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Ein Monat nach Anschlag: Trier resigniert nicht

Trier – Im rheinland-pfälzischen Trier überfährt ein Mann am 1. Dezember 2020 mehrere Menschen. Fünf Opfer sterben, 24 Menschen werden teils schwer verletzt. Dr. Arne-Björn Jäger, Orthopäde und Unfallchirurg, ist Oberarzt am Brüderkrankenhaus Trier. Das Krankenhaus liegt nur wenige hundert Meter vom Anschlagsort entfernt.

Anfang Dezember, zu Beginn der Vorweihnachtszeit, wurde die Trierer Innenstadt durch eine Amokfahrt aus ihrem Alltag gerissen. Dieses unbegreifliche, erschütternde und verstörende Ereignis ist aus Medienberichten präsent.

Die Vorweihnachtszeit wird in unserer christlich geprägten Gesellschaft auch als Adventszeit bezeichnet. „Advent“ bedeutet Ankunft. So ist diese Zeit, die Zeit bis zur Ankunft Jesu Christi. An Weihnachten feiern wir dann dessen Geburt.

Wir sind mit der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums aufgewachsen. Kaiser Augustus hatte das Gebot ausgeben, dass jeder in seine Stadt gehen sollte, um sich schätzen zu lassen. Das innere Bedürfnis, Weihnachten zu Hause im Kreis der Familie zu feiern hat somit einen sehr alten Ursprung. Die Vorweihnachtszeit stimmt uns auf die zu erwartende Geborgenheit ein.

„Zu Hause“ bedeutet auch eine gewohnte Umgebung. Dazu zählen auch Bauwerke, mit denen man sich identifiziert. Besonders die Porta Nigra ist als Bauwerk ein Wahrzeichen für unsere Stadt. Das Stadttor wurde chronologischen Untersuchungen nach im Jahr 170 n. Chr. errichtet. Somit hat die Porta Nigra fast 2000 Jahre Zeitgeschichte überstanden.

Am 01.12.2020 ereignete sich die Amokfahrt in der Trierer Innenstadt in unmittelbarer Nähe der Porta Nigra. Sie forderte fünf Todesopfer und mehr als 20 teils Schwerverletzte. Die Tragödie dauerte nur viereinhalb Minuten, dann konnte der Täter überwältigt und festgenommen werden. Die Einsatzkräfte reagierten sehr professionell und waren gut organisiert. Viele Passanten leisteten selbstlos Erste Hilfe. Die Verletzten konnten in den umliegenden Krankenhäusern versorgt werden, so wie im Brüderkrankenhaus Trier, in dem ich als Oberarzt tätig bin und an jenem Tag Schicht hatte.

Zum Zeitpunkt des Unglückes habe ich operiert. Wir wurden im OP informiert. Umgehend wurden die laufenden Eingriffe beendet, damit OP-Ressourcen frei wurden. Der erste Gedanke war an meinen Sohn, der sich möglicherweise zu diesem Zeitpunkt in der Innenstadt aufgehalten hätte. Zum Glück war er aber direkt mit dem Schulbus von der Schule aus nach Hause gefahren.

Die Gefahrenlage konnte langsam nach der Festnahme aufgehoben werden. Doch dann begann erst der wichtigste Teil der Verarbeitung der Geschehnisse, Psychologen und Notfallseelsorger waren gefragt. Der Trierer Oberbürgermeister sprach allen Bürgern aus der Seele und trauerte öffentlich stellvertretend für ganz Trier. Seine Worte von der Gedenkfeier drücken aus, was die ganze Stadt fühlt: „Trier trauert, Trier leidet, aber Trier resigniert nicht.“

Und Trier reagiert, in der Bevölkerung war eine große Spendenbereitschaft für die Opfer und Angehörigen. Täglich werden neue Gedenkkerzen in der Innenstadt aufgestellt. Auch der traditionelle Silvesterlauf in Trier wurde als virtueller Spendenlauf veranstaltet. An der Porta Nigra wurde ein Erinnerungspunkt eingerichtet. Aus dem Kunstwerk, die Porta Nigra weint, wird eine Gedenk-Skulptur geschaffen.

Der Vorfall passierte zu einer Zeit, in der uns die Coronapandemie fest im Griff hatte. Die befürchtete zweite Infektionswelle wurde Wirklichkeit. Der zweite Lockdown war in Diskussion. Ein Lichtblick am Ende des so außergewöhnlichen Jahres 2020 war Weihnachten mit der Adventszeit. Viele Menschen sehnten sich Weihnachten als ein Fest der Hoffnung und Geborgenheit herbei. Am Beginn der Vorweihnachtszeit ereignete sich dann diese Tragödie. Ein Unglück, dass man sonst nur aus den Nachrichten kennt, war für die Menschen in Trier hautnah spürbar. Die Fragilität des seidenen Fadens des Lebens wurde vielen Menschen bewusst. Im neuen Jahr scheint vieles anders, als es unsere Stadt gewohnt ist. Die Zeit schreitet voran. Die Trierer Innenstadt und die Porta Nigra werden von vielen Bürgern nach dem 1.12.2020 mit anderen Empfindungen und mitunter aus einer anderen Perspektive wahrgenommen.

Das Weihnachtsfest gibt alle Jahre wieder den Menschen, die sich darauf einlassen, gerade auch in dieser Zeit Anlass zur Hoffnung.
Die Weihnachtsrituale und -bräuche wurden auch dieses Jahr durchgeführt. So saß ich am geschmückten Weihnachtsbaum und betrachtete die Weihnachtskrippe. Dabei hatte mich der Text des bekanntesten Weihnachtsliedes aus dem Jahr 1837 von Wilhelm Hey diesmal eigentümlich berührt.

Alle Jahre wieder / kommt das Christuskind / auf die Erde nieder, / wo wir Menschen sind;
Kehrt mit seinem Segen / ein in jedes Haus, / geht auf allen Wegen / mit uns ein und aus;
Ist auch mir zur Seite / still und unerkannt, / dass es treu mich leite / an der lieben Hand.

Dr. Arne-Björn Jäger, Trier