschiedlich bewertet. Das zeigte sich an den Reden der Parlamentarier anlässlich der ersten Lesung am 10. November. Um sie nicht im Morgengrauen halten zu müssen angesichts der überlangen Tagesordnung, wurden sie allerdings zu Protokoll gegeben. Ein Teil der Parlamentarier ging ausführlicher auf die sogenannte Blankoverordnung ein.

Dr. Roy Kühne, CDU-Abgeordneter und selbst Physiotherapeut, betonte, das geplante Modellvorhaben Blankoverordnung sei „genau der richtige Weg zu einem kompetenzorientierten Gesundheitssystem. Ziel ist es, dem Therapeuten die Versorgungsverantwortung zu übertragen, indem er Auswahl und Dauer der Therapie sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten selbst bestimmen kann“. Der Sprecher seiner Fraktion für den Bereich der Heil- und Hilfsmittel ergänzte, die Heilmittelerbringer stünden unter großem Druck: „Hohe Schulgeldkosten und geringe Verdienstaussichten dünnen die Berufsgruppen zunehmend aus.“

Kühne: Ärzten ist Grundlohnentkoppelung bereits geglückt

Dass sich das Honorarvolumen für Heilmittelerbringer zukünftig nicht mehr an der Grundlohnsumme orientieren soll, hält Kühne für einen Fortschritt: „Ärzte und Zahnärzte haben es längst geschafft, die Entkoppelung zu erreichen, nun sind endlich auch die therapeutischen Gesundheitsberufe an der Reihe.“ Die neue Befristung der Regelung auf drei Jahre kritisierte er allerdings.

Birgit Wöllert, Sprecherin der Fraktion Die Linke für Gesundheitsberufe, betonte, das Anliegen des Gesetzes begrüße man grundsätzlich. Es werde sich aber daran messen lassen müssen, ob es tatsächlich Verbesserungen bringe. Mehr Kompetenzen für Therapeutinnen und Therapeuten seien notwendig: „Es ist nur richtig, dass Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet die richtige Behandlung auf Basis der ärztlichen Diagnose selbst bestimmen.“ Enttäuschend sei, dass der Direktzugang beispielsweise zur Physiotherapie überhaupt nicht angegangen werde.

Scharfenberg: Entwurf ist noch zu zögerlich

Man achte die Kompetenzen der Heilberufler gering, kritisierte auch Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/ Die Grünen. Der Gesetzentwurf sei noch „viel zu zögerlich“: „Wir wollen, dass die Blankoverordnung zügig in die Regelversorgung überführt wird. Darüber hinaus fordern wir Modellprojekte zum Direktzugang für Heilmittelerbringer.“

Die Grünen-Fraktion hatte einen eigenen Antrag mit dem Titel „Versorgung verbessern – Kompetenzen von Hilfsmittelversorgern ausbauen“ ins Parlament eingebracht. Sie spricht sich dafür aus, Vertragsärztinnen und -ärzten die Diagnosestellung und Behandlungsverordnung zu überlassen, den Heilmittelerbringern aber die Wahl der geeigneten Therapiemethode. Aber: Eine „enge und abgestimmte Zusammenarbeit der Berufsgruppen“ sei „für eine hohe Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten ausschlaggebend“.

Frühe Kritik von BVOU und DGOU

BVOU und DGOU hatten bereits Anfang 2015 ein Positionspapier der CDU-CSU-Fraktion zur Reform der Heil-Hilfsmittel-Versorgung in einer gemeinsamen Pressemitteilung kritisiert.  „Die Therapie beginnt mit der Diagnose. Die Stellung einer Diagnose ist eine ärztliche Kernkompetenz und steht damit bisher unter dem sogenannten Arztvorbehalt. Für physiotherapeutische Behandlungen darf der Weg des Patienten am Arzt nicht vorbeiführen“, sagte DGOU-Generalsekretär Professor Bernd Kladny. Der stellvertretende DGOU-Generalsekretär Professor Reinhard Hoffmann ergänzte: „Wenn bisher unbestrittene ärztliche Kernkompetenz durch andere Heilberufe ersetzt wird, handelt es sich um einen Dammbruch mit nicht absehbaren Folgen für die Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung.“

Und weiter: „Hauptargumente für die geplante Diagnose- und Therapieverantwortung durch Physiotherapeuten sind angebliche Einsparpotenziale und die Vermeidung von Versorgungsengpässen durch steigende Patientenzahlen. DGOU und BVOU stellen infrage, ob diese offensichtlich wirtschaftlichen Überlegungen derart gravierende strukturelle Änderungen der Versorgungslandschaft rechtfertigen.

Die beiden Fachverbände für Orthopädie und Unfallchirurgie befürchten zudem einen Anstieg von Fehlbehandlungen sowie den Aufbau von Doppelstrukturen und Intransparenz. „Wir vermissen zudem eine Aussage zur Finanzierung des geplanten Vorhabens. Es tun sich zahlreiche ungeklärte Fragen hinsichtlich einer juristischen Verantwortung sowie einer budgetären Abbildung eigenständig agierender Physiotherapeuten auf“, sagte BVOU-Präsident Dr. Johannes Flechtenmacher.“

Expertenanhörung am 30. November im Bundestag

Der aktuelle Gesetzentwurf wird am 30. November im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags mit Experten diskutiert. Mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz plant die Bundesregierung, allen Heilmittelerbringern wie Physiotherapeuten und Ergotherapeuten in Modellvorhaben flächendeckend die Möglichkeit einzuräumen, selbstständiger als bisher über eine Therapieform und ihre Dauer zu entscheiden. Dazu soll es flächendeckend Modellvorhaben geben.

Der Gesetzentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung sieht über die Regelung zu flächendeckenden Modellvorhaben unter anderem Folgendes vor:

  • Das System der Preisfindung im Heilmittelbereich wird weiter flexibilisiert. Dafür wird der Grundsatz der Beitragssatzstabilität aufgehoben.
  • Qualitätsaspekte sind bei der Hilfsmittelversorgung stärker zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit im Rahmen von Ausschreibungen zu Hilfsmitteln sind neben dem Preis zu mindestens 40 Prozent Kriterien wie zum Beispiel Qualität, Zweckmäßigkeit, Kundendienst oder Betriebskosten heranzuziehen.
  • Schiedsverfahren sollen beschleunigt werden, Vergütungserhöhungen schneller bei den Heilmittelerbringern ankommen.
  • Der GKV-Spitzenverband muss bis 2019 Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses, die seit 30.6.2015 nicht mehr grundlegend aktualisiert wurden, systematisch analysieren und anpassen. Außerdem muss er bis 2018 grundsätzlich regeln, wie Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden und dieses fortgeschrieben wird.
  • Die Krankenkassen werden verpflichtet, die Leistungserbringung bei Verträgen zur Hilfsmittelversorgung konsequenter als bisher zu prüfen und zu überwachen.
  • Beratungs- und Informationsrechte der Versicherten sollen gestärkt werden.

Osteoporose-Therapie: Unfallchirurgen mit Schlüsselrolle

Bad Homburg/Berlin – Osteoporose-bedingte Fragilitätsfrakturen stellen in der Orthopädie und Unfallchirurgie vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ein zunehmendes Problem dar, wie im gemeinsamen Lunch-Symposium „Challenges in Thoraco-Lumbar Revision Spine Surgeries“ von DePuy Synthes und Lilly im Rahmen des Eurospine 2016 Anfang Oktober in Berlin deutlich wurde. In vielen Fällen folge nach wie vor auf die initiale chirurgische Frakturversorgung keine adäquate Behandlung der ursächlichen Grunderkrankung, stellte der Referent Dr. Carlos Revenga heraus.

Jedoch ließen sich nur mit einer rechtzeitigen Therapie der Osteoporose Folgefrakturen verhindern, wie der spanische Unfallchirurg aus dem Krankenhaus San Juan Grande in Jerez deutlich machte. Er forderte die Teilnehmer des Symposiums auf, sich der Schlüsselrolle von Chirurgen bei der Diagnose von Osteoporose und bei der Therapieinitiierung bewusst zu werden.

Viele Unfallchirurgen verorteten die Volkskrankheit Osteoporose bei Rheumatologen und Gynäkologen, bemängelte Revenga. Dabei sei gerade im Operationssaal die Knochenqualität von herausragender Bedeutung und damit auch eine zentrale Aufgabe der Chirurgie. „Wir haben eine Schlüsselrolle bei der Identifizierung osteoporotischer Frakturen und bei der Therapieinitiierung“, betonte Revenga.

Prof. Paul Heini, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie am Schweizer Spital Sonnenhof in Bern, stimmte ihm, mit Blick auf die Revisionsrate (18 Prozent nach fünf Jahren) bei älteren Patienten mit Wirbelsäulendeformitäten,1 zu: „Die hohe Anzahl an Folgefrakturen muss man auch als Hinweis auf eine fehlende Behandlung der Grunderkrankung deuten“. Daher müsse man mehr darauf fokussieren, direkt bei der ersten Intervention auch die Osteoporose zu behandeln.

Mortalität steigt mit jeder weiteren Fraktur an

Die Konsequenzen einer unbehandelten Osteoporose zeigten sich besonders deutlich im exponentiell zunehmenden Frakturrisiko. Bereits bei der zweiten Fraktur sei das Risiko einer weiteren um das Dreifache erhöht,2 so Revenga. Bei vier vorangegangenen Frakturen steige das Risiko auf ein Achtfaches an (Grafik 1). Diese Risikokaskade gelte es zu durchbrechen, betonte Revenga.

Grafik 1: Frakturkaskade (Vortrag Dr. Carlos Revenga, Eurospine 2016)
Grafik 1: Frakturkaskade (Vortrag Dr. Carlos Revenga, Eurospine 2016)

 

Neben Schmerzen, eingeschränkter Bewegungsfreiheit und einem Verlust an Lebensqualität steige mit jeder weiteren vertebralen Fraktur auch das Mortalitätsrisiko.3 Umso alarmierender sei, dass bei einer Prävalenz von vertebralen Frakturen von bis zu 20 Prozent bei den 50- bis 79-Jährigen lediglich nur etwa die Hälfte der Frakturen zum Zeitpunkt des Frakturereignisses diagnostiziert würde.4 Revenga führte dies auf zwei Hauptprobleme zurück: Die Kenntnis über den Zusammenhang von Osteoporose und Frakturen bei älteren Menschen sei bei den Patienten selbst gering5 und auch bei den behandelnden Ärzten offenbar wenig ausgeprägt, sodass nur etwa 20 Prozent der Patienten mit vorheriger Hüft- oder anderen Fragilitätsfrakturen eine Osteoporose-Therapie erhalten6.

Antiresorptiv oder osteoanabol

„Je früher wir mit einer pharmakologischen Therapie starten, desto erfolgreicher sind wir in der Verhinderung von Folgefrakturen“, machte Revenga deutlich und verwies für die Wahl der Mittel auf internationale und nationale Leitlinien zur Therapie der Osteoporose. Grundsätzlich gebe es zwei unterschiedliche Therapieansätze: antiresorptiv oder osteoanabol. Die antiresorptive Therapie reduziert den Knochenabbau und führt insgesamt zu einem verminderten Knochenumsatz.7 Der „Ist-Zustand“ wird konserviert. Die osteoanabole Therapie mit Teriparatid stimuliert dagegen den Knochenstoffwechsel und führt zum Aufbau von neuem, belastbarem Knochen.8

„Beide Therapien senken das Frakturrisiko signifikant“, hob Revenga hervor. Bei schwerer Osteoporose – also bei Vorliegen von zwei Frakturen unter vorheriger antiresorptiver Therapie bzw. von drei oder mehr Frakturen ohne Therapie – plädiere er für den 24-monatigen Einsatz von Teriparatid, gefolgt von einer konservierenden antiresorptiven Therapie. Die Wirksamkeit der osteoanabolen Therapie sei eindrucksvoll belegt, erklärte Revenga und führte neben Head-to-head Vergleichen mit Bisphosphonaten9 aktuelle histomorphometrische Untersuchungen an10 (Grafik 2).

Grafik 2: Histomorphometrie (SHOTZ) (Vortrag Dr. Carlos Revenga, Eurospine 2016)
Grafik 2: Histomorphometrie (SHOTZ) (Vortrag Dr. Carlos Revenga, Eurospine 2016)

 

„Wir sind in einer Schlüsselposition bei der Bekämpfung der Osteoporose“, sagte Revenga zum Abschluss seines Vortrags und forderte seine Kollegen auf, bei der chirurgischen Versorgung von Osteoporose-bedingten Fragilitätsfrakturen zwingend eine pharmakologische Therapie der Grunderkrankung zu initiieren.

Quelle: Lilly Deutschland GmbH

1) Puvanesarajah V et al. J Neurosurg Spine, May 6, 2016.

2) Siris ES et al. Osteoporos Int 2007;18(6):761-70.

3) Kado DM et al. Arch Intern Med 1999;159(11):1215-1220.

4) O’Neill TW et al. The European Vertebral Osteporosis Study. J Bone Miner Res (1996); 11(7):1010-8.

5) Chevalley T et al. Osteoporos Int 2002; 13:450-55.

6) Dell RM et al. J bone Joint Surg Am 2009; 91(suppl 6):79-86.

7) Fleisch H, Endocr Rev 1998; 19:80-100.

8) Arlot M et al. J Bone Miner Res 2005; 20:1244-53.

9) McClung MR et al. Arch Intern Med 2005; 165:1762-8. Hadji P et al. Osteoporosis International 2012; 23:2141-2150.

10) Dempster et al. J Bone Miner Res 2016; DOI 10.1002/jbmr.2804.

Nutzen der Stoßwellentherapie bei Fersenschmerz geprüft

Köln – Die Behandlung plantarer Fersenschmerzen mit Hilfe der extrakorporalen Stoßwellentherapie (ESWT) zeigt im Vergleich zu Scheininterventionen einen deutlichen Nutzen. Gegenüber aktiven Vergleichstherapien wie Ultraschall oder Operation schneidet die ESWT aber nur zum Teil besser ab, teils sogar schlechter. Das zeigt eine aktuelle Auswertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).

G-BA veranlasste erneute Nutzenprüfung

Die ESWT kommt in der Orthopädie und Unfallchirurgie in verschiedensten Bereichen zum Einsatz, unter anderem zur Behandlung des sogenannten Tennisarms, der Kalkschulter oder auch bei Fersenschmerzen. Obwohl verschiedene wissenschaftliche Studien die Wirksamkeit der ESWT bei plantaren Fersenschmerzen mittlerweile belegen, ist sie nach wie vor eine sogenannte IGeL-Leistung, die nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden darf. Die Wirksamkeit der ESWT wurde zuletzt im Jahr 1998 durch den damaligen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (heute G-BA) geprüft, der damals keine ausreichenden Belege für den Nutzen der Therapie fand.

Auf einen Antrag des GKV-Spitzenverbandes hin hatte der G-BA Mitte letzten Jahres eine erneute Nutzenprüfung zur ESWT bei Fersenschmerz in Auftrag gegeben. Das IQWiG hat dafür insgesamt 28 verschiedene Studien ausgewertet, welche den Nutzen der ESWT mit einer Scheinbehandlung, mit verschiedenen aktiven Therapien oder mit einer anderen ESWT-Variante verglichen haben. Die vorläufigen Ergebnisse dieser Nutzenbewertung hat das Institut nun veröffentlicht.

ESWT „besser als nichts“

In insgesamt 15 Studien wurde die ESWT mit Scheinbehandlungen verglichen. Hier zeigten sich laut IQWiG bei den Endpunkten Schmerz und körperlicher Funktionsstatus Belege für ihren Nutzen. Bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gebe es dagegen keinen Anhaltspunkt für einen Nutzen.

Bei zwei von sechs aktiven Vergleichstherapien seien Hinweise für einen höheren Nutzen der ESWT gegeben, zum einen gegenüber Ultraschall und zum anderen gegenüber Iontophorese plus Einnahme schmerzstillender Mittel.

Kein klarer Vorteil gegenüber Operation

Im Vergleich mit zwei weiteren aktiven Vergleichstherapien, nämlich Operation und Ultraschall plus Dehnübungen, schnitt die ESWT weder besser noch schlechter ab. Im Vergleich mit Dehnübungen allein oder mit Glukokortikoid-Injektionen schnitt die ESWT schlechter ab, wobei ein Publikationsbias nicht ausgeschlossen werden könne: In beiden Fällen gebe es unveröffentlichte Studien, so das IQWiG.

Aus den sechs Studien schließlich, in denen verschiedene ESWT-Varianten miteinander verglichen wurden, ließen sich laut IQWiG keine Anhaltspunkte für einen höheren oder geringeren Nutzen einer dieser Varianten ableiten.

Interessierte können bis 8. Dezember Stellung nehmen

Interessierte Personen oder Institutionen können bis zum 8. Dezember zu dem Vorbericht eine Stellungnahme abgeben. Sofern diese Fragen offenlasse, würden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen, teilte das IQWiG mit.