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Durchleuchtung bei Interventionen an der Wirbelsäule

02Interventionen an der Wirbelsäule werden häufig durchgeführt zur gezielten Schmerztherapie an der Wirbelsäule oder zur Diagnostik einer Schmerzursache. Um therapeutisch erfolgreich zu sein und sichere Diagnosen zu stellen, ist es notwendig, das Ziel mit optimaler Bildqualität darzustellen unter Berücksichtigung des Strahlenschutzes. Dafür sind genaue Kenntnisse des C-Bogens bezüglich Bedienung und Einstellungen wichtig, die in diesem Text angesprochen werden. Dazu kommen Kenntnisse der Anatomie und das Vermögen einer räumlichen Vorstellung, um das Bild korrekt zu interpretieren.

Das Ziel einer Intervention an der Wirbelsäule ist es, mit einer Nadel eine definierte anatomische Struktur zu erreichen, um eine gezielte Diagnostik oder Therapie zu ermöglichen. Bei radikulären Beschwerden ist die Nervenwurzel ein typisches Ziel für eine periradikuläre Therapie (PRT). Bei Rückenschmerzen wird der Medial Branch Block als diagnostische Intervention durchgeführt, um herauszufinden, ob ein Facettengelenk die Schmerzursache ist. Mit Lokalanästhesie wird die Schmerzweiterleitung des Nerven, der das Facettengelenk versorgt (Medial Branch aus dem Ramus dorsalis des Spinalnerven) vorübergehend unterbrochen. Mit der Radiofrequenz-Denervation des Medial Branch steht ein therapeutisches Verfahren bei Facettengelenkschmerzen zur Verfügung.

Damit die Diagnostik oder Therapie auch spezifisch ist, muss sichergestellt werden, dass das angestrebte Ziel (z. B. die Nervenwurzel) auch erreicht wurde. Dies geschieht in der Regel mit Hilfe von Bildgebung. Zusätzlich wird gerne Kontrastmittel verwendet, da so sichtbar gemacht werden kann, wie sich das Medikament verteilen wird und ob das Ziel erreicht wird. Zur Bildgebung besonders geeignet ist die Durchleuchtung mit einem C-Bogen. Durch die Möglichkeit, das C in allen drei Ebenen zu rotieren, können Durchleuchtungsbilder in jeder Projektion durchgeführt werden. Zudem ist bei einer Intervention unter Durchleuchtung die Strahlenexposition (insbesondere durch die Verwendung von Low-dose und gepulster Strahlung) deutlich geringer als bei Interventionen im CT. Eine Intervention benötigt deutlich weniger Strahlung als ein konventionelles Röntgenbild der Wirbelsäule. Im Gegensatz zum Standard-CT ist es möglich, den Kontrastmittelfluss im live-Bild und ggf. auch als digitales Subtraktions-Angiographie-Bild zu sehen, wodurch eine potentiell gefährliche intravasale Verteilung besser sichtbar wird. Beim CT ist Kontrastmittel, welches aus der dargestellten Ebene herausfließt, nur schwer erkennbar.

Die Laserzieleinrichtung lässt sich verwenden, um ohne Röntgenstrahlen das Gerät in die richtige Position zu bringen.

In diesem Artikel sollen die Einstellungsmöglichkeiten auch in Bezug auf Bildqualität und Strahlenschutz erläutert werden. Klinische Beispiele veranschaulichen die Anwendung am Patienten.

Geräteeinstellung

Die vielfältigen Bewegungs- und Einstellungsmöglichkeiten des C-Bogens werden individuell auf den Patienten angepasst, um das Ziel optimal darzustellen und um eine gute Bildqualität zu erreichen und dabei auch noch den Strahlenschutz zu berücksichtigen.

Zieldarstellung

Zunächst wird der C-Bogen in die richtige Position gebracht, so dass sich das Ziel ungefähr im Zentrum des dargestellten Bildes befindet. Hierbei kann die Laser-Zieleinrichtung hilfreich sein (Abb. 1). Ein nächster Schritt ist häufig ein Kippen des Bogens nach kranial oder kaudal, um die Grund- oder Deckplatte der Zielregion orthograd zum Zentralstrahl einzustellen, so dass bezogen auf diesen Level ein ap-Bild entsteht. Durch eine Rotation wird aus dem ap-Bild ein schräges Bild, welches z. B. zur Darstellung des Neuroforamens
notwendig ist (Abb. 2).

A: Darstellung eines apBildes der unteren Lendenwirbelsäule. Die Grund- und Deckplatte von Lwk 4 und 5 sind orthograd zum Röntgenstrahl eingestellt. B: Schematische Verdeutlichung der Anatomie von A. C: Rotation, so dass der Gelenkspalt und das Foramen sichtbar werden. D: Schematische Verdeutlichung der Anatomie von C.

Ein Grundprinzip bei Injektionen an der Wirbelsäule ist, dass die Nadel nicht unbedingt senkrecht zur Hautoberfläche eingeführt wird, sondern in Richtung des zentralen Röntgenstrahles (Abb. 3). Dadurch entsteht eine Punktion im sogenannten „Tunnel view“, wodurch die Nadel im richtigen Winkel zum Ziel geführt werden kann.

A: Kippung des C-Bogens nach kranial, um die Grundund Deckplatte orthograd einzustelle02n. Die Punktion erfolgt im Zentralstrahl (blauer Pfeil). B: Es entsteht dann ein Bild im „Tunnel view“, wie hier bei einer Radiofrequenz-Denervation.

Strahlenschutz

Weitere Einstellungen sind für den Strahlenschutz aber auch die Bildqualität wichtig. So sollte ein möglichst geringer Abstand zwischen Patient und Bildempfänger gewählt werden, da hierdurch sowohl ein schärferes Bild entsteht, als auch die Strahlenexposition für den Patienten reduziert wird. Allerdings muss noch ausreichend Platz für die Handhabung der Nadel vorhanden sein (Abb. 4).

Der Abstand zwischen Patient und Bildempfänger sollte möglichst klein sein. Dadurch entsteht ein schärferes Bild und die Strahlenexposition für den Patienten verringert sich deutlich.

Ebenfalls positiv für die Bildqualität und den Strahlenschutz ist eine korrekte Verwendung der Belichtungsautomatik und ein Einblenden der Zielregion. Oftmals reicht die  Bildqualität bei Verwendung der Low-dose Einstellung (Kindermodus), es muss aber die Nadelposition ausreichen gut dargestellt werden. Die Position der Nadel wird  Intermittierend in einzelnen Durchleuchtungsbildern überprüft, so dass hier eine gepulste Strahlung mit 1 Puls/Sekunde möglich ist, um die Exposition zu verringern. Nur bei der Darstellung der Kontrastmittelverteilung ist eine Strahlung mit höherer Pulsrate notwendig, damit ein Livebild entsteht. Unbedingt vermieden werden sollten Metallgegenstände aus der Kleidung (Knöpfe) im Strahlengang, da die Belichtungsautomatik bei dem Versuch das Metall zu durchdringen mehr Strahlung verwenden würde bei dann aber schlechterer Bildqualität. Damit die Belichtungsautomatik gut funktioniert, ist auch ein Zentrieren des Bildes wichtig, damit das Verhältnis von Knochen, Weichteil und Luft passt.

Parallaxe

Ein wichtiges Phänomen beim Arbeiten mit dem C-Bogen ist die Parallaxe. Dadurch, dass die Röntgenstrahlen den Generator divergierend verlassen, kommt es in der Peripherie des Bildes zur Vortäuschung einer schrägen Nadellage. Die Abbildung 5 zeigt einen Versuchsaufbau, der dies demonstriert. Befindet sich der Zielpunkt nicht im Zentrum
des Monitors, kann es durch die Parallaxe nahezu unmöglich sein, die Richtung der Nadel korrekt zu bestimmen und zu korrigieren.

Versuchsaufbau zur Parallaxe: A: In eine horizontale Platte werden 5 Nadeln senkrecht eingebracht. B: Detail aus A. Auf Grund der divergierenden Röntgenstrahlen wird nur die mittlere Nadel parallel vom Strahl getroffen. C: Das Durchleuchtungsbild dieser Versuchsanordnung zeigt die mittlere Nadel im „Tunnel view“, die anderen Nadel werden dargestellt, als ob sie schräg lägen, obwohl sie ebenso senkrecht stehen.

Klinische Beispiele

Für die Interpretation eines Durchleuchtungsbildes ist es wichtig zu verstehen, welche Strukturen gut erkennbar sind, und welche nicht. Generell sehen wir vor allem kortikalen Knochen, weniger gut die Spongiosa. Vor allem sehen wir die kortikalen Strukturen, die parallel zum Röntgenstrahl liegen. Wir die Kortikalis schräg getroffen, ist sie nicht so gut erkennbar.

Axiales T2 MRT mit geradem Gelenkspalt (A). Die schematische Darstellungen (C) zeigt, bei wie viel Rotation die Kortikalis des Gelenkspaltes parallel zum Röntgenstrahl ist, so dass dieser klar erkennbar ist. Bei dem Patienten (B) ist der Gelenkspalt gebogen. Bei Rotation des C-Bogens nach ipsilateral werden wir den Gelenkspalt zweimal zu sehen bekommen (D). Einmal den dorsalen Anteil, einmal den ventralen.

Gelenkspalt

Deutlich wird dies, wenn wir uns den Gelenkspalt eines Facettengelenkes unter Durchleuchtung ansehen. Die Abbildung 6 zeigt axiale Kernspinbilder (MRT). Links ein Patient mit einem gerade verlaufenden Gelenkspalt (A). Die schematische Darstellung (C) zeigt, dass wir bei einem ap-Durchleuchtungsbild den Spalt nicht sehen können. Wenn wir nach ipsilateral rotieren, kommt eine Position, in der der die Kortikalis des Gelenkspalts parallel zum Röntgenstrahl verläuft, so dass dieser sichtbar wird. Bei dem rechten Bild eines Patienten mit einem gebogenen Gelenkspalt (B) werden wir den Gelenkspalt etwas schon im ap-Bild erkennen können, wie die schematische Darstellung (D) zeigt. Wenn wir weiter ipsilateral rotieren, wird der Spalt klar zu erkennen sein. Rotieren wir noch weiter, wird er wieder schlechter erkennbar. Bei noch mehr Rotation wird der Gelenkspalt ein zweites Mal auftauchen. Bei wenig Rotation sehen wir den dorsalen Anteil des Gelenkspalts, bei viel Rotation den ventralen Teil.

Für eine Intervention ist dieses Wissen wichtig, da nur der dorsale Teil des Gelenkspalts mit einer Nadel erreichbar ist.

Dargestellt sind die Unterschiede der Anatomie der kranialen 4 Lendenwirbel (A & B) im Vergleich zum 5. Lendenwirbel (C & D). Rot gepunktete Linie: Verlauf der Hinterkante konkav bzw. konvex. Gelbe Linie: Begrenzung von Hinterkante und dorsalem Foramen.

Wirbelkörper-Hinterkante

Betrachtet man die Hinterkante der lumbalen Wirbelkörper, so fällt auf, dass die dorsale Begrenzung der Wirbelkörper 1–4 leicht konkav verläuft, die Hinterkante von Lwk 5 dagegen konvex in Richtung Spinalkanal (Abb. 7). Auch die Austrittswinkel der Neuroforamen sind unterschiedlich. Die Hinterkante der Wirbel 1–4 entspricht ungefähr der dorsalen Begrenzung des Foramens, hingegen reicht das Foramen bei Lwk5 deutlich weiter nach dorsal als der Teil der Hinterkante, welcher wegen der parallel zum Röntgenstrahl verlaufenden Kortikalis in einem seitlichen Bild erkennbar sein wird (gelbe
Linie in Abb. 7).

Relevant sind diese Unterschiede bei der Betrachtung eines seitlichen Durchleuchtungsbildes. Das Bild des Foramens Lw5/Sw1 täuscht eine
knöcherne Einengung vor, was an der konvexen Struktur der Hinterkante und dem Austrittswinkel liegt (Abb. 8)

Auch bei Interventionen in dieser Etage ist dieses anatomische Wissen hilfreich, da ansonsten der Eindruck entstehen kann, dass eine Nadel zu tief im Bandscheibenfach liegen könnte. Die Abbildung 9 zeigt die Durchleuchtungsbilder einer transforaminalen Injektion. Im seitlichen Bild (C) scheint die Nadel in der Bandscheibe zu liegen. Das CT klärt auf, dass die Nadel eine ideale Position erreicht hat.

Zusammenfassung

Die Durchleuchtung bietet die Möglichkeit, bei sehr geringer Strahlenexposition die Position der Nadel und die Verteilung des Medikamentes durch Kontrastmittel sichtbar zu machen. Allerdings sind Kenntnisse zur Bedienung des C-Bogens, zur Bildoptimierung, zum Strahlenschutz und zur Anatomie des Patienten essentiell.

Curriculum MRT für O und U

Die MRT gewann über die letzten Jahre eine immer größere Bedeutung in der Diagnostik von Erkrankungen des Bewegungsapparates. Nun erhebt sich die Frage: Ist die MRT für den Orthopäden/Unfallchirurgen gebietskonform? Da die Orthopädie/Unfallchirurgie in der Weiterbildungsordnung Teil des Gebietes Chirurgie geworden ist, ist für die Beantwortung dieser Frage die Definition des Gebietes Chirurgie nach der aktuellen  Weiterbildungsordnung heranzuziehen, die da lautet:

„Das Gebiet Chirurgie umfasst die Vorbeugung, Erkennung, konservative und operative Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von chirurgischen Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen sowie angeborenen und erworbenen Formveränderungen und Fehlbildungen der (…) Stütz- und Bewegungsorgane (…).“

Sämtliche ärztliche Maßnahmen sind demnach für den Facharzt für O und U dann gebietskonform, wenn sie durch diese Definition abgedeckt sind. Da das Gebiet die
Erkennung der angegebenen Erkrankungen umfasst und in der Definition keine Einschränkung in den Methoden der Erkennung erfolgt, ist für den Orthopäden/Unfallchirurgen die MRT in diesem Rahmen gebietskonform.

Qualifikation entscheidend Innerhalb seines Fachgebietes darf der Arzt ärztliche Maßnahmen in Diagnostik und Therapie nur dann durchführen, wenn er hierfür qualifiziert ist. Die mit der Weiterbildung erworbene Qualifikation ergibt sich aus den
Weiterbildungsinhalten der Facharztkompetenz, was haftungs- und sozialrechtlich relevant werden könnte. In der Regelweiterbildung für O und U wird eine Qualifikation
in der Durchführung der MRT nicht erworben. Durch die Zusatzweiterbildung “Magnetresonanztomografie – fachgebunden” der Landesärztekammern wird nun eine
Qualifikation bei der Durchführung der MRT nachgewiesen. Hier sei darauf hingewiesen, dass Zusatzweiterbildungen die Grenzen des Gebietes nicht erweitern.

Grundsätzlich gibt es weitere Möglichkeiten, eine solche Qualifikation zu erwerben. Deshalb hatte die AG Bildgebende Verfahren der DGOOC vor Jahren ein Curriculum zur
Qualifizierung von Orthopäden/Unfallchirurgen in der MRT des Bewegungsapparates eingeführt (siehe Stellungnahmen verschiedener Landesärztekammern, wie der Landesärztekammern Berlins, Bayerns, Hessens etc.). Die aktuelle Rechtsprechung bestätigt diesen Sachverhalt, siehe:

  • LG Regensburg, 27. Februar 2018 – 4 O 2233/16 (2); Revision OLG Nürnberg,
    10. März 2020 – 5 U 634/18; Revision beim BGH eingelegt,
  • LG Berlin, 16. Januar 2019 – 84 O 300/17 – rechtskräftig,
  • LG Landshut, 28. März 2019 – 72 O 3384/16; Revision OLG München – 72 O 3384/16 – ruht, weiteres Vorgehen je nach Urteil vom BGH (siehe oben),
  • LG Darmstadt, 13. Mai 2020 – 19 O 550/16 – Klage abgewiesen; Revision beim OLG Frankfurt eingelegt – 20 U 131/20.

Die Sektion Bildgebende Verfahren der DGOU als Folgeorganisation der AG Bildgebende Verfahren der DGOOC hat nun eine Weiterentwicklung des Curriculums zur Fortbildung in der MRT in O und U erarbeitet. Es ist das Ziel, eine strukturierte Fortbildung in der MRT zu gewährleisten. Es erfolgt eine weitere Vertiefung von orthopädisch-unfallchirurgischem Wissen und technischen Fähigkeiten in diesem Teil des Fachgebietes. Die Absolventen dieses Curriculums erhalten eine Qualifikation in der MRT des Bewegungsapparates.

Curriculum zur zertifizierten Fortbildung der Sektion Bildgebende Verfahren DGOU in der Magnetresonanztomografie in O und U: Aktualisierte Version entsprechend des  Beschlusses der Sektion Bildgebende Verfahren www.dgou.de/curriculum

Dr. Axel Goldmann, Erlangen

Umgang mit Praxisgeräten nach der neuen Rechtslage

Tipps zum Qualitäts- und Gerätemanagement in der Arztpraxis

Der Umgang mit Medizingeräten und Medizinprodukten (Medizintechnik) ist in Deutschland wie europaweit streng geregelt. Da ein unsachgemäßer Gebrauch großen Schaden anrichten kann, steht die Sicherheit einerseits für die Patienten und andererseits für die Personen, die die Geräte bedienen im Mittelpunkt.

Ein gutes Gerätemanagement ist unverzichtbar für eine moderne Arztpraxis. Im Folgenden werden die wichtigsten Rechtsgrundlagen und die praktische Umsetzung dieser Vorgaben im Praxisalltag dargestellt.

Rechtliche Vorgaben

Mit dem Geltungsbeginn der europäischen Verordnung über Medizinprodukte (EU) 2017/745 (MDR) ab dem 26.05.2021 gilt auch das neue MedizinprodukterechtDurchführungsgesetz (MPDG) in Deutschland, welches das
Medizinproduktegesetz (MPG) ablöst. Grundsätzlich hat die MDR Vorrang vor der nationalen Gesetzgebung, aber in der MDR nicht geregelte Rechtsthemen sowie ausdrücklich in der MDR geforderte nationale Regelungen müssen von den Mitgliedsstaaten in Gesetze umgesetzt werden.

Dies bedeutet, dass ab 26.05.2021 die Regelungen der MDR dann unmittelbar, originär und vorrangig gelten, das MPG tritt grundsätzlich außer Kraft. Das MPDG ergänzt die Regelungen der MDR.

Auch die neuen Regelungswerke verfolgen die Zwecke der Sicherstellung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts sowie der Gewährung hoher Qualitäts- und  Sicherheitsstandards zum Schutz von Patienten, Anwendern und Dritten.

Insbesondere für die Hersteller von Medizinprodukten, oft sind es mittelständische Unternehmen, führen die neuen Vorgaben der MDR zu einem ganz erheblichen Mehr- und Umstellungsaufwand. Teilweise dürfte die Umsetzung aus Mangel an zusätzlichem Personal und hinreichender Infrastruktur sehr problematisch oder gar existenzgefährdend sein.

Weniger aufwändig ist die Umsetzung der neuen Vorgaben für den Anwender bzw. in diesem Fall den Arzt und seine Praxis. Vieles ist in der MDR nahezu identisch zum MPG geregelt. Hinzu kommt, dass die für den Betreiber bzw. Anwender primär relevante MedizinprodukteBetreiberverordnung (MpBetreibV) auch nach dem Inkrafttreten der MDR Gültigkeit hat, wenn auch teilweise geändert bzw. dem MPDG angepasst.

a. Der Begriff des Medizinproduktes

Der Begriff des Medizinproduktes ist weit und komplex. In der MDR bestimmt nunmehr Art. 2 Nr. 1, wann ein Medizinprodukt vorliegt. Neu ist die Ausdehnung der Zweckbestimmung auf Vorhersagen und Prognosen von Krankheiten, sodass der Anwendungsbereich erweitert wird. Medizinprodukte sind demnach insbesondere

  • Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände
  • die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen oder der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder der Empfängnisregelung zu dienen bestimmt sind
  • und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirksame Mittel, noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Abzugrenzen sind Medizinprodukte somit insbesondere auch von Arzneimitteln, die den Regelungen des Arzneimittelgesetzes unterworfen sind.

b. Die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV)

Für die Praxis des Umganges mit Medizinprodukten enthält die MPBetreibV die wesentlichen Regelungen. Tatsache ist zudem, dass durch nicht ordnungsgemäß betriebene und gewartete Medizinprodukte oder durch nicht ausreichend geschultes Personal für die Patienten das größte Gefährdungspotential besteht. Die Werkzeuge
dazu, dieser Gefährdung entgegenzuwirken, sind in der MPBetreibV enthalten. Gefordert ist hierbei ein stetiger Überwachungsprozess und nicht nur punktuelle Maßnahmen, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Gefahrvermeidungspflichten im Rahmen des Betreibens und Anwendens von Medizinprodukten bestehen hierbei aus Organisationspflichten, Aufklärungspflichten, Behandlungspflichten und Kooperationspflichten. Eine Arztpraxis als  Gesundheitseinrichtung und Betreiber im Sinne der Verordnung muss die Qualifikation der Anwender, die Einweisung, die Instandhaltung, die sachkundige Aufbereitung sowie die Durchführung und Protokollierung der Sicherheitstechnischen Kontrollen (STK) sicherstellen.

Arztpraxen sollten also eine/einen Mitarbeiter/in explizit beauftragen, die/der sich um den sicheren Umgang mit Medizinprodukten und Medizingeräten kümmert, eine/einen sogenannte/n Gerätebeauftragte/n.

In Praxen ab 20 Beschäftigten ist die Bestellung einer/s Beauftragten für Medizinproduktesicherheit nach § 6 MPBetreibV verpflichtend. Die Person muss eine medizinische, naturwissenschaftliche, pflegerische, pharmazeutische oder technische Ausbildung haben, die durch Weiterbildungszertifikate nachgewiesen werden kann. Außerdem muss auf der Website eine Funktions-E-MailAdresse hinterlegt sein, damit die zuständige Behörde zielgerichtet Kontakt aufnehmen kann.

Eine Bestellung sollte immer schriftlich erfolgen, damit sowohl der/die beauftragte Mitarbeiter/in bestätigt, dass er/sie die Aufgabe übernehmen möchte, als auch die Praxis zustimmt, dass der-/diejenige das Amt innehaben soll.

Erforderlich ist zudem die Führung eines Medizinproduktebuchs für Medizinprodukte der Anlagen 1 und 2 der MPBetreibV und eines Bestandsverzeichnisses gem. § 13 MPBetreibV für alle aktiven nicht implantierbaren Medizinprodukte. Gegenüber den Anwendern müssen Gebrauchsanweisungen und Medizinproduktebücher zugänglich gemacht werden. Bei einem begründeten Verdacht, dass bei der Anwendung ein Sicherheitsrisiko besteht, ist der Betrieb eines Medizinprodukts einzustellen. Auf Verfallsdaten ist zu achten. Bei  miteinander verbundenen Medizinprodukten sowie Produkten mit Zubehör muss sich der Betreiber vergewissern, dass die Konstellation geeignet ist.

Zu den unmittelbaren Behandlungspflichten gehört insbesondere die Reinigung und Desinfektion nach Herstellerangaben mit validierten Verfahren. Die entsprechenden Vorgaben nach den einschlägigen Hygiene-Richtlinien (KRINKO-/ BfArM-Richtlinie) sind hierbei heranzuziehen.

c. Straf- und Bußgeldvorschriften

Werden die gesetzlichen Vorschriften oder die Empfehlungen der Hersteller ignoriert, riskiert der Betreiber, hier die Arztpraxis, zunächst dass ein Gerät nicht ordnungsgemäß in Betrieb genommen werden kann oder auch eine Fehlbedienung der Geräte durch die Mitarbeiter. Beides kann zu Schaden am Patienten oder am Mitarbeiter führen. Es gibt bundesweit regelmäßig Begehungen von Regierungspräsidien bzw. Gewerbeämter und auch den Gesundheitsämtern in Arztpraxen – regional verschieden häufig und
intensiv ausgeprägt.

Aus § 17 MPBetreibV i.V.m. § 94 MPDG ergeben sich die Ordnungswidrigkeiten, die mit Geldbußen von bis zu 30.000 € bestraft werden können. In härteren Fällen sind nach § 92 und § 93 MPDG auch Strafvorschriften mit Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr bzw. drei Jahren oder Geldstrafen möglich.

Bußgelder in Arztpraxen sind durchaus realistisch, z.B.

  • wenn den Behörden bei einer Dokumentenprüfung kein Bestandsverzeichnis vorgelegt werden kann,
  • wenn den Behörden bei einer Dokumentenprüfung keine Einweisungsprotokolle vorgelegt werden können,
  • wenn den Behörden bei einer Dokumentenprüfung keine Wartungsprotokolle vorgelegt werden können bzw. wenn die Behörden bei einer Begehung feststellen, dass Geräte nicht gewartet wurden, oder
  • wenn die Behörden bei einer Begehung abgelaufene Medizinprodukte finden.

Gerätemanagement in der Arztpraxis

Auf Basis dieser rechtlichen Vorgaben bedarf es mithin eines entsprechenden Gerätemanagements in der Arztpraxis um Sanktionen oder gar Schäden zu vermeiden.
Im Folgenden werden entsprechende Grundlagen dieses Managements sowie praktische Tipps in der alltäglichen Umsetzung dargestellt.

a. Vorteile des systematischen Gerätemanagements

Ein systematisches Gerätemanagement ist für die einzelne Praxis hilfreich, um immer einen Überblick über den Gerätebestand zu haben. Das ist umso wichtiger, je größer eine Praxis ist und demzufolge, je mehr Geräte in umso mehr Räumen betrieben werden. Es hilft auch, dass bei den regulären Wartungen kein Gerät übersehen wird, sondern anhand der Liste, dem so genannten Bestandsverzeichnis, die Vollständigkeit rasch überprüft
werden kann.

Dies führt dazu, dass so pfleglich mit den Geräten umgegangen wird, weil Verschleißteile zeitig ausgetauscht werden und nur Personen die Geräte bedienen dürfen, die in der Bedienung, Pflege und Reinigung geschult sind, dass die Geräte lange betrieben werden können. Das fördert enorm die Wirtschaftlichkeit, weil die Funktionsfähigkeit lange erhalten bleibt. Dazu tragen auch die Kontrolle der Haltbarkeiten bei Einmalartikeln, Ersatzteilen, Medikamenten und Salben sowie das Verbrauchen nach dem FIFO-Prinzip (First in – first out) bei.

Auch ohne behördliche Überprüfung schadet sich die Praxis selbst, wenn sie kein systematisches Gerätemanagement pflegt, indem sie keine Übersicht über den eigenen Gerätepark hat. Folgen davon können sein, dass Geräte früher kaputtgehen, als vom Hersteller vorgesehen, was zu teuren Neuanschaffungen oder kostspieligen Reparaturen führt. Ganz zu schweigen von der Zeit, die die Praxismitarbeiter nicht in die Patientenbehandlung investieren können, weil es zu Gerätefehlern oder einem Totalausfall des Geräts kommt. Besonders unangenehm ist das, wenn eine bereits eingeleitete Behandlung abgebrochen werden muss oder vorübergehend vereinbarte Behandlungstermine abgesagt werden müssen.

Ebenso kostspielig ist es auf Dauer auch, wenn zuerst neuere Medizinprodukte verbraucht werden, wodurch ältere ablaufen und nicht mehr verwendet werden können – das sind unnötige Kosten und widerspricht dem Bild einer nachhaltigen Arztpraxis.

b. Aufgaben klären – Was ist zu tun?

Vor allem der Medizinproduktesicherheitsbeauftragte bzw. der Gerätebeauftragte in kleineren Praxen kümmern sich um die Aufgaben, die sich sowohl aus den gesetzlichen Anforderungen als auch aus den Empfehlungen der Gerätehersteller ergeben. Dazu zählen:

  • Führen des Bestandsverzeichnisses nach § 13 MPBetreibV über alle medizintechnischen Geräte
  • Führen der Medizinproduktebücher zu den allen medizintechnischen Geräten
  • Überwachen, dass alle Personen, die andere Personen in die Gerätebedienung einweisen, selbst durch den Hersteller bzw. einen beauftragten Medizintechniker ersteingewiesen sind (Ersteinweisung) – und zwar bevor sie das Gerät das erste Mal eigenständig bedienen
  • Überwachen, dass alle weiteren Personen, die ein Gerät bedienen sollen, eine Einweisung in die Bedienung erhalten haben (Folgeeinweisung) – und zwar ebenfalls bevor sie das Gerät das erste Mal eigenständig bedienen
  • Überwachen, dass die erforderlichen Reinigungen durch die Mitarbeiter gemacht werden und dass sie richtig und dadurch sicher ausgeführt werden
  • Überwachen, dass die erforderlichen Wartungen in den von den Herstellern vorgeschriebenen Intervallen von den beauftragten Medizintechnikern durchgeführt
    werden, so genannte Sicherheits- und Messtechnische Kontrollen (STK und MTK)
  • Protokollieren von Störungen und Fehlern der Geräte
  • Kontrollieren, dass nur mit Medizinprodukten gearbeitet wird, die noch haltbar sind – die Kontrolle der Vorräte kann auch durch andere Mitarbeiter erfolgen, der Gerätebeauftragte ist vor allem dafür verantwortlich, Stichproben zur Kontrolle zu machen
  • Kennen des Meldewesens, also wissen, was zu tun ist, wenn ein Medizingerät oder ein Medizinprodukt fehlerhaft funktioniert.

Weitere Aufgaben können in Abhängigkeit von den Geräten und den durchgeführten Behandlungen möglich sein.

c. Einzelfälle aus der QM-Praxis

In den meisten Arztpraxen hat es sich eingespielt, dass sich der Medizintechniker von selbst ankündigt, wenn die erforderlichen Prüfintervalle für die Medizingeräte wieder anstehen. Es kann aber auch sein, dass er Geräte jährlich prüft, bei denen eine Überprüfung alle zwei Jahre ausreichend wäre. Solange dies der Praxis nicht auffällt und sie den Mechanismus nicht unterbindet, freut sich der Techniker über ein doppeltes Einkommen. Für die Praxis bedeutet es andererseits doppelt so hohe und unnötige Ausgaben.

Es kommt auch vor, dass ein Medizintechniker nicht wie all die Jahre zuvor den Wiederholtermin für die Wartungen vereinbart hat. Möglicherweise, weil er die Firma gewechselt hat oder ohne Kundeninformation in Rente gegangen ist. Das fällt zunächst gar nicht auf, im schlimmsten Fall erst nach fast einem Jahr ausstehender Geräteüberprüfungen. Verantwortlich für einen ordnungsgemäßen Gerätezustand ist aber nicht der Medizintechniker, sondern die Praxis.

Zu der Tätigkeit einer Qualitäts-ManagementBeratungen gehört auch immer ein Rundgang durch die Praxisräume. Häufig stößt man dabei z.B. auf Blutdruckmessgeräte, die nicht mehr geeicht sind. Dies geschieht schon, wenn eine Mitarbeiterin das Gerät benutzt oder am Körper getragen hat, während der Medizintechniker gerade die anderen Geräte gewartet hat. Genau genommen darf sich das Praxispersonal bei einem nicht geeichten Gerät aber nicht mehr auf die Messwerte verlassen. Davon könnte eine falsche Diagnose abgeleitet werden, was zu einer Fehlmedikation oder Fehlbehandlung für den Patienten führen kann. So etwas kann die Praxis nur mit einem gut geführten Bestandsverzeichnis vermeiden.

Bei den Rundgängen geht der QM-Berater so vor, wie auch eine Behörde eine Praxis prüfen würde und öffnet zahlreiche Schränke und Schubläden, um sich den Inhalt genauer zu betrachten. Ein „klassischer“ Fall ist dann, dass das neue Material vorn in den Schrank eingeräumt wurde, wodurch der ältere Bestand nach hinten geschoben wurde – und Händedesinfektionsmittel oder Spritzen abgelaufen sind. Oder hinten im Schrank steht Material, das durch einen veränderten Therapieprozess gar nicht mehr zum Einsatz kommt – und verfällt. Sehr beliebt bei abgelaufenen Verfallsdaten sind auch Probepackungen, die die Praxismitarbeiter aus Verlegenheit von Vertretern angenommen haben, aber eigentlich gar nicht benutzen wollen oder den Sinn darin nicht erkannt haben.

Es kommt auch nicht selten vor, dass z.B. eine Charge Kochsalzbeutel auf dem Transportweg ausläuft, Filter sich nicht wie üblich ordnungsgemäß in Maschinen montieren lassen und ähnliches. Die Ursache dafür liegt meistens in veränderten Produktionsprozessen der Hersteller, wobei die Probleme meist erst nach der Auslieferung in den Praxen auffällig werden. Häufig entdecken die Mitarbeiter die Mängel schon, bevor die Medizinprodukte überhaupt zum Einsatz in der Patientenbehandlung kommen. Dann entwickelt sich ein Dialog mit den Herstellern zwecks Ersatzes und Kostenerstattung, bei schwerwiegenderen Mängeln kann aber auch eine Meldung an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erfolgen. Diese Meldung hat keine negativen Konsequenzen für die Arztpraxen, sondern zielt vielmehr darauf ab, dass sich das PEI mit den Herstellern in Verbindung setzt, um den Mangel dauerhaft abzustellen. Davon profitieren letztendlich auch die Praxen.

Fazit

Ein systematisches Gerätemanagement trägt maßgeblich zu einer nachhaltigen und dauerhaften Organisation der Infrastruktur der Praxis bei. Es schützt vor kostenintensiven, langwierigen Haftungsprozessen und gibt allen Praxismitarbeiter/innen Sicherheit in der Bedienung und Pflege des Gerätebestandes und ist somit unverzichtbarer Bestandteil
moderner Praxisführung.

Hand in Hand mit der Radiologie

Die Bildgebung der Hand unterliegt innerhalb der Orthopädie und Unfallchirurgie speziellen Anforderungen. Die anatomischen Strukturen befinden sich in enger räumlicher Nähe und Traumata verursachen häufig sowohl Verletzungen der Knochen als auch der Weichteile. Diese Tatsache stellt spezielle Anforderungen an die Bildgebung und an die RadiologInnen.

Essenziell für eine Klinik oder Praxis mit handchirurgischem Schwerpunkt ist eine regelmäßige und fachlich versierte Kooperation zwischen Chirurgie und Radiologie.

Je detaillierter die Untersuchungsbefunde mitgeteilt werden und je präziser die Fragestellung an die Bildgebung angegeben wird, desto gezielter und besser wird der Befund sein. Zudem können, insbesondere in der Schnittbildgebung, so die klinisch relevanten Befunde von Zufallsbefunden differenziert werden, was sich positiv auf die Patientenbehandlung auswirken wird.

Sofern es die organisatorischen Strukturen erlauben ist eine radiologisch- handchirurgische Demonstration mit interdisziplinärer Diskussion ausgewählter Fälle optimal.

Wir möchten im Folgenden zunächst gängige Modalitäten besprechen und dann einige Anwendungen an häufigen Krankheitsbildern erläutern.

Projektionsradiographie:

Fast jeder Patient, der eine Erkrankung oder Verletzung der Hand hat, erhält früher oder später ein Röntgenbild. Auf Basis der bereits erwähnten anatomisch engen Lagebeziehung der Knochen ist hier bzgl. der Aussagekraft präzise zwischen den vielen Einstellmöglichkeiten zu wählen. Dies setzt entsprechende Kenntnisse bei den anfordernden KollegInnen voraus.

Auch bzgl. der Qualität der Bilder ist die interdisziplinäre Kommunikation zwischen allen beteiligten Berufsgruppen (ChirurgInnen, RadiologInnen und MTRA) wünschenswert.

Computertomographie:

Die Computertomografie an modernen Mehrzeilenspiral-CT bietet insbesondere bei der Darstellung ossärer Pathologien viele Möglichkeiten. An der Hand ist insbesondere auf eine dünne (submillimeter) Akquisition und eine auf die untersuchte Lokalisation angepasste Schnittführung zu achten, sowie auf eine gute Lagerung. Multiplanare Rekonstruktionen und die Volume Rendering Technik (3-D-Rekonstruktionen) sollten zum Standard gehören. Mitunter kann eine Kontrastmittelgabe sinnvoll sein.

Magentresonanztomographie:

Die MRT stellt ein wichtiges diagnostisches Tool dar. Sie kann die Weichteile, aber auch Knochenmark, Knorpel, Sehnen und Ligamente direkt abbilden. Zu verwenden ist eine Feldstärke ab 1,5, besser 3 Tesla, eine geeignete Spule, ein günstiges Field of View und eine sorgfältige Lagerung. Besondere Wichtigkeit hat die klinische Fragestellung, da sie maßgeblich für die geeignete Sequenzwahl und die Indikation zur Kontrastmittelgabe ist.

Sonographie:

Die Sonographie der Hand bietet geübten UntersucherInnen zusätzliche Möglichkeiten, insbesondere auch bei Pathologien beweglicher Strukturen. Den Vorzügen der geringen Kosten, der allgemeinen Verfügbarkeit und der strahlenfreien Diagnostik sind die Nachteile der Untersucherabhängigkeit und der fehlenden Objektivierbarkeit entgegengestellt. Die technischen Anforderungen besteht aus einem kleinen hochfrequenten Linear-ArraySchallkopf. Auch eine Silikon-Vorlaufstrecke kann sich günstig auf die Bildqualität auswirken.

Der Vollständigkeit halber seien auch seltener angewandte Techniken wie Kinematographien, dynamische CT, Arthrographien und die Angiographie erwähnt.

Wir möchten nun exemplarisch einige Erkrankungen und Verletzungen vorstellen, die spezielle Anforderungen an die Bildgebung stellen:

Skaphoidfraktur:

Die Diagnostik mittels Skaphoid-Quartett wurde zunehmend verlassen. Einer Basisdiagnostik mittels einem Röntgen in zwei Ebenen und ggf. zusätzlicher Stecher- Aufnahme sollte auch bei unauffälligem Befund, aber klinischem Verdacht,
eine CT- Diagnostik angeschlossen werden.

Das oberste Ziel bei einem Verdacht auf Skaphoidfraktur ist die Sicherung bzw. der möglichst sichere Ausschluss der Diagnose, da diese Verletzung als solche bereits eine hohe PseudarthrosenRate hat, welche durch verspätete Diagnose und Behandlung noch deutlich erhöht wird. Insbesondere ist in der CT wie o.g. auf eine dünne (Submillimeter) Schichtung zu achten sowie im besten Fall eine Bildakquisition in schräger Längsachse des Skaphoides. Eine besonders hohe Qualität der Bilder wird erhalten, wenn der Patient bereits entsprechend im CT gelagert wird (Superman Pose). Ein CT ist für die OP-Planung sinnvoll oder zur Verlaufskontrolle bei unsicherer Konsolidierung im Röntgenbild ab der 9. Woche.

Bei fraglichem Befund kann eine weitere Bildgebung mittels MRT zum Ausschluss einer okkulten Fraktur indiziert sein. Sie ist besonders bei den trabekulären Frakturen überlegen.

Skapholunäre Dissoziation:

Die SL-Bandläsion ist eine schwer zu diagnostizierende Verletzung, was sich sowohl auf die Bildgebung als auch auf die klinische Untersuchung bezieht. Kein Test und keine Bildgebung allein zeigt eine hohe Sensitivität für eine karpale Bandverletzung. Daher werden mehrere diagnostische Schritte unternommen, um einen Verdacht auf eine
Bandläsion so weit zu erhärten, dass der aktuelle Goldstandard der Diagnostik, die Arthroskopie, zu rechtfertigen ist. Am Beginn der diagnostischen Kette steht nach der klinischen Untersuchung das Röntgenbild des Handgelenkes in zwei Ebenen, hierbei ist besonders auf eine Neutralstellung und eine korrekte Zentrierung zu achten. Hier kann
der SL-Spalt in der a.p.-Ebene verbreitert sein und der Karpus im seitlichen Bild in einer DISIStellung befinden (dorsal intercalated segmental instability). Diese Veränderungen treten jedoch nicht sofort nach akuter Verletzung auf, sondern erst nach einer gewissen Zeit und in Abhängigkeit des Grades der Verletzung.

Zusätzlich hilft eine Kinematografie der Handgelenke Informationen bezüglich einer statischen versus einer dynamischen Instabilität des Karpus zu erhalten.

CAVE: Es gibt deutliche interindividuelle Unterschiede in der Bandlaxizität und der allgemeinen Karpusbeweglichkeit, so dass eine suffiziente Beurteilung nur im Vergleich mit der Gegenseite die Diagnosefindung Unterstützen kann.

Im MRT kann in den ersten Wochen nach Trauma ein Erguss im SL-Spalt wegweisend sein.

Oft ist es möglich die Kontinutitätsunterbrechung des Ligamentes darzustellen. Bei der Untersuchung ist auf eine ausreichend dünne Schichtdicke (<2mm) zu achten, eine i.v. Gadolinium- Gabe kann die Sensitivität erhöhen.

Eine Computertomografie ist lediglich bei Verdacht auf zusätzliche ossäre Läsionen indiziert.

Sonographisch kann insbesondere der dorsale SL-Bandbereich dargestellt werden, bei kraftvollem Faustschluss ggf. ein Auseinanderweichen von Skaphoid und Lunatum beobachtet werden, sowie auch der Erguss im SL-Spalt evaluiert werden. Jedoch ist sonographisch ein Ausschluss einer Läsion nicht sicher möglich.

Nach erfolgter Arthroskopie und definitiver Diagnosestellung bietet sich eine Rücksprache der Befunde mit der radiologischen Abteilung an.

Skidaumen:

Eine der häufigsten bandhaften Verletzungen an der Hand ist der Skidaumen. Die Dislokation des Daumens im Grundgelenk nach radial führt zum Riss des ulnaren Seitenbandes.

Je nach Lokalisation des Risses kann der proximal Bandstumpf unter der Aponeurose des M. adductor pollicis umschlagen, die sogenannte Stener-Läsion, welche durch fehlende Spontanausheilung zur chronischen Instabilität und später Arthrose führen kann. Sie stellt eine OP-Indikation dar und sollte in deshalb sicher ausgeschlossen werden. Der diagnostische Baum beginnt mit einem Röntgenbild in 2 Ebenen (Daumen a.p. und streng seitlich) um ein ossäres Avulsionsfragment an der ulnaren Grundphalanxbasis auszuschließen. Die Stener-Läsion kann als „Jojo-Zeichen“ im MRT darstellt werden (CAVE: dünne Schichten). In der Hand eines geübten Untersuchers/ Untersucherin ist das Band jedoch auch der Sonographie zugänglich.

Knöcherne Verletzungen der Finger:

Viele Verletzungen der Hand betreffen einzelne Finger und haben, sofern richtig diagnostiziert ein gutes Outcome. Knöcherne Ausrisse der palmaren Platte, Nagelkranzfrakturen, Mallet-Finger – all diese Diagnosen können oft erfolgreich konservativ behandelt werden. Essenziell ist eine aussagekräftige Bildgebung, was im Fingerbereich in der Regel einem Röntgenbild in zwei Ebenen zu erreichen ist (a.p.+ streng seitlich). Insbesondere die streng seitliche Aufnahme ist dabei oft diagnostisch entscheidend. Eine entsprechende diagnostische Unschärfe entsteht, wenn sie entweder nicht durchgeführt wird, weil eine Hand a.p.+ schräg angemeldet und als ausreichend empfunden wird, oder weil die seitliche Ebene nicht orthogonal eingestellt wurde. Hier ist ein strenges Augenmerk auf eine optimale Projektion zu legen.

Nur in Spezialfällen ist ein schräges Röntgenbild eines Fingers hilfreich. Bei unklaren Befunden, unklarer Torsionsabweichung von Frakturen insbesondere im Gelenkbereich kann eine CT hilfreich sein. Auch Verletzungen mit Beteiligung der Karpometakarpalgelenke sollten großzügig mittels CT diagnostiziert werden, da hier oftmals Überlagerungen bestehen, die ein Detailverständnis der Fraktur und eine optimale OP-Planung erschweren.

Läsion des „triangular fibrocartilage complex“ (TFCC):

Beschwerden des TFCC können sowohl traumatische als auch degenerative oder kombinierte Ursachen haben. Eine degenerative Veränderung des TFCC im MRT ist ab einem gewissen Alter auch ohne klinisches Korrelat sehr wahrscheinlich. Hier ist die Korrelation der Bildbefunde mit der Symptomatik/Untersuchungsbefunden unabdingbar. Die gesamte Anatomie des TFCC und der begleitenden Bänder zur Stabilisierung des DRUG ist hochkomplex und in ihrer funktionellen Bedeutung der Einzelkomponenten nicht vollständig verstanden, was an die Diagnostik besondere Herausforderungen stellt. Nach dem Röntgenbild des Handgelenkes in zwei Ebenen zur ersten Orientierung (Ulnaplusvariante, degenerative Veränderungen) ist das MRT der nächste Schritt. Oft kann das Ausmaß der Schädigung des TFCC erst im Rahmen einer Arthroskopie beurteilt werden.

Lunatumnekrose:

Die häufigste avaskuläre Osteonekrose der Hand ist der Morbus Kienböck. Verschiedene Ursachen stehen in der Diskussion, wobei dem repetitiven Mikrotrauma die größte Relevanz zugeordnet wird. Die Erkrankung verläuft in Stadien. Abhängig vom Stadium werden zunächst Röntgenbilder angefertigt. Neben Veränderungen am Lunatum sind Ulnalänge und karpales Gefüge von Interesse. Im Stadium 1 ist das Röntgenbild unauffällig, in der MRT ist jedoch ein fokales oder diffuses Knochenmarködem nachgewiesen werden. In den Stadien 2–3b sind zusätzlich zum Röntgenbild ein KM-verstärktes MRT zu Vitalitätsbestimmung des Knochenmarkes zu empfehlen, als auch die CT zur Darstellung der Knochenstruktur, von Sklerosen, Frakturen sowie Arthrosen, was zur Präzisierung der Stadieneinteilung benötigt wird. Wenn sich im Röntgenbild bereits ein Stadium 4 mit perilunärer Arthrose zeigt, wird eine Schnittbildgebung meistens keine therapeutisch relevanten Mehrinformationen bieten.

Abschließend möchten wir betonen, dass in der Bildgebung der Hand eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit essentiell ist, um anhand präziser Fragestellungen optimale Befunde zu erarbeiten und so unsere PatientInnen bestmöglich zu behandeln.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

Erweiterung des diagnostischen Arsenals aber nicht die Lösung für alles

Prof. Dr. Ralf Schulze ist seit September 2021 Abteilungsleiter der Röntgenabteilung/Abteilung Oral Diagostic Sciences der Zahnmedizinische Kliniken (ZMK) der Universität Bern/Schweiz. Er habilitierte 2006 im Fachgebiet zahnärztliche Röntgenologie an der Universitätsmedizin Mainz und leitete dort bis August 2021 ebenfalls die zahnärztliche Röntgenabteilung. Mit ca. 75 internationalen Publikationen in  Wissenschaftlichen Fachzeitschriften, vielen Jahre Reviewertätigkeit für multiple internationale wissenschaftliche Zeitschriften sowie langjähriger Expertentätigkeit in den zahnärztlichen Röntgenausschüssen des Deutschen Institutes für Normung (DIN) ist er auch Mitglied für die DGZMK im Arbeitsgremium X (AG-X) des Bundesumweltministeriums.

Von 2011 bis 2020 war er Herausgeber der renommierten wissenschaftlichen  Fachzeitschrift „DentoMaxilloFacial Radiology“. Prof. Schulze ist Koordinator und Erstautor der S1-Leitlinie \ Digitale Volumentomographie”, der 2013 publizierten, ausgebauten s2k-Leitlinie „Dentale digitale Volumentomographie“ sowie auch der derzeitigen  Überarbeitung derselben. Er fungierte als externer Gutachter der oziellen Europäischen Leitlinie „Cone Beam CT for Dental and Maxillofacial Radiology. Evidence Based Guidelines (European Commission: Radiation Protection No. 172, 2012)“ sowie als Co-Autor des 2014 veröentlichten Policy Statements der World Dental Federation FDI mit dem Titel „Radiation Safety in Dentistry“. Aus zahnmedizinischer Sicht erläutert Prof. Klessinger, in welchen Fällen ein DVT sinnvoll ist und warum der Einsatz der Technologie nicht ganz unumsritten bleibt.

Etwa ein Jahrhundert nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 kam die Digitale Volumentomografie (DVT) in der Zahnheilkunde zum Einsatz. Warum plädieren Sie, Herr Prof. Dr. Ralf Schulze, für den Einsatz der DVT?

Prof. Dr. Ralf Schulze: Die DVT stellt eine flexible Möglichkeit dar, dreidimensionale Röntgendatensätze auch kleiner anatomischer Regionen mit einer im Vergleich zur Computertomographie zumeist niedrigeren Dosis zu erzeugen. Sie stellt daher eine Erweiterung des diagnostischen Arsenals dar, die zudem, die entsprechende Fachkundebewilligung vorausgesetzt, auch in der eigenen Praxis angefertigt werden kann.

Wie unterscheidet sich die DVT von der klassischen CT-Diagnostik?

Schulze: das ist heute bedingt durch die Konvergenz der Verfahren nicht mehr
so einfach zu sagen.
Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass ein CT keine innerhalb des Körpers gelegenen Ausschnitte abbildet, sondern immer den Gesamtumfang des geröntgten Körperbereichs. Die DVT erlaubt hingegen kleine Abbildungsvolumina, die auch
innerhalb des Körpers liegen können. Allerdings weisen moderne MultisliceCTs eine deutlich bessere Bildqualität auf (allerdings auch bei in der Regel deutlich höherer Dosis), insbesondere im Weichgewebe.

Wie häufig setzen Sie die DVT-Röntgen bei Ihrer Arbeit ein?

Schulze: Da ich Leiter einer zahnärztlichen Röntgenabteilung bin, mehrfach
täglich.

Wieso reichen für bestimmte Fragestellungen 2-D-Aufnahmen nicht aus?

Schulze: immer dann wenn die räumliche Orientierung und Vermessung eines Röntgendatensatzes notwendig ist, kann das sinnvoll nur in 3D-Datensätzen erfolgen. Ein typisches Beispiel aus der Zahnmedizin ist die zahnärztliche Implantologie, wo man den wenigen vorhandenen Knochen möglichst gut nutzen muss, um darin die Implantate
einzubringen, ohne Nachbarstrukturen wie Nerven zu beschädigen.

Warum ist der Einsatz der DVT-Technologie immer noch umstritten?

Schulze: zum Einen weil ein DVT nicht die Lösung für alles ist. Beispielsweise führt eine im Vergleich zu 2D-Röntgenaufnahmen deutlich niedrigere Ortsauflösung (wenige Details) bei einigen Fragestellungen einfach dazu, dass man sie mit der DVT nicht beantworten kann. Zum Anderen stellt sich bei den vielen elektiven Fragestellungen in der Zahnmedizin und den vielen Kindern und Jugendlichen, die in unserem Fachgebiet behandelt werden, immer das Problem der im Vergleich zu 2D-Aufnahmen doch deutlich erhöhten Dosis durch die DVT. Daher muss immer das Benefit des Patienten im Vordergrund stehen und insbesondere bei pädiatrischen Aufnahmen eine sehr strenge Indikationsstellung erfolgen.

Auch Metallartefakte können die Bildqualität bei der DVT stark mindern. Sind auch Patienten mit Amalgamfüllungen bzw. Implantaten mit der DVT untersuchbar?

Schulze: in der Tat stellen bedingt durch die vielen metallischen Restaurationen im Zahnbereich Artefakte in der DVT (aber auch der CT) ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Man kann zwar durch geschickte Ausrichtung des Patienten während der Aufnahme in manchen Situationen dafür sorgen, dass Artefakte sich nicht über die interessierende Region erstrecken, jedoch ist dies nur in speziellen Fällen nötig. Allerdings muss man auch sagen, dass, dadurch dass sich diese Artefakte immer nur in Strahlengangsrichtung verbreiten, die knöcherne Situation in der DVT häufig nicht oder nur unwesentlich von ihnen betroffen ist, weil die metallischen Strukturen sich meist im Zahnkronenbereich, also außerhalb des Knochens befinden.

Ein häufiges Argument gegen die DVT ist die Strahlenbelastung. Wie sieht es mit der Strahlenbelastung aus und inwieweit stellt die DVT eine Gefahr für den Patienten dar?

Schulze: die Dosis durch eine DVTAufnahme liegt in der Regel um ein Vielfaches oberhalb derer durch entsprechende 2D-Aufnahmen. Das ist, wie oben berichtet, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen kritisch zu sehen, weil diese Patienten ja bekanntermaßen ein überproportional erhöhtes Risiko aufweisen, negative Effekte durch die Strahlung zu erleiden. Sicherlich ist ein DVT nicht „gefährlich“, es erhöht jedoch das Risiko für stochastische Strahlenschäden und sollte daher eben indikationsorientiert mit dem Blick auf den Vorteil des Patienten eingesetzt werden.

Die Entscheidung für oder gegen eine DVT-Aufnahme ist sowohl in den entsprechenden Leitlinien als auch in der öffentlichen Diskussion eng an die damit verbundene Strahlenexposition gekoppelt. Wie ist dieser Aspekt aus heutiger Sicht zu bewerten?

Schulze: International orientiert man sich im Strahlenschutz nach wie vor an der „Linear-no-threshold“-Theorie die besagt. dass das Risiko einen Strahlenschaden zu erleiden ohne Schwellenwert (also von 0 an) mit der Dosis ansteigt. Dies bedeutet einfach, mehr Strahlung führt zu proportional höherem Risiko. Ergo muss die Indikation stimmen und gemäß des ebenfalls international akzeptierten Rechtfertigungsprinzip so gestellt werden, dass der potentielle Benefit des Patienten durch die Aufnahme das potentiell zu erwartende Risiko überwiegt.

Das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) dürfte den meisten ein Begriff sein. Was genau verbirgt sich dahinter?

Schulze: übersetzt heißt ALARA etwa: „so wenig wie sinnvoll machbar“. In den letzten Jahren hat sich die Alternative ALADA (as low as diagnostically acceptable) herauskristallisiert. Diese ist auch aus meiner Sicht besser interpretierbar und bedeutet, man sollte die Aufnahme so anfertigen, dass die Qualität zur Beantwortung der Fragestellung ausreicht.

Welche Vorschriften für den Strahlenschutz gelten bei der DVT?

Schulze: wie für alle anderen Röntgenaufnahmen gelten die grundsätzlichen
Strahlenschutzbestimmungen bzgl. räumlicher Abschirmung. Insbesondere die Rechtfertigung der Aufnahmen (s. o.) und die Optimierung im Sinne von ALARA und ALADA (s. o.) stellen wesentliche Bestandteile des Strahlenschutzes dar. Zusätzlich sollte bei der DVT die Einblendung auf eine bestimmte Volumengröße abgestimmt auf die Fragestellung erfolgen. Das reduziert die applizierte Dosis erheblich. Patientenschutz ist umstritten, sollte aber aus meiner Sicht, sofern für die geplante Region möglich, angewandt werden. Bei besonders schützenswerten Personengruppen (Kinder+ Jugendliche, Schwangere) sind sie obligatorisch.

Und wie wichtig ist ein DVT für die Planung einer Operation?

Schulze: das hängt stark von der Operation ab. Beispielsweise stellt die DVT für die Planung von Implantatfällen in der Zahnmedizin mittlerweile einen Standard dar, während sie für die operative Entfernung unterer Weisheitszähne evidenzbasiert kaum einen Benefit bringt.

Hatten Sie auch schon Zufallsbefunde?

Schulze: Sicherlich sind Zufallsbefunde nicht selten und müssen auch als solche erkannt und mit befundet werden. Allerdings sollten potentielle Zufallsbefunde nie eine Indikation für das Anfertigen einer Röntgenaufnahme darstellen. Das wäre sonst gleichbedeutend mit einer Art „Screening” und das ist nicht vom Rechtfertigungsprinzip gedeckt.

Hilft die DVT auch, Doppelbefundungen vermeiden?

Schulze: das sehe ich nicht so, denn leider werden auch DVTs manchmal von mehreren Behandlern kurz nacheinander angefertigt, also auch doppelt oder mehrfach, so wie andere Röntgenaufnahmen leider auch.

Die Leitlinien zur Nutzung der DVT in der Zahnmedizin sind veraltet und werden gerade überarbeitet. Haben Sie einen Einblick, was die Aktualisierung bringen wird?

Schulze: da ich der Koordinator der deutschen AWMF-Leitlinie bin, weiß ich
sehr genau, welche Änderungen in der Aktualisierung enthalten sein werden.
Übrigens befindet sich diese, leider auch pandemiebedingt deutlich verzögerte
Überarbeitung in der Schlussphase, alle Empfehlungen sind bereits abgestimmt
und der Hintergrundtext ist ebenfalls fertig. Im Wesentlichen wird die Leitlinien in einigen Bereichen (z. B. untere Weisheitszähne oder zahnärztliche Implantologie) aufgrund der besseren Evidenzlage präzisere Aussagen treffen, als die Vorgängerversion.

Herr Prof. Dr. Ralf Schulze, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Janosch Kuno,
BVOU-Pressearbeit.

Ultraschallgesteuerte Injektion – sicher zum Ziel gelangen

Injektionen gehören zum orthopädischen Alltagsgeschäft. Im besten Fall wirken sie schnell, nebenwirkungsarm und mit geringem Risiko. Entscheidend für die schnelle Wirksamkeit sind die richtige Indikation, ein geeignetes Medikament und die richtige Ausführung der Injektion.

Der standardmäßige Einsatz eines Ultraschalls verbessert nachweislich die Effektivität einer Injektionsbehandlung und minimiert vermeidbare Schädigungen. Injektionen dienen in den meisten Fällen der Diagnostik und der Therapie. Diagnostische Infiltrationen mit einem Lokalanästhetikum helfen bei der Differenzierung  der Beschwerdeursache. Bei diagnostischen Infiltrationen muss logischerweise eine Nadelfehllage ausgeschlossen werden, um eine sinnvolle therapeutische Konsequenz ziehen zu können.

Quelle: www.medizin-reporter.blog

Orthobiologische Therapieoptionen

Seit vielen Jahren setze ich bei therapeutischen Injektionen bevorzugt autologes conditioniertes Plasma (ACP) und die stromavaskuläre Fraktion des Fettgewebes (SVF) bei der Behandlung orthopädischer Beschwerdebilder ein. ACP eignet sich mit seiner Vielzahl an konzentrierten Botenstoffen für den Einsatz an Sehnen, Bänder und Knorpel. Prospektiv randomisierte Kontrollstudien belegen regelmäßig einen Vorteil gegenüber der Behandlung mit kortisonhaltigen Präparaten.

Die Nadellage ist  bei ACP Behandlungen von entscheidender Bedeutung. Ein gutes Beispiel die die Behandlung von Pathologien der der Sehnen. Es macht einen Unterschied, ob ich intratendinös oder peritendinös behandele. So lassen sich die häufig anzutreffenden Verklebungen im Bereich der Sehnenscheide bei Ultraschall gesteuerten Injektionen  visualisieren und teils direkt lösen.

Die Anwendung von SVF und den darin enthaltende mesenchymalen Stammzellen erweitert das gelenkerhaltende Therapiespektrum zur Behandlung einer hochgradigen Arthrose des Kniegelenks maßgeblich. Das gilt vor allem für die Behandlung der dritt- oder viertgradigen Knorpelschäden, die nicht operativ-regenerativ versorgt werden können. Hier ist der Einsatz eines Ultraschalls zum Beleg der korrekten Injektion obligat.

Studienlage

Die Frage wie exakt wir an die Zielstrukturen gelangen beantworten Studien der letzten 20 Jahre. Sie belegen wiederholt die Vorteile Ultraschall gestützter Injektionen ohne erkennbaren Nachteil. Fehlende Erfahrung und Routine kann durch die Verwendung eines Ultraschall können kompensiert  werden.

  • Schmerz und Funktion der Schulter verbesserten sich bei Injektionen glenohumeral und subakromial (Eustace 1997).
  • Fehllagen im Bereich der Schulter beschreibt Partington 1998 mit 17% bei subakromialen Infiltrationen und 33% Fehllagen beim AC Gelenk.
  • Es treten selbst bei vermeintlich „einfachen“ Gelenken wie dem Knie Fehllagen von bis zu 29% bei intraartikulären Infiltrationen auf (Jackson, 2002).
  • In der Rheumatologie zeigten sich sogar Fehllagen zwischen 29 und 63% in Abhängigkeit vom Zugang (Cunnington 2010).

 

Technische Voraussetzungen

Für die meisten Anwendungen in der Orthopädie reicht ein linearer Schallkopf. Bei Infiltrationen des Hüftgelenks und an der Wirbelsäule kann auch ein konvexer Schallkopf notwendig sein. Ein Doppler ist vor allem dann eine sinnvolle Ergänzung, wenn neurovaskuläre Strukturen unmittelbar im Zielgebiet oder auf dem Weg dahin passiert werden müssen. Technisch betrachtet erfolgen Injektionen „in-plane“ oder „out of plane.“ Bei der in-plane Technik bewegt sich die Kanüle in der Schallebene, Schallkopf und Kanüle liegen parallel. Bei der out-of-plane Technik liegen Kanüle und Schallebene in einem Winkel zueinander. Bei einem 90° Winkel erscheint die Kanüle dann als weißer Punkt im Bild. Es empfiehlt sich die Kanüle im vorderen Drittel darzustellen. Die Sterilität sollte selbstverständlich wie bei jeder anderen Infiltration auch bei der Verwendung des Ultraschall gewahrt werden.

Zusammengefasst sind ultraschallgesteuerte Infiltrationen

  • genauer als Landmarken gestützte Infiltrationen
  • bei diagnostischer Indikationen genauer
  • bei vielen therapeutischen Indikationen wirksamer
  • bei orthobiologischen Therapien mit ACP und SVF sehr empfehlenswert

 

Der Autor:

Dr. med. Markus Klingenberg
Gemeinschaftspraxis an der Beta Klinik

 

 

 

Better Care starts with knowing the facts – SpineJack System

Viele Patienten sehen Rückenschmerzen als unvermeidbare Konsequenzen des Alterns. Das ist mit ein Grund, weshalb ca. zwei Drittel aller vertebralen Kompressionsfrakturen nicht diagnostiziert werden.1,2 Unbehandelte vertebrale Kompressionsfrakturen können zu Langzeitfolgen (wie z.B. spinalen Deformitäten, Anschlussfrakturen und sogar einer höheren Sterblichkeit) führen. Vor diesem Hintergrund haben Forscher einen genaueren Blick auf die Behandlungsmöglichkeiten von vertebralen Kompressionsfrakturen geworfen. Laut einem gemeinsamen Statement von ASITN, SIR, AANS, CNS und ASSR sind vertebrale Augmentation und Vertebroplastie die effektivsten Behandlungen für schmerzhafte Kompressionsfrakturen, Non-Surgical-Management (z.B. Bettruhe) hingegen kann zu schwerwiegenden Komplikationen führen.3

Im Folgenden wird das SpineJack-System zur kontrollierten anatomischen Rekonstruktion von vertebralen Kompressionsfrakturen vorgestellt.

Entsprechend den AO Richtlinien zur Frakturbehandlung wird die Fraktur eines gewichttragenden Gelenks zuerst reponiert und danach fixiert.4 Das Konzept des SpineJack®-Systems ermöglicht eine kontrollierte anatomische Rekonstruktion und somit eine frühe Mobilisation und Belastbarkeit. Anatomische Reposition bedeutet die Wiederherstellung der Geometrie des gesamten Wirbelkörpers, d. h. der kortikalen Wand und der Deckplatten. Bei der Rekonstruktion der kortikalen Wand wird der korrekte Winkel des Wirbelkörpers wiederhergestellt. Dies ist entscheidend, um kyphotische Fehlstellungen zu korrigieren und angrenzende Frakturen zu vermeiden.5-10 Die Deckplattenrekonstruktion hat laut Fachliteratur einen positiven Einfluss auf die Vermeidung von Creeping-Effekten der Bandscheibe, von Bandscheibendegeneration, ausgleichenden Krümmungen und Arthrose der Facettengelenke.5,11-13  Mehrere klinische und epidemiologische Studien beschrieben die Korrelation zwischen Wirbeldeformitäten und klinischen Problemen wie der posttraumatischen Kyphose, welche zu den potentiell schwersten posttraumatischen Deformitäten zählt.6,14 Vor diesem Hintergrund wurde das SpineJack® Implantat entwickelt, um Ärzten eine vollständig kontrollierbare und umfassende Lösung für die Versorgung von WKF zur Verfügung zu stellen, mit der eine anatomische Reposition mit anschließender solider Stabilisation erfolgen kann.

Das SpineJack®-System wurde zur anatomischen Rekonstruktion traumatischer Wirbelkörperkompressionsfrakturen (Typ A laut Magerl-Klassifikation) entwickelt und kann auch dann eingesetzt werden, wenn der Fraktur pathologische Bedingungen wie Osteoporose oder maligne Läsionen (Myelome oder osteolytische Metastasen) zugrunde liegen. Das SpineJack® System ist für die Verwendung mit Knochenzement vorgesehen und wird durch einen transpedikulären Zugang eingebracht.

Die Rekonstruktionsleistung des SpineJack®-Systems wurde anhand von 3D-Rekonstruktionen prä- und postoperativer CT-Aufnahmen nachgewiesen.15 Durch Überlagerung der Aufnahmen kann die Veränderung der Wirbelhöhe genau bemessen werden.

Grün = geringstes Maß der Rekonstruktion Rot = höchstes Maß der Rekonstruktion

Bei der anatomischen Rekonstruktion spielen neben der Wirbelhöhe folgende Faktoren eine Rolle:

  • Kraniokaudale Expansion zur Wiederherstellung der sagittalen Balance
  • Anpassung der Implantatexpansion zur Wiederherstellung der frontalen Balance
  • Anpassung der Implantatposition zur Deckplattenrekonstruktion

Kontrollierte Positionierung mit speziellem Instrumentarium:
Die Position der Implantate kann sowohl auf Sagittal- als auch auf Horizontalebene den Frakturbedingungen und der Patientenanatomieentsprechend angepasst werden
Kontrollierte, millimetergenaue Expansion:
Die millimetergenaue Implantatexpansion wird aufrechterhalten, bis das Biomaterial injiziert ist
Kontrollierte Applikation des Knochenzements durch einen vorgegebenen Pfad und Erhalt der umliegenden Spongiosa:
Der vorgegebene Pfad für die Applikation des PMMA Knochenzements durch das Implantat dient der Minimierung des Risikos posteriorer Leckagen. Bei der kraniokaudalen Expansion bleibt die den Knochenzement umgebende trabekuläre Struktur erhalten und ermöglicht so eine bessere Verzahnung und damit eine bessere Verankerung und Knochenheilung. 16-19

Falls Sie mehr Informationen wünschen kontaktieren Sie bitte Ihren lokalen Stryker-Außendienstmitarbeiter oder charlotte.schuetz@stryker.com / michaela.felsch@stryker.com.

Interventional Spine – IVS Das SpineJack®-System ist indiziert für die anatomische Reposition von Wirbelkompressionsfrakturen durch Osteoporose, Traumata (WKF-Typ A nach Magerl-Klassifikation) und maligne Läsionen (Myelome oder osteolytische Metastasen). Das SpineJack® System ist für die Verwendung mit Knochenzement vorgesehen und wird durch einen transpedikulären Zugang eingebracht. Der Pedikeldurchmesser (siehe Kapitel Präoperative Planungsstrategie) wird präoperativ durch eine CT-Aufnahme bestimmt. Knochenzement: Komplikationen unerwünschte Zwischenfälle bei der Verwendung von Knochenzementen für die Vertebroplastie, Kyphoplastie und Sakroplastie – einige davon mit tödlichem Ausgang – sind z. B. Myokardinfarkte, Herzstillstände, zerebrovaskuläre Unfälle, Lungen- und Kardioembolien. Selten treten diese auch nach einem Jahr oder später nach der Operation auf. Die Verwendung von Knochenzement birgt weitere potenzielle Risiken, die in der Gebrauchsanleitung vollständig aufgelistet sind. Dieses Dokument richtet sich ausschließlich an medizinisches Fachpersonal. Chirurgen/innen müssen die Entscheidung zur Behandlung eines Patienten mit einem bestimmten Produkt stets anhand ihres eigenen fachlichen klinischen Urteils treffen. Stryker erteilt keine medizinischen Ratschläge und empfiehlt, Chirurgen/innen in der Anwendung des jeweiligen Produkts zu schulen, bevor diese es in der Chirurgie einsetzen. Die vorliegenden Informationen dienen der Präsentation des umfangreichen Stryker-Produktangebotes. Vor der Verwendung eines Stryker-Produktes müssen Chirurgen/innen stets die Packungsbeilage, das Produktetikett und/oder die Gebrauchsanweisung beachten. Einige Produkte sind u. U. nicht in allen Märkten erhältlich, da ihre Verfügbarkeit regulatorischen und/oder medizinischen Praktiken dieser Märkte unterliegt. Fragen zur Produktverfügbarkeit beantwortet Ihnen Ihr Stryker-Repräsentant. Die Stryker Corporation oder ihre Tochtergesellschaften besitzen, verwenden oder haben die folgenden Marken oder Dienstleistungsmarken angemeldet: AutoPlex, PCD, SpineJack, Stryker und VertaPlex. Alle anderen Marken sind Marken ihrer jeweiligen Eigentümer oder Inhaber. Die abgebildeten Produkte sind ECE-gekennzeichnet und entsprechen den geltenden EU-Vorschriften und Richtlinien.
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2020-23873_Rev-None, Copyright © 2020 Stryker
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__________________________02

  1. Cooper C, O’Neill T, Silman A. The epidemiology of vertebral fractures. European Vertebral Osteoporosis Study Group. Bone 1993; 14(Suppl 1):S89-97
  2. Kado DM, Browner WS, Palermo L, Nevitt MC, Genant HK, Cummings SR. Vertebral fractures and mortality in older women: a prospective study. Study of Osteoporotic Fractures Research Group. Arch Intern Med 1999; 159:1215-20
  3. Jensen, M. E., J. K. Mcgraw, J. F. Cardella, and J. A. Hirsch. “Position Statement on Percutaneous Vertebral augmentation: A Consensus Statement Developed by the American Society of Interventional and Therapeutic Neuroradiology, Society of Interventional Radiology, American Association of Neurological Surgeons/Congress of Neurological Surgeons, and American Society of Spine Radiology.” Journal of Vascular and Interventional Radiology 1.2 (2009): 181-85. Print.
  4. Buckley, R., Moran, C., & Apivatthakakul, T. (2017). AO principles of fracture management. Davos Platz, CH: AOFoundation

Verkehrsmedizinische Begutachtung: Mobilität für Menschen mit Handicaps ermöglichen

Verkehrsmedizinische Begutachtungen auf dem Gebiet von Orthopädie und Unfallchirurgie werden veranlasst, wenn aufgrund von entsprechenden Gesundheitsstörungen Zweifel an der generellen Fahreignung (§ 2 Abs. 4 StVG1) bestehen. Hiervon abzugrenzen sind vorübergehende Einschränkungen der Fahrtauglichkeit, wie sie nach Verletzungen oder Operationen vorkommen.

 

Die alltäglich vorkommenden Fragen zur Fahrtauglichkeit erfordern keine verkehrsmedizinische Begutachtung, sondern nur entsprechende Empfehlungen des Arztes an seinen Patienten; jeder Arzt muss solche Empfehlungen aussprechen können und dabei die weitreichenden Konsequenzen für den Betroffenen, die Straßenverkehrssicherheit und den Arzt bedenken. Zu Fahreignung und Fahrtauglichkeit gibt es wenig wissenschaftliche Literatur, jedoch hilfreiche Handreichungen mit entsprechenden Empfehlungen.2, 3, 4

Jeder Arzt ist auch verpflichtet, Patienten unaufgefordert darüber aufzuklären, wenn er eine fehlende oder eingeschränkte Fahreignung festgestellt hat. Missachtet ein Patient ein ärztliches Fahrverbot, macht er sich u. U. strafbar (§ 315c Abs. 1 Nr. 1, § 316 StGB). In bestimmten Fällen werden vom Arzt in Abhängigkeit einer individuellen Wertung sogar darüberhinausgehende Maßnahmen verlangt, wenn der Patient dem Fahrverbot nicht folgt. Für Verletzungen der ärztlichen Schweigepflicht kann ein rechtfertigender Notstand vorliegen (§ 34 StGB).

Die selten vorkommenden Gutachten zur Fahreignung hingegen dürfen nur von Ärzten mit
einer verkehrsmedizinischen Qualifikation erstellt werden, die nach Curriculum „Verkehrsmedizinische Begutachtung“5 erlangt werden kann. Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie mit dieser Qualifikation werden in der Regel anlassbezogen mit verkehrsmedizinischen Begutachtungen zur Fahreignung beauftragt, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche Eignung eines  Fahrerlaubnisinhabers oder -bewerbers an den Tag bringen und diese auf dem Fachgebiet
O&U begründet sind. Dies ist typischerweise beim Erstantrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis, nach konkreten Vorkommnissen oder nach zufälligen Polizeikontrollen der Fall. Fragestellungen auf anderen Fachgebieten, z. B. zum Problemkreis Alkohol, dürfen fachgebietsfremd nicht begutachtet werden. Begutachtung eigener Patienten sollen nicht erfolgen (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 FeV6). Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet innerhalb einer gesetzten Frist die Beibringung eines Gutachtens auf Kosten der zu begutachtenden Person an (§11 Abs. 6 FeV) und formuliert die Fragestellung an den von der zu begutachtenden Person gewählten Arzt unter Überlassung der relevanten Akteninhalte. Ärzte, die mit der Erstellung beauftragt werden, müssen die Begutachtungsgrundsätze
nach Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV beachten. Neben der Fahrerlaubnisverordnung mit ihren Anlagen ist insbesondere die regelmäßig aktualisierte Begutachtungs-Leitlinie zur Kraftfahrteignung8 mit ihren allgemein anerkannten Leitsätzen für die Begutachtung relevant. Der Gutachter darf in besonderen Fällen hiervon abweichen, dann allerdings mit einer besonderen Darlegungs- und Begründungslast.

 

Abb. 1A–D
18-jährige Führerscheinanwärterin mit durch Orthoprothese ausgeglichener Beinverkürzung re. 11 cm, geringer Verschmächtigung des re. Beines, endgradig eingeschränkter Hüftgelenk- und Kniegelenkfunktion re. sowie Spitzfußkontraktur re. bei
angeborenem proximalem Femurdefekt re. und Fibulahypoplasie re, mehrfach operativ
behandelt. Verkehrsmedizinische Fragestellung nach Fahreignung für KFZ
der Klasse B wurde bejaht mit der Auflage, die vorhandene Orthoprothese
beim Führen des Fahrzeugs zu tragen.

Abb. 2A–C
53-jährige Frau mit Z. n. Rückfußamputation re. nach Chopart infolge Thrombangitis obliterans. Verkehrsmedizinische Begutachtung mit der Frage der Fahreignung von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 wurde bejaht mit Auflagen und Beschränkungen: Obligates Tragen der Prothese/Orthese, damit beim Führen von mehrspurigen Kfz bis
3,5 t zGG keine Beschränkungen. Bei mehrspurigen Kfz über 3,5 t zGG und lof Zugmaschinen (Ackerschlepper) Beschränkung auf Fahrzeuge mit Bremskraftverstärker
oder Fremdkraftbremsanlage sowie Dauerbremse bei automatischer Kupplung
ohne Abstellen des Motors während der Fahrt. Beim Führen von Krafträdern müsste eine Hinterradbremse links bei Fußschaltung mit linker Ferse zu betätigen sein und  Kupplung/Schaltung mit Hand oder Schaltung mit linker Fußspitze zu betätigen sein.

Typische Begutachtungsanlässe auf unserem Fachgebiet sind Einschränkungen der Übersicht im Straßenverkehr, z. B. durch Minderwuchs oder Wirbelsäulenfehlbildungen, sowie Funktionsminderung oder -verlust an oberen oder unteren Extremitäten, z. B. durch Dysmelien, Kontrakturen, starke Bewegungseinschränkungen oder Amputationen. Bei der gutachterlichen Beurteilung spielt die Frage einer möglichen Kompensation eine entscheidende Rolle. Unverzichtbar für Fahreignung sind die Möglichkeit zum Ein- u. Aussteigen ins Fahrzeug, zum Verladen notwendiger Hilfsmittel, ausreichende Übersicht und die Bedienung von Betriebs- und Feststellbremse, Schaltung, Gas, Lenkung, Scheibenwischer, Fenstern, Hupe, Blinker, Licht und Außenspiegel – jeweils ohne
Loslassen des Lenkrads – sowie die Fähigkeit zur Absicherung liegengebliebener Fahrzeuge. Ergibt die Untersuchung, dass die festgestellten Beeinträchtigungen ein stabiles Leistungsniveau bedingt gewährleisten oder dass besondere Bedingungen
die Gefahr des plötzlichen Versagens abwenden können, schlägt der Gutachter in Form von Auflagen oder Beschränkungen die Bedingungen vor, die vom begutachteten Verkehrsteilnehmer erfüllt werden müssen, um eine „bedingte Fahreignung“
zu erreichen (§ 46 FeV). Auflagen richten sich an den Führer eines Fahrzeugs, z. B. ein bestimmtes Hilfsmittel zu nutzen oder sich in zeitlichen Abständen ärztlichen Nachuntersuchungen zu unterziehen. Beschränkungen grenzen den Geltungsbereich einer Fahrerlaubnis auf bestimmte Fahrzeugarten oder Fahrzeuge mit besonderen Einrichtungen wie Handgasbetätigung oder Fußgas links, Lenkhilfen, Automatikgetriebe u. a. ein. Empfohlene Maßnahmen für Gesundheitsstörungen auf dem Fachgebiet O&U finden sich im Kapitel 3.3 „Bewegungsbehinderungen“, 3.9 „Krankheiten des Nervensystems“ und in den Abschnitten 2.1 bis 2.16 des Anhangs B der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung und werden später im Feld 12 des Führerscheins mit sog. Schlüsselzahlen9 nach Anlage 9 zu § 25 Abs. 3 FeV beziffert. Eine differenzierte indikationsbezogene Darstellung ist in diesem Übersichtsartikel mit limitiertem Umfang nicht möglich. Für mitunter teure Fahrzeugumrüstungen gibt es spezialisierte Unternehmen. Diese bieten ergänzend zu den sich durch Beschränkungen ergebenden Maßnahmen auch weiteres, zum Teil technisch beeindruckendes Fahrzeugzubehör an, welches Menschen mit handicaps eine Fahrzeugnutzung erleichtert, wie Ein u.  Ausstiegshilfen, Rollstuhlverlade- und halterungssysteme, Heckausschnitte, Rampen oder
Liftsysteme. Die Kenntnis solcher Möglichkeiten ist auch in der Patientenberatung hilfreich. Üblich ist ergänzend zur ärztlichen Begutachtung auch eine Fahrprobe der zu begutachtenden Person mit einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr.

Zusammenfassend ist verkehrsmedizinische Begutachtung eine verantwortungsvolle Aufgabe, die außer medizinischen auch juristische und technische Kenntnisse erfordert. Wenngleich Sicherheit im Straßenverkehr stets an erster Stelle steht, muss immer auch darauf geachtet werden, dass an behinderte Verkehrsteilnehmer im Vergleich mit nicht Behinderten keine unangemessen überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen.
Behinderte sind zum Erhalt ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe in besonderem Maße auf die Möglichkeit zur selbständigen Teilnahme am Straßenverkehr angewiesen. Die Begutachtung sollte, wenn vertretbar, immer gerade auch in der Intention erfolgen, eine Straßenverkehrsteilnahme ggf. unter Auswahl geeigneter Auflagen und Beschränkungen zu ermöglichen und eben nicht zu verhindern.

Dr. med. Karsten Braun, LL. M.
BVOU-Referat Presse/Medien

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

 

COVID-19 und/oder Postcovidsyndrom – Arbeitsunfall oder Berufskrankheit?

Grundsätzlich kann eine COVID-19-Erkrankung einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). darstellen. Letzterer wurden in diesem Zusammenhang seit Beginn der Pandemie bis zum 31.08.2021
160.931 Verdachtsanzeigen auf Berufskrankheit angezeigt. Davon wurden 103.244 Fälle anerkannt (darunter 51 Todesfälle). Bezüglich Arbeitsunfälle kam es demgegenüber zu 30.200 Meldungen, von denen mit 9.315 Fällen weniger als ein Drittel anerkannt wurden (darunter 33 Todesfälle).(siehe Quelle 1)

Was macht nun den Unterschied, ob ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt (im Detail nachzulesen unter)? (siehe Quelle 2,3)

COVID-19 wird unter Nummer 3101 in der Berufskrankheitenliste aufgeführt. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf Personen, die im Gesundheitsdienst, in der
Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium arbeiten und sich dort im Rahmen ihrer Tätigkeit mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren UND deshalb an COVID-19 erkranken. Gleiches kann für einen Personenkreis gelten, der im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der Infektionsgefahr in vergleichbarem Maße ausgesetzt war:

  • Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken, Physiotherapieeinrichtungen, Krankentransporte, Rettungsdienste oder Pflegedienstleistungen gehören beispielsweise dem Gesundheitsdienst an.
  • Einrichtungen der Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfe sowie zur Hilfe für behinderte oder psychisch erkrankte Menschen oder Menschen in besonderen sozialen Situationen (z. B. Suchthilfe oder Hilfe
  • Bei den Laboratorien kommen neben den wissenschaftlichen und medizinischen Laboratorien auch Einrichtungen infrage, die besonderen Infektionsgefahren ausgesetzt sind und in denen Beschäftigte mit Kranken in Berührung kommen können oder mit
    Stoffen umgehen, die kranken Menschen zu Untersuchungszwecken entnommen wurden.
  • Beim Personenkreis, der nicht zu den drei erstgenannten Punkten gehört, kommt es für die Anerkennung als Berufskrankheit darauf an, ob eine vergleichbare Infektionsgefahr vorgelegen hat und welcher Art die Kontakte mit infizierten Personen war. Letztere setzen
    einen unmittelbaren Körperkontakt (z. B. Ausüben des Friseurhandwerks) oder gesichtsnahe Tätigkeiten (z. B. kosmetische Behandlung) voraus.
  • Für andere Berufsgruppen, wie beispielsweise KassiererInnen oder Beschäftigte im Nah- und Fernverkehr, liegen aktuell keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse vor, dass jene einem vergleichbar erhöhtem Infektionsrisiko ausgesetzt sind.

Um als Berufskrankheit unter der Nummer 3101 anerkannt zu werden, müssen neben dem gesicherten Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zusätzlich zumindest klinische Symptome, wie beispielsweise Fieber, Husten, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Geschmackstörungen, Schlafstörungen u.a. auftreten.
Sollten erst zu einem späteren Zeitpunkt Gesundheitsschäden, die als Folge der Infektion anerkannt sind, auftreten, so kann eine Berufskrankheit ab diesem Zeitpunkt anerkannt werden. Falls sie Betroffene oder Bertoffener sein sollten, empfiehlt es sich, alle Unterlagen über ihren Erkrankungsverlauf zu sammeln und insbesondere, falls bekannt, die Kontaktdaten der vermeintlichen Infektionsquelle (Indexperson) festzuhalten.

An dieser Stelle sei auf das gemeinsame Merkblatt „COVID-19 als Berufskrankheit – Informationen für Beschäftigte im Gesundheitswesen“ von DGUV und der Deutschen Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI) hingewiesen, welches unter dem Link https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/3854 heruntergeladen werden kann.

COVID-19 als Arbeitsunfall

Die Erkrankung an COVID-19 kann, ohne die Voraussetzungen zur Anerkennung als Berufskrankheit zu erfüllen, unter bestimmten Bedingungen als Arbeitsunfall
anerkannt werden, wenn die Infektion mit dem CoronaVirus SARS-CoV-2 infolge einer versicherten Tätigkeit (Beschäftigung, (Hoch-) Schulbesuch, Ausübung bestimmter Ehrenämter, Hilfeleistung bei Unglücksfällen o.a.) erfolgt:

Nachweislich muss in diesem Rahmen ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person (“Indexperson”) stattgefunden haben und spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt die Erkrankung eingetreten bzw. der Nachweis der Ansteckung erfolgt sein.

Zur Beurteilung der Intensität des Kontaktes werden, basierend auf der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel in der Fassung vom 7. Mai 2021 und der Einschätzung des
Robert-Koch-Institut vom 31. März 2021, insbesondere die Dauer und örtliche Nähe des Kontaktes herangezogen:

  • Bei einem länger als 10 Minuten dauernden Kontakt mit einer Indexperson im näheren Umfeld kann es ohne das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes oder einer FFP2-Maske der Beteiligten zu einer Ansteckung kommen. In bestimmten Gesprächssituationen sind
    auch eine kürzere Zeitspanne denkbar. Selbst beim Tragen eines Mund-Nase-Schutzes oder einer FFP2-Maske kann es nach mehr als zehn Minuten bei hohen Raumkonzentrationen infektiöser Aerosole zu einer Ansteckung kommen.
  • Sollte es nachweislich bei der versicherten Tätigkeit im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld (z. B. innerhalb eines Betriebs oder einer Schule) der betroffenen Person eine größere Anzahl von infektiösen Personen unter Infektion begünstigenden Bedingungen gegeben haben, so kann es im Einzelfall auch ohne nachweisbaren intensiven Kontakt zu einer Indexperson zur Anerkennung als Arbeitsunfall kommen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Hinzuziehung von Einflussparametern, wie beispielsweise die Anzahl der nachweislich infektiösen Personen im engeren Tätigkeitsumfeld, die Anzahl der üblichen  Personenkontakte, eine geringe Infektionszahl außerhalb des versicherten
    Umfeldes sowie räumliche Gegebenheiten wie Belüftungssituation und Temperatur.
  • Sollte es auf dem Weg zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause zu einer Infektion mit Folge einer COVID19-Erkrankung gekommen sein, so ist es mitunter schwierig einen Kontakt mit einer infektiösen Indexperson nachweisen zu können. Dennoch kann unter
    den oben aufgeführten Bedingungen ein Arbeitsunfall vorliegen. Dabei ist vor allem an vom Unternehmen organisierte Gruppenbeförderungen oder Fahrgemeinschaften von Versicherten zu denken.
  • Auch wenn grundsätzlich der Aufenthalt in Kantinen als eigenwirtschaftlich und mithin als nicht versichert anzusehen ist, kann es in Ausnahmefällen sein, dass eine dort aufgetretene Infektion als Arbeitsunfall anerkannt wird. Sollte die Essenseinnahme in einer Kantine aus betrieblichen Gründen zwingend erforderlich oder unvermeidlich sein und befördern die Gegebenheiten (z. B. Raumgröße und -höhe, Lüftung, Abstandsmöglichkeiten) eine Infektion mit SARSCoV-2, kann ausnahmsweise Versicherungsschutz bestehen.
  • Für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gilt Ähnliches. Allerdings ist eine Anerkennung als Arbeitsunfall nur dann denkbar, wenn diese Art der Unterbringung Teil des unternehmerischen, wirtschaftlichen Konzeptes ist und sich daraus eine besondere
    Infektionsgefahr ergibt. Die Infektionsgefahr muss dabei über das übliche Maß hinausgehen und durch die Eigenheiten der Unterkunft (z. B. Mehrbettzimmer,
    Gemeinschaftswaschräume und -küchen, Lüftungsverhältnisse) begünstigt werden.
  • CAVE: Die Anerkennung als Arbeitsunfall ist mit hohen Anforderungen an die Kausalitätskette verbunden. So ist bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls stets zu berücksichtigen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt Kontakt zu anderen Indexpersonen in nicht versicherten Lebensbereichen, wie beispielsweise Familie, Freizeit oder Urlaub, bestanden haben könnte.

Bei der Überprüfung der zur Anerkennung als Arbeitsunfall notwendigen Voraussetzungen ist in jedem Einzelfall eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Aspekte, die für oder gegen eine Verursachung der COVID-19-Erkrankung durch die versicherte Tätigkeit  sprechen, obligatorisch. Nur die Infektion, die infolge der versicherten Tätigkeit eingetreten ist, erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles. (siehe Quelle 2)

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Literatur
1
https://www.dguv.de/medien/inhalt/mediencenter/hintergrund/
covid/dguv_zahlen_covid.pdf
2
https://www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_
arbeitsunfall/index.jsp
3
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/
article/3854

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PD Dr. med. habil. Axel Sckell
Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35
18057 Rostock
axel.sckell@med.uni-rostock.de

 

Dr. Gerd Rauch
Ärztlicher Leiter MVZ OCP Kassel
gGmbH Lichtenau
Leipziger Straße 164
34123 Kassel
gerdrauch@t-online.de
Fachgesellschaft Interdisziplinäre Medizinische Begutachtung

 

Dr. Stefan Middeldorf
Chefarzt der Orthopädischen Klinik
Schön Klinik Bad Staffelstein02
Am Kurpark 11
96231 Bad Staffelstein
SMiddeldorf@schoen-klinik.de
Fachgesellschaft Interdisziplinäre Medizinische Begutachtung

Differentialdiagnose des Rückenschmerzes im Kindes- und Jugendalter

Rückenschmerzen treten nicht nur bei Erwachsenen auf, sondern stellen auch ein  zunehmendes gesundheitliches Problem von Kindern und Jugendlichen dar.

Dies ist nicht nur für die Betroffenen und Behandelnden eine Herausforderung, sondern für das gesamte Gesundheitssystem – in Deutschland werden die minimalen Kosten für die Behandlung von Rückenschmerzen bei Patientinnen und Patienten unter 25 Jahren auf 100 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Entscheidender für unsere jüngsten Patientinnen und Patienten ist jedoch, dass sie häufiger den Schulunterricht verpassen und nur deutlich eingeschränkt an sportlichen und anderen Freizeitaktivitäten teilnehmen können.

Die Wahrnehmung von Rückenschmerzen bei Kindern hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. So wissen wir heute, dass Rückenschmerzen im jüngeren Alter nicht zwangsläufig Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung sind, sondern dass es wie bei Erwachsenen auch zu unspezifischen Schmerzen kommt. Dabei geben 10–30 % der Jugendlichen an, bereits an Rückenschmerzen gelitten zu haben. Die Prävalenz steigt mit dem Alter an, von ca. 1% bei 7-Jährigen über 6% bei 10- und 12% bei 12-Jährigen auf 18% bei Jugendlichen im Alter von 14–16 Jahren.

Zu den Risikofaktoren für die Entstehung unspezifischer Rückenschmerzen zählt neben dem Alter das Geschlecht. Mädchen zeigen dabei eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Rückenschmerzen zu leiden als Jungs. Weiterhin spielen psychosoziale Faktoren wie psychologische Belastungen eine wichtige Rolle in der Schmerzentwicklung und -wahrnehmung. Entgegen dem verbreiteten Eindruck zeigten Untersuchungen anderer möglicher Risikofaktoren wie der Körpergröße, des Körpergewichts und der Muskelkraft keine eindeutige Assoziation mit dem Auftreten von Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen.

Trotz der hohen Prävalenz unspezifischer Rückenschmerzen müssen mögliche zugrundeliegende Erkrankungen vor allem bei persistierenden Schmerzen ausgeschlossen werden. Entscheidend ist daher eine ausführliche Anamneseerhebung, welche gemeinsam mit den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten erfolgen sollte. Sie beinhaltet zunächst ein genaues Erfragen der Symptomatik mit Beginn und Dauer der Schmerzen, Schmerzintensität, Schmerzcharakter und Schmerzlokalisation. Um zwischen unspezifischen und spezifischen Schmerzen zu unterscheiden, sollten in jedem Fall red flags inklusive neurologischer Symptome wie Kraftgradminderungen oder Sensibilitätsstörungen, Störungen der Blasen- oder Mastdarmfunktion, Infektionszeichen, Tumorerkrankungen oder vorangegangener Traumata beachtet werden. Schmerzen, die nachts persistieren und unabhängig von körperlicher Aktivität auftreten, können ebenso wie Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Lethargie Hinweise auf ein infektiöses oder malignes Geschehen sein.

Morgensteifigkeit kann als erstes Symptom auf eine entzündliche Erkrankung deuten. Dies ist aus der Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten auf Kinder zu übertragen. Neben dem Erfassen jeglicher Vorerkrankungen und Medikation muss außerdem eine genaue Familien- und Sozialanamnese erhoben werden. Psychologische Faktoren spielen wie bei Erwachsenen auch in der Schmerzentstehung von Kindern eine große Rolle und können alleinige Ursache unspezifischer Rückenschmerzen sein. An dieser Stelle ist aufgrund des Rückenschmerzes als mögliches Symptom einer psychosozialen Belastungssituation darauf hinzuweisen, dass eine individuelle Anamneseführung auch mit dem Kind oder Jugendlichen alleine wichtig sein kann.

Die auf die Anamnese folgende fokussierte körperliche Untersuchung beinhaltet die Abklärung einer möglichen spinalen Asymmetrie, die sich in einer Imbalance der Schultern, Prominenz derSkapulae, thorakalen Asymmetrie, Beckenschiefstand oder einer  Beinlängendifferenz äußern kann, Zeichen oberflächlicher Defekte als Symptom kongenitaler spinaler Anomalien, eine Analyse des Gangbildes, eine Messung des Bewegungsumfangs der Wirbelsäule sowie eine neurologische Untersuchung.

Entsprechend der nationalen Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ werden bildgebende Verfahren erst eingesetzt, wenn in der Untersuchung ein neurologisches Defizit auffällt, das Kind über nächtliche, radikuläre oder mehr als vier Wochen persistierende Schmerzen klagt oder andere red flags vorhanden sind. Zwar ist bei Kindern wie bei Erwachsenen zunächst eine Röntgenaufnahme der betroffenen Region in zwei Ebenen indiziert, aufgrund der geringeren Strahlenbelastung kann jedoch auch primär eine Magnetresonanztomographie (MRT) angefertigt werden. Diese ist dem Röntgen aufgrund des hohen Kontrastauflösungsvermögens in der Darstellung von neuronalen Strukturen und Weichgeweben wie der Bandscheibe und der Muskulatur überlegen. Aufgrund der hohen Strahlenbelastung sollte eine Computertomographie nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden – eine CT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule geht mit ungefähr der achtfachen effektiven Strahlendosis einer Röntgenaufnahme einher. Besteht der Verdacht auf ein malignes oder infektiöses Geschehen, ist eine Laboruntersuchung mit Abnahme der Entzündungsparameter unabdingbar.

Die Behandlung von Rückenschmerzen bei Kindern ist abhängig von ihrer Ätiologie und dem klinischen Erscheinungsbild. Unspezifische Rückenschmerzen werden wie bei Erwachsenen ohne vorherige bildgebende Untersuchung mittels physiotherapeutischer Beübung zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur und dem zurückhaltenden Einsatz von Analgetika therapiert. Bei psychosozialen Belastungsfaktoren muss außerdem eine psychologische Mitbetreuung evaluiert werden.

Die häufigste Ursache für Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen ist der paravertebrale Muskelhartspann. Dieser kann entweder wachstumsbedingt auftreten oder – wobei nochkontrovers diskutiert – durch eine erhöhte Belastung beispielsweise durch schwere Schulranzen verursacht sein. Typischerweise sprechen diese unspezifischen Schmerzen auf eine konservative Therapie gut an und bessern sich nach einigen Wochen. Regelmäßige klinische Kontrollen sind vor allem bei Beschwerdepersistenz jedoch essentiell, um zugrundeliegende Pathologien nicht zu übersehen und um eine Schmerzchronifizierung zu vermeiden.

Obwohl spezifische Rückenschmerzen im Kindesund Jugendalter selten sind, müssen sie bei Auftreten der oben genannten red flags in Betracht gezogen werden. Zu den häufigen zugrundeliegenden Pathologien zählen mit einer Prävalenz von bis zu 6% aller Kinder die Spondylolyse und Spondylolisthese. Beide Krankheitsbilder äußern sich mit fokalem Schmerz, wobei in aller Regel die untere Lendenwirbelsäule betroffen ist, und sprechen gut auf eine konservative Therapie an. Etwas seltener sind Deformitäten der Wirbelsäule ursächlich für die Entstehung von Rückenschmerz, wobei vor allem die idiopathische Skoliose mit einer Prävalenz von 2–3% aller Kinder und Jugendlicher zu beachten ist, aber auch der Morbus Scheuermann durch die übermäßige Kyphose Schmerzen verursachen kann. Zu diesen und weiteren spezifischen Ursachen für Rückenschmerzen finden Sie weiterführende Artikel in diesem Infobrief.

Symptomatische Bandscheibenpathologien sind bei Kindern selten. Besteht jedoch der Verdacht auf eine solche Pathologie, sollte insbesondere bei radikulärer Symptomatik eine bildgebende Untersuchung mittels MRT erfolgen. Die konservative Behandlung dieser Pathologien führt in aller Regel zu aussichtsreichen Behandlungserfolgen, während die operative Behandlung ausschließlich bei neurologischen Defiziten indiziert und daher im klinischen Alltag eine absolute Rarität ist.

Leider gibt es trotz der steigenden Inzidenz von Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen wenig aussagekräftige Literatur zu seiner Entstehung und Behandlung. Nachgewiesen ist jedoch, dass Kinder und Jugendliche, die bereits eine Episode von Rückenschmerz erlitten haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von
Rückenschmerzen auch im Erwachsenenalter haben. Die Bedeutung von Schmerz und der damit einhergehenden massiven Einschränkungen in der Lebensqualität der Betroffenen muss daher stärker in unser Bewusstsein gerückt werden. Für von Rückenschmerzen betroffene Kinder hat die verminderte Teilnahme an Schulunterricht, Sport und anderen Aktivitäten über die physische Gesundheit hinausgehende gravierende Folgen.

Ein zunehmendes Verständnis zugrundeliegender Ursachen ist daher essentiell, um Schmerzen bereits vor ihrer Entstehung vorzubeugen oder sie bei Auftreten möglichst frühzeitig gezielt zu behandeln.