Alle Beiträge von Lasse Walter

Hand in Hand mit der Radiologie

Die Bildgebung der Hand unterliegt innerhalb der Orthopädie und Unfallchirurgie speziellen Anforderungen. Die anatomischen Strukturen befinden sich in enger räumlicher Nähe und Traumata verursachen häufig sowohl Verletzungen der Knochen als auch der Weichteile. Diese Tatsache stellt spezielle Anforderungen an die Bildgebung und an die RadiologInnen.

Essenziell für eine Klinik oder Praxis mit handchirurgischem Schwerpunkt ist eine regelmäßige und fachlich versierte Kooperation zwischen Chirurgie und Radiologie.

Je detaillierter die Untersuchungsbefunde mitgeteilt werden und je präziser die Fragestellung an die Bildgebung angegeben wird, desto gezielter und besser wird der Befund sein. Zudem können, insbesondere in der Schnittbildgebung, so die klinisch relevanten Befunde von Zufallsbefunden differenziert werden, was sich positiv auf die Patientenbehandlung auswirken wird.

Sofern es die organisatorischen Strukturen erlauben ist eine radiologisch- handchirurgische Demonstration mit interdisziplinärer Diskussion ausgewählter Fälle optimal.

Wir möchten im Folgenden zunächst gängige Modalitäten besprechen und dann einige Anwendungen an häufigen Krankheitsbildern erläutern.

Projektionsradiographie:

Fast jeder Patient, der eine Erkrankung oder Verletzung der Hand hat, erhält früher oder später ein Röntgenbild. Auf Basis der bereits erwähnten anatomisch engen Lagebeziehung der Knochen ist hier bzgl. der Aussagekraft präzise zwischen den vielen Einstellmöglichkeiten zu wählen. Dies setzt entsprechende Kenntnisse bei den anfordernden KollegInnen voraus.

Auch bzgl. der Qualität der Bilder ist die interdisziplinäre Kommunikation zwischen allen beteiligten Berufsgruppen (ChirurgInnen, RadiologInnen und MTRA) wünschenswert.

Computertomographie:

Die Computertomografie an modernen Mehrzeilenspiral-CT bietet insbesondere bei der Darstellung ossärer Pathologien viele Möglichkeiten. An der Hand ist insbesondere auf eine dünne (submillimeter) Akquisition und eine auf die untersuchte Lokalisation angepasste Schnittführung zu achten, sowie auf eine gute Lagerung. Multiplanare Rekonstruktionen und die Volume Rendering Technik (3-D-Rekonstruktionen) sollten zum Standard gehören. Mitunter kann eine Kontrastmittelgabe sinnvoll sein.

Magentresonanztomographie:

Die MRT stellt ein wichtiges diagnostisches Tool dar. Sie kann die Weichteile, aber auch Knochenmark, Knorpel, Sehnen und Ligamente direkt abbilden. Zu verwenden ist eine Feldstärke ab 1,5, besser 3 Tesla, eine geeignete Spule, ein günstiges Field of View und eine sorgfältige Lagerung. Besondere Wichtigkeit hat die klinische Fragestellung, da sie maßgeblich für die geeignete Sequenzwahl und die Indikation zur Kontrastmittelgabe ist.

Sonographie:

Die Sonographie der Hand bietet geübten UntersucherInnen zusätzliche Möglichkeiten, insbesondere auch bei Pathologien beweglicher Strukturen. Den Vorzügen der geringen Kosten, der allgemeinen Verfügbarkeit und der strahlenfreien Diagnostik sind die Nachteile der Untersucherabhängigkeit und der fehlenden Objektivierbarkeit entgegengestellt. Die technischen Anforderungen besteht aus einem kleinen hochfrequenten Linear-ArraySchallkopf. Auch eine Silikon-Vorlaufstrecke kann sich günstig auf die Bildqualität auswirken.

Der Vollständigkeit halber seien auch seltener angewandte Techniken wie Kinematographien, dynamische CT, Arthrographien und die Angiographie erwähnt.

Wir möchten nun exemplarisch einige Erkrankungen und Verletzungen vorstellen, die spezielle Anforderungen an die Bildgebung stellen:

Skaphoidfraktur:

Die Diagnostik mittels Skaphoid-Quartett wurde zunehmend verlassen. Einer Basisdiagnostik mittels einem Röntgen in zwei Ebenen und ggf. zusätzlicher Stecher- Aufnahme sollte auch bei unauffälligem Befund, aber klinischem Verdacht,
eine CT- Diagnostik angeschlossen werden.

Das oberste Ziel bei einem Verdacht auf Skaphoidfraktur ist die Sicherung bzw. der möglichst sichere Ausschluss der Diagnose, da diese Verletzung als solche bereits eine hohe PseudarthrosenRate hat, welche durch verspätete Diagnose und Behandlung noch deutlich erhöht wird. Insbesondere ist in der CT wie o.g. auf eine dünne (Submillimeter) Schichtung zu achten sowie im besten Fall eine Bildakquisition in schräger Längsachse des Skaphoides. Eine besonders hohe Qualität der Bilder wird erhalten, wenn der Patient bereits entsprechend im CT gelagert wird (Superman Pose). Ein CT ist für die OP-Planung sinnvoll oder zur Verlaufskontrolle bei unsicherer Konsolidierung im Röntgenbild ab der 9. Woche.

Bei fraglichem Befund kann eine weitere Bildgebung mittels MRT zum Ausschluss einer okkulten Fraktur indiziert sein. Sie ist besonders bei den trabekulären Frakturen überlegen.

Skapholunäre Dissoziation:

Die SL-Bandläsion ist eine schwer zu diagnostizierende Verletzung, was sich sowohl auf die Bildgebung als auch auf die klinische Untersuchung bezieht. Kein Test und keine Bildgebung allein zeigt eine hohe Sensitivität für eine karpale Bandverletzung. Daher werden mehrere diagnostische Schritte unternommen, um einen Verdacht auf eine
Bandläsion so weit zu erhärten, dass der aktuelle Goldstandard der Diagnostik, die Arthroskopie, zu rechtfertigen ist. Am Beginn der diagnostischen Kette steht nach der klinischen Untersuchung das Röntgenbild des Handgelenkes in zwei Ebenen, hierbei ist besonders auf eine Neutralstellung und eine korrekte Zentrierung zu achten. Hier kann
der SL-Spalt in der a.p.-Ebene verbreitert sein und der Karpus im seitlichen Bild in einer DISIStellung befinden (dorsal intercalated segmental instability). Diese Veränderungen treten jedoch nicht sofort nach akuter Verletzung auf, sondern erst nach einer gewissen Zeit und in Abhängigkeit des Grades der Verletzung.

Zusätzlich hilft eine Kinematografie der Handgelenke Informationen bezüglich einer statischen versus einer dynamischen Instabilität des Karpus zu erhalten.

CAVE: Es gibt deutliche interindividuelle Unterschiede in der Bandlaxizität und der allgemeinen Karpusbeweglichkeit, so dass eine suffiziente Beurteilung nur im Vergleich mit der Gegenseite die Diagnosefindung Unterstützen kann.

Im MRT kann in den ersten Wochen nach Trauma ein Erguss im SL-Spalt wegweisend sein.

Oft ist es möglich die Kontinutitätsunterbrechung des Ligamentes darzustellen. Bei der Untersuchung ist auf eine ausreichend dünne Schichtdicke (<2mm) zu achten, eine i.v. Gadolinium- Gabe kann die Sensitivität erhöhen.

Eine Computertomografie ist lediglich bei Verdacht auf zusätzliche ossäre Läsionen indiziert.

Sonographisch kann insbesondere der dorsale SL-Bandbereich dargestellt werden, bei kraftvollem Faustschluss ggf. ein Auseinanderweichen von Skaphoid und Lunatum beobachtet werden, sowie auch der Erguss im SL-Spalt evaluiert werden. Jedoch ist sonographisch ein Ausschluss einer Läsion nicht sicher möglich.

Nach erfolgter Arthroskopie und definitiver Diagnosestellung bietet sich eine Rücksprache der Befunde mit der radiologischen Abteilung an.

Skidaumen:

Eine der häufigsten bandhaften Verletzungen an der Hand ist der Skidaumen. Die Dislokation des Daumens im Grundgelenk nach radial führt zum Riss des ulnaren Seitenbandes.

Je nach Lokalisation des Risses kann der proximal Bandstumpf unter der Aponeurose des M. adductor pollicis umschlagen, die sogenannte Stener-Läsion, welche durch fehlende Spontanausheilung zur chronischen Instabilität und später Arthrose führen kann. Sie stellt eine OP-Indikation dar und sollte in deshalb sicher ausgeschlossen werden. Der diagnostische Baum beginnt mit einem Röntgenbild in 2 Ebenen (Daumen a.p. und streng seitlich) um ein ossäres Avulsionsfragment an der ulnaren Grundphalanxbasis auszuschließen. Die Stener-Läsion kann als „Jojo-Zeichen“ im MRT darstellt werden (CAVE: dünne Schichten). In der Hand eines geübten Untersuchers/ Untersucherin ist das Band jedoch auch der Sonographie zugänglich.

Knöcherne Verletzungen der Finger:

Viele Verletzungen der Hand betreffen einzelne Finger und haben, sofern richtig diagnostiziert ein gutes Outcome. Knöcherne Ausrisse der palmaren Platte, Nagelkranzfrakturen, Mallet-Finger – all diese Diagnosen können oft erfolgreich konservativ behandelt werden. Essenziell ist eine aussagekräftige Bildgebung, was im Fingerbereich in der Regel einem Röntgenbild in zwei Ebenen zu erreichen ist (a.p.+ streng seitlich). Insbesondere die streng seitliche Aufnahme ist dabei oft diagnostisch entscheidend. Eine entsprechende diagnostische Unschärfe entsteht, wenn sie entweder nicht durchgeführt wird, weil eine Hand a.p.+ schräg angemeldet und als ausreichend empfunden wird, oder weil die seitliche Ebene nicht orthogonal eingestellt wurde. Hier ist ein strenges Augenmerk auf eine optimale Projektion zu legen.

Nur in Spezialfällen ist ein schräges Röntgenbild eines Fingers hilfreich. Bei unklaren Befunden, unklarer Torsionsabweichung von Frakturen insbesondere im Gelenkbereich kann eine CT hilfreich sein. Auch Verletzungen mit Beteiligung der Karpometakarpalgelenke sollten großzügig mittels CT diagnostiziert werden, da hier oftmals Überlagerungen bestehen, die ein Detailverständnis der Fraktur und eine optimale OP-Planung erschweren.

Läsion des „triangular fibrocartilage complex“ (TFCC):

Beschwerden des TFCC können sowohl traumatische als auch degenerative oder kombinierte Ursachen haben. Eine degenerative Veränderung des TFCC im MRT ist ab einem gewissen Alter auch ohne klinisches Korrelat sehr wahrscheinlich. Hier ist die Korrelation der Bildbefunde mit der Symptomatik/Untersuchungsbefunden unabdingbar. Die gesamte Anatomie des TFCC und der begleitenden Bänder zur Stabilisierung des DRUG ist hochkomplex und in ihrer funktionellen Bedeutung der Einzelkomponenten nicht vollständig verstanden, was an die Diagnostik besondere Herausforderungen stellt. Nach dem Röntgenbild des Handgelenkes in zwei Ebenen zur ersten Orientierung (Ulnaplusvariante, degenerative Veränderungen) ist das MRT der nächste Schritt. Oft kann das Ausmaß der Schädigung des TFCC erst im Rahmen einer Arthroskopie beurteilt werden.

Lunatumnekrose:

Die häufigste avaskuläre Osteonekrose der Hand ist der Morbus Kienböck. Verschiedene Ursachen stehen in der Diskussion, wobei dem repetitiven Mikrotrauma die größte Relevanz zugeordnet wird. Die Erkrankung verläuft in Stadien. Abhängig vom Stadium werden zunächst Röntgenbilder angefertigt. Neben Veränderungen am Lunatum sind Ulnalänge und karpales Gefüge von Interesse. Im Stadium 1 ist das Röntgenbild unauffällig, in der MRT ist jedoch ein fokales oder diffuses Knochenmarködem nachgewiesen werden. In den Stadien 2–3b sind zusätzlich zum Röntgenbild ein KM-verstärktes MRT zu Vitalitätsbestimmung des Knochenmarkes zu empfehlen, als auch die CT zur Darstellung der Knochenstruktur, von Sklerosen, Frakturen sowie Arthrosen, was zur Präzisierung der Stadieneinteilung benötigt wird. Wenn sich im Röntgenbild bereits ein Stadium 4 mit perilunärer Arthrose zeigt, wird eine Schnittbildgebung meistens keine therapeutisch relevanten Mehrinformationen bieten.

Abschließend möchten wir betonen, dass in der Bildgebung der Hand eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit essentiell ist, um anhand präziser Fragestellungen optimale Befunde zu erarbeiten und so unsere PatientInnen bestmöglich zu behandeln.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

Erweiterung des diagnostischen Arsenals aber nicht die Lösung für alles

Prof. Dr. Ralf Schulze ist seit September 2021 Abteilungsleiter der Röntgenabteilung/Abteilung Oral Diagostic Sciences der Zahnmedizinische Kliniken (ZMK) der Universität Bern/Schweiz. Er habilitierte 2006 im Fachgebiet zahnärztliche Röntgenologie an der Universitätsmedizin Mainz und leitete dort bis August 2021 ebenfalls die zahnärztliche Röntgenabteilung. Mit ca. 75 internationalen Publikationen in  Wissenschaftlichen Fachzeitschriften, vielen Jahre Reviewertätigkeit für multiple internationale wissenschaftliche Zeitschriften sowie langjähriger Expertentätigkeit in den zahnärztlichen Röntgenausschüssen des Deutschen Institutes für Normung (DIN) ist er auch Mitglied für die DGZMK im Arbeitsgremium X (AG-X) des Bundesumweltministeriums.

Von 2011 bis 2020 war er Herausgeber der renommierten wissenschaftlichen  Fachzeitschrift „DentoMaxilloFacial Radiology“. Prof. Schulze ist Koordinator und Erstautor der S1-Leitlinie \ Digitale Volumentomographie”, der 2013 publizierten, ausgebauten s2k-Leitlinie „Dentale digitale Volumentomographie“ sowie auch der derzeitigen  Überarbeitung derselben. Er fungierte als externer Gutachter der oziellen Europäischen Leitlinie „Cone Beam CT for Dental and Maxillofacial Radiology. Evidence Based Guidelines (European Commission: Radiation Protection No. 172, 2012)“ sowie als Co-Autor des 2014 veröentlichten Policy Statements der World Dental Federation FDI mit dem Titel „Radiation Safety in Dentistry“. Aus zahnmedizinischer Sicht erläutert Prof. Klessinger, in welchen Fällen ein DVT sinnvoll ist und warum der Einsatz der Technologie nicht ganz unumsritten bleibt.

Etwa ein Jahrhundert nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 kam die Digitale Volumentomografie (DVT) in der Zahnheilkunde zum Einsatz. Warum plädieren Sie, Herr Prof. Dr. Ralf Schulze, für den Einsatz der DVT?

Prof. Dr. Ralf Schulze: Die DVT stellt eine flexible Möglichkeit dar, dreidimensionale Röntgendatensätze auch kleiner anatomischer Regionen mit einer im Vergleich zur Computertomographie zumeist niedrigeren Dosis zu erzeugen. Sie stellt daher eine Erweiterung des diagnostischen Arsenals dar, die zudem, die entsprechende Fachkundebewilligung vorausgesetzt, auch in der eigenen Praxis angefertigt werden kann.

Wie unterscheidet sich die DVT von der klassischen CT-Diagnostik?

Schulze: das ist heute bedingt durch die Konvergenz der Verfahren nicht mehr
so einfach zu sagen.
Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass ein CT keine innerhalb des Körpers gelegenen Ausschnitte abbildet, sondern immer den Gesamtumfang des geröntgten Körperbereichs. Die DVT erlaubt hingegen kleine Abbildungsvolumina, die auch
innerhalb des Körpers liegen können. Allerdings weisen moderne MultisliceCTs eine deutlich bessere Bildqualität auf (allerdings auch bei in der Regel deutlich höherer Dosis), insbesondere im Weichgewebe.

Wie häufig setzen Sie die DVT-Röntgen bei Ihrer Arbeit ein?

Schulze: Da ich Leiter einer zahnärztlichen Röntgenabteilung bin, mehrfach
täglich.

Wieso reichen für bestimmte Fragestellungen 2-D-Aufnahmen nicht aus?

Schulze: immer dann wenn die räumliche Orientierung und Vermessung eines Röntgendatensatzes notwendig ist, kann das sinnvoll nur in 3D-Datensätzen erfolgen. Ein typisches Beispiel aus der Zahnmedizin ist die zahnärztliche Implantologie, wo man den wenigen vorhandenen Knochen möglichst gut nutzen muss, um darin die Implantate
einzubringen, ohne Nachbarstrukturen wie Nerven zu beschädigen.

Warum ist der Einsatz der DVT-Technologie immer noch umstritten?

Schulze: zum Einen weil ein DVT nicht die Lösung für alles ist. Beispielsweise führt eine im Vergleich zu 2D-Röntgenaufnahmen deutlich niedrigere Ortsauflösung (wenige Details) bei einigen Fragestellungen einfach dazu, dass man sie mit der DVT nicht beantworten kann. Zum Anderen stellt sich bei den vielen elektiven Fragestellungen in der Zahnmedizin und den vielen Kindern und Jugendlichen, die in unserem Fachgebiet behandelt werden, immer das Problem der im Vergleich zu 2D-Aufnahmen doch deutlich erhöhten Dosis durch die DVT. Daher muss immer das Benefit des Patienten im Vordergrund stehen und insbesondere bei pädiatrischen Aufnahmen eine sehr strenge Indikationsstellung erfolgen.

Auch Metallartefakte können die Bildqualität bei der DVT stark mindern. Sind auch Patienten mit Amalgamfüllungen bzw. Implantaten mit der DVT untersuchbar?

Schulze: in der Tat stellen bedingt durch die vielen metallischen Restaurationen im Zahnbereich Artefakte in der DVT (aber auch der CT) ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Man kann zwar durch geschickte Ausrichtung des Patienten während der Aufnahme in manchen Situationen dafür sorgen, dass Artefakte sich nicht über die interessierende Region erstrecken, jedoch ist dies nur in speziellen Fällen nötig. Allerdings muss man auch sagen, dass, dadurch dass sich diese Artefakte immer nur in Strahlengangsrichtung verbreiten, die knöcherne Situation in der DVT häufig nicht oder nur unwesentlich von ihnen betroffen ist, weil die metallischen Strukturen sich meist im Zahnkronenbereich, also außerhalb des Knochens befinden.

Ein häufiges Argument gegen die DVT ist die Strahlenbelastung. Wie sieht es mit der Strahlenbelastung aus und inwieweit stellt die DVT eine Gefahr für den Patienten dar?

Schulze: die Dosis durch eine DVTAufnahme liegt in der Regel um ein Vielfaches oberhalb derer durch entsprechende 2D-Aufnahmen. Das ist, wie oben berichtet, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen kritisch zu sehen, weil diese Patienten ja bekanntermaßen ein überproportional erhöhtes Risiko aufweisen, negative Effekte durch die Strahlung zu erleiden. Sicherlich ist ein DVT nicht „gefährlich“, es erhöht jedoch das Risiko für stochastische Strahlenschäden und sollte daher eben indikationsorientiert mit dem Blick auf den Vorteil des Patienten eingesetzt werden.

Die Entscheidung für oder gegen eine DVT-Aufnahme ist sowohl in den entsprechenden Leitlinien als auch in der öffentlichen Diskussion eng an die damit verbundene Strahlenexposition gekoppelt. Wie ist dieser Aspekt aus heutiger Sicht zu bewerten?

Schulze: International orientiert man sich im Strahlenschutz nach wie vor an der „Linear-no-threshold“-Theorie die besagt. dass das Risiko einen Strahlenschaden zu erleiden ohne Schwellenwert (also von 0 an) mit der Dosis ansteigt. Dies bedeutet einfach, mehr Strahlung führt zu proportional höherem Risiko. Ergo muss die Indikation stimmen und gemäß des ebenfalls international akzeptierten Rechtfertigungsprinzip so gestellt werden, dass der potentielle Benefit des Patienten durch die Aufnahme das potentiell zu erwartende Risiko überwiegt.

Das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) dürfte den meisten ein Begriff sein. Was genau verbirgt sich dahinter?

Schulze: übersetzt heißt ALARA etwa: „so wenig wie sinnvoll machbar“. In den letzten Jahren hat sich die Alternative ALADA (as low as diagnostically acceptable) herauskristallisiert. Diese ist auch aus meiner Sicht besser interpretierbar und bedeutet, man sollte die Aufnahme so anfertigen, dass die Qualität zur Beantwortung der Fragestellung ausreicht.

Welche Vorschriften für den Strahlenschutz gelten bei der DVT?

Schulze: wie für alle anderen Röntgenaufnahmen gelten die grundsätzlichen
Strahlenschutzbestimmungen bzgl. räumlicher Abschirmung. Insbesondere die Rechtfertigung der Aufnahmen (s. o.) und die Optimierung im Sinne von ALARA und ALADA (s. o.) stellen wesentliche Bestandteile des Strahlenschutzes dar. Zusätzlich sollte bei der DVT die Einblendung auf eine bestimmte Volumengröße abgestimmt auf die Fragestellung erfolgen. Das reduziert die applizierte Dosis erheblich. Patientenschutz ist umstritten, sollte aber aus meiner Sicht, sofern für die geplante Region möglich, angewandt werden. Bei besonders schützenswerten Personengruppen (Kinder+ Jugendliche, Schwangere) sind sie obligatorisch.

Und wie wichtig ist ein DVT für die Planung einer Operation?

Schulze: das hängt stark von der Operation ab. Beispielsweise stellt die DVT für die Planung von Implantatfällen in der Zahnmedizin mittlerweile einen Standard dar, während sie für die operative Entfernung unterer Weisheitszähne evidenzbasiert kaum einen Benefit bringt.

Hatten Sie auch schon Zufallsbefunde?

Schulze: Sicherlich sind Zufallsbefunde nicht selten und müssen auch als solche erkannt und mit befundet werden. Allerdings sollten potentielle Zufallsbefunde nie eine Indikation für das Anfertigen einer Röntgenaufnahme darstellen. Das wäre sonst gleichbedeutend mit einer Art „Screening” und das ist nicht vom Rechtfertigungsprinzip gedeckt.

Hilft die DVT auch, Doppelbefundungen vermeiden?

Schulze: das sehe ich nicht so, denn leider werden auch DVTs manchmal von mehreren Behandlern kurz nacheinander angefertigt, also auch doppelt oder mehrfach, so wie andere Röntgenaufnahmen leider auch.

Die Leitlinien zur Nutzung der DVT in der Zahnmedizin sind veraltet und werden gerade überarbeitet. Haben Sie einen Einblick, was die Aktualisierung bringen wird?

Schulze: da ich der Koordinator der deutschen AWMF-Leitlinie bin, weiß ich
sehr genau, welche Änderungen in der Aktualisierung enthalten sein werden.
Übrigens befindet sich diese, leider auch pandemiebedingt deutlich verzögerte
Überarbeitung in der Schlussphase, alle Empfehlungen sind bereits abgestimmt
und der Hintergrundtext ist ebenfalls fertig. Im Wesentlichen wird die Leitlinien in einigen Bereichen (z. B. untere Weisheitszähne oder zahnärztliche Implantologie) aufgrund der besseren Evidenzlage präzisere Aussagen treffen, als die Vorgängerversion.

Herr Prof. Dr. Ralf Schulze, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Janosch Kuno,
BVOU-Pressearbeit.

Ultraschallgesteuerte Injektion – sicher zum Ziel gelangen

Injektionen gehören zum orthopädischen Alltagsgeschäft. Im besten Fall wirken sie schnell, nebenwirkungsarm und mit geringem Risiko. Entscheidend für die schnelle Wirksamkeit sind die richtige Indikation, ein geeignetes Medikament und die richtige Ausführung der Injektion.

Der standardmäßige Einsatz eines Ultraschalls verbessert nachweislich die Effektivität einer Injektionsbehandlung und minimiert vermeidbare Schädigungen. Injektionen dienen in den meisten Fällen der Diagnostik und der Therapie. Diagnostische Infiltrationen mit einem Lokalanästhetikum helfen bei der Differenzierung  der Beschwerdeursache. Bei diagnostischen Infiltrationen muss logischerweise eine Nadelfehllage ausgeschlossen werden, um eine sinnvolle therapeutische Konsequenz ziehen zu können.

Quelle: www.medizin-reporter.blog

Orthobiologische Therapieoptionen

Seit vielen Jahren setze ich bei therapeutischen Injektionen bevorzugt autologes conditioniertes Plasma (ACP) und die stromavaskuläre Fraktion des Fettgewebes (SVF) bei der Behandlung orthopädischer Beschwerdebilder ein. ACP eignet sich mit seiner Vielzahl an konzentrierten Botenstoffen für den Einsatz an Sehnen, Bänder und Knorpel. Prospektiv randomisierte Kontrollstudien belegen regelmäßig einen Vorteil gegenüber der Behandlung mit kortisonhaltigen Präparaten.

Die Nadellage ist  bei ACP Behandlungen von entscheidender Bedeutung. Ein gutes Beispiel die die Behandlung von Pathologien der der Sehnen. Es macht einen Unterschied, ob ich intratendinös oder peritendinös behandele. So lassen sich die häufig anzutreffenden Verklebungen im Bereich der Sehnenscheide bei Ultraschall gesteuerten Injektionen  visualisieren und teils direkt lösen.

Die Anwendung von SVF und den darin enthaltende mesenchymalen Stammzellen erweitert das gelenkerhaltende Therapiespektrum zur Behandlung einer hochgradigen Arthrose des Kniegelenks maßgeblich. Das gilt vor allem für die Behandlung der dritt- oder viertgradigen Knorpelschäden, die nicht operativ-regenerativ versorgt werden können. Hier ist der Einsatz eines Ultraschalls zum Beleg der korrekten Injektion obligat.

Studienlage

Die Frage wie exakt wir an die Zielstrukturen gelangen beantworten Studien der letzten 20 Jahre. Sie belegen wiederholt die Vorteile Ultraschall gestützter Injektionen ohne erkennbaren Nachteil. Fehlende Erfahrung und Routine kann durch die Verwendung eines Ultraschall können kompensiert  werden.

  • Schmerz und Funktion der Schulter verbesserten sich bei Injektionen glenohumeral und subakromial (Eustace 1997).
  • Fehllagen im Bereich der Schulter beschreibt Partington 1998 mit 17% bei subakromialen Infiltrationen und 33% Fehllagen beim AC Gelenk.
  • Es treten selbst bei vermeintlich „einfachen“ Gelenken wie dem Knie Fehllagen von bis zu 29% bei intraartikulären Infiltrationen auf (Jackson, 2002).
  • In der Rheumatologie zeigten sich sogar Fehllagen zwischen 29 und 63% in Abhängigkeit vom Zugang (Cunnington 2010).

 

Technische Voraussetzungen

Für die meisten Anwendungen in der Orthopädie reicht ein linearer Schallkopf. Bei Infiltrationen des Hüftgelenks und an der Wirbelsäule kann auch ein konvexer Schallkopf notwendig sein. Ein Doppler ist vor allem dann eine sinnvolle Ergänzung, wenn neurovaskuläre Strukturen unmittelbar im Zielgebiet oder auf dem Weg dahin passiert werden müssen. Technisch betrachtet erfolgen Injektionen „in-plane“ oder „out of plane.“ Bei der in-plane Technik bewegt sich die Kanüle in der Schallebene, Schallkopf und Kanüle liegen parallel. Bei der out-of-plane Technik liegen Kanüle und Schallebene in einem Winkel zueinander. Bei einem 90° Winkel erscheint die Kanüle dann als weißer Punkt im Bild. Es empfiehlt sich die Kanüle im vorderen Drittel darzustellen. Die Sterilität sollte selbstverständlich wie bei jeder anderen Infiltration auch bei der Verwendung des Ultraschall gewahrt werden.

Zusammengefasst sind ultraschallgesteuerte Infiltrationen

  • genauer als Landmarken gestützte Infiltrationen
  • bei diagnostischer Indikationen genauer
  • bei vielen therapeutischen Indikationen wirksamer
  • bei orthobiologischen Therapien mit ACP und SVF sehr empfehlenswert

 

Der Autor:

Dr. med. Markus Klingenberg
Gemeinschaftspraxis an der Beta Klinik

 

 

 

Better Care starts with knowing the facts – SpineJack System

Viele Patienten sehen Rückenschmerzen als unvermeidbare Konsequenzen des Alterns. Das ist mit ein Grund, weshalb ca. zwei Drittel aller vertebralen Kompressionsfrakturen nicht diagnostiziert werden.1,2 Unbehandelte vertebrale Kompressionsfrakturen können zu Langzeitfolgen (wie z.B. spinalen Deformitäten, Anschlussfrakturen und sogar einer höheren Sterblichkeit) führen. Vor diesem Hintergrund haben Forscher einen genaueren Blick auf die Behandlungsmöglichkeiten von vertebralen Kompressionsfrakturen geworfen. Laut einem gemeinsamen Statement von ASITN, SIR, AANS, CNS und ASSR sind vertebrale Augmentation und Vertebroplastie die effektivsten Behandlungen für schmerzhafte Kompressionsfrakturen, Non-Surgical-Management (z.B. Bettruhe) hingegen kann zu schwerwiegenden Komplikationen führen.3

Im Folgenden wird das SpineJack-System zur kontrollierten anatomischen Rekonstruktion von vertebralen Kompressionsfrakturen vorgestellt.

Entsprechend den AO Richtlinien zur Frakturbehandlung wird die Fraktur eines gewichttragenden Gelenks zuerst reponiert und danach fixiert.4 Das Konzept des SpineJack®-Systems ermöglicht eine kontrollierte anatomische Rekonstruktion und somit eine frühe Mobilisation und Belastbarkeit. Anatomische Reposition bedeutet die Wiederherstellung der Geometrie des gesamten Wirbelkörpers, d. h. der kortikalen Wand und der Deckplatten. Bei der Rekonstruktion der kortikalen Wand wird der korrekte Winkel des Wirbelkörpers wiederhergestellt. Dies ist entscheidend, um kyphotische Fehlstellungen zu korrigieren und angrenzende Frakturen zu vermeiden.5-10 Die Deckplattenrekonstruktion hat laut Fachliteratur einen positiven Einfluss auf die Vermeidung von Creeping-Effekten der Bandscheibe, von Bandscheibendegeneration, ausgleichenden Krümmungen und Arthrose der Facettengelenke.5,11-13  Mehrere klinische und epidemiologische Studien beschrieben die Korrelation zwischen Wirbeldeformitäten und klinischen Problemen wie der posttraumatischen Kyphose, welche zu den potentiell schwersten posttraumatischen Deformitäten zählt.6,14 Vor diesem Hintergrund wurde das SpineJack® Implantat entwickelt, um Ärzten eine vollständig kontrollierbare und umfassende Lösung für die Versorgung von WKF zur Verfügung zu stellen, mit der eine anatomische Reposition mit anschließender solider Stabilisation erfolgen kann.

Das SpineJack®-System wurde zur anatomischen Rekonstruktion traumatischer Wirbelkörperkompressionsfrakturen (Typ A laut Magerl-Klassifikation) entwickelt und kann auch dann eingesetzt werden, wenn der Fraktur pathologische Bedingungen wie Osteoporose oder maligne Läsionen (Myelome oder osteolytische Metastasen) zugrunde liegen. Das SpineJack® System ist für die Verwendung mit Knochenzement vorgesehen und wird durch einen transpedikulären Zugang eingebracht.

Die Rekonstruktionsleistung des SpineJack®-Systems wurde anhand von 3D-Rekonstruktionen prä- und postoperativer CT-Aufnahmen nachgewiesen.15 Durch Überlagerung der Aufnahmen kann die Veränderung der Wirbelhöhe genau bemessen werden.

Grün = geringstes Maß der Rekonstruktion Rot = höchstes Maß der Rekonstruktion

Bei der anatomischen Rekonstruktion spielen neben der Wirbelhöhe folgende Faktoren eine Rolle:

  • Kraniokaudale Expansion zur Wiederherstellung der sagittalen Balance
  • Anpassung der Implantatexpansion zur Wiederherstellung der frontalen Balance
  • Anpassung der Implantatposition zur Deckplattenrekonstruktion

Kontrollierte Positionierung mit speziellem Instrumentarium:
Die Position der Implantate kann sowohl auf Sagittal- als auch auf Horizontalebene den Frakturbedingungen und der Patientenanatomieentsprechend angepasst werden
Kontrollierte, millimetergenaue Expansion:
Die millimetergenaue Implantatexpansion wird aufrechterhalten, bis das Biomaterial injiziert ist
Kontrollierte Applikation des Knochenzements durch einen vorgegebenen Pfad und Erhalt der umliegenden Spongiosa:
Der vorgegebene Pfad für die Applikation des PMMA Knochenzements durch das Implantat dient der Minimierung des Risikos posteriorer Leckagen. Bei der kraniokaudalen Expansion bleibt die den Knochenzement umgebende trabekuläre Struktur erhalten und ermöglicht so eine bessere Verzahnung und damit eine bessere Verankerung und Knochenheilung. 16-19

Falls Sie mehr Informationen wünschen kontaktieren Sie bitte Ihren lokalen Stryker-Außendienstmitarbeiter oder charlotte.schuetz@stryker.com / michaela.felsch@stryker.com.

Interventional Spine – IVS Das SpineJack®-System ist indiziert für die anatomische Reposition von Wirbelkompressionsfrakturen durch Osteoporose, Traumata (WKF-Typ A nach Magerl-Klassifikation) und maligne Läsionen (Myelome oder osteolytische Metastasen). Das SpineJack® System ist für die Verwendung mit Knochenzement vorgesehen und wird durch einen transpedikulären Zugang eingebracht. Der Pedikeldurchmesser (siehe Kapitel Präoperative Planungsstrategie) wird präoperativ durch eine CT-Aufnahme bestimmt. Knochenzement: Komplikationen unerwünschte Zwischenfälle bei der Verwendung von Knochenzementen für die Vertebroplastie, Kyphoplastie und Sakroplastie – einige davon mit tödlichem Ausgang – sind z. B. Myokardinfarkte, Herzstillstände, zerebrovaskuläre Unfälle, Lungen- und Kardioembolien. Selten treten diese auch nach einem Jahr oder später nach der Operation auf. Die Verwendung von Knochenzement birgt weitere potenzielle Risiken, die in der Gebrauchsanleitung vollständig aufgelistet sind. Dieses Dokument richtet sich ausschließlich an medizinisches Fachpersonal. Chirurgen/innen müssen die Entscheidung zur Behandlung eines Patienten mit einem bestimmten Produkt stets anhand ihres eigenen fachlichen klinischen Urteils treffen. Stryker erteilt keine medizinischen Ratschläge und empfiehlt, Chirurgen/innen in der Anwendung des jeweiligen Produkts zu schulen, bevor diese es in der Chirurgie einsetzen. Die vorliegenden Informationen dienen der Präsentation des umfangreichen Stryker-Produktangebotes. Vor der Verwendung eines Stryker-Produktes müssen Chirurgen/innen stets die Packungsbeilage, das Produktetikett und/oder die Gebrauchsanweisung beachten. Einige Produkte sind u. U. nicht in allen Märkten erhältlich, da ihre Verfügbarkeit regulatorischen und/oder medizinischen Praktiken dieser Märkte unterliegt. Fragen zur Produktverfügbarkeit beantwortet Ihnen Ihr Stryker-Repräsentant. Die Stryker Corporation oder ihre Tochtergesellschaften besitzen, verwenden oder haben die folgenden Marken oder Dienstleistungsmarken angemeldet: AutoPlex, PCD, SpineJack, Stryker und VertaPlex. Alle anderen Marken sind Marken ihrer jeweiligen Eigentümer oder Inhaber. Die abgebildeten Produkte sind ECE-gekennzeichnet und entsprechen den geltenden EU-Vorschriften und Richtlinien.
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  1. Cooper C, O’Neill T, Silman A. The epidemiology of vertebral fractures. European Vertebral Osteoporosis Study Group. Bone 1993; 14(Suppl 1):S89-97
  2. Kado DM, Browner WS, Palermo L, Nevitt MC, Genant HK, Cummings SR. Vertebral fractures and mortality in older women: a prospective study. Study of Osteoporotic Fractures Research Group. Arch Intern Med 1999; 159:1215-20
  3. Jensen, M. E., J. K. Mcgraw, J. F. Cardella, and J. A. Hirsch. “Position Statement on Percutaneous Vertebral augmentation: A Consensus Statement Developed by the American Society of Interventional and Therapeutic Neuroradiology, Society of Interventional Radiology, American Association of Neurological Surgeons/Congress of Neurological Surgeons, and American Society of Spine Radiology.” Journal of Vascular and Interventional Radiology 1.2 (2009): 181-85. Print.
  4. Buckley, R., Moran, C., & Apivatthakakul, T. (2017). AO principles of fracture management. Davos Platz, CH: AOFoundation

Verkehrsmedizinische Begutachtung: Mobilität für Menschen mit Handicaps ermöglichen

Verkehrsmedizinische Begutachtungen auf dem Gebiet von Orthopädie und Unfallchirurgie werden veranlasst, wenn aufgrund von entsprechenden Gesundheitsstörungen Zweifel an der generellen Fahreignung (§ 2 Abs. 4 StVG1) bestehen. Hiervon abzugrenzen sind vorübergehende Einschränkungen der Fahrtauglichkeit, wie sie nach Verletzungen oder Operationen vorkommen.

 

Die alltäglich vorkommenden Fragen zur Fahrtauglichkeit erfordern keine verkehrsmedizinische Begutachtung, sondern nur entsprechende Empfehlungen des Arztes an seinen Patienten; jeder Arzt muss solche Empfehlungen aussprechen können und dabei die weitreichenden Konsequenzen für den Betroffenen, die Straßenverkehrssicherheit und den Arzt bedenken. Zu Fahreignung und Fahrtauglichkeit gibt es wenig wissenschaftliche Literatur, jedoch hilfreiche Handreichungen mit entsprechenden Empfehlungen.2, 3, 4

Jeder Arzt ist auch verpflichtet, Patienten unaufgefordert darüber aufzuklären, wenn er eine fehlende oder eingeschränkte Fahreignung festgestellt hat. Missachtet ein Patient ein ärztliches Fahrverbot, macht er sich u. U. strafbar (§ 315c Abs. 1 Nr. 1, § 316 StGB). In bestimmten Fällen werden vom Arzt in Abhängigkeit einer individuellen Wertung sogar darüberhinausgehende Maßnahmen verlangt, wenn der Patient dem Fahrverbot nicht folgt. Für Verletzungen der ärztlichen Schweigepflicht kann ein rechtfertigender Notstand vorliegen (§ 34 StGB).

Die selten vorkommenden Gutachten zur Fahreignung hingegen dürfen nur von Ärzten mit
einer verkehrsmedizinischen Qualifikation erstellt werden, die nach Curriculum „Verkehrsmedizinische Begutachtung“5 erlangt werden kann. Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie mit dieser Qualifikation werden in der Regel anlassbezogen mit verkehrsmedizinischen Begutachtungen zur Fahreignung beauftragt, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche Eignung eines  Fahrerlaubnisinhabers oder -bewerbers an den Tag bringen und diese auf dem Fachgebiet
O&U begründet sind. Dies ist typischerweise beim Erstantrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis, nach konkreten Vorkommnissen oder nach zufälligen Polizeikontrollen der Fall. Fragestellungen auf anderen Fachgebieten, z. B. zum Problemkreis Alkohol, dürfen fachgebietsfremd nicht begutachtet werden. Begutachtung eigener Patienten sollen nicht erfolgen (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 FeV6). Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet innerhalb einer gesetzten Frist die Beibringung eines Gutachtens auf Kosten der zu begutachtenden Person an (§11 Abs. 6 FeV) und formuliert die Fragestellung an den von der zu begutachtenden Person gewählten Arzt unter Überlassung der relevanten Akteninhalte. Ärzte, die mit der Erstellung beauftragt werden, müssen die Begutachtungsgrundsätze
nach Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV beachten. Neben der Fahrerlaubnisverordnung mit ihren Anlagen ist insbesondere die regelmäßig aktualisierte Begutachtungs-Leitlinie zur Kraftfahrteignung8 mit ihren allgemein anerkannten Leitsätzen für die Begutachtung relevant. Der Gutachter darf in besonderen Fällen hiervon abweichen, dann allerdings mit einer besonderen Darlegungs- und Begründungslast.

 

Abb. 1A–D
18-jährige Führerscheinanwärterin mit durch Orthoprothese ausgeglichener Beinverkürzung re. 11 cm, geringer Verschmächtigung des re. Beines, endgradig eingeschränkter Hüftgelenk- und Kniegelenkfunktion re. sowie Spitzfußkontraktur re. bei
angeborenem proximalem Femurdefekt re. und Fibulahypoplasie re, mehrfach operativ
behandelt. Verkehrsmedizinische Fragestellung nach Fahreignung für KFZ
der Klasse B wurde bejaht mit der Auflage, die vorhandene Orthoprothese
beim Führen des Fahrzeugs zu tragen.

Abb. 2A–C
53-jährige Frau mit Z. n. Rückfußamputation re. nach Chopart infolge Thrombangitis obliterans. Verkehrsmedizinische Begutachtung mit der Frage der Fahreignung von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 wurde bejaht mit Auflagen und Beschränkungen: Obligates Tragen der Prothese/Orthese, damit beim Führen von mehrspurigen Kfz bis
3,5 t zGG keine Beschränkungen. Bei mehrspurigen Kfz über 3,5 t zGG und lof Zugmaschinen (Ackerschlepper) Beschränkung auf Fahrzeuge mit Bremskraftverstärker
oder Fremdkraftbremsanlage sowie Dauerbremse bei automatischer Kupplung
ohne Abstellen des Motors während der Fahrt. Beim Führen von Krafträdern müsste eine Hinterradbremse links bei Fußschaltung mit linker Ferse zu betätigen sein und  Kupplung/Schaltung mit Hand oder Schaltung mit linker Fußspitze zu betätigen sein.

Typische Begutachtungsanlässe auf unserem Fachgebiet sind Einschränkungen der Übersicht im Straßenverkehr, z. B. durch Minderwuchs oder Wirbelsäulenfehlbildungen, sowie Funktionsminderung oder -verlust an oberen oder unteren Extremitäten, z. B. durch Dysmelien, Kontrakturen, starke Bewegungseinschränkungen oder Amputationen. Bei der gutachterlichen Beurteilung spielt die Frage einer möglichen Kompensation eine entscheidende Rolle. Unverzichtbar für Fahreignung sind die Möglichkeit zum Ein- u. Aussteigen ins Fahrzeug, zum Verladen notwendiger Hilfsmittel, ausreichende Übersicht und die Bedienung von Betriebs- und Feststellbremse, Schaltung, Gas, Lenkung, Scheibenwischer, Fenstern, Hupe, Blinker, Licht und Außenspiegel – jeweils ohne
Loslassen des Lenkrads – sowie die Fähigkeit zur Absicherung liegengebliebener Fahrzeuge. Ergibt die Untersuchung, dass die festgestellten Beeinträchtigungen ein stabiles Leistungsniveau bedingt gewährleisten oder dass besondere Bedingungen
die Gefahr des plötzlichen Versagens abwenden können, schlägt der Gutachter in Form von Auflagen oder Beschränkungen die Bedingungen vor, die vom begutachteten Verkehrsteilnehmer erfüllt werden müssen, um eine „bedingte Fahreignung“
zu erreichen (§ 46 FeV). Auflagen richten sich an den Führer eines Fahrzeugs, z. B. ein bestimmtes Hilfsmittel zu nutzen oder sich in zeitlichen Abständen ärztlichen Nachuntersuchungen zu unterziehen. Beschränkungen grenzen den Geltungsbereich einer Fahrerlaubnis auf bestimmte Fahrzeugarten oder Fahrzeuge mit besonderen Einrichtungen wie Handgasbetätigung oder Fußgas links, Lenkhilfen, Automatikgetriebe u. a. ein. Empfohlene Maßnahmen für Gesundheitsstörungen auf dem Fachgebiet O&U finden sich im Kapitel 3.3 „Bewegungsbehinderungen“, 3.9 „Krankheiten des Nervensystems“ und in den Abschnitten 2.1 bis 2.16 des Anhangs B der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung und werden später im Feld 12 des Führerscheins mit sog. Schlüsselzahlen9 nach Anlage 9 zu § 25 Abs. 3 FeV beziffert. Eine differenzierte indikationsbezogene Darstellung ist in diesem Übersichtsartikel mit limitiertem Umfang nicht möglich. Für mitunter teure Fahrzeugumrüstungen gibt es spezialisierte Unternehmen. Diese bieten ergänzend zu den sich durch Beschränkungen ergebenden Maßnahmen auch weiteres, zum Teil technisch beeindruckendes Fahrzeugzubehör an, welches Menschen mit handicaps eine Fahrzeugnutzung erleichtert, wie Ein u.  Ausstiegshilfen, Rollstuhlverlade- und halterungssysteme, Heckausschnitte, Rampen oder
Liftsysteme. Die Kenntnis solcher Möglichkeiten ist auch in der Patientenberatung hilfreich. Üblich ist ergänzend zur ärztlichen Begutachtung auch eine Fahrprobe der zu begutachtenden Person mit einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr.

Zusammenfassend ist verkehrsmedizinische Begutachtung eine verantwortungsvolle Aufgabe, die außer medizinischen auch juristische und technische Kenntnisse erfordert. Wenngleich Sicherheit im Straßenverkehr stets an erster Stelle steht, muss immer auch darauf geachtet werden, dass an behinderte Verkehrsteilnehmer im Vergleich mit nicht Behinderten keine unangemessen überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen.
Behinderte sind zum Erhalt ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe in besonderem Maße auf die Möglichkeit zur selbständigen Teilnahme am Straßenverkehr angewiesen. Die Begutachtung sollte, wenn vertretbar, immer gerade auch in der Intention erfolgen, eine Straßenverkehrsteilnahme ggf. unter Auswahl geeigneter Auflagen und Beschränkungen zu ermöglichen und eben nicht zu verhindern.

Dr. med. Karsten Braun, LL. M.
BVOU-Referat Presse/Medien

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

 

COVID-19 und/oder Postcovidsyndrom – Arbeitsunfall oder Berufskrankheit?

Grundsätzlich kann eine COVID-19-Erkrankung einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). darstellen. Letzterer wurden in diesem Zusammenhang seit Beginn der Pandemie bis zum 31.08.2021
160.931 Verdachtsanzeigen auf Berufskrankheit angezeigt. Davon wurden 103.244 Fälle anerkannt (darunter 51 Todesfälle). Bezüglich Arbeitsunfälle kam es demgegenüber zu 30.200 Meldungen, von denen mit 9.315 Fällen weniger als ein Drittel anerkannt wurden (darunter 33 Todesfälle).(siehe Quelle 1)

Was macht nun den Unterschied, ob ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt (im Detail nachzulesen unter)? (siehe Quelle 2,3)

COVID-19 wird unter Nummer 3101 in der Berufskrankheitenliste aufgeführt. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf Personen, die im Gesundheitsdienst, in der
Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium arbeiten und sich dort im Rahmen ihrer Tätigkeit mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren UND deshalb an COVID-19 erkranken. Gleiches kann für einen Personenkreis gelten, der im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der Infektionsgefahr in vergleichbarem Maße ausgesetzt war:

  • Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken, Physiotherapieeinrichtungen, Krankentransporte, Rettungsdienste oder Pflegedienstleistungen gehören beispielsweise dem Gesundheitsdienst an.
  • Einrichtungen der Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfe sowie zur Hilfe für behinderte oder psychisch erkrankte Menschen oder Menschen in besonderen sozialen Situationen (z. B. Suchthilfe oder Hilfe
  • Bei den Laboratorien kommen neben den wissenschaftlichen und medizinischen Laboratorien auch Einrichtungen infrage, die besonderen Infektionsgefahren ausgesetzt sind und in denen Beschäftigte mit Kranken in Berührung kommen können oder mit
    Stoffen umgehen, die kranken Menschen zu Untersuchungszwecken entnommen wurden.
  • Beim Personenkreis, der nicht zu den drei erstgenannten Punkten gehört, kommt es für die Anerkennung als Berufskrankheit darauf an, ob eine vergleichbare Infektionsgefahr vorgelegen hat und welcher Art die Kontakte mit infizierten Personen war. Letztere setzen
    einen unmittelbaren Körperkontakt (z. B. Ausüben des Friseurhandwerks) oder gesichtsnahe Tätigkeiten (z. B. kosmetische Behandlung) voraus.
  • Für andere Berufsgruppen, wie beispielsweise KassiererInnen oder Beschäftigte im Nah- und Fernverkehr, liegen aktuell keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse vor, dass jene einem vergleichbar erhöhtem Infektionsrisiko ausgesetzt sind.

Um als Berufskrankheit unter der Nummer 3101 anerkannt zu werden, müssen neben dem gesicherten Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zusätzlich zumindest klinische Symptome, wie beispielsweise Fieber, Husten, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Geschmackstörungen, Schlafstörungen u.a. auftreten.
Sollten erst zu einem späteren Zeitpunkt Gesundheitsschäden, die als Folge der Infektion anerkannt sind, auftreten, so kann eine Berufskrankheit ab diesem Zeitpunkt anerkannt werden. Falls sie Betroffene oder Bertoffener sein sollten, empfiehlt es sich, alle Unterlagen über ihren Erkrankungsverlauf zu sammeln und insbesondere, falls bekannt, die Kontaktdaten der vermeintlichen Infektionsquelle (Indexperson) festzuhalten.

An dieser Stelle sei auf das gemeinsame Merkblatt „COVID-19 als Berufskrankheit – Informationen für Beschäftigte im Gesundheitswesen“ von DGUV und der Deutschen Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI) hingewiesen, welches unter dem Link https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/3854 heruntergeladen werden kann.

COVID-19 als Arbeitsunfall

Die Erkrankung an COVID-19 kann, ohne die Voraussetzungen zur Anerkennung als Berufskrankheit zu erfüllen, unter bestimmten Bedingungen als Arbeitsunfall
anerkannt werden, wenn die Infektion mit dem CoronaVirus SARS-CoV-2 infolge einer versicherten Tätigkeit (Beschäftigung, (Hoch-) Schulbesuch, Ausübung bestimmter Ehrenämter, Hilfeleistung bei Unglücksfällen o.a.) erfolgt:

Nachweislich muss in diesem Rahmen ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person (“Indexperson”) stattgefunden haben und spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt die Erkrankung eingetreten bzw. der Nachweis der Ansteckung erfolgt sein.

Zur Beurteilung der Intensität des Kontaktes werden, basierend auf der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel in der Fassung vom 7. Mai 2021 und der Einschätzung des
Robert-Koch-Institut vom 31. März 2021, insbesondere die Dauer und örtliche Nähe des Kontaktes herangezogen:

  • Bei einem länger als 10 Minuten dauernden Kontakt mit einer Indexperson im näheren Umfeld kann es ohne das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes oder einer FFP2-Maske der Beteiligten zu einer Ansteckung kommen. In bestimmten Gesprächssituationen sind
    auch eine kürzere Zeitspanne denkbar. Selbst beim Tragen eines Mund-Nase-Schutzes oder einer FFP2-Maske kann es nach mehr als zehn Minuten bei hohen Raumkonzentrationen infektiöser Aerosole zu einer Ansteckung kommen.
  • Sollte es nachweislich bei der versicherten Tätigkeit im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld (z. B. innerhalb eines Betriebs oder einer Schule) der betroffenen Person eine größere Anzahl von infektiösen Personen unter Infektion begünstigenden Bedingungen gegeben haben, so kann es im Einzelfall auch ohne nachweisbaren intensiven Kontakt zu einer Indexperson zur Anerkennung als Arbeitsunfall kommen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Hinzuziehung von Einflussparametern, wie beispielsweise die Anzahl der nachweislich infektiösen Personen im engeren Tätigkeitsumfeld, die Anzahl der üblichen  Personenkontakte, eine geringe Infektionszahl außerhalb des versicherten
    Umfeldes sowie räumliche Gegebenheiten wie Belüftungssituation und Temperatur.
  • Sollte es auf dem Weg zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause zu einer Infektion mit Folge einer COVID19-Erkrankung gekommen sein, so ist es mitunter schwierig einen Kontakt mit einer infektiösen Indexperson nachweisen zu können. Dennoch kann unter
    den oben aufgeführten Bedingungen ein Arbeitsunfall vorliegen. Dabei ist vor allem an vom Unternehmen organisierte Gruppenbeförderungen oder Fahrgemeinschaften von Versicherten zu denken.
  • Auch wenn grundsätzlich der Aufenthalt in Kantinen als eigenwirtschaftlich und mithin als nicht versichert anzusehen ist, kann es in Ausnahmefällen sein, dass eine dort aufgetretene Infektion als Arbeitsunfall anerkannt wird. Sollte die Essenseinnahme in einer Kantine aus betrieblichen Gründen zwingend erforderlich oder unvermeidlich sein und befördern die Gegebenheiten (z. B. Raumgröße und -höhe, Lüftung, Abstandsmöglichkeiten) eine Infektion mit SARSCoV-2, kann ausnahmsweise Versicherungsschutz bestehen.
  • Für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gilt Ähnliches. Allerdings ist eine Anerkennung als Arbeitsunfall nur dann denkbar, wenn diese Art der Unterbringung Teil des unternehmerischen, wirtschaftlichen Konzeptes ist und sich daraus eine besondere
    Infektionsgefahr ergibt. Die Infektionsgefahr muss dabei über das übliche Maß hinausgehen und durch die Eigenheiten der Unterkunft (z. B. Mehrbettzimmer,
    Gemeinschaftswaschräume und -küchen, Lüftungsverhältnisse) begünstigt werden.
  • CAVE: Die Anerkennung als Arbeitsunfall ist mit hohen Anforderungen an die Kausalitätskette verbunden. So ist bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls stets zu berücksichtigen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt Kontakt zu anderen Indexpersonen in nicht versicherten Lebensbereichen, wie beispielsweise Familie, Freizeit oder Urlaub, bestanden haben könnte.

Bei der Überprüfung der zur Anerkennung als Arbeitsunfall notwendigen Voraussetzungen ist in jedem Einzelfall eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Aspekte, die für oder gegen eine Verursachung der COVID-19-Erkrankung durch die versicherte Tätigkeit  sprechen, obligatorisch. Nur die Infektion, die infolge der versicherten Tätigkeit eingetreten ist, erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles. (siehe Quelle 2)

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Literatur
1
https://www.dguv.de/medien/inhalt/mediencenter/hintergrund/
covid/dguv_zahlen_covid.pdf
2
https://www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_
arbeitsunfall/index.jsp
3
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/
article/3854

__________________________

PD Dr. med. habil. Axel Sckell
Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35
18057 Rostock
axel.sckell@med.uni-rostock.de

 

Dr. Gerd Rauch
Ärztlicher Leiter MVZ OCP Kassel
gGmbH Lichtenau
Leipziger Straße 164
34123 Kassel
gerdrauch@t-online.de
Fachgesellschaft Interdisziplinäre Medizinische Begutachtung

 

Dr. Stefan Middeldorf
Chefarzt der Orthopädischen Klinik
Schön Klinik Bad Staffelstein02
Am Kurpark 11
96231 Bad Staffelstein
SMiddeldorf@schoen-klinik.de
Fachgesellschaft Interdisziplinäre Medizinische Begutachtung

Differentialdiagnose des Rückenschmerzes im Kindes- und Jugendalter

Rückenschmerzen treten nicht nur bei Erwachsenen auf, sondern stellen auch ein  zunehmendes gesundheitliches Problem von Kindern und Jugendlichen dar.

Dies ist nicht nur für die Betroffenen und Behandelnden eine Herausforderung, sondern für das gesamte Gesundheitssystem – in Deutschland werden die minimalen Kosten für die Behandlung von Rückenschmerzen bei Patientinnen und Patienten unter 25 Jahren auf 100 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Entscheidender für unsere jüngsten Patientinnen und Patienten ist jedoch, dass sie häufiger den Schulunterricht verpassen und nur deutlich eingeschränkt an sportlichen und anderen Freizeitaktivitäten teilnehmen können.

Die Wahrnehmung von Rückenschmerzen bei Kindern hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. So wissen wir heute, dass Rückenschmerzen im jüngeren Alter nicht zwangsläufig Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung sind, sondern dass es wie bei Erwachsenen auch zu unspezifischen Schmerzen kommt. Dabei geben 10–30 % der Jugendlichen an, bereits an Rückenschmerzen gelitten zu haben. Die Prävalenz steigt mit dem Alter an, von ca. 1% bei 7-Jährigen über 6% bei 10- und 12% bei 12-Jährigen auf 18% bei Jugendlichen im Alter von 14–16 Jahren.

Zu den Risikofaktoren für die Entstehung unspezifischer Rückenschmerzen zählt neben dem Alter das Geschlecht. Mädchen zeigen dabei eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Rückenschmerzen zu leiden als Jungs. Weiterhin spielen psychosoziale Faktoren wie psychologische Belastungen eine wichtige Rolle in der Schmerzentwicklung und -wahrnehmung. Entgegen dem verbreiteten Eindruck zeigten Untersuchungen anderer möglicher Risikofaktoren wie der Körpergröße, des Körpergewichts und der Muskelkraft keine eindeutige Assoziation mit dem Auftreten von Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen.

Trotz der hohen Prävalenz unspezifischer Rückenschmerzen müssen mögliche zugrundeliegende Erkrankungen vor allem bei persistierenden Schmerzen ausgeschlossen werden. Entscheidend ist daher eine ausführliche Anamneseerhebung, welche gemeinsam mit den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten erfolgen sollte. Sie beinhaltet zunächst ein genaues Erfragen der Symptomatik mit Beginn und Dauer der Schmerzen, Schmerzintensität, Schmerzcharakter und Schmerzlokalisation. Um zwischen unspezifischen und spezifischen Schmerzen zu unterscheiden, sollten in jedem Fall red flags inklusive neurologischer Symptome wie Kraftgradminderungen oder Sensibilitätsstörungen, Störungen der Blasen- oder Mastdarmfunktion, Infektionszeichen, Tumorerkrankungen oder vorangegangener Traumata beachtet werden. Schmerzen, die nachts persistieren und unabhängig von körperlicher Aktivität auftreten, können ebenso wie Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Lethargie Hinweise auf ein infektiöses oder malignes Geschehen sein.

Morgensteifigkeit kann als erstes Symptom auf eine entzündliche Erkrankung deuten. Dies ist aus der Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten auf Kinder zu übertragen. Neben dem Erfassen jeglicher Vorerkrankungen und Medikation muss außerdem eine genaue Familien- und Sozialanamnese erhoben werden. Psychologische Faktoren spielen wie bei Erwachsenen auch in der Schmerzentstehung von Kindern eine große Rolle und können alleinige Ursache unspezifischer Rückenschmerzen sein. An dieser Stelle ist aufgrund des Rückenschmerzes als mögliches Symptom einer psychosozialen Belastungssituation darauf hinzuweisen, dass eine individuelle Anamneseführung auch mit dem Kind oder Jugendlichen alleine wichtig sein kann.

Die auf die Anamnese folgende fokussierte körperliche Untersuchung beinhaltet die Abklärung einer möglichen spinalen Asymmetrie, die sich in einer Imbalance der Schultern, Prominenz derSkapulae, thorakalen Asymmetrie, Beckenschiefstand oder einer  Beinlängendifferenz äußern kann, Zeichen oberflächlicher Defekte als Symptom kongenitaler spinaler Anomalien, eine Analyse des Gangbildes, eine Messung des Bewegungsumfangs der Wirbelsäule sowie eine neurologische Untersuchung.

Entsprechend der nationalen Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ werden bildgebende Verfahren erst eingesetzt, wenn in der Untersuchung ein neurologisches Defizit auffällt, das Kind über nächtliche, radikuläre oder mehr als vier Wochen persistierende Schmerzen klagt oder andere red flags vorhanden sind. Zwar ist bei Kindern wie bei Erwachsenen zunächst eine Röntgenaufnahme der betroffenen Region in zwei Ebenen indiziert, aufgrund der geringeren Strahlenbelastung kann jedoch auch primär eine Magnetresonanztomographie (MRT) angefertigt werden. Diese ist dem Röntgen aufgrund des hohen Kontrastauflösungsvermögens in der Darstellung von neuronalen Strukturen und Weichgeweben wie der Bandscheibe und der Muskulatur überlegen. Aufgrund der hohen Strahlenbelastung sollte eine Computertomographie nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden – eine CT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule geht mit ungefähr der achtfachen effektiven Strahlendosis einer Röntgenaufnahme einher. Besteht der Verdacht auf ein malignes oder infektiöses Geschehen, ist eine Laboruntersuchung mit Abnahme der Entzündungsparameter unabdingbar.

Die Behandlung von Rückenschmerzen bei Kindern ist abhängig von ihrer Ätiologie und dem klinischen Erscheinungsbild. Unspezifische Rückenschmerzen werden wie bei Erwachsenen ohne vorherige bildgebende Untersuchung mittels physiotherapeutischer Beübung zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur und dem zurückhaltenden Einsatz von Analgetika therapiert. Bei psychosozialen Belastungsfaktoren muss außerdem eine psychologische Mitbetreuung evaluiert werden.

Die häufigste Ursache für Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen ist der paravertebrale Muskelhartspann. Dieser kann entweder wachstumsbedingt auftreten oder – wobei nochkontrovers diskutiert – durch eine erhöhte Belastung beispielsweise durch schwere Schulranzen verursacht sein. Typischerweise sprechen diese unspezifischen Schmerzen auf eine konservative Therapie gut an und bessern sich nach einigen Wochen. Regelmäßige klinische Kontrollen sind vor allem bei Beschwerdepersistenz jedoch essentiell, um zugrundeliegende Pathologien nicht zu übersehen und um eine Schmerzchronifizierung zu vermeiden.

Obwohl spezifische Rückenschmerzen im Kindesund Jugendalter selten sind, müssen sie bei Auftreten der oben genannten red flags in Betracht gezogen werden. Zu den häufigen zugrundeliegenden Pathologien zählen mit einer Prävalenz von bis zu 6% aller Kinder die Spondylolyse und Spondylolisthese. Beide Krankheitsbilder äußern sich mit fokalem Schmerz, wobei in aller Regel die untere Lendenwirbelsäule betroffen ist, und sprechen gut auf eine konservative Therapie an. Etwas seltener sind Deformitäten der Wirbelsäule ursächlich für die Entstehung von Rückenschmerz, wobei vor allem die idiopathische Skoliose mit einer Prävalenz von 2–3% aller Kinder und Jugendlicher zu beachten ist, aber auch der Morbus Scheuermann durch die übermäßige Kyphose Schmerzen verursachen kann. Zu diesen und weiteren spezifischen Ursachen für Rückenschmerzen finden Sie weiterführende Artikel in diesem Infobrief.

Symptomatische Bandscheibenpathologien sind bei Kindern selten. Besteht jedoch der Verdacht auf eine solche Pathologie, sollte insbesondere bei radikulärer Symptomatik eine bildgebende Untersuchung mittels MRT erfolgen. Die konservative Behandlung dieser Pathologien führt in aller Regel zu aussichtsreichen Behandlungserfolgen, während die operative Behandlung ausschließlich bei neurologischen Defiziten indiziert und daher im klinischen Alltag eine absolute Rarität ist.

Leider gibt es trotz der steigenden Inzidenz von Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen wenig aussagekräftige Literatur zu seiner Entstehung und Behandlung. Nachgewiesen ist jedoch, dass Kinder und Jugendliche, die bereits eine Episode von Rückenschmerz erlitten haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von
Rückenschmerzen auch im Erwachsenenalter haben. Die Bedeutung von Schmerz und der damit einhergehenden massiven Einschränkungen in der Lebensqualität der Betroffenen muss daher stärker in unser Bewusstsein gerückt werden. Für von Rückenschmerzen betroffene Kinder hat die verminderte Teilnahme an Schulunterricht, Sport und anderen Aktivitäten über die physische Gesundheit hinausgehende gravierende Folgen.

Ein zunehmendes Verständnis zugrundeliegender Ursachen ist daher essentiell, um Schmerzen bereits vor ihrer Entstehung vorzubeugen oder sie bei Auftreten möglichst frühzeitig gezielt zu behandeln.

Rückenschmerzen – eine Kinderkrankheit?

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, Der vorliegende Infobrief beschäftigt sich speziell mit der kindlichen Wirbelsäule. Diese zeigt neben für das Kindes- und Jugendalter typischen Erkrankungen altersabhängige anatomische Besonderheiten, die in der Beurteilung zu Verunsicherungen führen können. Rückenschmerzen bei Kindern können verschiedenste Ursachen haben und sollten in keinem Fall bagatellisiert werden. Strukturelle Erkrankungen (Skoliose, Kyphose, Spondylolisthese etc.) und destruierende Erkrankungen (Entzündungen, Tumore, Verletzungen etc.) finden sich dabei ebenso wie der auch im Kindesund Jugendalter vorliegende unspezifische Rückenschmerz. Bei letzterem spielen Inaktivität, Gewichtszunahme und Gewohnheiten eine zunehmende Rolle. Jedoch ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht im Detail geklärt, wie strukturelle Voraussetzungen, biomechanische muskuloskelettale Abläufe oder psychosoziale Belastungssituationen zur Entstehung von Rückenschmerzen beitragen.

Mit diesem Infobrief wollen wir deshalb das Wissen über einige der häufigen strukturellen Erkrankungen auffrischen und aktuelle diagnostische Algorithmen und Therapiestrategien beleuchten. Andererseits ist es uns ein genauso großes Anliegen den unspezifischen Rückenschmerz bei Kindern zu adressieren.

Die Prävalenz vieler strukturellen Erkrankungen ist bei Mädchen höher als bei Jungen. Das klassische Beispiel hierfür wäre die idiopathische Skoliose. Jedoch ist hervorzuheben, dass auch Mädchen häufig an unspezifischen Rückenschmerzen leiden. Mit Sicherheit gilt bei beiden Geschlechtern, dass eine differenzierte Anamnese und zielgerichtete Untersuchung als grundlegende Voraussetzung für die Therapieplanung gesehen werden müssen.

Für viele spezifische Krankheitsbilder und im Speziellen bei unspezifischen Rückenschmerzen liegen neue Untersuchungen vor, welche zeigen, dass das frühe Erkennen und das Einleitungen einer frühzeitigen Therapie entscheidend für den weiteren Verlauf sind.

Glücklicherweise gibt es für die häufigsten Krankheitsbilder der Wirbelsäule bei Kindern, die in diesem Infobrief näher betrachtet werden, mittlerweile eindeutige Richtlinien bezüglich der Frage nach der richtigen Therapie zum richtigen Zeitpunkt, damit auch nach der Frage konservativ versus operativ.

An dieser Stelle möchten wir auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur redaktionellen Mitarbeit und Gestaltung an zukünftigen Ausgaben unserer erfolgreichen  Mitgliederzeitschrift motivieren und danken Janosch Kuno aus der BVOU-Pressestelle herzlich für die Unterstützung und Realisierung des aktuellen Hefts

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Wirbelsäulentrauma im Kindes- und Jugendalter

Kindliche Verletzungen der Wirbelsäule sind selten. Die Lokalisation der Verletzung sowie die zugrundeliegenden Ursachen variieren mit dem Lebensalter. Anatomische Charakteristika stellen besondere Herausforderungen an die bildgebende Diagnostik und Therapie. Aufgrund der biomechanischen Besonderheiten der heranwachsenden Wirbelsäule können im Vergleich zum Erwachsenen etablierte Therapien nicht undifferenziert übernommen werden.

Wie auch die aktuelle Multicenterstudie der Arbeitsgruppe Wirbelsäulentrauma im Kindesalter der Sektion Wirbelsäule der DGOU ergeben hat, sind Stürze und Verkehrsunfälle die häufigsten Ursachen für Verletzungen der Wirbelsäule. Typische Begleitverletzungen wie Verletzungen im Bereich des Kopfes und der Extremitäten gehen
häufig mit einer Wirbelsäulenverletzung einher.

Weitere Verletzungen finden sich meist in benachbarten Wirbeln. Die HWS-Verletzungen treten eher bei jüngeren Kindern auf. Je jünger die Patienten waren, desto eher fanden sich die Verletzungen im Bereich der oberen HWS. Ältere Kinder zeigen eher Verletzungen im thorakolumbalen Bereich.

Begleitende neurologische Defizite sind selten. Zumeist können die Verletzungen konservativ behandelt werden, dennoch benötigten 25% der Kinder eine operative Versorgung.

Merke: Kindliche Wirbelsäulenverletzungen sind selten und ihre Charakteristika abhängig vom Alter.

Besonderheiten der kindlichen Wirbelsäule

Aufgrund der anatomischen Besonderheiten der wachsenden Wirbelsäule sind sowohl für die Diagnostik als auch Therapie Kenntnisse über die anatomischen Besonderheiten der heranwachsenden Wirbelsäule wichtig.

  • Die Verknöcherung der unterschiedlichenOssifikationszentren der Wirbelsäule ist altersabhängig und, je nach Region, unterschiedlich. Zur Beurteilung der Wirbelsäule im Kindes- und Jugendalter ist deren Kenntnis Voraussetzung.
  • Die anteriore physiologische Keilform der Wirbelkörper, insbesondere im Bereich der HWS, zeigt sich typischerweise bei jüngeren Kindern und sollte nicht mit Frakturen verwechselt werden.
  • Das Hauptbewegungssegment der Halswirbelsäule bei Kindern unter 8 Jahren
    ist zwischen dem 2. und 3. Halswirbelkörper. Pseudoluxationen, auch Stufenphänomen“ genannt, können in diesem Bereich bei mehr als einem Drittel aller Kinder beobachtet werden und haben keinen Krankheitswert.
  • Auch die ligamentären und muskulären Besonderheiten sind zu beachten: Beim
    Kleinkind artikuliert der Kopf mit dem Atlas horizontal. Die horizontalen und noch flachen Facettengelenke werden hier von einem schwachen Muskelapparat mit laxen Bandstrukturen bei großer Kopf-KörperRelation gehalten. Mit zunehmendem Wachstum vergrößern sich die Neigungswinkel der Gelenkflächen bei C1/ C2 von 55° auf 70° und bei C2–C4 von 30° auf 60°–70°, wodurch eine höhere knöcherne Stabilität resultiert, zudem nimmt auch die muskuloligamentäre Stabilität zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr zu und ähnelt bald dem Erwachsenen.

Für eine bessere Übersicht erscheint die von der AG Wirbelsäulentrauma im Kindesalter vorgeschlagene Alterseinteilung sinnvoll: I: 0 bis 6 Jahre, II: 7 bis 9 Jahre und III: 10 bis 16 Jahre.

Anamnese und klinische Untersuchung

Die Anamneseerhebung bei verunfallten Kindern ist meist erschwert. Da es sich oft um unbeobachtete Ereignisse handelt, ist die Fremdanamnese häufig leer.

Umso wichtiger ist die klinische Untersuchung. Hier deuten äußere Verletzungszeichen wie Schürfwunden und Hämatome, aber vor allem ein Druckund Klopfschmerz sowie eine tastbare Lücke zwischen den Dornfortsätzen auf eine Wirbelsäulenläsion hin.Gerade bei den Verletzungen der oberen Halswirbelsäule im Kleinkindalter zeigt sich oftmals eine Einschränkung der Beweglichkeit. Ältere Kinder beschreiben z. B. bei einer Densfraktur auch oftmals ein Instabilitätsgefühl während der aktiven Bewegung oder stützen ihren Kopf.

Die als Torticollis traumaticus bezeichnete Fehlstellung des Halses aufgrund eines akuten Traumas kann z. B. durch eine eine rotatorische atlantoaxiale Dislokation hervorgerufen sein.

Obligat ist zudem die orientierende neurologische Untersuchung der Sensibilität, der Motorik  und der Reflexe. Ein segmentbezogenes neurologisches Defizit kann Hinweise auf das Vorliegen einer Rückenmarks-, Nervenwurzel- oder Plexusverletzung geben. Damit können Höhe sowie Ausmaß der Läsion eingrenzend bestimmt werden.

Bildgebende Diagnostik

Die bildgebende Diagnostik sollte mit einer minimalen Strahlenbelastung erfolgen, da Kinder mehr als Erwachsene durch Strahlung geschädigt werden. Gleichzeitig kann eine übersehene oder unterschätze Verletzung für das betroffene Kind  schwerwiegende Folgen haben.

Daher ist die Indikation zur MRT- Untersuchung großzügig zu stellen, auch wenn im Kleinkindalter hierfür häufig eine Sedierung notwendig ist. Der hohe Anteil von seriellen Kompressionsfrakturen (Abb. 1) sowie der notwendige Ausschluss diskoligamentärer Instabilitäten macht sie vor allem auch bei Monoverletzungen, unabdingbar. Die

Röntgendiagnostik hat weiterhin ihre Berechtigung,  allein schon wegen der schnellen Verfügbarkeit. Durch ärztlich (!) geführte dynamische Aufnahmen können zudem z. B. Instabilitäten im Bereich der HWS detektiert werden.

Das Computertomografie (CT) findet Anwendung bei Mehrfachverletzungen, komplexem Verletzungsmechanismus und kreislaufinstabilen, intubierten Kindern. Verbesserte Low-doseProtokolle sorgen für eine Reduzierung der Strahlbelastung. Darüber hinaus ist sie bei Kompressionsfrakturen zur Planung einer operativen Therapie hilfreich. Reitende Luxationen im Bereich der HWS z. B. sind nur mit der CT ausreichend darstellbar, ebenso wie Gelenkfrakturen oder unklare Rotationsfehlstellungen der HWS.

Klassifikation von Verletzungen

Halswirbelsäule

Die Klassifikation von Verletzungen der Halswirbelsäule im Kindesalter kann nur in Abhängigkeit vom Alter des Kindes erfolgen. Die für erwachsene Patienten weit verbreiteten traditionellen Klassifikationen sowie auch die Klassifikation der AO Spine für Frakturen der Halswirbelsäule können für die Altersgruppen I und II nicht übernommen werden. Verletzungen der Halswirbelsäule beim Kind mit noch offenen Wachstumsfugen (Altersgruppen I und II) führen in der Regel zu Verletzungen der Epiphyse oder der Synchondrosen, weil diese die schwächsten Glieder im jeweiligen Bewegungssegment darstellen. In der Regel treten Zerreißungen auf, die sich in der Bildgebung als Erweiterungen der Epiphyse darstellen.

Im Bereich der oberen Halswirbelsäule können in allen Altersgruppen die bekannten klassischen Verletzungen auftreten. So ist altersabhängig der entsprechende Entwicklungsstand der Wirbelsäule zu bedenken, was beispielsweise bei der Detektion der häufigen Synchondrosenverletzungen im Densbereich oder bei Atlasfrakturen zu beachten ist.

Die Subluxation im atlantoaxialen Segment ist eine der häufigsten Ursachen des kindlichen Schiefhalses und wird häufig zu spät erkannt. Nach einem Infekt der oberen Atemwege als der häufigsten Ursache (als Grisel- Syndrom bekannt) ist das Trauma der zweithäufigste Auslöser.

Im Bereich der subaxialen Halswirbelsäule erfolgt die Einteilung der Epiphysenverletzungen – wie auch im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule – nach Salter und Harris (<8 Jahre). Ab dem 10. Lebensjahr verschwinden die für Kinder
speziellen Verletzungsmuster der Halswirbelsäule, sodass in der Altersgruppe III sämtliche Klassifikationen, welche für den erwachsenen Patienten erstellt wurden, angewendet werden können.

Brust- und Lendenwirbelsäule

Die Einteilung der Verletzungen erfolgt analog zu der oben aufgeführten Klassifikation subaxialer (C3-C7) Verletzungen. Dabei können Frakturen mit einer Kompression des Wirbelkörpers ohne wesentliche oder geringe Dislokation als stabil beschrieben werden. Instabile Frakturen hingegen werden als Wirbelkörperkompression mit  Gelenkfortsatzfraktur und/ oder Bogenfraktur/Bogenwurzelfraktur oder zusätzlicher Bandläsion jeweils in Kombination mit einer Fehlstellung definiert.

Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelkörper sind zudem Abrisse der Synchondrosen zwischen den Bogenkernen und dem bipolaren neurozentralen Knorpel in Form einer traumatischen Spondylolyse möglich.

Bei Kindern/Adoleszenten (>8–18 Jahre) kann es zur Verletzung der ringförmigen Wirbelkörperrandleiste (Apophysenring) kommen. Hierbei handelt es sich um eine frakturierte Wachstumsfuge, die sich zum Teil spontan reponieren kann und so häufig der konventionellen Diagnostik verborgen bleibt. Die meisten Apophysenabrisse liegen bei den meist männlichen Adoleszenten lumbal-kranial, selten thorakal oder zervikal. Als Ursache werden chronische Überlastungen durch Sport oder ein adäquates Monotrauma angenommen. Die Symptome können einer Diskushernie ähneln. Die Einteilung erfolgt nach Takada und Epstein, wobei prinzipiell zwischen einer Dislokation nach ventral (betroffen Anulus fibrosus und vorderes Längsband) und die häufigere Dislokation nach dorsal unterschieden wird.

Therapie

Das Ziel der Therapie von kindlichen Wirbelfrakturen ist eine Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse und der Stabilität. Der Großteil der Verletzungen kann konservativ versorgt werden. Je älter die Kinder jedoch werden, umso fließender ist der Übergang zum bekannten Behandlungsregime beim Erwachsenen.

Hierbei ist das unterschiedliche Korrekturund Regenerationspotenzial der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte zu beachten. Mit zunehmender Instabilität wird eine operative Behandlung notwendig. So wird eine frühe Schmerzlinderung erreicht, eine progrediente Deformierung vermieden und nervale Strukturen durch eine frühzeitige Dekompression geschützt bzw. entlastet. Bei neurologischem Defiziten ist in aller Regel eine operative Entlastung (Dekompression) der neuralen Strukturen erforderlich. Die mögliche Ausbildung sekundärer Deformitäten zu beachten.

Instabilitätskriterien

Die AO-Klassifikation gibt Hinweise auf den Grad der Instabilität:

  • A0-Frakturen sind als stabil anzusehen, ebenso Impressionsfrakturen vom Typ A1: Hier kann es allerdings bei einem Grunddeckplattenwinkel von 15–20° zu einer weiteren Fehlstellung kommen, ein Wirbelkörperödem über zwei Drittel des Wirbelkörpervolumens wird auch als Instabilitätskriterium angesehen.
  • Liegt bei Typ-A2-Verletzungen eine Bandscheibenbeteiligung vor, kann ebenfalls eine Instabilität vorliegen, v.a. wenn zusätzlich auch ein Grunddeckplattenwinkel von 15–>20° vorliegt.
  • A3-Frakturen zeigen eine Verletzung der vorderen und mittleren Säule, i.d.R. ist die Bandscheibe mit betroffen.
  • Das Gleiche gilt für komplette Berstungsbrüche vom Typ A4.
  • B-Verletzungen mit Versagen der dorsalen oder ventralen osteoligamentären Zuggurtung gelten wie Typ-C-Frakturen als instabil.
  • Zudem werden eine Höhenreduktion der Wirbelkörper von >40–50% ebenso wie eine Spinalkanaleinengung >40–50% als Instabilitätskriterien gewertet.

Konservative Therapie

Aus der Literatur ist die Spontankorrekturfähigkeit keilfömig komprimierter Wirbelkörper im Kindesund Jugendalter bekannt, ab Risser-Stadium 3 ist diese jedoch reduziert. Generell können persistierende ventrale Kyphosewinkel bis zu 10° gut kompensiert werden.

Im Risser-Stadium 1–2 (Ossifikation von maximal ein bzw. zwei Dritteln der Beckenkammapophyse) auch 10–20°. Laterale Kompressionen zeigen i.d.R. keine spontane Verbesserung und sollten eher korrigiert werden. Bei Risser-Stadium ≤2 wird bei einer Keilwirbelbildung von mehr als 10° das Tragen eines Reklinationskorsetts zur Druckentlastung der Wachstumszone und Stimulation des vorderen Wirbelkörperwachstums empfohlen. Eine konservative Ausheilung ist zudem bei rein ossären Chance-Frakturen im reklinierenden Korsett möglich.

Bei Kompressionsfrakturen im oberen BWSBereich ohne weitere thorakale Verletzung mit einem Kyphosewinkel ≤ 15° ist die frühfunktionelle Behandlung nach kurzer Bettruhe und suffizienter Analgesie mit Krankengymnastik, Rückenschulung und Muskelaufbau die zu empfehlende Therapie. Eine Sportkarenz sollte für 3 Monate eingehalten werden. Zur Verlaufskontrolle werden von den Autoren nach 3 und 6 Wochen bei exakter Darstellung der betroffenen Region an Heranwachsende adaptierte Zielaufnahmen mit reduzierter Strahlenbelastung sowie nach 6 Monaten und einem Jahr empfohlen.

Bandscheibenschaden

Aufgrund der besseren Kompensationsmechanismen scheint insbesondere bei Kindern der Bandscheibenschaden keine so wesentliche Rolle zu spielen, während Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr bezüglich begleitender Bandscheibenschäden und Regenerationsoptionen den Erwachsenen ähneln. Laut Literatur wiesen in einer MRT-Untersuchung mindestens ein Jahr nach thorakolumbaler Berstungsfraktur und konservativem Vorgehen Kindern, die 14 Jahre oder jünger waren, keine Bandscheibenläsionen auf. Dem gegenüber zeigten sich bei den über 15-jährigen Patienten mehrheitlich Bandscheibenschäden in den frakturangrenzenden Segmenten. Im Zweifelsfall sollte hier die Indikation zum MRT, gegebenenfalls auch im Verlauf, großzügig gestellt werden.

Merke: Der Großteil der kindlichen Wirbelsäulenverletzungen kann konservativ behandelt werden. Dazu müssen aber Instabilitätskriterien vorher sicher ausgeschlossen werden.

Operative Therapie

HWS

Im Bereich der oberen HWS sind die meisten instabilen Verletzungen gut mit dem Halofixateur für bis zu 12 Wochen zu adressieren. Bei persistierender Instabilität oder nicht reponiblen Verletzungen können aber auch Osteosynthesen bzw. in seltenen Fällen Spondylodesen notwendig werden. Subaxiale Verletzungen von HWK 3 bis HWK 7 treten eher bei jugendlichen Patienten auf. Die therapeutische Strategie richtet sich, folgend den Kriterien der AO Spine Klassifikation, nach der hier beschriebenen Verletzungsmorphologie.

Bei den meisten instabilen Verletzungen wird die ventrale Plattenspondylodese mit interkorporeller Abstützung (bei Berstungskomponente durch partielle oder komplette Korporektomie und Wirbelkörperersatz) empfohlen (Abb. 2). Eine rein dorsale oder zusätzlich dorsale Stabilisierung kann bei besonderer Befundkonstellation möglich oder sogar notwendig sein. In diesen Fällen ist zumeist die Instrumentierung mit Massa lateralis Schrauben ausreichend.

Thorakolumbal

Bei älteren Kindern und Erwachsenen folgen Stabilisierungen der thorakolumbalen Wirbelsäule den Grundsätzen der Erwachsenentherapie und den oben beschriebenen Instabilitätskriterien der AOKlassifikation. Isolierte Laminektomien sind bei Kindern kontraindiziert, außer es findet sich eine  anders nicht zu behebende mechanische Einengung des Spinalkanals mit zuzuordnenden neurologischen Defiziten. Andernfalls können so im weiteren Wachstum erhebliche Deformitäten erzeugt werden.

Die Instrumentierung erfolgt je nach Frakturmorphologie mono-, bi- oder im Bereich der thorakalen Wirbelsäule je nach verletzungsform auch multisegmental (Abb. 3). Dislozierte ligamentäre Verletzungen sollten zuerst reponiert werden und je nach Alter des Kindes durch Verbinden der Dornfortsätze durch Cerclagen oder im fortgeschrittenen Alter ebenfalls mit einem dorsalen Fixateur stabilisiert werden. Bei sehr kleinen Kindern können die Dornfortsätze auch mit Polydioxanonkordeln oder FiberWire®-Fäden verbunden werden, die Nachbehandlung sollte dann im Korsett erfolgen.

Wenn möglich kommen minderinvasive Verfahren mit kurzstreckigen dorsalen Stabilisierungen bei guter Aufrichtung durch die Lagerung mit minimalinvasiven Repositionssystemen zur Anwendung. Eine Materialentfernung sollte zumeist
frühzeitig nach 6–9 Monaten erfolgen, bei Verdacht auf eine Bandscheibenschädigung sollte vorher eine MRT-Untersuchung durchgeführt werden.Thorakolumbale Apophysenschäden mit in den Spinalkanal dislozierten Geweben müssen bei neurologischen Symptomen chirurgisch entfernt werden.

Ventrale Spondylodesen sind i. d. R. bei jüngeren Patienten nicht erforderlich. Selten werden diese Verfahren mit Wirbelkörperersatz bzw. Cage im Falle notwendiger Korrekturen bei ausgeprägten Fehlstellungen benötigt.

Prognose

Die Prognose von HWS- Verletzungen im Kindesund Jugendalter ist sehr gut, wenn die Verletzung frühzeitig diagnostiziert wird. Inkomplette neurologische Defizite haben bei Kindern eine relativ gute Prognose, da das Regenerationspotential hoch ist. Komplette Querschnittsyndrome dagegen erfahren auch bei Kindern selten eine Verbesserung. Fehlstellungen werden teilweise über das weitere Wachstum ausgeglichen, vor allem je jünger die Kinder zum Zeitpunkt der Verletzung sind. Unter 12 Jahren zeigt sich nur selten eine persistierende kyphotische Fehlstellung, da hier durch die Wachstumszonen ausgeglichen wird. Segmentale Kyphosen sind selten >10°. Kaum ausgeglichen werden frontale Fehlstellungen; hier können im weiteren Verlauf posttraumatische Skoliosen entstehen, die jedoch selten 20° überschreiten. Auch bei den häufigen Serienkompressionsfrakturen und Keilimpaktionsfrakturen ist eher selten mit posttraumatischen Deformitäten beim jungen Patienten zu rechnen. Endplattenfrakturen korrigieren sich i. d.R. nicht, hier kann dann eine Störung des Wachstums die Folge sein. Verletzungen der Endplatten und Bandscheiben können zudem zu Spontanfusionen des Segments führen.

Literatur bei den Autoren

Kompressionssyndrome peripherer Nerven der oberen Extremität: Anatomy is the key

Nervenkompressionssyndrome der oberen Extremität werden aufgrund ihrer klinischen Ähnlichkeit zu orthopädischen Krankheitsbildern oft spät erkannt. Entscheidend für die Differenzierung sind die klinische Untersuchung und die Kenntnis anatomischer Prädilektionsstellen. Ergänzend sind neurologische Untersuchungen wie  Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie sowie eine Bildgebung mittels MRT oder Ultraschall oft wegweisend. Bei rechtzeitiger Therapie kann so nicht nur der Leidensdruck der Patienten gesenkt, sondern auch ein langfristiger Schaden von Nerv und Muskulatur verhindert werden. Ziel dieses Beitrags ist es, anhand der anatomischen Verläufe der Nerven der oberen Extremität anatomische Engstellen aufzuzeigen und die entsprechenden Kompressionssyndrome anhand ihrer Symptomatik und deren
Therapieoptionen zu erläutern.

Nervenkompressionssyndrome stellen eine wichtige Differentialdiagnose verschiedener orthopädischer Krankheitsbilder dar. Da insbesondere die Schmerzsymptomatik und -lokalisation orthopädischen Krankheitsbildern wie z. B. dem therapierefraktären Schulterschmerz ähneln1, bleiben sie oft unerkannt und führen in der Folge zu therapierefraktären Verläufen mit einem hohen Leidensdruck und irreversiblen chronischen Schäden von Nerv und Muskulatur.

Klinisch sind Nervenkompressionssyndrome durch Schmerzen, Sensibilitätsstörungen sowie funktionelle Einschränkungen mit motorischen Ausfällen und, im fortgeschrittenen Stadium, konsekutiver Atrophie der betroffenen Muskulatur charakterisiert. Die  rechtzeitige Therapie hat das Potential nicht nur eine Verbesserung der Symptomatik, sondern auch eine Remyelinisierung zu ermöglichen. Daher sollte bei therapierefraktären orthopädischen Krankheitsbildern insbesondere mit Parästhesien und muskulären Atrophien eine gezielte Diagnostik erfolgen. Diese umfasst eine neurologische Untersuchung mittels Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und Elektromyographie (EMG), ergänzt durch bildgebende Verfahren wie MRT oder Neurosonographie, um neben der Kompression an anatomischen Engstellen andere Kompressionsursachen wie z. B. Lipome, Tumore oder Ganglien auszuschließen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Kompressionssyndrome der oberen Extremität mithilfe ihrer anatomischen Verläufe dargestellt werden.

Kompression des Nervus medianus

Der N. medianus entspringt dem lateralen (C5–C7) und medialen Faszikel (C8–Th1) des Plexus brachialis. Die Kompression des N. medianus ist hierbei auf unterschiedlichen Höhen möglich. Proximal kann am distalen Oberarm ein sogenanntes Struther‘sches Ligament vorkommen, welches am ventralen Humerus von einem knöchernen Vorsprung zum Epicondylus medialis zieht. Symptomatisch zeigen sich folglich Parästhesien der typischen Innervationsgebiete der Hand und Paresen der Unterarm-Flexoren sowie des M. flexor carpi radialis (FCR), M. pronator teres (PT) und M. palmaris longus (PL).

Bei Kompression an der Durchtrittsstelle durch die Köpfe des M. pronator teres kommt es zum Pronator-Teres-Syndrom, das klinisch dem Karpaltunnelsyndrom (KTS) stark ähnelt. Bei genauer Untersuchung zeigt sich jedoch die Symptomatik durch Pronation im Unterarm (z. B. PC-Arbeit) verstärkt und es kommt zusätzlich zu Parästhesien im Thenarbereich, die durch den anatomischen Abgang des sensiblen R. palmaris proximal des Karpaltunnels beim KTS nicht vorkommen.2–5 Das KTS stellt mit einer Prävalenz von 5–10% der Bevölkerung das mit Abstand häufigste Kompressionssyndrom dar. Dabei sind Frauen viermal häufiger betroffen als Männer. Bekannte Risikofaktoren für die Entstehung sind Übergewicht, Diabetes mellitus, dialysepflichtige Niereninsuffizienz, rheumatoide Arthritis sowie Schwangerschaft (Prävalenz bis zu 17%).3, 6 Durch eine Synovialitis kommt es zu einem Druckanstieg in der anatomischen Engstelle des Karpaltunnels mit konsekutiver Kompression des N. medianus. Klinisch ist das KTS durch vor allem nächtlich auftretende Schmerzen sowie Parästhesien der ersten dreieinhalb Finger gekennzeichnet, bei weiterem Fortschreiten begleitet von einer Atrophie der Thenarmuskulatur.

Diagnostisch können ein positives HoffmannTinel-Zeichen über dem Karpaltunnel sowie der Phalen- bzw. Durkan-Test hinweisend sein.7–9 Aufgrund ihrer begrenzten Spezifität sollte die Diagnosesicherung aber über eine neurologische Diagnostik erfolgen.10–12

Kompression des Nervus ulnaris

Der N. ulnaris geht aus dem medialen Faszikel des Plexus brachialis (C7/8–Th1) hervor und zieht ohne Abgänge mit der A. brachialis nach distal. Proximal des Epicondylus medialis durchtritt er einen Kanal aus dem Septum intermusculare und dem medialen Kopf des M. triceps brachii, der bei ca. 70–80% der Bevölkerung fibrös angelegt ist und zu einer
Kompression des Nerven führen kann.13 Am häufigsten kommt es zu einer Kompression des Nervens im Kubitaltunnel und in der Loge de Guyon, die zur sogenannten „Radfahrerlähmung“ mit Parästhesien im Bereich des ulnarseitigen Ring- und des gesamten Kleinfingers führt und im fortgeschrittenen Stadium von einer Atrophie der intrinsischen Handmuskulatur mit positivem Froment-Zeichen begleitet wird. Da es im Unterschied zum KTS aufgrund der fehlenden Synovialitis zu einer höheren Spontanremissionsrate kommt, sollte eine chirurgische Dekompression durch Spaltung des Lig. pisohamatum in frühen Stadien zurückhaltend indiziert werden. Das Kubitaltunnelsyndrom präsentiert sich dagegen mit zusätzlichen Parästhesien der ulnaren Handkante sowie einer Schwäche der durch den N. ulnaris innervierten extrinsischen Muskulatur distal des Ellenbogens. Zu den therapeutischen Optionen zählen die endoskopische oder offene Dekompression und Neurolyse des Nervens, die  Vorverlagerung (subkutan/submuskulär/intramuskulär) oder die subperiostale Epikondylektomie.3

Kompressionen des Nervus radialis

Der N. radialis geht aus dem posterioren Faszikel des Plexus brachialis (C4-Th1) hervor, verläuft spiralförmig um den Humerus und gibt die motorischen Äste zum M. triceps brachii sowie den N. cutaneus brachii posterior ab. Kommt es durch direkten Druck im Bereich des Oberarms zu einer Kompression des Nervens, resultiert eine meist passagere Parese („Parkbank-Lähmung“). Im Anschluss zieht der Nerv proximal des Epicondylus lateralis nach ventral unter Abgabe motorischer Äste zur Innervation des M. brachioradialis und des M. extensor carpi radialis longus (ECRL). Unmittelbar distal des Ellenbogens spaltet er sich in den sensiblen R. superficialis (RSNR) und den R. profundus. Mögliche Kompressionsstellen entstehen hier durch die den N. interosseus posterior (NIP) querenden Aa. recurrantes radiales („Leash of Henry“) sowie die Frohse-Arkade beim Eintritt in die Supinatorloge.3, 14–16 Das NIP-Syndrom (Supinatortunnel-/Supinatorlogen-Syndrom) zeichnet sich durch eine fortschreitende Lähmung der Extensoren der Langfinger und des Daumens aus, beginnend beim Kleinfinger mit Ausbreitung nach radial. Auslöser sind oft repetitive Bewegungsmuster die zu einer Druckerhöhung in der Supinatorloge führen. Im Unterschied zur differentialdiagnostischen lateralen Epicondylitis, die zu Schmerzen im Bereich des Ellenbogens und Kraftverlust führt, bleibt beim NIP-Syndrom die Handgelenksstreckung voll erhalten.17 Therapeutisch ist die chirurgische Dekompression hierbei das Mittel der Wahl.

Eine weitere Kompressions-Prädilektionsstelle ist der Durchtritt des RSNR durch die Unterarmfaszie ungefähr 9 cm proximal des Tuberculum listeri. Diese Kompression des RSNR (WartenbergSyndrom) entsteht meist durch scherenförmige Einklemmung durch die Sehnen des M. brachioradialis und des ECRL.18 Klinisch imponieren Schmerzen bzw. Parästhesien des dorsoradialen Handgelenks sowie des Daumens und ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen an der Durchtrittstelle sowie eine Schmerzverstärkung bei Handgelenksextension. Therapeutische Optionen sind die Infiltration von Lokalanästhetika sowie die operative Dekompression.

Kompression des Nervus axillaris

Der N. axillaris entstammt dem posterioren Faszikel des Plexus brachialis (C5, C6). Über den N. cutaneus brachii lateralis superior (NCBLS) innerviert er einen Teil der Schultergelenkkapsel sowie sensibel das Hautareal über dem M. deltoideus. Motorisch ist er für die Innervation des M. deltoideus und M. teres minor verantwortlich. Eine mögliche Kompressionsstelle ist der gemeinsame Durchtritt durch die laterale Achsellücke mit der A. und V. circumflexa humeri posterior, die insbesondere bei Armabduktion aber auch durch Muskelhypertrophien oder fibröse Bänder eingeengt werden kann.19–21 Eine Kompression äußert sich durch Schmerzen über dem M. deltoideus, die durch längeres Überkopfarbeiten oder bestimmte Sportarten (z. B. Volleyball, Tennis, Schwimmen) mit wiederholter Abduktion bzw. Elevation der Arme verstärkt werden. Schmerztherapeutisch kann initial die Infiltration von Lokalanästhetika hilfreich sein, bei protrahierten Verläufen gegebenenfalls ergänzt durch die chirurgische Dekompression.

Zusammenfassung

Kompressionssyndrome der oberen Extremität sind durch eine vielfältige Symptomatik, welche oft orthopädischen Krankheitsbildern ähnelt, gekennzeichnet. Exakte anatomische Kenntnisse sind wegweisend für die Differenzierung beider Genesen. Eine gezielte Diagnostik mittels neurologischer Untersuchung und Bildgebung sind nicht nur zur Ursachensuche, sondern auch für die Therapieentscheidung relevant. Differenzialdiagnostisch sollten zusätzlich Laboruntersuchungen bezüglich Infektionen, Herpes Zoster oder Krankheiten des rheumatischen Formenkreises erfolgen. Die Therapie reicht von konservativen Maßnahmen mit physiotherapeutischer Beübung, über die Infiltration bis zur chirurgischen Dekompression. Im Zweifel sollte die Zuweisung in ein auf die Behandlung von peripheren Nervenläsionen spezialisiertes Zentrum erfolgen.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion