Archiv für den Monat: August 2016

Private Krankenversicherung PKV

Auskunftspflicht besteht auch bei lästigen Fragen

München – Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, ihren Patienten Auskünfte zu erteilen beziehungsweise daran mitzuwirken, dass diese eine entsprechende Anfrage ihrer privaten Krankenversicherung beantworten können. Diese Verpflichtung ergibt sich aus Paragraf 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit den Pflichten aus dem Behandlungsvertrag nach Paragraf 630 a BGB.

Aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt sich demnach, dass ein geschlossener Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient unter der Rahmenbedingung eingegangen wird, dass der Patient einen finanziellen Ausgleich bei seiner privaten Krankenversicherung beantragen wird. Der Patient hat gegenüber seiner privaten Krankenversicherung aber jede Auskunft zu erteilen, die dem Versicherungsunternehmen zur Feststellung des Versicherungsfalls, der Leistungspflicht generell oder ihres Umfangs erforderlich erscheint. Nachdem eine private Krankenversicherung lediglich medizinisch notwendige Heilbehandlungen zu erstatten hat, ist sie nach vorherrschender Rechtsprechung auch dazu berechtigt, konkret durchgeführte Behandlungen daraufhin zu überprüfen, ob sie medizinisch notwendig waren oder nicht.

Allein der Arzt kann prüffähige Angaben machen

Allein der behandelnde Arzt ist jedoch in der Lage, die zu prüfenden Angaben zu machen. Der Patient ist also, wenn er seine Kosten erstattet bekommen möchte, darauf angewiesen, dass ihm sein Arzt auf Basis des geschlossenen Behandlungsvertrags auch alle notwendigen Informationen dafür zur Verfügung stellt. Dies wird in der Rechtsprechung als eine selbstständige Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag angesehen (Landesgericht Düsseldorf,  Urteil vom 29.7.2010, Aktenzeichen 3 O 431/02, Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 10.4.2008, Aktenzeichen I-8 U 56/07).

Die Pflicht zur Auskunftserteilung besteht grundsätzlich gegenüber dem Patienten, nicht gegenüber der Versicherung. Ermächtigt dieser allerdings seine Versicherung, so muss sein behandelnder Arzt dem Unternehmen die gewünschten Informationen geben. Dafür bedarf es einer konkreten, einzelfallbezogenen Schweigepflichtentbindungserklärung. Eine generelle Schweigepflichtentbindung ist unzulässig.

In der Rechtsprechung wird durchgängig die Auffassung vertreten, dass die Erfüllung dieser Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag dem Arzt zumutbar sei, selbst wenn dieser die Anfragen als überflüssig und lästig empfinde. Denn er und kein anderer habe die Leistungen erbracht. Patienten als medizinische Laien sind nach Ansicht der Gerichte nicht in der Lage, ohne die Unterstützung ihres behandelnden Arztes den Informationswünschen ihrer Versicherer nachzukommen.

Aus juristischer Sicht ist Ärztinnen und Ärzten deshalb grundsätzlich zu empfehlen, entsprechenden Anfragen nachzukommen, sofern der Patient dies wünscht und eine konkrete Schweigepflichtentbindungserklärung vorliegt. Sonst könnte sich ein Arzt unter Umständen einer Nebenpflichtverletzung gegenüber dem Patienten schuldig machen, die zu Schadensersatzansprüchen beziehungsweise zu einem Zurückbehaltungsrecht beim Honorar durch den Patienten führen könnte. Fragen, die erkennbar aber nicht mit dem Informationsinteresse der Versicherung in Einklang zu bringen sind, müssen nicht beantwortet werden. Zudem ist es unbedingt ratsam, den Patienten immer dann vorab zu informieren, wenn der Arzt befürchtet, dass sich seine Antworten nachteilig für diesen auswirken könnten.

Ärzte können sich den Aufwand vergüten lassen

Die notwendigen Angaben können einen erheblichen Zeitaufwand bedeuten. Diesen können sich Ärztinnen und Ärzte vergüten lassen. Die Vergütung richtet sich primär nach Ziffer 70 ff. Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Insbesondere können die Ziffern 80 und 85 in Betracht kommen. Sofern der Aufwand erheblich ist, etwa nach langjähriger Behandlung eines Patienten, besteht auch die Möglichkeit, in einer Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ einen höheren Steigerungsfaktor zu vereinbaren. Die Bundesärztekammer vertritt ferner die Auffassung, dass alternativ auch lediglich Kopien der Behandlungsunterlagen herausgegeben werden, die dann von der Versicherung selbst ausgewertet werden müssen, wofür der Arzt die Kopierkosten in Rechnung stellen kann.

Dr. jur. Jörg Heberer, Justitiar des BVOU

Kein Honorar mehr für falsche Notfallpatienten

Berlin – Ambulante Notfälle sollten Niedergelassene und Krankenhäuser zukünftig idealerweise auf der Basis von Kooperationskonzepten versorgen, findet Dr. med. Andreas Gassen. Grundsätzlich seien zu Sprechstundenzeiten aber die Praxen aufzusuchen. Die Leistungen der Notfallambulanzen der Krankenhäuser sollten die KVen zukünftig strenger überprüfen – und gegebenenfalls nicht vergüten. Gassen ist Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Mitglied im geschäftsführenden BVOU-Vorstand.

BVOU.net: Herr Dr. Gassen, eine Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat unlängst ergeben, dass Menschen in Deutschland häufig auch während der regulären Praxisöffnungszeiten und ohne ärztliche Einweisung Krankenhäuser aufsuchen. Dadurch belasten sie stationäre Notaufnahmen in Krankenhäusern und verursachen Kosten in Milliardenhöhe. Der Gesetzgeber will dem aber keinen Riegel vorschieben, sondern die Behandlung in Notaufnahmen besser vergüten. Was halten Sie davon?
Dr. med. Andreas Gassen: Damit löschen Sie im Grunde Feuer mit Benzin. Wir wissen doch, dass manche Krankenhäuser sehr wohl an Patienten für ihre Notaufnahmen interessiert sind. In Hamburg beispielsweise lässt ein Krankenhauskonzern kleine Lieferwagen herumfahren, auf denen für die eigene Krankenhausambulanz geworben wird. Es ist doch klar, dass hier nicht für Notfälle geworben wird, sondern Patientenakquise betrieben wird.

BVOU.net: Aber auch die Klinikärzte stöhnen ja unter der Belastung in den Notaufnahmen. Warum gibt es keinen ärztlichen Schulterschluss, daran etwas zu ändern?
Gassen: Der Schulterschluss funktioniert deshalb nicht, weil wir ihn nicht mit den Kollegen herstellen müssen, sondern mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Und das sind zwei verschiedenen Welten. Die DKG als Zusammenschluss von Krankenhausträgern hat weniger die Arbeitsbelastung der Kolleginnen und Kollegen in einer Notaufnahme im Blick als mögliche stationäre Aufnahmen von Notfallpatienten. Die sind einfach ein gutes Geschäft.

BVOU.net: Nur wenige machen Werbung für ihre Ambulanz. Es kommen auch so viele Patienten abends oder am Wochenende vorbei.
Gassen: Wir haben auf jeden Fall das Problem, dass die Patienten selbst entscheiden, wohin sie gehen, und man das nicht steuert. Da gibt es Patientengruppen, die, wenn sie krank sind, grundsätzlich ein Krankenhaus aufsuchen, weil sie es aus ihren Heimatländern nicht anders kennen. Das sind in Deutschland vor allem Menschen mit einem Migrationshintergrund. Deren Haltung ist ja gar nicht: „Ich will nicht in eine Praxis.“ Sie kennen es einfach nicht anders.

Bereitschaftsdienstnummer müsste noch bekannter sein


BVOU.net:
Was müsste man da tun?
Gassen: Daraus leite ich ab, dass wir die Bereitschaftsdienstnummer 116 117 noch besser bekannt machen müssten.

BVOU.net: Die Analyse des Zi hat ergeben, dass auch während der regulären Öffnungszeiten von Praxen viele Patienten direkt in die Notaufnahme gehen. Darunter sind nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund. Welche Gründe spielen da Ihrer Kenntnis nach eine Rolle?
Gassen: Ich glaube nicht, dass das alles Patienten sind, die man in Praxen abgelehnt hat. Viele gehen auch direkt ins Krankenhaus, weil sie denken: „Da habe ich alles unter einem Dach und muss ich mir keine Gedanken machen um eine Terminvereinbarung.“ Nur muss man in diesen und anderen Fällen doch die Frage stellen: Was ist daran ein Notfall? Von der Definition her liegt ein Notfall vor, wenn einem Patienten oder einem Dritten eine ärztliche Behandlung unaufschiebbar erscheint.

BVOU.net: Für einen medizinischen Laien mag manche Situation dramatischer erscheinen, als sie es ist.
Gassen: Sicher ist im Einzelfall nicht immer leicht zu entscheiden, ob ein Notfall vorliegt oder nicht. Aber ganz sicher zählen normale Kontrolluntersuchung oder irgendein Checkup nicht zu den Notfällen. Und es liegt in der Regel auch keine akute Gesundheitsgefährdung vor, die es rechtfertigt, im Notdienst Leistungen wie Mammastanzbiopsien, Gastroskopien, Koloskopien oder anderes zu erbringen.

Vermeintlicher Patientenanspruch auf Autonomie und Bequemlichkeit


BVOU.net:
Was müsste sich ändern, damit weniger vermeintliche Notfälle die Krankenhausambulanzen verstopfen?
Gassen: Wir müssten zu einer gesetzlichen Vorgabe kommen, die lautet: „Während der regulären Sprechstundenzeiten ist die Versorgung über die Arztpraxen in Anspruch zu nehmen.“ Die Inanspruchnahme der KV-Terminservicestellen zeigt ja gerade eindrucksvoll, dass wir kein echtes Terminproblem haben, sondern alle wirklich eiligen Fälle vermitteln können. Viele Patienten meinen allerdings, sie hätten einen Anspruch auf Autonomie und Bequemlichkeit. Diese Kranken wollen es dann nicht hinnehmen, sich etwas aufwendiger um einen Praxistermin zu bemühen oder sich als Notfallpatient ins Wartezimmer zu setzen.

BVOU.net: Und außerhalb der Praxiszeiten? In allen KVen wurde doch der Bereitschaftsdienst der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte reformiert. Viele haben Bereitschaftsdienstpraxen an Krankenhäusern geschaffen, damit nicht die falschen Patienten in die Notaufnahmen der Krankenhäuser gehen, wenn die Praxen geschlossen sind. Warum reicht das nicht aus?
Gassen: Das reicht nicht aus, weil diese Bereitschaftsdienstpraxen eben nur dann geöffnet werden, wenn die normalen Praxen geschlossen haben, also am Wochenende, häufig auch mittwochs und freitags am Nachmittag. Wenn dorthin ein Patient kommt, kann sicherlich gut entschieden werden, ob man ihm direkt helfen kann, ob er eine bestimmte Diagnostik benötigt, die das Krankenhaus vorhält, oder ob er tatsächlich ins Krankenhaus muss. Dieses Angebot reicht aber auch nicht aus, weil es im Umfeld der Klinik mit einer Bereitschaftsdienstpraxis noch weitere Krankenhäuser gibt – alle mit eigenen Ambulanzen.

Strenger überprüfen, ob ein Notfall wirklich ein Notfall war


BVOU.net:
Aber nicht an jedem Krankenhaus kann man eine Bereitschaftsdienstpraxis mit Vertragsärzten vorhalten.
Gassen: Nein, das wäre überflüssig. Aber man müsste vorschreiben, dass in Krankenhäusern in der Nähe einer Klinik mit einer Bereitschaftsdienstpraxis keine Notfallpatienten mehr angenommen werden dürfen, wenn sie nicht mit dem Krankentransport angefahren werden. Darüber hinaus sollte bei jedem Patienten, der während der normalen Sprechstundenzeiten in eine Krankenhausnotaufnahme gekommen ist und dort behandelt wurde, überprüft werden, ob er tatsächlich ein Notfall war. Und wenn nicht, dann sollte seine Behandlung den Krankenhäusern nicht vergütet werden.

BVOU.net: Passiert das bereits?
Gassen:
Etliche KVen sind dazu übergegangen, die Leistungsspektren der Krankenhäuser im Notdienst zu überprüfen. Wenn dann herauskommt, dass Leistungen wie die erwähnten Mammastanzbiopsien oder Vergleichbares gemacht werden, dann ist schwer vorstellbar, dass das Leistungen für einen Notfallpatienten waren. Wir werden insgesamt in Zukunft die erbrachten Leistungen genauer überprüfen.

BVOU.net: Können die KVen den Krankenhäusern die Honorierung für Patienten verweigern, die wirklich keine Notfälle waren und noch dazu zu Sprechstundenzeiten ins Krankenhaus kamen?
Gassen: Ja.

Wer falsche Notfallpatienten abrechnet, bekommt kein Honorar


BVOU.net:
Sollten Sie das Ihrer Meinung nach häufiger tun?
Gassen: Ehrlich gesagt: ja. Wenn Vertragsärztinnen und -ärzte bestimmte Vorgaben unterlaufen und nicht nach den Regeln abrechnen, dann erhalten sie kein Honorar. Für Krankenhäuser, die zu Lasten der ambulanten Budgets Notfälle abrechnen, die keine waren, sollten dieselben Regeln gelten. Konkret heißt das: Auch für sie würde der Vergütungsanspruch entfallen.

BVOU.net: Wie könnte eine tragfähige, dauerhafte Lösung für das Thema Bereitschaftsdienst/Notdienst aussehen?
Gassen: Idealerweise finden wir einen Weg, Notfälle in Kooperation mit den Krankenhäusern zu versorgen. Es sollte ein abgestuftes Konzept geben, das vorsieht, welche Kollegen auf welcher Stufe was behandeln. Weder der Bereitschaftsdienst bei den Niedergelassenen noch der Notdienst bei den Krankenhausärzten sind sonderlich beliebt. Auch deshalb sollten wir Doppelt- und Dreifachstrukturen in Zukunft vermeiden. Sie sind auch sinnlos, weil wir nicht beliebig viele Ärztinnen und Ärzte haben – und auch nicht beliebig viel Geld. Viele KVen sind in Gesprächen mit den Landeskrankenhausgesellschaften und den Kliniken vor Ort da auch schon sehr weit gekommen. Ein Teil der Krankenhäuser setzt sich ja schließlich auseinander mit Überlegungen, wo die eigenen Kompetenzen und Schwerpunkte liegen. Diese Häuser wissen, dass die Antwort darauf nicht eine überlaufende Notaufnahme ist.

Das Interview führte Sabine Rieser.

Weitere Informationen:

Zi: Vermeidbare Notfälle kosten Milliarden Euro

Training in virtueller Realität verringert Risiko für Stürze

Tel Aviv – Forscher des Souraski Medical Centre in Tel Aviv haben ein Trainingsprogramm zur Sturzprävention entwickelt, das konventionelles Laufbandtraining mit Elementen der virtuellen Realität (VR) verbindet. In einer randomisierten kontrollierten Studie konnten die Wissenschaftler nun zeigen, dass die neue Trainingsform, die motorische und kognitive Aspekte des Laufens miteinander kombiniert, das Risiko von Stürzen bei älteren Menschen deutlich reduzieren kann.

Erhöhtes Sturzrisiko mit zunehmendem Alter

Etwa 30 Prozent der über 65-Jährigen stürzen mindestens einmal pro Jahr. Bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Parkinson oder Demenz sind es laut Studien sogar 60 bis 80 Prozent. Stürze können nicht nur zu schweren Verletzungen führen, die Behinderungen, den Verlust der Unabhängigkeit oder sogar den Tod zur Folge haben können. Sie führen bei älteren Menschen vor allem auch zur Verunsicherung und der Angst vor weiteren Stürzen. Viele Betroffene vermeiden es dann, das Haus zu verlassen – Inaktivität, Muskelschwäche und Gleichgewichtsstörungen sind die Folge und das Risiko für weitere Stürze nimmt zu. Ein rehabilitatives Training, zum Beispiel auf dem Laufband, kann helfen, dies verhindern.

Laufen und Hindernissen ausweichen im virtuellen Raum

Das Forscherteam aus Israel ergänzte ein solches konventionelles Laufbandtraining um eine VR-Komponente: Mit einer Kamera werden dabei die Fußbewegungen des Patienten aufgenommen und in eine virtuelle Umgebung übertragen. Auf einem großen Bildschirm direkt vor dem Laufband kann der Patient so seine eigenen Schritte verfolgen, während er sich durch die virtuelle Umgebung bewegt und dabei versucht, Hindernissen auszuweichen oder diese zu überschreiten.

Die klinische Studie umfasste 282 Teilnehmer im Alter von 60 bis 90 Jahren aus Belgien, Italien, den Niederlanden, Großbritannien und Israel. Jeder der Senioren war in den sechs Monaten vor Studienbeginn mindestens zweimal gestürzt. 130 Studienteilnehmer litten an Morbus Parkinson, 43 von ihnen hatten leichte kognitive Beeinträchtigungen. Sämtliche Teilnehmer waren in der Lage, mindestens fünf Minuten ohne fremde Hilfe zu gehen.

Vergleich von konventionellem Training und VR-Training

Die Hälfte der Teilnehmer absolvierte ein konventionelles Laufbandtraining, die andere Hälfte trainierte mit der VR-Komponente. Jede Trainingseinheit dauerte etwa 45 Minuten. Die Teilnehmer absolvierten innerhalb von sechs Wochen im Durchschnitt 16 Übungseinheiten. In den sechs Monaten danach erfassten die Forscher erneut die Zahl Stürze in beiden Gruppen und verglichen diese mit der Anzahl vor Studienbeginn.

Signifikante Verringerung des Sturzrisikos

In beiden Gruppen nahm die Zahl der Stürze ab. In der Gruppe mit dem konventionellen Laufbandtraining reduzierte sich Anzahl von zuvor 10,7 auf 8,3 Stürze. Ein signifikanter Rückgang ergab sich laut den Forschern allerdings nur in der Gruppe, die mit dem VR-System trainiert hatte. Hier reduzierte sich die Zahl der Stürze von 11,9 auf 6,0. Durch das Training mit der VR-Komponente konnte das Sturzrisiko damit um 42 Prozent gesenkt werden, so die Forscher. Sie führen dies vor allem auf die kombinierte Verbesserung von physischer Mobilität und kognitiven Fähigkeiten zurück.

Ob das System auch über den Beobachtungszeitraum von sechs Monaten hinaus das Sturzrisiko effektiv senken kann oder ein längerfristiges Training ein noch besseres Resultat erzielen könnte, müsse in weiteren Studien untersucht werden, so die Forscher. Sie glauben, dass das VR-System in Reha- und Pflegeeinrichtungen sowie Fitness-Studios zur Sturzprävention und als Teil von Reha-Programmen zum Einsatz kommen könnte. Die Kosten für das System belaufen sich auf etwa 4.000 Euro.

Die Studie „Addition of a non-immersive virtual reality component to treadmill training to reduce fall risk in older adults (V-TIME): a randomised controlled trial“ wurde am 11. August online in der Zeitschrift The Lancet veröffentlicht.

Quelle: The Lancet

Weitere Informationen

Website des Projekts „V-Time“

Neue antibakterielle Oberfläche schützt orthopädische Implantate

Jena – Thüringer Forscher haben eine spezielle antibiotikahaltige Beschichtung entwickelt, mit der es gelungen ist, Titanimplantate vor der Besiedlung mit infektionsauslösenden Bakterien zu schützen. In einer vorklinischen Studie haben die Unfallchirurgen, Materialwissenschaftler und Implantathersteller nachgewiesen, dass die neuartige Oberfläche im Vergleich zu herkömmlichen Implantaten einen wirksamen Schutz vor implantatassoziierten Infektionen bietet.

In Deutschland werden mittlerweile pro Jahr etwa 200.000 Hüftprothesen und 100.000 Knieprothesen implantiert. Komplikationen bei der operativen Implantation der Kunstgelenke sind selten. „Bei der Implantation einer Hüft- oder Knietotalendoprothese liegt die Gefahr einer postoperativen Infektion bei nur 1-2 Prozent. Allerdings stellt eine solche Infektion für die wenigen betroffenen Patienten eine Katastrophe dar“, berichtet PD Dr. Michael Diefenbeck, ehemaliger Mitarbeiter der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Jena und gegenwärtig Dozent an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Zur Behandlung dieser implantatassoziierten Infektionen sind häufig mehrere Operationen und oft der Wechsel des Kunstgelenks nötig. Daher sind neue Strategien notwendig, um implantatassoziierte Infektionen zu vermeiden“, sagt Diefenbeck.

Beschichtet mit einem Antibiotikum

Eine dieser Strategien ist es, die Oberfläche der Implantate mit antibakteriellen Substanzen auszustatten. Eine solche innovative Beschichtungstechnik wurde im interdisziplinären Verbund von Wissenschaftlern des INNOVENT e. V. in Jena, des Lehrstuhls für Materialwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Thüringer Implantatherstellers Königsee Implantate GmbH entwickelt und getestet.

Die spezielle Beschichtung enthält eine hohe Konzentration des Antibiotikums Gentamicin. Zwar sind bereits mehrere antibakterielle Beschichtungen, auch unter Verwendung von Gentamicin, zum Schutz vor Infektionen bekannt. „Die Herausforderung bei diesem Projekt war es, eine relativ große Menge an Gentamicin stabil an die Oberfläche der Implantate zu binden“, betont Dr. Christian Schrader. Der Wissenschaftler vom INNOVENT e. V. testete hierzu verschiedene Trägerstoffe. „Wir haben auf den Implantaten eine Gentamicin-Tannin-Schicht realisieren können, die stark antibakteriell wirkt, dann aber innerhalb von ca. fünf Tagen vollständig abgebaut wird. Das ist wichtig, damit Antibiotikaresistenzen verhindert werden“, so der Chemiker.

„Durch die Auflösung dieser antibakteriellen Schutzschicht werden die darunterliegenden Poren in der Titanoberfläche wieder freigegeben, was das Einwachsen von Knochen und so die Verankerung des Implantats verbessert“, ergänzt Jürgen Schmidt, der das Projekt beim INNOVENT e. V. leitet.

Grundlage für eine neue Generation von Implantaten

In einer vorklinischen Studie haben die Wissenschaftler gezeigt, dass die Implantate mit der neuen Oberfläche in über 90 Prozent der Fälle einen Schutz vor der Anhaftung von Bakterien bieten. Dies wurde in mikrobiologischen und histologischen Untersuchungen nachgewiesen. „Diese neuen vorklinischen Erkenntnisse sind nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern könnten auch die Grundlage für eine neue Generation von sicheren Implantaten legen“, sagt Prof. Dr. Klaus D. Jandt. Der Experte für Biomaterialien hat den Lehrstuhl für Materialwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne.

Mit ihren bisherigen Erfahrungen wollen die Wissenschaftler die neuen Implantate nun auch klinisch einsetzen. „Gerade bei Patienten, bei denen ein erhöhtes Risiko für postoperative Infektionen besteht – z. B. durch Diabetes mellitus, Abwehrschwäche, immunsuppressive Medikamente oder bei Wechseloperationen – könnten diese Implantate zum Einsatz kommen”, so Unfallchirurg Diefenbeck. Aufgrund der anspruchsvollen Zulassungsverfahren für neue Implantate wird es allerdings noch mehrere Jahre dauern, bis die neuen Beschichtungen den Patienten zugutekommen können.

Die Studie „Gentamicin coating of plasma chemical oxidized titanium alloy prevents implant-related osteomyelitis in rats” wird in der September-Ausgabe der Zeitschrift Biomaterials veröffentlicht.

Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena

Bauerfeind erwirbt Anteile der co.don AG

Zeulenroda – Die Bauerfeind AG, Hersteller von Orthesen, Bandagen und orthopädischen Einlagen, hat knapp über 25 Prozent der Anteile an der co.don AG mit Sitz in Berlin erworben. Dies gab das Unternehmen kürzlich in einer Pressemitteilung bekannt. Die co.don AG entwickelt, produziert und vermarktet in Deutschland körpereigene Zelltherapien zur minimalinvasiven Reparatur von Knorpelschäden an Gelenken nach traumatischen oder degenerativen Defekten.

„Gelenkerhalt vor Gelenkersatz lautet der Leitgedanke von co.don. Für mich ist das mehr als eine Idee, die gerade dem Zeitgeist entspricht. Ich sehe hier zusammen mit unseren Bandagen und Orthesen einen grundsätzlichen Ansatz für eine ganzheitliche Therapie“, erklärt Prof. Hans B. Bauerfeind, Vorstandsvorsitzender der Bauerfeind AG.

„Wir freuen uns, mit der Bauerfeind AG einen neuen unternehmerisch und langfristig orientierten Ankerinvestor gewonnen zu haben. Wir haben große Schnittmengen in unseren Kundensegmenten für innovative Therapien“, ergänzt Dirk Hessel, Vorstandsvorsitzender der co.don AG. „Die sich aus dieser strategischen Partnerschaft ergebenden Synergien bilden eine stabile Basis für die weitere Umsetzung der laufenden Wachstumsstrategie unserer Gesellschaft, sowohl innerhalb Deutschlands als auch in Vorbereitung des EU-weiten Markteintritts“, so Hessel.

co.don AG

Die co.don AG ist einer der weltweit führenden Spezialisten der Zellzüchtung zur gelenkerhaltenden Behandlung von Gelenkknorpel- und Bandscheibendefekten. Die von co.don entwickelte Therapie mit körpereigenen Zellen ermöglicht die Behandlung von Schäden am Gelenkknorpel des Knie-, Schulter-, Hüft-, Ellenbogen- und Sprunggelenks und ist in Deutschland Teil des Erstattungskataloges von Krankenkassen: Seit 2007 wird die Behandlung im Knie- und im Hüftgelenk und seit 2008 auch in der Bandscheibe von Krankenkassen übernommen.

Bauerfeind AG

Die Bauerfeind AG aus Zeulenroda in Thüringen stellt Bandagen, Orthesen, medizinische Kompressionsstrümpfe und orthopädische Einlagen her. Das 1929 gegründete Familienunternehmen zählt zu den Marktführern in der Branche und ist international aufgestellt. Bauerfeind beschäftigt weltweit insgesamt rund 2.500 Mitarbeiter, hat in Deutschland seinen Stammsitz und ist mit Tochtergesellschaften in über 20 Ländern vertreten.

Quelle: Bauerfeind AG/co.don AG

Prävention: Ab 2017 Empfehlungsvordruck erhältlich

Berlin – Niedergelassene Ärzte können ihren Patienten ab kommendem Jahr in Form einer ärztlichen Bescheinigung Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention empfehlen. Dabei geht es um die Bereiche Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stressmanagement und Suchtmittelkonsum, wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kürzlich in entsprechenden Beschlüssen zur Änderung der Früherkennungs-Richtlinien für Kinder, Jugendliche und Erwachsene festgelegt hat. Dies hat das 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz vorgegeben.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband haben den Auftrag, bis Jahresende einen entsprechenden Bescheinigungsvordruck zu erstellen. Ab Januar 2017 sollen niedergelassene Ärzte diesen Vordruck nutzen können, um ihren Patienten bestimmte verhaltensbezogene Präventionsmaßnahmen schriftlich zu empfehlen.

Die Bescheinigung werde entsprechende Felder für eine Empfehlung in den vom G-BA festgelegten vier Bereichen enthalten, so die KBV. Zudem werde es ein Feld für Hinweise des behandelnden Arztes zu Kontraindikationen geben. Auch könne er dort die Präventionsempfehlung konkretisieren.

Ärztliche Empfehlung zur Vorlage bei der Krankenkasse

Bei der Bescheinigung handle es sich allerdings nicht um eine ärztliche Verordnung im Sinne einer veranlassten Leistung, so die KBV, sondern lediglich um eine Empfehlung. Diese könne der Patient bei seiner Krankenkasse vorlegen, um zum Beispiel einen Sportkurs oder eine Ernährungsberatung zu beantragen. Dort erfahre der Versicherte auch, welche Angebote seine Kasse bereithält und finanziell fördert.

Kassen müssen Angebote bereitstellen

Die Krankenkassen sollen die Präventionsempfehlung berücksichtigen, wenn sie über den Leistungsanspruch eines Versicherten entscheiden. Sie können entsprechend zertifizierte Leistungen bezuschussen oder – ohne weitere Kosten für die Versicherten – selbst anbieten, so der G-BA und die KBV. Präventionsleistungen könnten von den Versicherten weiterhin aber auch ohne eine ärztliche Empfehlung bei der Krankenkasse beantragt werden.

Prävention stärken

Mit der ärztlichen Präventionsempfehlung wolle der Gesetzgeber die Gesundheitsförderung der Bürger im Land stärken, so die KBV. Ziel sei es, individuelle verhaltensbezogene Risikofaktoren zu senken, die für das Entstehen von Erkrankungen verantwortlich sein können. Die vier vom G-BA festgelegten Bereiche orientieren sich dabei an dem „Leitfaden Prävention“ des GKV-Spitzenverbandes aus dem Jahr 2014.

Der GKV-Leitfaden legt für bestimmte Handlungsfelder wie Bewegung oder Ernährung Kriterien fest, die definieren, welche Kurse oder Beratungsangebote von den Krankenkassen bezuschusst oder gefördert werden. Das Handlungsfeld der Bewegungsgewohnheiten zielt insbesondere auch auf die Vorbeugung von Problemen im Bereich des muskuloskelettalen Systems, wie zum Beispiel Rückenbeschwerden, Arthrosen oder Osteoporose.

Weitere Informationen

Pressemitteilung des G-BA

Mitteilung der KBV

„Leitfaden Prävention“ des GKV-Spitzenverbands

Der BVOU trauert um Dr. Uto Kleinstäuber

Mit jedem dieser Sehr-Alten, deren Namen uns seit Jahrzehnten vertraut sind, geht mehr dahin als eine Person. Eine Zeit nimmt Abschied. (Ernst Jünger)

Am 3. August 2016 verstarb das Ehrenmitglied des BVOU Dr. med. Uto Kleinstäuber im Alter von 81 Jahren. Er war fast 50 Jahre Mitglied in unserem Berufsverband und ehrenamtlich für den niedersächsischen Landesvorstand als Mandatsträger tätig. Hierfür erhielt er zahlreiche Ehrungen: 1999 die „BVOU-Ehrennadel mit Kranz“ in Gold, 2001 die Hubert-Waldmann-Plakette.

Seine Schaffenskraft hat Dr. Kleinstäuber für die konservative Weiterbildungsordnung in O & U investiert, insbesondere im Weiterbildungsausschuss der Ärztekammer Niedersachsen. Er war jahrzehntelang niedergelassener Orthopäde in Hannover und Vorbild für die jüngere Generation. Über 30 Jahre engagierte er sich als Mitglied der Vertreterversammlung, Delegierter bei zahlreichen Ärztetagen und KV-/KBV-Vertreterversammlungen.

Auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand blieb Dr. Kleinstäuber der Berufspolitik eng verbunden. Sein fachkundiger Rat und sein liebenswürdiges Auftreten brachten ihm große Anerkennung.

Wir sind tief betroffen und werden ihm ein ehrenvolles Andenken bewahren.

Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Frau Sieglinde Kleinstäuber und den Familienangehörigen.

Dr. med. Johannes Flechtenmacher
BVOU-Präsident

Geschäftsführender Vorstand des BVOU

Landesverband Niedersachsen

Mitarbeiter der BVOU-Geschäftsstelle

+++ Die Trauerfeier findet am Freitag, den 12. August 2016, um 12:30 Uhr in der St. Osdag Kirche Mandelsloh statt. +++

Antibiotika-Debatte: SpiFa kritisiert Äußerungen der BKK

Berlin – Zu leichtfertig und ohne diagnostische Absicherung würden in Deutschland Antibiotika verordnet, so der BKK-Landesverband Nordwest in einer aktuellen Pressemitteilung. Die Krankenkasse fordert deshalb ein flächendeckendes Antibiogramm für alle Verdachtsfälle. Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) verurteilte die Pauschalkritik der BKK Nordwest und fordert eine differenziertere Betrachtung.

Den Äußerungen der BKK war eine Mitteilung des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe an die Zeitungen der Funke Mediengruppe vorausgegangen. Am letzten Samstag gab Gröhe bekannt, im Rahmen des geplanten Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetzes den zielgenaueren Einsatz von Antibiotika fördern zu wollen. Zu diesem Zweck sollen diagnostische Verfahren künftig besser vergütet und neue Schnelltestmethoden entwickelt werden. Damit will Gröhe der zunehmenden Gefahr multiresistenter Erreger begegnen, die gerade auch durch die zu häufige Verordnung von Antibiotika zu einem immer größeren Problem im Gesundheitswesen werden.

BKK: Diagnostische Absicherung durch verpflichtendes Antibiogramm

Die BKK Nordwest kritisierte Gröhes Vorschläge als unzureichend: bis zur Entwicklung neuer Schnelltests könnten Jahre vergehen und auch finanzielle Anreize würden nicht ausreichen, um wirksame Änderungen beim Vorgehen zur Antibiotikaverordnung herbeizuführen. Zudem gebe es mit dem Antibiogramm bereits ein geeignetes Testverfahren, so die Krankenkasse.

Sie fordert in ihrer Pressemitteilung verpflichtende Regelungen zur Anwendung des Antibiogramms. Demnach solle das Testverfahren bei jedem Verdachtsfall zur diagnostischen Absicherung zum Einsatz kommen. Denn bisher würden 95 Prozent der Antibiotika ohne vorherigen diagnostischen Test verschrieben, so die Krankenkasse mit Verweis auf eine aktuelle Studie der BKK-Landesverbände Nordwest und Mitte.

SpiFa: BKK-Forderung ist Heuchelei

Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa bezeichnete diese Forderung als Heuchelei: „Gerade die Krankenkassen, die die Budgetierung im ambulanten Bereich mit allen Mitteln verteidigen, bezeichnen die steigenden Laborkosten immer wieder als unnötig verordnete Leistungen und bedrohen Ärzte regelmäßig mit Regressen“, beklagt er. „Insofern ist die aktuelle Forderung von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, Schnelltests zukünftig zu bezahlen, völlig richtig“, so Heinrich.

Sinnvoller Einsatz von Antibiotika und Aufklärung

Zum Vorwurf des leichtfertigen Einsatzes von Antibiotika durch Ärzte entgegnete er: „Die niedergelassenen Ärzte arbeiten schon lange mit ganz differenzierten Mitteln am sinnvollen Einsatz von Antibiotika.“ Evidenzbasiert würden beispielsweise Symptomscores eingesetzt, um die Notwendigkeit von Antibiotika einschätzen zu können. Auch auf der Ebene der Patientenaufklärung wird immer mehr getan, wie unter anderem eine Kampagne der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe zeigt, die Ende letzten Jahres initiiert wurde und Patienten mittels Plakaten und Infobroschüren über das Thema Antibiotikaverordnung aufklären soll.

SpiFa: BKK ignoriert medizinische Leitlinien

Zudem ignoriere die BKK mit ihrer pauschalen Kritik die medizinischen Leitlinien, so Heinrich: „Ein Abstrich mit Antibiogramm kann sinnvoll sein, allerdings nur, wenn dies richtig eingesetzt wird. Bei vielen Infektionen sind aber die typischen Keimspektren bekannt, die Notwendigkeit einer Antibiose kann klinisch eingeschätzt werden und ein Antibiogramm ist dann nur im Einzelfall sinnvoll. Darüber hinaus gibt es viele Infektionen, die sich einem Antibiogramm entziehen“, erklärt Heinrich.

Anne Faulmann

Bild: raresb/Fotolia

Weitere Informationen:

Pressemitteilung des SpiFa

Pressemitteilung der BKK Nordwest

Kampagne der KVen Nordrhein und Westfahlen-Lippe

Kommentare: Von „Respekt!“ bis „Hetze ist das“

Hamburg – „Pharmalohn für Ärzte: Vielen Dank für die Millionen!“ – unter diesem Titel veröffentlichte „Spiegel online“ am 14. Juli einen Text über Zahlungen der Pharmaindustrie an Ärztinnen und Ärzte. Weitere Hintergrundtexte zum Thema schlossen sich an. Hintergrund: Ende Juni hatten 54 Pharmafirmen veröffentlicht, wie viel Geld sie in Deutschland 2015 zahlten, demnach 575 Millionen Euro an Ärzte, Apotheker und andere sogenannte Fachkreisangehörige. Die Beiträge lösten eine Vielzahl von Kommentaren auf der Homepage des Nachrichtenmagazins aus, allein der obige mehr als 200. Sie umfassen ein breites Meinungsspektrum. BVOU.net dokumentiert die Bandbreite an Reaktionen.

„Mein Hausarzt findet die Pharmaindustrie furchtbar.“

„Man sollte auch auflisten, welche Ärzte nicht zugestimmt haben. So ist die Liste leider wertlos“, schreibt ein Leser. Andere äußern: „Respekt den zustimmenden Ärzten“. Oder teilen mit: „Mein Hausarzt findet die Pharmaindustrie und deren Lobby furchtbar. Deshalb klärt er immer sehr ausführlich über Nutzen, Kosten und Risiken der Medikamente auf, denn er weiß: Wenn die Pharma-Industrie eines fürchtet, dann sind das mündige, mitdenkende Patienten.“

Andere geben zu bedenken: „Als angestelltem Arzt wird mir in meinem Haus nicht mehr die Dienstherrengenehmigung erteilt, an gesponserten Fortbildungen von Pharmaunternehmen teilzunehmen, obwohl ich keinen Einfluss auf Beschaffung habe. Weiß nicht, ob das gut ist.“ Oder: „Für unsere Gegend kann ich zu den Eintragungen sagen: Mit diesen Kleckerbeträgen schafft man keine Abhängigkeiten und auch keine geringfügigeren Risiken für Patienten.“

„Der Spiegel kann seine negative Berichterstattung über Ärzte einfach nicht lassen.“

Ein Teil der Leser kritisiert die Texte als Hetze: Der „Spiegel“ kann seine negative Berichterstattung über Ärzte einfach nicht lassen. Immerhin legt hier ein Drittel einer Berufsgruppe private Einkünfte offen. Diese Transparenz gibt es sonst eigentlich nur bei Abgeordneten. Andere Berufsgruppen, vor allem Selbstständige, erhalten durchaus auch Zuwendungen von privaten Unternehmen etc. Die Ärzte, die sich jetzt bereit erklären, in einem sehr frühen Stadium ihre Zuwendungen zu veröffentlichen, wobei es sich zum Großteil um Reisespesen oder Vortragshonorare bei Fortbildungen handelt, werden mit diesem Artikel für Ihre Offenheit „belohnt“.

Oder: „Im Grunde geht es bei diesem Artikel um Diffamierung einer kompletten Berufsgruppe! Hetze ist das und keine objektive Weitergabe von Informationen. Wenn ein Arzt als Experte auf seinem Gebiet für Vorträge an Wochenenden oder spät abends bezahlt wird, ist das für mich kein geschenktes Geld! Ebenso wenn er zu Fortbildungen eingeladen wird und die Reisekosten erstattet bekommt! Warum wird denn hierbei nicht in einem einzigen Satz erwähnt, dass unser gesamtes Gesundheitssystem vom aktuellen Wissen profitiert und dieses nun mal nicht durch Telepathie übertragen werden kann! Sicher gibt es vereinzelt auch schwarze Schafe auf beiden Seiten, die ihr privates oder unternehmerisches Nutzen daraus ziehen, aber das betrifft sicher nicht die Masse! Ich würde gerne den Spiegel-Online-Journalisten sehen, der sich von einem Arzt mit Wissensstand von 1980 behandeln lassen würde!“

„Was ist mit denen, die Pharmahonorare gespendet haben?“

Oder: „Und was ist mit denen, die ihre Pharmahonorare gespendet haben? Was ist mit den Honoraren, die jemand dafür bekommen hat, dass er dem Unternehmen etwas beigebracht hat – oder zumindest versucht hat, beizubringen? So wird das nach ein paar Protest-Beiträgen und Nachklapps genauso verschwinden wie alles andere. Es lebt sich ja besser von der Symptombeschreibung als von der Problemlösung.“

Andere Kommentatoren halten die Summen für die Spitze eines Eisbergs: „Hinter den Tagungsgebühren für Fortbildung steckt in Wirklichkeit viel mehr. Denn solche Fortbildungen sind für die eingeladenen Ärzte frei, kosten die Firmen aber Tausende für Vortragshonorare, Raum- und Bewirtungskosten. Die tatsächliche freie Zuwendung ist deshalb fünf- bis zehnmal höher.“

Ein Leser gibt zu bedenken, dass es Fehlverhalten im Gesundheitswesen gebe – aber keinesfalls nur bei Ärzten: „Wenn ich mir ansehe (oder mitbekomme), wie manche Ärzte bei der Kasse abrechnen. Wie Hebammen nicht getätigte Besuche abrechnen. Wie IGeL verkauft werden. Wie Medikamente nach dem Gusto der Pharmaindustrie verkauft werden. Und bei den Patienten: Wie Privatrechnungen zwar zur Erstattung eingereicht, nicht aber vom Patienten bezahlt werden. Wie insbesondere ältere Personen das Gesundheitssystem wegen Wehwehchen belasten, um nicht alleine zu sein. Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein.“

„Auch im Journalismus gibt es große Missstände.“

„Correctiv“-Chefredakteur Markus Grill hat im Interview mit dem „änd“ übrigens gesagt: „Die Ärzte zeigen zu Recht mit dem Finger auf uns Journalisten. Denn auch im Journalismus gibt es große Missstände. Auch in unserer Branche sollte es Transparenz über angenommene Vorteile, geflossene Gelder oder gewährte Rabatte geben.“

Sabine Rieser

Bild: Africa Studio/Fotolia

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Interview mit einem Orthopäden, der seine Pharma-Honorare offengelegt hat: „Es wirkt, als ob das alles Schmiergelder sind“

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„Es wirkt, als ob das alles Schmiergelder sind“

Berlin – „Mich stört, wie das Ganze dargestellt wird“ – so fasst Dr. Michael Ransmeyer (Name von der Redaktion geändert) seine Kritik an der Datenbank von „Spiegel Online“ und „Correctiv“ zusammen. Der Facharzt für Orthopädie gehört zu den Ärztinnen und Ärzten, die einer Veröffentlichung ihres Namens im Rahmen der Transparenzinitiative der Pharmafirmen zugestimmt haben. Damit zählt er zu dem einen Drittel, das den Firmen ihr Einverständnis gegeben hat, gezahlte Vortrags- und Beratungshonorare, Tagungsgebühren und Reisespesen veröffentlichen zu dürfen. Und doch ist er mit dem Ergebnis der Mediendarstellung nicht zufrieden – aus verschiedenen Gründen.

Gibt man seinen richtigen Namen in der Datenbank ein, erscheint der Hinweis, dass der Klinik-Chefarzt einen kleinen vierstelligen Betrag erhalten hat. Erst wenn man weiterklickt, wird diese Summe aufgesplittet: Darunter waren Reisekosten, Tagungsgebühren sowie Honorare von zwei Pharmafirmen.

Veröffentlichung ist „prinzipiell in Ordnung“

„Für mich ist die Veröffentlichung prinzipiell in Ordnung, wenn sie auf vernünftige Art und Weise erfolgt“, sagt Ransmeyer. Doch ihn stört schon, wie „Spiegel Online“ und „Correctiv“ ihre Recherche darstellen: „Das wirkt, als ob das alles Schmiergelder an Ärztinnen und Ärzte sind“, findet der Orthopäde. „Bei denjenigen, die sich die Angaben nicht genauer anschauen, wird der Eindruck erweckt, es gehe durchgängig um Bestechung.“

Er findet es wichtig, dass sofort zu erkennen ist, wofür Geld geflossen ist. „Honorare für Vorträge sind eine vollkommen normale Angelegenheit. Sie machen schließlich eine Menge Arbeit. Dass diesem Geld eine Gegenleistung gegenübersteht, geht vollkommen unter.“ Auch die Übernahme von Reisekosten sei angemessen, weil man eben auch weitere Wege auf sich nehme für Veranstaltungen.

Gegen pharmagesponserte Fortbildung „spricht nicht grundsätzlich etwas“

Und die Kritik an pharmagesponserter Fortbildung für Ärztinnen und Ärzte? Deren völlige Ablehnung lässt der Chefarzt nicht gelten: „Es muss Fortbildung geben, Ärztinnen und Ärzte müssen daran teilnehmen können und auch die Möglichkeit haben, es zu finanzieren“, findet er. „Aus meiner Sicht spricht nicht grundsätzlich etwas dagegen.“

Was ihn an der Datenbank noch ärgere, ergänzt er, sei, dass ausgerechnet die Ärztinnen und Ärzte in ein schlechtes Licht gerückt würden, die einer Veröffentlichung ihrer Namen und der gezahlten Gelder im Rahmen der Transparenzinitiative zugestimmt hätten. „Wer nicht zustimmt, wird auch nicht in eine bestimmte Ecke gestellt“, sag er. Das sei „nicht korrekt“.

Sabine Rieser

Bild: kasto/Fotolia

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