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Rückenschmerzen – eine Kinderkrankheit?

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, Der vorliegende Infobrief beschäftigt sich speziell mit der kindlichen Wirbelsäule. Diese zeigt neben für das Kindes- und Jugendalter typischen Erkrankungen altersabhängige anatomische Besonderheiten, die in der Beurteilung zu Verunsicherungen führen können. Rückenschmerzen bei Kindern können verschiedenste Ursachen haben und sollten in keinem Fall bagatellisiert werden. Strukturelle Erkrankungen (Skoliose, Kyphose, Spondylolisthese etc.) und destruierende Erkrankungen (Entzündungen, Tumore, Verletzungen etc.) finden sich dabei ebenso wie der auch im Kindesund Jugendalter vorliegende unspezifische Rückenschmerz. Bei letzterem spielen Inaktivität, Gewichtszunahme und Gewohnheiten eine zunehmende Rolle. Jedoch ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht im Detail geklärt, wie strukturelle Voraussetzungen, biomechanische muskuloskelettale Abläufe oder psychosoziale Belastungssituationen zur Entstehung von Rückenschmerzen beitragen.

Mit diesem Infobrief wollen wir deshalb das Wissen über einige der häufigen strukturellen Erkrankungen auffrischen und aktuelle diagnostische Algorithmen und Therapiestrategien beleuchten. Andererseits ist es uns ein genauso großes Anliegen den unspezifischen Rückenschmerz bei Kindern zu adressieren.

Die Prävalenz vieler strukturellen Erkrankungen ist bei Mädchen höher als bei Jungen. Das klassische Beispiel hierfür wäre die idiopathische Skoliose. Jedoch ist hervorzuheben, dass auch Mädchen häufig an unspezifischen Rückenschmerzen leiden. Mit Sicherheit gilt bei beiden Geschlechtern, dass eine differenzierte Anamnese und zielgerichtete Untersuchung als grundlegende Voraussetzung für die Therapieplanung gesehen werden müssen.

Für viele spezifische Krankheitsbilder und im Speziellen bei unspezifischen Rückenschmerzen liegen neue Untersuchungen vor, welche zeigen, dass das frühe Erkennen und das Einleitungen einer frühzeitigen Therapie entscheidend für den weiteren Verlauf sind.

Glücklicherweise gibt es für die häufigsten Krankheitsbilder der Wirbelsäule bei Kindern, die in diesem Infobrief näher betrachtet werden, mittlerweile eindeutige Richtlinien bezüglich der Frage nach der richtigen Therapie zum richtigen Zeitpunkt, damit auch nach der Frage konservativ versus operativ.

An dieser Stelle möchten wir auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur redaktionellen Mitarbeit und Gestaltung an zukünftigen Ausgaben unserer erfolgreichen  Mitgliederzeitschrift motivieren und danken Janosch Kuno aus der BVOU-Pressestelle herzlich für die Unterstützung und Realisierung des aktuellen Hefts

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Wirbelsäulentrauma im Kindes- und Jugendalter

Kindliche Verletzungen der Wirbelsäule sind selten. Die Lokalisation der Verletzung sowie die zugrundeliegenden Ursachen variieren mit dem Lebensalter. Anatomische Charakteristika stellen besondere Herausforderungen an die bildgebende Diagnostik und Therapie. Aufgrund der biomechanischen Besonderheiten der heranwachsenden Wirbelsäule können im Vergleich zum Erwachsenen etablierte Therapien nicht undifferenziert übernommen werden.

Wie auch die aktuelle Multicenterstudie der Arbeitsgruppe Wirbelsäulentrauma im Kindesalter der Sektion Wirbelsäule der DGOU ergeben hat, sind Stürze und Verkehrsunfälle die häufigsten Ursachen für Verletzungen der Wirbelsäule. Typische Begleitverletzungen wie Verletzungen im Bereich des Kopfes und der Extremitäten gehen
häufig mit einer Wirbelsäulenverletzung einher.

Weitere Verletzungen finden sich meist in benachbarten Wirbeln. Die HWS-Verletzungen treten eher bei jüngeren Kindern auf. Je jünger die Patienten waren, desto eher fanden sich die Verletzungen im Bereich der oberen HWS. Ältere Kinder zeigen eher Verletzungen im thorakolumbalen Bereich.

Begleitende neurologische Defizite sind selten. Zumeist können die Verletzungen konservativ behandelt werden, dennoch benötigten 25% der Kinder eine operative Versorgung.

Merke: Kindliche Wirbelsäulenverletzungen sind selten und ihre Charakteristika abhängig vom Alter.

Besonderheiten der kindlichen Wirbelsäule

Aufgrund der anatomischen Besonderheiten der wachsenden Wirbelsäule sind sowohl für die Diagnostik als auch Therapie Kenntnisse über die anatomischen Besonderheiten der heranwachsenden Wirbelsäule wichtig.

  • Die Verknöcherung der unterschiedlichenOssifikationszentren der Wirbelsäule ist altersabhängig und, je nach Region, unterschiedlich. Zur Beurteilung der Wirbelsäule im Kindes- und Jugendalter ist deren Kenntnis Voraussetzung.
  • Die anteriore physiologische Keilform der Wirbelkörper, insbesondere im Bereich der HWS, zeigt sich typischerweise bei jüngeren Kindern und sollte nicht mit Frakturen verwechselt werden.
  • Das Hauptbewegungssegment der Halswirbelsäule bei Kindern unter 8 Jahren
    ist zwischen dem 2. und 3. Halswirbelkörper. Pseudoluxationen, auch Stufenphänomen“ genannt, können in diesem Bereich bei mehr als einem Drittel aller Kinder beobachtet werden und haben keinen Krankheitswert.
  • Auch die ligamentären und muskulären Besonderheiten sind zu beachten: Beim
    Kleinkind artikuliert der Kopf mit dem Atlas horizontal. Die horizontalen und noch flachen Facettengelenke werden hier von einem schwachen Muskelapparat mit laxen Bandstrukturen bei großer Kopf-KörperRelation gehalten. Mit zunehmendem Wachstum vergrößern sich die Neigungswinkel der Gelenkflächen bei C1/ C2 von 55° auf 70° und bei C2–C4 von 30° auf 60°–70°, wodurch eine höhere knöcherne Stabilität resultiert, zudem nimmt auch die muskuloligamentäre Stabilität zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr zu und ähnelt bald dem Erwachsenen.

Für eine bessere Übersicht erscheint die von der AG Wirbelsäulentrauma im Kindesalter vorgeschlagene Alterseinteilung sinnvoll: I: 0 bis 6 Jahre, II: 7 bis 9 Jahre und III: 10 bis 16 Jahre.

Anamnese und klinische Untersuchung

Die Anamneseerhebung bei verunfallten Kindern ist meist erschwert. Da es sich oft um unbeobachtete Ereignisse handelt, ist die Fremdanamnese häufig leer.

Umso wichtiger ist die klinische Untersuchung. Hier deuten äußere Verletzungszeichen wie Schürfwunden und Hämatome, aber vor allem ein Druckund Klopfschmerz sowie eine tastbare Lücke zwischen den Dornfortsätzen auf eine Wirbelsäulenläsion hin.Gerade bei den Verletzungen der oberen Halswirbelsäule im Kleinkindalter zeigt sich oftmals eine Einschränkung der Beweglichkeit. Ältere Kinder beschreiben z. B. bei einer Densfraktur auch oftmals ein Instabilitätsgefühl während der aktiven Bewegung oder stützen ihren Kopf.

Die als Torticollis traumaticus bezeichnete Fehlstellung des Halses aufgrund eines akuten Traumas kann z. B. durch eine eine rotatorische atlantoaxiale Dislokation hervorgerufen sein.

Obligat ist zudem die orientierende neurologische Untersuchung der Sensibilität, der Motorik  und der Reflexe. Ein segmentbezogenes neurologisches Defizit kann Hinweise auf das Vorliegen einer Rückenmarks-, Nervenwurzel- oder Plexusverletzung geben. Damit können Höhe sowie Ausmaß der Läsion eingrenzend bestimmt werden.

Bildgebende Diagnostik

Die bildgebende Diagnostik sollte mit einer minimalen Strahlenbelastung erfolgen, da Kinder mehr als Erwachsene durch Strahlung geschädigt werden. Gleichzeitig kann eine übersehene oder unterschätze Verletzung für das betroffene Kind  schwerwiegende Folgen haben.

Daher ist die Indikation zur MRT- Untersuchung großzügig zu stellen, auch wenn im Kleinkindalter hierfür häufig eine Sedierung notwendig ist. Der hohe Anteil von seriellen Kompressionsfrakturen (Abb. 1) sowie der notwendige Ausschluss diskoligamentärer Instabilitäten macht sie vor allem auch bei Monoverletzungen, unabdingbar. Die

Röntgendiagnostik hat weiterhin ihre Berechtigung,  allein schon wegen der schnellen Verfügbarkeit. Durch ärztlich (!) geführte dynamische Aufnahmen können zudem z. B. Instabilitäten im Bereich der HWS detektiert werden.

Das Computertomografie (CT) findet Anwendung bei Mehrfachverletzungen, komplexem Verletzungsmechanismus und kreislaufinstabilen, intubierten Kindern. Verbesserte Low-doseProtokolle sorgen für eine Reduzierung der Strahlbelastung. Darüber hinaus ist sie bei Kompressionsfrakturen zur Planung einer operativen Therapie hilfreich. Reitende Luxationen im Bereich der HWS z. B. sind nur mit der CT ausreichend darstellbar, ebenso wie Gelenkfrakturen oder unklare Rotationsfehlstellungen der HWS.

Klassifikation von Verletzungen

Halswirbelsäule

Die Klassifikation von Verletzungen der Halswirbelsäule im Kindesalter kann nur in Abhängigkeit vom Alter des Kindes erfolgen. Die für erwachsene Patienten weit verbreiteten traditionellen Klassifikationen sowie auch die Klassifikation der AO Spine für Frakturen der Halswirbelsäule können für die Altersgruppen I und II nicht übernommen werden. Verletzungen der Halswirbelsäule beim Kind mit noch offenen Wachstumsfugen (Altersgruppen I und II) führen in der Regel zu Verletzungen der Epiphyse oder der Synchondrosen, weil diese die schwächsten Glieder im jeweiligen Bewegungssegment darstellen. In der Regel treten Zerreißungen auf, die sich in der Bildgebung als Erweiterungen der Epiphyse darstellen.

Im Bereich der oberen Halswirbelsäule können in allen Altersgruppen die bekannten klassischen Verletzungen auftreten. So ist altersabhängig der entsprechende Entwicklungsstand der Wirbelsäule zu bedenken, was beispielsweise bei der Detektion der häufigen Synchondrosenverletzungen im Densbereich oder bei Atlasfrakturen zu beachten ist.

Die Subluxation im atlantoaxialen Segment ist eine der häufigsten Ursachen des kindlichen Schiefhalses und wird häufig zu spät erkannt. Nach einem Infekt der oberen Atemwege als der häufigsten Ursache (als Grisel- Syndrom bekannt) ist das Trauma der zweithäufigste Auslöser.

Im Bereich der subaxialen Halswirbelsäule erfolgt die Einteilung der Epiphysenverletzungen – wie auch im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule – nach Salter und Harris (<8 Jahre). Ab dem 10. Lebensjahr verschwinden die für Kinder
speziellen Verletzungsmuster der Halswirbelsäule, sodass in der Altersgruppe III sämtliche Klassifikationen, welche für den erwachsenen Patienten erstellt wurden, angewendet werden können.

Brust- und Lendenwirbelsäule

Die Einteilung der Verletzungen erfolgt analog zu der oben aufgeführten Klassifikation subaxialer (C3-C7) Verletzungen. Dabei können Frakturen mit einer Kompression des Wirbelkörpers ohne wesentliche oder geringe Dislokation als stabil beschrieben werden. Instabile Frakturen hingegen werden als Wirbelkörperkompression mit  Gelenkfortsatzfraktur und/ oder Bogenfraktur/Bogenwurzelfraktur oder zusätzlicher Bandläsion jeweils in Kombination mit einer Fehlstellung definiert.

Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelkörper sind zudem Abrisse der Synchondrosen zwischen den Bogenkernen und dem bipolaren neurozentralen Knorpel in Form einer traumatischen Spondylolyse möglich.

Bei Kindern/Adoleszenten (>8–18 Jahre) kann es zur Verletzung der ringförmigen Wirbelkörperrandleiste (Apophysenring) kommen. Hierbei handelt es sich um eine frakturierte Wachstumsfuge, die sich zum Teil spontan reponieren kann und so häufig der konventionellen Diagnostik verborgen bleibt. Die meisten Apophysenabrisse liegen bei den meist männlichen Adoleszenten lumbal-kranial, selten thorakal oder zervikal. Als Ursache werden chronische Überlastungen durch Sport oder ein adäquates Monotrauma angenommen. Die Symptome können einer Diskushernie ähneln. Die Einteilung erfolgt nach Takada und Epstein, wobei prinzipiell zwischen einer Dislokation nach ventral (betroffen Anulus fibrosus und vorderes Längsband) und die häufigere Dislokation nach dorsal unterschieden wird.

Therapie

Das Ziel der Therapie von kindlichen Wirbelfrakturen ist eine Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse und der Stabilität. Der Großteil der Verletzungen kann konservativ versorgt werden. Je älter die Kinder jedoch werden, umso fließender ist der Übergang zum bekannten Behandlungsregime beim Erwachsenen.

Hierbei ist das unterschiedliche Korrekturund Regenerationspotenzial der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte zu beachten. Mit zunehmender Instabilität wird eine operative Behandlung notwendig. So wird eine frühe Schmerzlinderung erreicht, eine progrediente Deformierung vermieden und nervale Strukturen durch eine frühzeitige Dekompression geschützt bzw. entlastet. Bei neurologischem Defiziten ist in aller Regel eine operative Entlastung (Dekompression) der neuralen Strukturen erforderlich. Die mögliche Ausbildung sekundärer Deformitäten zu beachten.

Instabilitätskriterien

Die AO-Klassifikation gibt Hinweise auf den Grad der Instabilität:

  • A0-Frakturen sind als stabil anzusehen, ebenso Impressionsfrakturen vom Typ A1: Hier kann es allerdings bei einem Grunddeckplattenwinkel von 15–20° zu einer weiteren Fehlstellung kommen, ein Wirbelkörperödem über zwei Drittel des Wirbelkörpervolumens wird auch als Instabilitätskriterium angesehen.
  • Liegt bei Typ-A2-Verletzungen eine Bandscheibenbeteiligung vor, kann ebenfalls eine Instabilität vorliegen, v.a. wenn zusätzlich auch ein Grunddeckplattenwinkel von 15–>20° vorliegt.
  • A3-Frakturen zeigen eine Verletzung der vorderen und mittleren Säule, i.d.R. ist die Bandscheibe mit betroffen.
  • Das Gleiche gilt für komplette Berstungsbrüche vom Typ A4.
  • B-Verletzungen mit Versagen der dorsalen oder ventralen osteoligamentären Zuggurtung gelten wie Typ-C-Frakturen als instabil.
  • Zudem werden eine Höhenreduktion der Wirbelkörper von >40–50% ebenso wie eine Spinalkanaleinengung >40–50% als Instabilitätskriterien gewertet.

Konservative Therapie

Aus der Literatur ist die Spontankorrekturfähigkeit keilfömig komprimierter Wirbelkörper im Kindesund Jugendalter bekannt, ab Risser-Stadium 3 ist diese jedoch reduziert. Generell können persistierende ventrale Kyphosewinkel bis zu 10° gut kompensiert werden.

Im Risser-Stadium 1–2 (Ossifikation von maximal ein bzw. zwei Dritteln der Beckenkammapophyse) auch 10–20°. Laterale Kompressionen zeigen i.d.R. keine spontane Verbesserung und sollten eher korrigiert werden. Bei Risser-Stadium ≤2 wird bei einer Keilwirbelbildung von mehr als 10° das Tragen eines Reklinationskorsetts zur Druckentlastung der Wachstumszone und Stimulation des vorderen Wirbelkörperwachstums empfohlen. Eine konservative Ausheilung ist zudem bei rein ossären Chance-Frakturen im reklinierenden Korsett möglich.

Bei Kompressionsfrakturen im oberen BWSBereich ohne weitere thorakale Verletzung mit einem Kyphosewinkel ≤ 15° ist die frühfunktionelle Behandlung nach kurzer Bettruhe und suffizienter Analgesie mit Krankengymnastik, Rückenschulung und Muskelaufbau die zu empfehlende Therapie. Eine Sportkarenz sollte für 3 Monate eingehalten werden. Zur Verlaufskontrolle werden von den Autoren nach 3 und 6 Wochen bei exakter Darstellung der betroffenen Region an Heranwachsende adaptierte Zielaufnahmen mit reduzierter Strahlenbelastung sowie nach 6 Monaten und einem Jahr empfohlen.

Bandscheibenschaden

Aufgrund der besseren Kompensationsmechanismen scheint insbesondere bei Kindern der Bandscheibenschaden keine so wesentliche Rolle zu spielen, während Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr bezüglich begleitender Bandscheibenschäden und Regenerationsoptionen den Erwachsenen ähneln. Laut Literatur wiesen in einer MRT-Untersuchung mindestens ein Jahr nach thorakolumbaler Berstungsfraktur und konservativem Vorgehen Kindern, die 14 Jahre oder jünger waren, keine Bandscheibenläsionen auf. Dem gegenüber zeigten sich bei den über 15-jährigen Patienten mehrheitlich Bandscheibenschäden in den frakturangrenzenden Segmenten. Im Zweifelsfall sollte hier die Indikation zum MRT, gegebenenfalls auch im Verlauf, großzügig gestellt werden.

Merke: Der Großteil der kindlichen Wirbelsäulenverletzungen kann konservativ behandelt werden. Dazu müssen aber Instabilitätskriterien vorher sicher ausgeschlossen werden.

Operative Therapie

HWS

Im Bereich der oberen HWS sind die meisten instabilen Verletzungen gut mit dem Halofixateur für bis zu 12 Wochen zu adressieren. Bei persistierender Instabilität oder nicht reponiblen Verletzungen können aber auch Osteosynthesen bzw. in seltenen Fällen Spondylodesen notwendig werden. Subaxiale Verletzungen von HWK 3 bis HWK 7 treten eher bei jugendlichen Patienten auf. Die therapeutische Strategie richtet sich, folgend den Kriterien der AO Spine Klassifikation, nach der hier beschriebenen Verletzungsmorphologie.

Bei den meisten instabilen Verletzungen wird die ventrale Plattenspondylodese mit interkorporeller Abstützung (bei Berstungskomponente durch partielle oder komplette Korporektomie und Wirbelkörperersatz) empfohlen (Abb. 2). Eine rein dorsale oder zusätzlich dorsale Stabilisierung kann bei besonderer Befundkonstellation möglich oder sogar notwendig sein. In diesen Fällen ist zumeist die Instrumentierung mit Massa lateralis Schrauben ausreichend.

Thorakolumbal

Bei älteren Kindern und Erwachsenen folgen Stabilisierungen der thorakolumbalen Wirbelsäule den Grundsätzen der Erwachsenentherapie und den oben beschriebenen Instabilitätskriterien der AOKlassifikation. Isolierte Laminektomien sind bei Kindern kontraindiziert, außer es findet sich eine  anders nicht zu behebende mechanische Einengung des Spinalkanals mit zuzuordnenden neurologischen Defiziten. Andernfalls können so im weiteren Wachstum erhebliche Deformitäten erzeugt werden.

Die Instrumentierung erfolgt je nach Frakturmorphologie mono-, bi- oder im Bereich der thorakalen Wirbelsäule je nach verletzungsform auch multisegmental (Abb. 3). Dislozierte ligamentäre Verletzungen sollten zuerst reponiert werden und je nach Alter des Kindes durch Verbinden der Dornfortsätze durch Cerclagen oder im fortgeschrittenen Alter ebenfalls mit einem dorsalen Fixateur stabilisiert werden. Bei sehr kleinen Kindern können die Dornfortsätze auch mit Polydioxanonkordeln oder FiberWire®-Fäden verbunden werden, die Nachbehandlung sollte dann im Korsett erfolgen.

Wenn möglich kommen minderinvasive Verfahren mit kurzstreckigen dorsalen Stabilisierungen bei guter Aufrichtung durch die Lagerung mit minimalinvasiven Repositionssystemen zur Anwendung. Eine Materialentfernung sollte zumeist
frühzeitig nach 6–9 Monaten erfolgen, bei Verdacht auf eine Bandscheibenschädigung sollte vorher eine MRT-Untersuchung durchgeführt werden.Thorakolumbale Apophysenschäden mit in den Spinalkanal dislozierten Geweben müssen bei neurologischen Symptomen chirurgisch entfernt werden.

Ventrale Spondylodesen sind i. d. R. bei jüngeren Patienten nicht erforderlich. Selten werden diese Verfahren mit Wirbelkörperersatz bzw. Cage im Falle notwendiger Korrekturen bei ausgeprägten Fehlstellungen benötigt.

Prognose

Die Prognose von HWS- Verletzungen im Kindesund Jugendalter ist sehr gut, wenn die Verletzung frühzeitig diagnostiziert wird. Inkomplette neurologische Defizite haben bei Kindern eine relativ gute Prognose, da das Regenerationspotential hoch ist. Komplette Querschnittsyndrome dagegen erfahren auch bei Kindern selten eine Verbesserung. Fehlstellungen werden teilweise über das weitere Wachstum ausgeglichen, vor allem je jünger die Kinder zum Zeitpunkt der Verletzung sind. Unter 12 Jahren zeigt sich nur selten eine persistierende kyphotische Fehlstellung, da hier durch die Wachstumszonen ausgeglichen wird. Segmentale Kyphosen sind selten >10°. Kaum ausgeglichen werden frontale Fehlstellungen; hier können im weiteren Verlauf posttraumatische Skoliosen entstehen, die jedoch selten 20° überschreiten. Auch bei den häufigen Serienkompressionsfrakturen und Keilimpaktionsfrakturen ist eher selten mit posttraumatischen Deformitäten beim jungen Patienten zu rechnen. Endplattenfrakturen korrigieren sich i. d.R. nicht, hier kann dann eine Störung des Wachstums die Folge sein. Verletzungen der Endplatten und Bandscheiben können zudem zu Spontanfusionen des Segments führen.

Literatur bei den Autoren

Kompressionssyndrome peripherer Nerven der oberen Extremität: Anatomy is the key

Nervenkompressionssyndrome der oberen Extremität werden aufgrund ihrer klinischen Ähnlichkeit zu orthopädischen Krankheitsbildern oft spät erkannt. Entscheidend für die Differenzierung sind die klinische Untersuchung und die Kenntnis anatomischer Prädilektionsstellen. Ergänzend sind neurologische Untersuchungen wie  Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie sowie eine Bildgebung mittels MRT oder Ultraschall oft wegweisend. Bei rechtzeitiger Therapie kann so nicht nur der Leidensdruck der Patienten gesenkt, sondern auch ein langfristiger Schaden von Nerv und Muskulatur verhindert werden. Ziel dieses Beitrags ist es, anhand der anatomischen Verläufe der Nerven der oberen Extremität anatomische Engstellen aufzuzeigen und die entsprechenden Kompressionssyndrome anhand ihrer Symptomatik und deren
Therapieoptionen zu erläutern.

Nervenkompressionssyndrome stellen eine wichtige Differentialdiagnose verschiedener orthopädischer Krankheitsbilder dar. Da insbesondere die Schmerzsymptomatik und -lokalisation orthopädischen Krankheitsbildern wie z. B. dem therapierefraktären Schulterschmerz ähneln1, bleiben sie oft unerkannt und führen in der Folge zu therapierefraktären Verläufen mit einem hohen Leidensdruck und irreversiblen chronischen Schäden von Nerv und Muskulatur.

Klinisch sind Nervenkompressionssyndrome durch Schmerzen, Sensibilitätsstörungen sowie funktionelle Einschränkungen mit motorischen Ausfällen und, im fortgeschrittenen Stadium, konsekutiver Atrophie der betroffenen Muskulatur charakterisiert. Die  rechtzeitige Therapie hat das Potential nicht nur eine Verbesserung der Symptomatik, sondern auch eine Remyelinisierung zu ermöglichen. Daher sollte bei therapierefraktären orthopädischen Krankheitsbildern insbesondere mit Parästhesien und muskulären Atrophien eine gezielte Diagnostik erfolgen. Diese umfasst eine neurologische Untersuchung mittels Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und Elektromyographie (EMG), ergänzt durch bildgebende Verfahren wie MRT oder Neurosonographie, um neben der Kompression an anatomischen Engstellen andere Kompressionsursachen wie z. B. Lipome, Tumore oder Ganglien auszuschließen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Kompressionssyndrome der oberen Extremität mithilfe ihrer anatomischen Verläufe dargestellt werden.

Kompression des Nervus medianus

Der N. medianus entspringt dem lateralen (C5–C7) und medialen Faszikel (C8–Th1) des Plexus brachialis. Die Kompression des N. medianus ist hierbei auf unterschiedlichen Höhen möglich. Proximal kann am distalen Oberarm ein sogenanntes Struther‘sches Ligament vorkommen, welches am ventralen Humerus von einem knöchernen Vorsprung zum Epicondylus medialis zieht. Symptomatisch zeigen sich folglich Parästhesien der typischen Innervationsgebiete der Hand und Paresen der Unterarm-Flexoren sowie des M. flexor carpi radialis (FCR), M. pronator teres (PT) und M. palmaris longus (PL).

Bei Kompression an der Durchtrittsstelle durch die Köpfe des M. pronator teres kommt es zum Pronator-Teres-Syndrom, das klinisch dem Karpaltunnelsyndrom (KTS) stark ähnelt. Bei genauer Untersuchung zeigt sich jedoch die Symptomatik durch Pronation im Unterarm (z. B. PC-Arbeit) verstärkt und es kommt zusätzlich zu Parästhesien im Thenarbereich, die durch den anatomischen Abgang des sensiblen R. palmaris proximal des Karpaltunnels beim KTS nicht vorkommen.2–5 Das KTS stellt mit einer Prävalenz von 5–10% der Bevölkerung das mit Abstand häufigste Kompressionssyndrom dar. Dabei sind Frauen viermal häufiger betroffen als Männer. Bekannte Risikofaktoren für die Entstehung sind Übergewicht, Diabetes mellitus, dialysepflichtige Niereninsuffizienz, rheumatoide Arthritis sowie Schwangerschaft (Prävalenz bis zu 17%).3, 6 Durch eine Synovialitis kommt es zu einem Druckanstieg in der anatomischen Engstelle des Karpaltunnels mit konsekutiver Kompression des N. medianus. Klinisch ist das KTS durch vor allem nächtlich auftretende Schmerzen sowie Parästhesien der ersten dreieinhalb Finger gekennzeichnet, bei weiterem Fortschreiten begleitet von einer Atrophie der Thenarmuskulatur.

Diagnostisch können ein positives HoffmannTinel-Zeichen über dem Karpaltunnel sowie der Phalen- bzw. Durkan-Test hinweisend sein.7–9 Aufgrund ihrer begrenzten Spezifität sollte die Diagnosesicherung aber über eine neurologische Diagnostik erfolgen.10–12

Kompression des Nervus ulnaris

Der N. ulnaris geht aus dem medialen Faszikel des Plexus brachialis (C7/8–Th1) hervor und zieht ohne Abgänge mit der A. brachialis nach distal. Proximal des Epicondylus medialis durchtritt er einen Kanal aus dem Septum intermusculare und dem medialen Kopf des M. triceps brachii, der bei ca. 70–80% der Bevölkerung fibrös angelegt ist und zu einer
Kompression des Nerven führen kann.13 Am häufigsten kommt es zu einer Kompression des Nervens im Kubitaltunnel und in der Loge de Guyon, die zur sogenannten „Radfahrerlähmung“ mit Parästhesien im Bereich des ulnarseitigen Ring- und des gesamten Kleinfingers führt und im fortgeschrittenen Stadium von einer Atrophie der intrinsischen Handmuskulatur mit positivem Froment-Zeichen begleitet wird. Da es im Unterschied zum KTS aufgrund der fehlenden Synovialitis zu einer höheren Spontanremissionsrate kommt, sollte eine chirurgische Dekompression durch Spaltung des Lig. pisohamatum in frühen Stadien zurückhaltend indiziert werden. Das Kubitaltunnelsyndrom präsentiert sich dagegen mit zusätzlichen Parästhesien der ulnaren Handkante sowie einer Schwäche der durch den N. ulnaris innervierten extrinsischen Muskulatur distal des Ellenbogens. Zu den therapeutischen Optionen zählen die endoskopische oder offene Dekompression und Neurolyse des Nervens, die  Vorverlagerung (subkutan/submuskulär/intramuskulär) oder die subperiostale Epikondylektomie.3

Kompressionen des Nervus radialis

Der N. radialis geht aus dem posterioren Faszikel des Plexus brachialis (C4-Th1) hervor, verläuft spiralförmig um den Humerus und gibt die motorischen Äste zum M. triceps brachii sowie den N. cutaneus brachii posterior ab. Kommt es durch direkten Druck im Bereich des Oberarms zu einer Kompression des Nervens, resultiert eine meist passagere Parese („Parkbank-Lähmung“). Im Anschluss zieht der Nerv proximal des Epicondylus lateralis nach ventral unter Abgabe motorischer Äste zur Innervation des M. brachioradialis und des M. extensor carpi radialis longus (ECRL). Unmittelbar distal des Ellenbogens spaltet er sich in den sensiblen R. superficialis (RSNR) und den R. profundus. Mögliche Kompressionsstellen entstehen hier durch die den N. interosseus posterior (NIP) querenden Aa. recurrantes radiales („Leash of Henry“) sowie die Frohse-Arkade beim Eintritt in die Supinatorloge.3, 14–16 Das NIP-Syndrom (Supinatortunnel-/Supinatorlogen-Syndrom) zeichnet sich durch eine fortschreitende Lähmung der Extensoren der Langfinger und des Daumens aus, beginnend beim Kleinfinger mit Ausbreitung nach radial. Auslöser sind oft repetitive Bewegungsmuster die zu einer Druckerhöhung in der Supinatorloge führen. Im Unterschied zur differentialdiagnostischen lateralen Epicondylitis, die zu Schmerzen im Bereich des Ellenbogens und Kraftverlust führt, bleibt beim NIP-Syndrom die Handgelenksstreckung voll erhalten.17 Therapeutisch ist die chirurgische Dekompression hierbei das Mittel der Wahl.

Eine weitere Kompressions-Prädilektionsstelle ist der Durchtritt des RSNR durch die Unterarmfaszie ungefähr 9 cm proximal des Tuberculum listeri. Diese Kompression des RSNR (WartenbergSyndrom) entsteht meist durch scherenförmige Einklemmung durch die Sehnen des M. brachioradialis und des ECRL.18 Klinisch imponieren Schmerzen bzw. Parästhesien des dorsoradialen Handgelenks sowie des Daumens und ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen an der Durchtrittstelle sowie eine Schmerzverstärkung bei Handgelenksextension. Therapeutische Optionen sind die Infiltration von Lokalanästhetika sowie die operative Dekompression.

Kompression des Nervus axillaris

Der N. axillaris entstammt dem posterioren Faszikel des Plexus brachialis (C5, C6). Über den N. cutaneus brachii lateralis superior (NCBLS) innerviert er einen Teil der Schultergelenkkapsel sowie sensibel das Hautareal über dem M. deltoideus. Motorisch ist er für die Innervation des M. deltoideus und M. teres minor verantwortlich. Eine mögliche Kompressionsstelle ist der gemeinsame Durchtritt durch die laterale Achsellücke mit der A. und V. circumflexa humeri posterior, die insbesondere bei Armabduktion aber auch durch Muskelhypertrophien oder fibröse Bänder eingeengt werden kann.19–21 Eine Kompression äußert sich durch Schmerzen über dem M. deltoideus, die durch längeres Überkopfarbeiten oder bestimmte Sportarten (z. B. Volleyball, Tennis, Schwimmen) mit wiederholter Abduktion bzw. Elevation der Arme verstärkt werden. Schmerztherapeutisch kann initial die Infiltration von Lokalanästhetika hilfreich sein, bei protrahierten Verläufen gegebenenfalls ergänzt durch die chirurgische Dekompression.

Zusammenfassung

Kompressionssyndrome der oberen Extremität sind durch eine vielfältige Symptomatik, welche oft orthopädischen Krankheitsbildern ähnelt, gekennzeichnet. Exakte anatomische Kenntnisse sind wegweisend für die Differenzierung beider Genesen. Eine gezielte Diagnostik mittels neurologischer Untersuchung und Bildgebung sind nicht nur zur Ursachensuche, sondern auch für die Therapieentscheidung relevant. Differenzialdiagnostisch sollten zusätzlich Laboruntersuchungen bezüglich Infektionen, Herpes Zoster oder Krankheiten des rheumatischen Formenkreises erfolgen. Die Therapie reicht von konservativen Maßnahmen mit physiotherapeutischer Beübung, über die Infiltration bis zur chirurgischen Dekompression. Im Zweifel sollte die Zuweisung in ein auf die Behandlung von peripheren Nervenläsionen spezialisiertes Zentrum erfolgen.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

Moderne Verfahren in der Rheumahandchirurgie

Aufgrund hoher Inzidenzen der Arthritiden und progredienter Destruktionen, trotz frühestmöglichem Einsatz hochwirksamer Basistherapeutika in modernen  Therapiekonzepten, sind schwerwiegende Deformierungen und resultierende Funktionsverluste im Bereich der Hand ein noch immer häufiges Problem für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen. Die modernen rekonstruktiven Verfahren der Rheumahandchirurgie erlauben heute auch langfristig eine gute Schmerzfreiheit, Funktion und Ästhetik der Hand des Rheumapatienten zu erhalten.

Rheumatische Handdeformität

Die charakteristischen Veränderungen der Hand bei den verschiedenen rheumatischen Erkrankungen sind zahlreich (Rheumatoide Arthritis (RA) und Psoriasisarthritis haben wegen der Häufigkeit der destruierenden Folgen eine besondere Bedeutung, die Hand ist aber auch bei den Spondyloarthritiden, Kollagenosen etc. oft betroffen) und für die Patienten meist mit Funktionsverlusten, Schmerzen sowie stigmatisierenden Fehlstellungen verbunden. Die Komplexität der Handanatomie führt zu unterschiedlichen typischen Läsionsmustern rheumatischer Erkrankungen, mit knöchernen Erosionen, Destruktionen der intrinsischen und extrinsischen Bandsysteme, Kapseldeformierungen sowie Sehnen- und Sehnengleitgewebsläsionen. (Abb. 1) Zu beachten sind besonders die rheumatische Handdeformität („Handskoliose“ mit Supinationsfehlstellung und Ulnartranslokation des Karpus, Ulnardeviation der dreigliedrigen Finger) und das Caput-ulnae-Syndrom (palmare Subluxation des Radius und ulnaren Karpus gegenüber dem dorsal prominenten Ulnakopf mit Risiko der Strecksehnenruptur). Die verlorene Hand- und Handgelenksfunktion bedeutet für den Betroffenen oft eine schwerere Behinderung als der Verlust der Gehfähigkeit, da eine Selbstversorgung fast unmöglich werden kann. (Abb. 2–4)

Behandlungskonzept Rheumahandchirurgie

Bei den operativen Therapien kann unterschieden werden zwischen präventiven (z. B. Synovialektomien) und rekonstruktiven Maßnahmen (z. B. Sehnenrekonstruktion, Gelenkersatz). Obwohl die Anzahl vor allem der präventiven Eingriffe bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, aufgrund der modernen medikamentösen Therapieformen, in den rheumahandchirurgischen Zentren zurückgeht, ist doch häufig eine operative Therapie der Hand erforderlich. Nicht nur bei den „silent Progressions“ (Voranschreiten der arthritischen Destruktionen ohne Schmerzen und Entzündungsparameter), unbehandelten bzw. unzureichend behandelten Patienten, Infektionen oder deren Folgen, sondern auch im Verlauf länger bestehender Erkrankungen bei suffizienter medikamentöser Behandlung, werden zunehmend rekonstruktive  rheumahandchirurgische Therapien notwendig. Persistierende Synovialitiden besonders des 6. Strecksehnenfaches sind häufig mit einem operativen Therapiebedarf verbunden. Das Behandlungskonzept resultiert dann aus dem Patientenbedarf (Einschränkungen im Alltag, Behandlungswunsch), der klinischen und bildgebenden Befunde (z. B. Standardröntgentafeln nach Larsen, Dale und Eek) sowie der Verlaufserwartung der Erkrankung im Bereich der Hand (z. B. „natürliche“ 3 Verlaufstypen (ankylosierender, sekundär osteoarthrotischer, desintegrativer Typ) am Handgelenk bei der RA). (Abb. 5)

Operative Therapie am rheumatischen Handgelenk

Synovialektomie (=Entfernung der Gelenk-/peritendinösen Schleimhaut): Die präventive Synovialektomie erfolgt bei geringen Destruktionen mit persistierender Synovialitis trotz adäquater Basistherapie. Sie ist regelhaft bei den rekonstruktiven Maßnahmen (Spätsynovialektomie) gleichzeitig durchzuführen.

Die arthroskopische Synovialektomie des Handgelenks bei artikulären Synovialitiden ohne Tenosynovialitis hat ein geringeres Gewebetrauma und schnellere Rehabilitation. Die offene Arthrosynovialektomie erfolgt vor allem bei gleichzeitiger Tenosynovialitis. Die Subkutanverlagerung der Strecksehnen, wenn notwendig Ulnakopfresektion

Abb. 1 Typische polyartikuläre fortgeschrittene Destruktionen bei Psoriasisarthritis Abb. 2 Rheumatische Handskoliose Abb. 3 Röntgenbild Rheumatische Handskoliose Abb. 4 Caput-ulnae-Syndrom bei RA Abb. 5 Persistierende Synovialitis im Bereich des 6. Strecksehnenfaches Abb. 6 Intraoperativer Befund nach Synovialektomie im Bereich der Strecksehnen und dorsal-wrist-Stabilization mit Rezentrierung der Sehne des 6. Strecksehnenfaches durch „Retinakulumschlinge“

und die radiokarpale Stabilisierung durch die „Dorsal wrist stabilization“ (Transposition des Retinaculum ext. unter die Strecksehnen und ulnare Fixation am Karpus) sowie die Reposition der Sehne des M. ext. carpi ulnaris nach dorsal und Stabilisierung mittels des Retinaculum werden häufig kombiniert. (Abb. 6)

Ulnakopfresektion

Die Ulnakopfresektion ist nicht generell Bestandteil der Handgelenkssynovialektomie. Ist der Ulnakopf überwiegend destruiert und ein Caput-ulnaeSyndrom vorliegend kommt aber die Resektion mit weichteiliger Stabilisierung des distalen Ellenstumpfes in Betracht. Kann mit Weichteileingriffen keine Stabilisierung erreicht werden, muß, in Abhängigkeit vom Stadium der Destruktion und Knorpelsituation, eine knöcherne Fixierung erfolgen.

Radiolunäre Fusion Die radiolunäre Arthrodese führt zur Stabilisierung des Handgelenkes in der frontalen und sagittalen Ebene bei erhaltener und im präoperativen Vergleich nur gering eingeschränkter Handgelenksbeweglichkeit. Sie ist indiziert bei intaktem radioskaphoidalem sowie mediokarpalem Gelenk, ggf. mit gleichzeitiger Resektion des Ulnakopfes. (Abb. 7a & b)

Radioskapholunäre Fusion

Radioskapholunäre (RSL) Arthrodesen sind indiziert bei fortgeschrittenen Destruktionen des radioskaphoidalen und radiolunären Gelenkes, aber erhaltenem Knorpel des Mediokarpalgelenkes. Das erreichbare Bewegungsausmaß ist geringer als bei der radiolunären Fusion. (Abb. 8)

Arthrodese

Ausgeprägte Handgelenksdestruktionen mit radiokarpalen und mediokarpalen (evtl. auch karpometakarpalen) Knorpeldefekten (ggf. auch Instabilität) erfordern die Arthrodese. Auch bei Rupturen der Handgelenksstrecksehnen ohne Rekonstruierbarkeit und nach fehlgeschlagener Endoprothese kommt die Arthrodese in Betracht. (Abb. 9a & b)

Alloarthroplastik

Die Diskussion zur Handgelenksendoprothetik bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen besteht vor allem bei fortgeschrittenen Destruktionen und ankylosierenden Verlaufstypen, die eine beidseitige Handgelenksdestruktion oder einen besonderen Bedarf feinmotorischer Gebrauchsfähigkeit der Hand haben. Es besteht generell für die Handgelenksprothetik bei rheumatischen Erkrankungen eine besondere Belastungssituation mit erhöhtem Risiko der Lockerung und Prothesenmigration,

Abb. 7a Radiolunäre Fusion nach Chamay mit Schrauben und Ulnakopfresektion a. p. Abb. 7b Radiolunäre Fusion nach Chamay mit Schrauben und Ulnakopfresektion seitlich Abb. 8 RSL- Fusion mit Schrauben bei fortgeschrittener Handgelenksdestruktion bei RA und Fingergrundgelenksersatz mit Silikon-Endoprothesen Abb. 9a Karpaler Kollaps mit fortgeschrittener Handgelenksdestruktion bei RA und erfolgter Handgelenksarthrodese mit winkelstabiler Platte a. p. Abb. 9b Karpaler Kollaps mit fortgeschrittener Handgelenksdestruktion bei RA und erfolgter Handgelenksarthrodese mit winkelstabiler Platte seitlich Abb. 10 Operation nach KapandjiSauvé mit Schrauben bei RA Abb. 11 90-90-Deformität des Daumens bei RA

des Materialbruches und aufgrund des meist gestörten muskulären Kräftegleichgewichtes das Problem der Entstehung einer störenden Sekundärfehlstellung.

Operation nach Kapandji (Sauvé-Kapandji)

Die radioulnare Arthrodese mit Ulnasegmentresektion wird zur operativen Behandlung bei Caputulnae-Syndrom und zur Stabilisierung des Handgelenkes durchgeführt. Ein ausreichend intakter Ellenkopf ist für diese Operation notwendig. Besonders das kosmetische Ergebnis dieser Operation wird von den Patienten meist als besser als das der Ulnakopfresektion empfunden. Ob der Eingriff ähnlich der partiellen radiokarpalen Fusion das rheumatische Handgelenk langfristig stabilisieren kann, wird in der Literatur uneinheitlich bewertet. Auch in Stadien fortgeschrittener Handgelenksdestruktionen ist die Operation oft erfolgreich. (Abb. 10)

Operative Therapie rheumatischer Daumen- und Fingerdeformitäten

Korrektureingriffe bei Ulnardeviation, palmarer Sub-/Luxation der Fingergrund-/mittelgelenke, Schwanenhals- und Knopflochdeformitäten sowie Daumendeformitäten können in Abhängigkeit vom Stadium und Typ (z. B. n. Nalebuff) sehr aufwendig und mit umfangreichen Nachbehandlungen verbunden sein. Oft sind auch heute Rekonstruktionen bei rheumabedingten Sehnenrupturen notwendig. Die Ergebnisse sind dabei vom Ort der Läsion und Anzahl der betroffenen Sehnen abhängig. Aus der Fülle der verschiedenen Eingriffe an Daumen und Fingergelenken soll nur beispielhaft auf zwei typische rheumahandchirurgische Verfahren eingegangen werden.

Alloarthroplastik und Korrektur der Ulnardeviation

Die Indikation zum Gelenkersatz besteht als rekonstruktive Maßnahme bei fortgeschrittenen Gelenkdestruktionen. Die knöcherne Substanz gerade im Bereich der Mittelhandknochen bei Patienten mit Rheuma ist oft schlecht, die Verankerung von Implantaten dadurch erschwert und eine palmare/ ulnare Fehlstellung liegt vor. Die größten Erfahrungen bestehen weltweit mit dem Silikon-Implantat (z. B. Swanson), das auch heute noch den Gelenkersatz der Wahl im Bereich der Fingergrundgelenke beim Patienten mit RA darstellt. Die Gelenkstabilisierung, Wiederherstellung der Länge des Fingerstrahls, Schmerzreduktion und der Funktionserhalt auch in Knochen schlechter Qualität ist hiermit möglich. Die Synovialektomie, Lösung der palmaren Platte, Reinsertion der radialen Kollateralbänder sowie Rezentrierung der Strecksehne sind Bestandteile der Gelenkersatzoperation und gff. Korrektur der Ulnardeviation. (Abb. 8)

90-90-Deformität des Daumens

Diese ist charakterisiert durch die Beugefehlstellung des Daumens im Grundgelenk mit sekundärer Überstreckung im Interphalangealgelenk. Die Behandlung ist vor allem abhängig vom Zustand der Gelenkflächen. Bei geringen Destruktionen kann die Tenodese nach Nalebuff durchgeführt werden. Nach dem distalen Absetzen wird hier die Sehne des M. ext. pollicis longus durch die dorsale Kapsel des Grundgelenkes an der Basis der Grundphalanx gezogen und vernäht. Die extrinsische Daumenstreckung wird so verstärkt. Ist das Daumengrundgelenk fortgeschritten zerstört, erfolgt die Arthrodese. (Abb. 11)

Rheumahandchirurgie im interdisziplinären Behandlungskonzept des Rheumapatienten

Ohne suffizient und kontrolliert durchgeführte Basistherapie, als zentral-wesentlicher Anteil der Behandlung der Patienten mit einer rheumatischen Erkrankung, kann kein rheumahandchirurgischer Eingriff geplant oder langfristig erfolgreich werden. Diese medikamentöse Einstellung erfolgt regelhaft ambulant, wie auch die weiteren konservativen Therapiemaßnahmen. Rheumahandchirurgische Eingriffe (besonders Handgelenks-, Fingergelenks-, Sehnenoperationen) erfordern hingegen fast immer stationäre postoperative Behandlungen über mehr als 48 Stunden, um das operative Ergebnis nicht zu gefährden und die spezifische rheumahandtherapeutisch-frühfunktionelle Nachbehandlung unter Kontrolle durch den Rheumahandchirurgen zu ermöglichen. Eine enge ambulant-stationäre Verbindung ist dabei nötig. Der Rheumahandchirurg, als Facharzt mit gleichzeitig zwei Zusatzbezeichnungen: orthopädische Rheumatologie und Handchirurgie, ist im interdisziplinären Konzept zusammen mit orthopädischen Rheumatologen, internistischen Rheumatologen, hinzuzuziehenden weiteren Fachärzten und Berufsgruppen ambulant und stationär notwendig. Der Gesetzgeber hat hierfür z. B. mit der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) die Grundlage der ambulanten Behandlungsstruktur geschaffen. Der ASV Rheumatologie wird im Krankenhaus Waldfriede Berlin auch bundeslandübergreifend schon seit mehr als einem Jahr gelebt.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

Frakturassoziierte Nervenverletzungen bei Kindern: Diagnostik und Therapie

bei Nervenschäden infolge von Armfrakturen bei Kindern ist ein ein klar gegliedertes, abgestuftes Vorgehen notwendig. Eine frühe Indikationsstellung und operative Intervention verkürzen das Zeitintervall zwischen Nervenverletzung und Therapie. Somit wird die Reinnervation beschleunigt und die Chance auf eine komplette funktionelle Wiederherstellung verbessert.

Bei 11% der Armfrakturen bei Kindern treten frakturassoziierte Nervenschäden auf.1
Am häufigsten werden sie bei schwer dislozierten suprakondylären Humerusfrakturen beobachtet, gefolgt von Humerusschaft- und Unterarmfrakturen. Suprakondyläre Humerusfrakturen werden am häufigsten durch geschlossene Reposition und Stabilisierung mittels gekreuzter Kirschner-Draht-Osteosynthese versorgt. Die Quote der iatrogenen Läsionen, meist des N. ulnaris, liegt hier bei 10%. Trotz dieser Häufigkeit und bleibenden Nervenausfällen finden sich in der Literatur keine konsistenten Handlungsvorschläge bezüglich Art und Zeitpunkt der Diagnostik, Indikation und Zeitpunkt der Nervenrevision sowie Art der Therapie.2 Nach unserer Erfahrung wird das Ausmaß der Schäden von den behandelnden Unfall- und Kinderchirurgen oft verzögert erkannt. Die mangelnde Kooperation der verängstigten Kinder bereitet im Umgang mit Kindern ungeübten Neurologen Probleme bei der elektrophysiologischen Diagnostik und verhindert eine aussagekräftige Untersuchung. Trotz dieser Widrigkeiten müssen die Kinder rasch und effektiv behandelt werden, um die Zeit der Funktionseinschränkung zu verkürzen und eine komplette funktionelle Wiederherstellung zu erreichen. In interdisziplinärer Zusammenarbeit haben 2020 die Hamburger Kinderhandchirurgie, der Schwerpunktbereich für periphere Nervenchirurgie des Unfallkrankenhauses Berlin und die in der Thematik erfahrenen dortigen Neurologen eine Stufendiagnostik und einen operativen Therapie-Algorithmus entwickelt.

Der zeitliche Druck zur frühen Erkennung einer schweren Axonotmesis und Neurotmesis erklärt sich durch die Zeit, die durchtrennte Axone zur Ausprossung benötigen (im Schnitt 1 mm/Tag) und die Zeit, in der der Muskel als Erfolgsorgan irreversibel umgebaut wird (1 bis 2 oder 3 Jahre). Der Muskel als Erfolgsorgan atrophiert zunächst. Über den Zeitpunkt, ab dem die Atrophie in einen fettigen und fibrotischen Umbau der Muskelfasern übergeht und damit irreversibel wird, gibt es nur Erfahrungswerte, keine gesicherten Daten.4 Die größten Erfolgsaussichten werden mit bis zu 3 Monaten nach Durchtrennung angegeben. Eine funktionelle Reinnervation kann bis zu einem Jahr erwartet werden. Nach 2 bis 3 Jahren gilt der Umbau als abgeschlossen.

Präoperative klinische Untersuchung

Wenn möglich, sollte präoperativ untersucht werden, ob ein Nervenausfall vorliegt, um zwischen traumatischem und iatrogenem Nervenschaden unterscheiden zu können. Das setzt eine Kenntnis der Nervenuntersuchung und eine gewisse Kooperation der schmerzgequälten Kinder voraus. Durch Bestreichen der Hand in den Innervationsgebieten der 3 Hauptnerven radialdorsal, palmar ulnar und palmar radial kann die Sensibilität einfach überprüft werden. Die motorischen Ausfälle können durch wenige Übungen überprüft werden: der N. medianus durch das Ringzeichen, der N. radialis durch Daumenextension und der N. ulnaris durch Kleinfingerabduktion oder Froment-Zeichen (Abb. 1–3).

Postoperative klinische Untersuchung

Dieselbe klinische Untersuchung wird postoperativ wiederholt. Bei gesichertem iatrogenen Nervenausfall erfolgt eine zügige operative Revision. Eine Perforation oder ein Verziehen des N. ulnaris durch den Kirschner-Draht, ein Verziehen am häufigsten des N. medianus an den Frakturspalt und sogar ein Einklemmen in den Spalt sind möglich. Bei überstarken Schmerzen und/oder neurologischen Ausfällen kann der Verdacht durch eine Neurosonographie erhärtet und der Nerv zügig operativ revidiert werden.

 

Abb. 1 Untersuchung des N. ulnaris a Das Festhalten gegen Widerstand ist mit gestrecktem Daumen und den übrigen Fingern möglich (Froment-Zeichen). b Bei Ausfall des ulnarisinnervierten M. adductor wird das Froment-Zeichen positiv: Der Gegenstand kann nur mit dem medianusinnervierten Daumenbeuger festgehalten werden. c Das Abspreizen des Kleinfingers ist nur mit intaktem N. ulnaris möglich. Abb. 2 Untersuchung des N. medianus: Nur bei intaktem N. medianus kann das Ringzeichen mit Daumen und Zeigefinger gebildet werden. Abb. 3 Untersuchung des N. radialis: Nur bei intaktem N. radialis können der Daumen und die übrigen Finger vom Tisch angehoben werden.

Postoperative Ausfälle bei unklarem präoperativen Status

Früh postoperativ: Konnten die Kinder präoperativ nicht verlässlich auf Nervenausfälle untersucht werden und bestehen postoperativ Ausfälle, ist sowohl ein frakturbedingter Dehnungsschaden als auch eine revisionsbedürftige Verziehung der empfindlichen Nerven möglich. Starke Schmerzen sind immer ein Warnzeichen für ein Kompartmentsyndrom, eine Nervenverziehung oder eine Nerveneinklemmung. Mit der hochauflösenden  Nervensonographie kann der Nervenverlauf schon früh postoperativ dargestellt werden. Die umgehende Neurolyse nimmt die Schmerzen und ermöglicht eine rasche Reinnervation.

In den ersten postoperativen Wochen: Ist sonographisch der Nervenverlauf ungestört und sind die Faszikel erhalten, erfolgt alle 2 Wochen eine klinische Verlaufskontrolle (Abb. 4). Bessern sich die neurologischen Ausfälle über 4 Wochen nicht, kann und sollte das Ausmaß des Schadens elektrophysiologisch abgeklärt werden (Tabelle 1).


Abb. 5 Nervenläsionen und deren elektrophysiologischen Befunde In dieser Tabelle haben die Neurologen und Nervenchirurgen des Unfallkrankenhauses Berlin die Art der Nervenschädigung mit den typischen Ursachen, der Pathologie, den EMG- und NLG-Befunden und der Bildgebung gegenübergestellt sowie die Prognose und Therapie zusammengefasst.

Bei Neurapraxie und leichter Axonotmesis kann weiter zugewartet werden. Liegt ein höhergradiger axonaler Schaden vor, sollte operativ revidiert werden. Elektrophysiologisch finden sich die entscheidenden Hinweise in der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) in Form eines reduzierten oder fehlenden sensiblen Nervenaktionspotentials (SNAP) und eines reduzierten oder fehlenden muskulären Summenaktionspotentials (MSAP) (Abb.5)

Fazit:

Insbesondere die Neuro-Sonographie und die Elektrophysiologie durch einen erfahrenen und im Umgang mit Kindern geübten Neurologen helfen beim Abschätzen einer möglichen Spontanremission und bei der Indikationsstellung zur operativen Therapie. 3 bis 4 Wochen nach Unfall kann die Entscheidung zur operativen Freilegung fundiert getroffen werden. Bei verzogenen, aber durchgängigen Faszikeln bilden sich die Ausfälle nach exerner, ggf. zusätzlich interfaszikulärer Neurolyse erstaunlich rasch zurück. Bei zerstörten Faszikeln und sekundärer Transplantation kann die Reinnervation der Erfolgsmuskulatur frühzeitiger erfolgen und so die Zeit der Ausfälle verkürzt werden. Nach 1 Jahr und bei Kindern möglicherweise bis zu 2 Jahren werden die motorischen Endplatten abgebaut und der Muskel ist dann unwiederbringlich geschädigt.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

Wiederherstellung der Funktion bei Fingerfrakturen

In der Behandlung von Fingerfrakturen kommt trotz einer großen Auswahl moderner Implantate und verfeinerter Operationstechnik der konservativen Behandlung nach wie vor eine große Bedeutung zu.

Es gilt, die komplexe funktionelle Anatomie zu berücksichtigen und die Weichteile bestmöglich zu schonen. Das Hauptziel der Therapie ist die Wiederherstellung der Funktion. Die Schonung des Sehnengleitgewebes hat Priorität gegenüber einer absolut anatomischen Rekonstruktion und größtmöglicher Stabilität. Nur bei hoher Compliance des gut informierten Patienten lässt sich ein gutes funktionelles Ergebnis erzielen. Die Indikationsstellung muss daher individuell erfolgen und die Möglichkeiten der konservativen und operativen Therapie mit dem Ziel der frühfunktionellen Behandlung verknüpfen.

Knöcherne Verletzungen der Phalangen inklusive der Metakarpalia machen etwa 10% aller Frakturen aus, werden aber nicht selten als Bagatellverletzung abgetan und nicht adäquat therapiert. Ca. 25% aller Fingergelenkeinsteifungen sind ursächlich auf eine Fraktur zurückzuführen. Ursächlich sind in der Mehrzahl Arbeits- oder Sportunfälle, so dass überwiegend jüngere Männer betroffen sind.

Anders als die großen Röhrenknochen sind die Fingerknochen nicht von Muskulatur und somit einem kräftigen Weichteilmantel umschlossen. An den Fingern gibt es lediglich einen dünnen Weichteilmantel, der mit Gefäßen, Nerven, Sehnen, Sehnengleitgewebe und Bändern auf engstem Raum eine Vielzahl funktioneller Strukturen enthält.

Klinische und bildgebende Diagnostik

Neben inspektorisch auffälliger Schwellung und Fehlstellung fällt klinisch meist eine schmerzhafte Funktionseinschränkung auf, die allerdings insbesondere bei  Gelenkfrakturen auch lediglich diskret ausgeprägt sein kann, was eine Fehleinschätzung dieser Verletzungen begünstigt. Frakturen der Endgliedbasis sind meist knöcherne Strecksehnenausrisse und fallen klinisch durch ein hängendes Endglied nach einem Anpralltrauma auf. Frakturen der Mittel- und Grundglieder führen neben der schmerzhaften Schwellung häufig zu typischen Achsabweichungen, die bereits bei der Inspektion erkennbar sind. Schwieriger zu detektieren, dabei aber funktionell ungleich relevanter ist die frakturbedingte Rotationsabweichung. (Hinweis: das Wort „Rotationsfehler“ sollte in der Dokumentation vermieden werden, da es einen „Fehler“ des Behandlers suggerieren könnte.)

Basis einer exakten Frakturdiagnostik ist die konventionelle Röntgenaufnahme. Im Fingerbereich gehört hierzu eine Aufnahme im dorsopalmaren und im streng seitlichen Strahlengang, wobei jeder verletzte Finger einzeln in streng seitlicher Projektion  abzubilden ist. In Einzelfällen kann zur Einschätzung des Ausmaßes einer Gelenkverletzung bzw. zur Operationsplanung eine Computertomographie mit sagittaler und coronarer Rekonstruktion hilfreich sein.

Grundzüge der konservativen Therapie

Ziel der Behandlung von Fingerfrakturen ist die knöcherne Heilung ohne relevanten Funktionsverlust. Die Rolle des Behandlers ist es, Frakturstabilität in adäquater Stellung unter Erhalt einer guten Gleitfähigkeit des Weichgewebes herzustellen. Hierbei ist eine gewisse Frakturdislokation oftmals zu akzeptieren, da diese die Funktion oft weniger beeinträchtigt, als eine chirurgisch erzielte, perfekte Anatomie mit entsprechender Kompromittierung des Weichgewebes.

Prinzipiell sind alle stabilen Frakturen ohne Rotationsabweichung oder Dislokation in der Frontalebene für eine konservative Therapie geeignet. Ebenso können  Rotationabweichungen oder Dislokationen, die in Leitungsanästhesie reponiert und mit einer geeigneten Verbandanordnung stabil retiniert werden können, konservativ therapiert werden. Bei fraglich instabilen Situationen kann zunächst ein konservativer Behandlungsversuch unter radiologischer Verlaufskontrolle unternommen werden. Bei sekundärer Dislokation sollte dann aber frühzeitig eine operative Intervention erfolgen. Für die initiale Ruhigstellung kommen dorsale oder palmare Schienen aus Gipsbinden oder thermoplastischem Material zur Anwendung, die die unverletzten Abschnitte der Hand nicht mit einschließen sollten. An den Phalangen haben sich kurze Stack’sche Fingerschienen für das DIP- oder PIP-Gelenk bewährt. Grundgelenke (MCP) sollten grundsätzlich in 90° Beugestellung unter Aufspannung der Seitenbänder in der sog. „intrinsic-Plus“- Stellung immobilisiert werden (Abb. 1b).

Abb. 1a & b a) Buddy-taping von Dig. 2 an Dig. 3 bei konservativ frühfunktionell behandelter Grundgliedschaftfraktur Dig. 2. Beachte: die Tapestreifen sollten die Gelenke aussparen, um eine Bewegungseinschränkung zu verhindern. Eine Kompresse zwischen den Fingern verhindert eine Hautmazeration. b) Darstellung der intrinsicplus Stellung.

Hierdurch bleibt die Länge der Bänder und damit die Beugefähigkeit bis zur Gipsentfernung erhalten. Insgesamt bedürfen Frakturen der Finger- und Mittelhandknochen einer kürzeren Ruhigstellungszeit als allgemein angenommen. Im Röntgenbild sind die Frakturen noch lange sichtbar, auch wenn durch die Kallusbildung im Allgemeinen schon bereits nach drei Wochen eine ausreichende Stabilität besteht. Klinisches Entscheidungsmerkmal sollte die Druckschmerzhaftigkeit im Frakturbereich (Kallusdruckschmerz) sein. Sobald diese verschwunden ist, kann in der Regel funktionell weiterbehandelt werden. Eine gute Übergangslösung stellt hier das Buddy-Taping der Finger (Abb. 1a & b) dar.

Grundzüge der operativen Therapie

Bei Frakturen der Finger gibt es durchaus Situationen, bei denen zum Erhalt der Funktion eine „dringende“ Operationsindikation gestellt werden sollte. Es sind dies die instabilen und irreponiblen Frakturen, Frakturen mit begleitendem Weichteilschaden, instabile Serienfrakturen, dislozierte Gelenkverletzungen, irreponible Frakturen im Bereich der Wachstumsfugen und Frakturen mit Rotationsabweichung. Damit die Sehnen und insbesondere ihre Gleitgewebe frühzeitig beübt werden können, ist die stabile osteosynthetische Versorgung instabiler Frakturen hierbei eine Grundvoraussetzung. Für die operative Frakturbehandlung an der Hand stehen heute eine Reihe unterschiedlicher Osteosynthesetechniken- und materialien zur Verfügung. Moderne Implantate erlauben stabile Rekonstruktionen unter besonderer Berücksichtigung der komplizierten anatomischen Verhältnisse an der Hand. Die verschiedenen Osteosyntheseverfahren sollten dabei nicht nur operativ, sondern auch indikatorisch sicher beherrscht werden.

Allerdings gibt es in der Literatur keine ausreichende Evidenz dafür, welche Implantate und Methoden in der jeweiligen Situation tatsächlich empfehlenswert sind. Bei Frakturen der Phalangen spielen möglichst perkutan eingebrachte Schrauben und K-Drähte (Abb. 2) und externe Fixateure eine tragende Rolle in der operativen Behandlung. Bei Verwendung der zunehmend angebotenen, anatomisch vorgeformten, niedrig-profiligen, winkelstabilen Platten, kann es auch bei deren sachgerechter Anwendung aufgrund der geschilderten Weichteilsituation zu erheblichen Verklebungen und Funktionsstörungen kommen (Abb. 3). Daher können Plattenosteosynthesen an den Fingerknochen nur im Ausnahmefall empfohlen werden.

Zusammenfassend ist eine interne oder externe Osteosynthese zur Frakturbehandlung
immer dann sinnvoll, wenn davon ausgegangen werden muss, dass die meist risikoärmere konservative Behandlung nicht zum gewünschten Ergebnis führen wird. Ziel der operativen Stabilisierung von Fingerfrakturen sollte eine möglichst frühe Übungsstabilität sein.

Spezielle Frakturen der Phalangen Endgliedfrakturen

An den Endphalangen werden Nagelkranzfrakturen, Schaftfrakturen und Frakturen mit Gelenkbeteiligung unterschieden. Undislozierte Nagelkranzfrakturen und Schaftfrakturen heilen meist problemlos in einer Stack’schen Fingerschiene innerhalb weniger Wochen ab. Besteht kein lokaler Druckschmerz mehr, kann die Schiene weggelassen und funktionell weiterbehandelt werden. Subunguale Hämatome sollten zur Schmerzbehandlung am Unfalltag durch Trepanation des Fingernagels entlastet werden. Verschobene Schaftfrakturen oder offene Frakturen können durch einen axialen K-Draht ggf. mit temporärer DIP-Arthrodese versorgt werden. Zur Vermeidung von Infektionen sollten die Drähte unter die Haut versenkt und das Endglied zusätzlich durch eine Stack-Schiene ruhiggestellt werden. Bei den Frakturen mit Gelenkbeteiligung handelt es sich meist um knöcherne Strecksehnenausrisse. Die konservative Therapie ist hier meist erfolgreich möglich, wenn in Streckstellung des Endgelenkes in der Stack-Schiene radiologisch eine Fragmentadaptation ohne Subluxation des distalen Hauptfragmentes nach palmar verifiziert werden kann.

Mittelgliedfrakturen

Stabile unverschobene Frakturen der Mittelglieder können in der Regel schienenfrei funktionell behandelt werden. Bei verschobenen Frakturen kann eine Reposition mit anschließender Fixation am Nachbarfinger (Buddy-Tape) für 3–4 Wochen ausreichend
sein.

Kontrolle Geschlossene achsgerechte Reposition und Osteosynthese durch antegrad gebohrte, gekreuzte K-Drähte, die nach distal ausgebohrt werden, um die Streckerhaube des MCP-Gelenk nicht zu beeinträchtigen. Sofortige physiotherapeutisch begleitete Bewegung im MCP-und PIP-Gelenk möglich. Drahtentfernung nach 4 Wochen. Funktionell perfektes Ergebnis. Abb. 3a & b Unfallbilder Dislozierte, instabile Querfraktur Grundgliedschaft Dig. 5. Abb. 3c & d Kontrolle 6 Monate postoperativ vor ME und Arthrolyse Eine geschlossene Reposition war wegen interponierter Weichteile nicht möglich. Nach offener Reposition und dorsaler winkelstabiler Platenosteosynthese (1,5 mm System) ließ sich zwar eine anatomische Reposition erzielen. Es kam jedoch zu einer verzögerten Frakturheilung und einer erheblichen Beugekontraktur des PIP-Gelenks, die auch nach Materialentfernung und Arthro-/Tenolyse nicht vollständig zu beheben war.

Instabile und dislozierte Frakturen sollten bevorzugt operativ z. B. mit Kirschnerdrähten oder Schrauben fixiert werden. Schräg- bzw. Torsionsfrakturen werden dabei quer zur Schaftachse, Querfrakturen mittels axial gekreuzter Drähte versorgt. Dislozierte Kondylenfrakturen bedürfen wenn möglich perkutanen Reposition und Zugschraubenosteosynthese unter Schonung des lateralen Kapselbandapparates mit nachfolgender frühfunktioneller Weiterbehandlung. An der Mittelgliedbasis gefährden insbesondere Stauchungsfrakturen die Funktion des Mittelgelenkes. Sie sollten so früh wie möglich funktionell behandelt werden. Hier kann oftmals ein funktionell gutes Remodelling der Gelenkfläche durch eine Extensionsbehandlung im externen Fixateur nach Suzuki erreicht werden. Die sehr häufigen knöchernen Ausrisse der Gelenkkapsel (sog. palmare Platte) werden in Streckstellung (z. B. in einer PIPStack-Schiene) für ein bis max. zwei Wochen immobilisiert und dann funktionell nachbehandelt, um einer langwierigen Beugekontraktur vorzubeugen.

Grundgliedfrakturen

Grundgliedschaftfrakturen lassen sich häufig durch 90 Grad Beugung im MCP- Gelenk durch Zug der Sehnen so ausrichten, dass sie in einer entsprechenden Schiene frühfunktionell zur Ausheilung gebracht werden können. Durch die Anspannung der Streckerhaube in dieser Stellung ergibt sich meist eine gute Retention der Fraktur und die Funktion im DIP- und PIP-Gelenk kann während der gesamten Behandlung freigegeben bleiben. Zwingt eine Rotationsabweichung zur Intervention, so lässt sich diese häufig durch Reposition in Oberst‘sche Leitungsanästhesie mit anschließendem buddy-taping korrigieren. Instabile Schrägfrakturen und Frakturen mit Gelenkbeteiligung sollten operativ behandelt werden. Meist ist eine gedeckte oder halboffene Einrichtung und Stabilisierung durch Zugschrauben oder K-Drähte möglich. Kirschnerdrähte können bei sachgerechter Anwendung zu guten funktionellen Ergebnissen führen, sofern sie nicht länger als 4 Wochen belassen und so platziert werden, dass das Drahtende nicht im Sehnengleitgewebe stört (Abb. 2).

Weiterbehandlung

Oberstes Ziel in der Behandlung von Frakturen an den Phalangen ist die Wiederherstellung bzw. der Erhalt der Funktion. Ruhigstellungen sollten daher nur so kurz wie nötig erfolgen. Der möglichst frühzeitige Beginn einer physiotherapeutischen Behandlung und die  darüber hinausgehenden Möglichkeiten speziell handtherapeutisch geschulter Ergotherapeut*innen sollten großzügig eingesetzt werden.


1. Thelen S, Windolf J: Finger- und Mittelhandfrakturen.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2019; 14(05): 495–514
2. Giddins, G: The Nonoperative Management of Hand Fractures
in United Kingdom. Hand Clin 2017 Aug; 33(3): 473–487.

Perspektive DVT – „Genaue Diagnostik und Visualisierung von Pathologien“

Gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Winkler leitet Dr. med. Markus Weiß das MVZ „OrthoPrax“ in Remscheid. In ihrer Praxisklinik bieten sie ihren Patienten eine fachärztliche Behandlung auf höchstem Niveau und aus einer Hand über das gesamte Spektrum der konservativen sowie operativen Orthopädie und Unfallchirurgie.

Um ihren Patienten vor Ort eine sofortige Diagnostik und Therapieplanung ohne lange Wartezeiten und Überweisungen zu ermöglichen, entschied sich das Ärzteteam Ende 2020 für eine Implementierung der SCS MedSeries® H22 BVOU Edition.

„Die Implementierung verlief reibungslos – angefangen von der Beratung, der Hospitation bei den ärztlichen Kollegen, der Raumplanung bis hin zu den Einweisungen und Schulungen. Nun können unsere Medizinischen Fachangestellten selbstständig und problemlos Untersuchungen durchführen“, so Dr. med. Weiß.

Des Weiteren ist die erhöhte Aussagekraft bei geringer Strahlenbelastung für das Team ein weiterer Grund gewesen, das SCS DVT zu implementieren.

Dr. med. Markus Weiß berichtet über seine Erfahrungen mit der 3-D-Schnittbildgebung:

„Durch die genaue Diagnostik und auch Visualisierung der Pathologien kann dem Patienten auch die daraus resultierende Therapie eingehend erläutert werden, was das Verständnis für die Therapien fördert und somit auch die Compliance und den Behandlungserfolg.“

 

Orthoprax Allee-Center
Dr. med. Markus Weiß
Thomas Winkler
Theodor-Heuss-Platz 8
42853 Remscheid
www.orthoprax.de

MVZ OrthoPrax
Praxisklinik
Dr. med. Markus Weiß
Thomas Winkler
Freiheitstraße 203
42853 Remscheid
www.orthoprax.de

Digitale Volumentomographie mit dem SCS MedSeries® H22

SCS steht für Sophisticated Computertomographic Solutions und beschreibt die Lösung für die anspruchsvolle 3-D-Bildgebung mit höchster Strahlenhygiene, höchster Bildauflösung sowie höchster Zeitersparnis für Patient, Praxis und Arzt – als Win-Win-Win-Situation – gleichermaßen.

Der digitale Volumentomograph SCS MedSeries® H22 besitzt ein breites Indikationsspektrum und ist aus der Orthopädie und Unfallchirurgie nicht mehr wegzudenken. Mit dem platzsparenden Design findet das DVT in jeder Praxis einen Platz. Dank der hohen Strahlenhygiene und der Auflösung von bis zu 0,2 mm ist der digitale Volumentomograph auch in der Pädiatrie anwendbar. Die vom DVT ausgehende Strahlendosis kann unterhalb der täglichen terrestrischen Strahlendosis eingestellt werden und ist im Vergleich zur Computertomographie um bis zu 92% geringer.

Die hochauflösenden Schnittbilder stehen, inklusive Rekonstruktionszeit, innerhalb von drei Minuten in multiplanarer Ansicht (axial, koronar, sagittal) sowie in 3-D am Befundungsmonitor zur Beurteilung durch den behandelnden Arzt zur Verfügung. Im Resultat ist es mit dem DVT möglich, eine 3-D-Schnittbilddiagnostik durchzuführen, die sehr strahlungsarm ist, eine exakte Beurteilung von Grenzflächen zwischen Metall- und Knochenstrukturen zulässt, und sehr einfach am Patienten anzuwenden ist.

Jetzt kostenfreie Beratung und DVT-Live-Demo anfordern
Kontaktieren Sie uns für eine kostenfreie Beratung zum planungssicheren Einstieg in die 3-D-Bildgebung oder für eine Live-Demonstration an einem DVT-Standort in Ihrer Nähe. Weitere Informationen erhalten Sie auf unserer Webseite unter www.myscs.com/beratung.

Gestiegene Personalkosten mindern Jahresüberschüsse der Vertragspraxen

Personalkosten zwischen 2016 und 2019 um 21,9 Prozent je Praxisinhaber gestiegen // Jahresüberschüsse der Vertragsarztpraxen pro Jahr real nur um 1,3 Prozent gewachsen

Personalkosten zwischen 2016 und 2019 um 21,9 Prozent je Praxisinhaber gestiegen // Jahresüberschüsse der Vertragsarztpraxen pro Jahr real nur um 1,3 Prozent gewachsen

Berlin, 10. November 2021 – Die in den letzten Jahren eher schwache wirtschaftliche Entwicklung in den Arztpraxen hat sich nur langsam verbessert. Unter Berücksichtigung der Verbraucherpreise sind die Jahresüberschüsse in den Jahren 2016 bis 2019 inflationsbereinigt lediglich um durchschnittlich 1,3 Prozent pro Jahr angewachsen. Im gleichen Zeitraum stiegen jedoch die Betriebskosten um 14 Prozent stark an. Der Kostenanstieg hat damit die Entwicklung der Verbraucherpreise, die im gleichen Zeitraum im Bundesdurchschnitt um 4,8 Prozent zunahmen, um nahezu das Dreifache überschritten. Größter Kostenfaktor für die Praxen sind die Ausgaben für Personal, die 55 Prozent der Gesamtaufwendungen umfassen. Diese sind 2019 um insgesamt 6,7 Prozent gestiegen, von 2016 bis 2019 sogar um 21,9 Prozent. Die größten Kostensprünge gab es zudem bei Aufwendungen für Material und Labor (+12,2 Prozent) sowie bei der Miete für Praxisräume (+5 Prozent).

Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat in ihrer Bedeutung für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte weiter zugenommen. So sind die GKV-Einnahmen an den Gesamteinnahmen im dreijährigen Beobachtungszeitraum überdurchschnittlich stark angestiegen (+11,6 Prozent). Die Zuwachsrate bei den Privateinnahmen lag mit 8,6 Prozent hingegen unter dem Durchschnitt.

Das sind die zentralen Ergebnisse einer Vorabinformation des Zi-Praxis-Panels (ZiPP), mit dem das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) die wirtschaftliche Lage der Arztpraxen zwischen 2016 und 2019 analysiert hat. „Da die Inflationsrate in den vergangenen Jahren sehr niedrig war und nur etwa ein Drittel des heutigen Wertes betrug, sind diese Vergangenheitswerte keine gute Basis, um über die aktuelle wirtschaftliche Lage der Arztpraxen heute zu urteilen. Bei der derzeitigen Inflationsrate von 4,1 Prozent würden die Praxen bei vergleichbarer Einnahmen- und Kostenentwicklung reale Verluste machen. Die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung gründet aber auf dem Fundament einer soliden wirtschaftlichen Basis der Niederlassung“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. Nur wenn auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, könne es gelingen, junge Ärztinnen und Ärzte verstärkt für die medizinische Versorgung in der eigenen Praxis zu begeistern, so von Stillfried weiter: „Die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten in den Arztpraxen braucht Zeit. Zeit, die wegen der zunehmenden Arbeitsverdichtung in der Niederlassung leider immer weniger zur Verfügung steht. Auch das hat uns die COVID-19-Pandemie sehr eindringlich vor Augen geführt, denn Regelversorgung und Krisenversorgung werden auch in Zukunft den Alltag vieler Praxen in Deutschland prägen. Dieser Zeiteinsatz muss so vergütet werden, dass in der Niederlassung auch nach Abzug der Geldentwertung ein Plus verbleibt.“

Der Zi-Chef forderte die Politik zu einem klaren Bekenntnis pro ambulante Versorgung auf: „Die Sicherstellung der wohnortnahen fach- und hausärztlichen Versorgung gibt es nicht zum Nulltarif. Corona führt auch hier weiterhin zu überdurchschnittlicher Arbeitsbelastung. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte haben eine hohe gesellschaftliche Verantwortung und tragen wirtschaftliches Risiko. Das muss in den Verdienstmöglichkeiten anerkannt werden. Diese müssen mindestens so attraktiv sein wie in anderen Bereichen der medizinischen Versorgung, um junge Ärztinnen und Ärzte weiterhin für die Niederlassung gewinnen zu können.“

Das Zi-Praxis-Panel (ZiPP)

Mit dem ZiPP erfasst das Zi seit 2010 jährlich die Wirtschaftslage von niedergelassenen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen und veröffentlicht dazu umfangreiche Berichte. Berücksichtigt werden die Einnahmen aus kassenärztlicher und aus privatärztlicher Tätigkeit. Die Basis bildet die steuerliche Überschussrechnung der Praxen. Diese Daten werden direkt aus den Steuerunterlagen der Praxen erhoben. Die aktuell veröffentlichten Ergebnisse beruhen auf der Befragung des Jahres 2020 und beziehen sich auf die Berichtsjahre 2016 bis 2019. An der Erhebung 2020 nahmen 5.132 Praxen teil. In der hier beschriebenen Längsschnittanalyse wurden die Angaben von 4.020 Praxen berücksichtigt, die für alle vier Jahre über vollständige Finanzangaben verfügen. Die abschließenden Ergebnisse zur Erhebungswelle 2020 werden zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen des Jahresberichts zur Erhebungswelle 2020 veröffentlicht.

Zi-Praxis-Panel > Zentrale Ergebnisse aus der Befragung 2020 zu den Berichtsjahren 2016 bis 2019: https://www.zi-pp.de/pdf/ZiPP2020_Vorabinformation.pdf

Diese Meldung finden Sie auch hier: https://www.zi.de/presse/presseinformationen/10-november-2021

Weitere Informationen:

Daniel Wosnitzka
Leiter Stabsstelle Kommunikation / Pressesprecher
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Endoprothesenregister Deutschland veröffentlicht Jahresbericht 2021

Pandemiebedingter Rückgang der Operationszahlen hat keine Auswirkungen auf Aussagekraft der erhobenen Daten. Hohes Übergewicht ist ein Risikofaktor für Infektionen nach Hüfterstimplantation. Patienten über 75 Jahre profitieren bei Hüftendoprothesen von Schaftzementierung.

Berlin, den 15.11.2021 – Das Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) hat seinen Jahresbericht 2021 veröffentlicht. 2020 erfasste das EPRD mehr als 290.000 endoprothetische Eingriffe an Hüften und Knien – 2019 waren es noch über 318.000. Dies entspricht einem Rückgang von ca. neun Prozent. Dr. Andreas Hey, EPRD-Geschäftsführer: „Der erwartete Rückgang an elektiven endoprothetischen Eingriffen an Hüfte und Knie beeinflusst nicht die Auswertungen des Endoprothesenregisters für den Berichtszeitraum 2020. Das EPRD hat sich im vorliegenden Jahresbericht erstmals mit den Auffälligkeiten bei periprothetischen Infektionen beschäftigt und konnte dabei versorgungspolitisch relevante Erkenntnisse gewinnen.“

Übergewicht ist ein entscheidender Risikofaktor für Infektionen nach elektiver Hüfterstimplantation
Infektionen zählen mit rund 15 Prozent zu den am häufigsten genannten Wechselgründen an Hüften und Knien. Insbesondere im Zeitraum bis zu zwei Jahre nach der Erstimplantation ist die periprothetische Infektion Grund – je nach Versorgungsform – für bis zu 50 Prozent der Wechseleingriffe.

Als eine wesentliche Einflussgröße für das Infektionsrisiko erweist sich dabei hohes Übergewicht der Patienten. Dieser Zusammenhang ist deutlich bei Patienten zu erkennen, die eine elektive Hüfttotalendoprothese mit zementfreiem Schaft erhalten haben: Patienten mit einem BMI unter 30, haben ein Risiko von unter einem Prozent, eine Infektion zu erleiden. Bei Patienten mit einem BMI zwischen 35 und 40 ist dieses Risiko mehr als doppelt so hoch.

Ratsam: Zementierung der Hüftschäfte bei Patienten ab 75 Jahren
Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 147.739 Hüfterstimplantationen an das EPRD gemeldet. Bei den Hüftersteingriffen werden in mehr als 88 Prozent der Fälle Hüfttotalendoprothesen implantiert, Hüftteilendoprothesen nur in rund 11 Prozent der Fälle.

Bei den Hüfttotalendoprothesen werden knapp 78 Prozent unzementiert in den Körper der Patienten eingesetzt. Der Anteil der Versorgungen, bei denen sowohl Hüftschaft als auch -pfanne zementiert implantiert wurden, lag 2014 noch bei rund acht Prozent, 2020 waren es nur noch gut vier Prozent.

Die Verankerung der Hüfttotalendoprothese ohne Zement stellt inzwischen also eine Standardbehandlung für das Gros der Patienten dar. Allerdings, Auswertungen des EPRD wie auch internationale Studien zeigen: Bei älteren Menschen muss offenbar umgedacht werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Implantatausfalls ist bei Menschen über 75 Jahren deutlich erhöht, wenn der Schaft nicht zementiert wird.

Risikomanagement: Mismatch-Identifikation durch das EPRD
Von einem sogenannten Mismatch ist die Rede, wenn Prothesenteile eines Implantats in der Kombination nicht zusammenpassen. Diese Fälle sind selten. Während solche Kombinationen in einzelnen Revisionsfällen vom Operateur bewusst aus medizinischen Gründen gewählt werden, sind sie bei Erstimplantationen nicht notwendig und können für den Patienten gravierende Folgen nach sich ziehen.

Um sie künftig weitmöglichst auszuschließen, hat das Endoprothesenregister Deutschland ein System etabliert, um Kliniken so zeitnah wie möglich über Probleme bei der Komponentenwahl zu informieren. Dies erfolgt zum einen durch einen Warnhinweis in der Erfassungssoftware; zum anderen erhalten die Kliniken monatlich einen Bericht über etwaige Probleme aus den Dokumentationen des Vormonats. Ermöglicht wird dieses Risikomanagement-Instrument durch die Produktdatenbank des EPRD. Seit der Inbetriebnahme des EPRD 2012 speisen die Implantathersteller die Datenbank mit detaillierten Informationen zu Produkteigenschaften und Funktionalitäten ihrer Artikel. Die Datenbank umfasst derzeit etwa 67.000 Einzelartikel und ist in ihrer Granularität und ihren Klassifikationsmerkmalen weltweit einzigartig.

Weitere Informationen: EPRD-Jahresbericht 2021

Über das Endoprothesenregister Deutschland
Das Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) ist ein freiwilliges Register. Ziel ist die Qualitätsmessung und -darstellung der endoprothetischen Versorgung in Deutschland. Das EPRD wurde 2010 auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e.V. (DGOOC) gemeinsam mit dem AOK-Bundesverband GbR, dem Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) sowie dem Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) aufgebaut. Betreiber des EPRD ist die gemeinnützige EPRD Deutsche Endoprothesenregister gGmbH, eine hundertprozentige Tochter der DGOOC. Mit mehr als 1,9 Millionen erfassten Dokumentationen ist das EPRD das zweitgrößte endoprothetische Register Europas.

Pressekontakt:
Elke Leopold, Sabine Franzke-Helmts
Gremien und Kommunikation
EPRD Deutsche Endoprothesenregister gGmbH
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 340 60 36 -40
E-Mail: presse@eprd.de

gematik digital: Jahresvorschau 2022

Mit einer weiteren Veranstaltung der virtuellen Reihe „gematik digital“ gibt die gematik GmbH am 01. Dezember 2021 ein umfassender Ausblick auf das kommende Jahr – gematik digital: Jahresvorschau 2022

Einige digitale Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) sind bereits gut bekannt und werden genutzt, andere möchten wir gern näher vorstellen und aufzeigen, wie Prozesse und Strukturen mit ihnen effizienter gestaltet werden können.

Die digitale Transformation verändert unsere Gesellschaft grundlegend – in allen Sektoren und Lebensbereichen. Die Digitalisierung unseres Gesundheitssystems ist ein Gemeinschaftsprojekt. Welche Akteure sich neben der gematik für schnellere und sicherere Patientenversorgung einbringen, erfahren Sie in dieser virtuellen Veranstaltung. Wir werden Ihnen außerdem die Idee der TI 2.0 präsentieren: das digitale Gesundheitswesen von morgen – schlanker, schneller und mobiler, bei gleichbleibend hohen Sicherheitsstandards.

Die Info-Veranstaltung findet am am 01.12.2021 von 17:00 bis 18:30 Uhr statt. Eigene Themen können in einer offenen Fragerunde diskutiert werden. Alle Informationen sowie das Anmeldeformular finden Sie hier:

https://www.gematik.de/veranstaltungen/details/gematik-digital-jahresvorschau-2022/

Agenda:

  • Begrüßung und Moderation: Martin Schmalz, Leiter Kommunikation gematik
  • Reflexion 2021 – Anwendungen, Erkenntnisse: Dr. Florian Hartge, Chief Production Officer gematik
  • TI 2.0: Volker Mielke, Chief Transformation Officer gematik
  • Was kommt 2022? E-Rezept, KIM, ePA, TI-Messenger: Lars Gottwald, Leiter Business Teams gematik
  • Moderierte Fragerunde

Für Rückfragen steht Frau Schmädeke gerne zur Verfügung:

Bettina Schmädeke
Referentin Produktkommunikation/ –marketing
Tel +49 30 40041-311 Mobil +49 151 7200 6213| Fax +49 30 40041-111
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