Archiv für den Monat: September 2025

Differenzierte Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie

Eine gelungene perioperative Schmerztherapie verbessert Patientensicherheit und Erholung durch individuelle, strukturierte Maßnahmen. Sie basiert auf kontinuierlicher Schmerzerfassung, einer konstanten Basisschmerztherapie und bedarfsorientierter Analgesie. Multimodale Ansätze wie Regionalanästhesie und patientenkontrollierte Analgesie erhöhen die Effektivität und reduzieren Opioide. Wichtig sind zudem Nebenwirkungsmanagement und die Berücksichtigung von Organfunktionen und Arzneimittelinteraktionen.

Schmerzmechanismen
Eine chirurgische Inzision hat eine Freisetzung lokaler sensibler Gewebe-Nozizeptoren zur Folge, die wiederum eine Neuroinflammation und Neuroimmunreaktion in den Dorsalganglien bewirken. Dieser, einer Entzündungsreaktion ähnelnder, Prozess verdeutlicht die gute Wirksamkeit von NSAR bei postoperativen, klassisch nozizeptiven Schmerzen.1 Selten treten postoperativ auch neuropathische Schmerzen auf, wenn Nerven direkt geschädigt werden. Unter anderem kommt es zur überschießenden Natrium-Kanal-Expression an peripheren Nozizeptoren, die zur sogenannten Plus- und Minussymptomatik führen. Diese können sich durch einschießend, brennende, kribbelnde Schmerzqualität, sowie Sensibilitätsverminderung oder extreme Berührungsempfindlichkeit (Allodynie) äußern. Neuropathische Schmerzen sprechen typischerweise eher schlecht auf Opioide an. In diesen speziellen Fällen stößt man mit klassischen postoperativen Schmerztherapie-Konzepten an seine Grenzen.2,3

Fazit
Neuropathische Schmerzen postoperativ verlangen gezielte Diagnostik und Therapie.

Basis der Schmerztherapie
Die Basis der Schmerztherapie beginnt bereits präoperativ mit einer gezielten Anamnese, um Risikofaktoren für starke postoperative Schmerzen wie Opioidgebrauch oder psychosomatische Erkrankungen zu erkennen. Auch das frühzeitige Erfassen eines Delirrisikos ist wichtig für das Narkosemanagement und die Prophylaxe. Nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Entspannung und Ablenkung können vom Pflegepersonal unterstützt werden, ebenso sollten psychologische Aspekte beachtet werden. Physiotherapie und physikalische Methoden wie Frühmobilisation, Bewegungsübungen, Thermotherapie und TENS sind zentral für die postoperative Schmerzbehandlung. Während der Operation wird, wenn möglich, lokale Infiltrationsanästhesie (LIA) eingesetzt.3

Fazit
Prävention ist der Schlüssel – Schmerztherapie beginnt vor dem Schnitt.

Schmerzeingrenzung
Die Schmerzanamnese ist Grundlage jeder Therapie, da Schmerz subjektiv und nicht immer proportional zum Eingriff ist. Zur Bewertung der Schmerzintensität werden meist die Visuelle Analogskala (VAS) oder Numerische Ratingskala (NRS) genutzt, wobei Werte über 3/10 behandlungsbedürftig sind. Erfasst werden Schmerzbeginn, -dauer, -lokalisation, -qualität, Auslöser, psychische Faktoren sowie Therapieerwartungen und -erfahrungen. Bei Kindern, älteren oder kognitiv eingeschränkten Patienten sind nonverbale Zeichen und psychosoziale Faktoren besonders wichtig.

Die Wirksamkeit von Bedarfsanalgetika wird 30 Minuten nach i.v. und 60 Minuten nach oraler Gabe kontrolliert. Schmerzerfassung sollte alle 2 Stunden in den ersten 24 Stunden nach großen Eingriffen sowie bei Schmerzveränderungen und nach Interventionen erfolgen, bei bestehender Analgesie mindestens alle 8 Stunden.

Zuständigkeiten
Das perioperative Schmerzmanagement braucht klare hausinterne Regelungen und einen strukturierten Akutschmerzdienst, um Patientenzufriedenheit zu steigern. Schriftlich festgelegte, prozedurenspezifische Therapiealgorithmen sorgen für standardisierte Behandlung und Handlungssicherheit. Pflegekräfte können innerhalb definierter Grenzen eigenverantwortlich Bedarfsmedikation verabreichen.4

Die postoperative Verantwortung liegt meist bei der operierenden Abteilung – bei Katheterverfahren bei der Anästhesie – was enge interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. Regelmäßige Dokumentation unterstützt die Therapieanpassung. Im Entlassbrief sollte die temporäre Opioidindikation und das Ausschleichen klar vermerkt sein.

Fazit
Verantwortung regeln – Teamwork leben – Schmerz besser managen.

Medikamentöse Basisanalgesie im perioperativen Schmerzmanagement
Die effektivste postoperative Analgesie beruht auf einer Kombination von zwei oder mehreren Analgetika mit unterschiedlichen pharmakologischen Wirkmechanismen. Dabei zeigen sich insbesondere die Kombination aus einem Nichtopioidanalgetikum, einem Regionalanästhesieverfahren und/oder einem Opioid als evidenzbasiert wirksam. Die Verordnung dieser Substanzen sollte stets zeitlich begrenzt erfolgen.

Insbesondere im orthopädisch-unfallchirurgischen Setting müssen neben der reinen Schmerzlinderung auch funktionelle Ziele wie die frühzeitige Mobilisation sowie die Vermeidung postoperativer Komplikationen unterstützt werden. Zusätzlich stehen entzündungshemmende und knochenbiologische Effekte im Fokus der analgetischen Strategie.

Nichtopioidanalgetika (NOPA)
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) bleiben aufgrund ihrer antiphlogistischen sowie ossifikationshemmenden Wirkung ein unverzichtbarer Bestandteil bei elektiven orthopädischen Eingriffen. Paracetamol und Metamizol kommen additiv zur Anwendung, wobei Metamizol dem Paracetamol in der analgetischen Wirksamkeit überlegen ist.

Metamizol wirkt stark analgetisch und antipyretisch mit geringer Nebenwirkungsrate. Schnelle i.v.-Gabe (> 500 mg/min) kann arterielle Hypotonie verursachen. Anwendung bei Niereninsuffizienz möglich. Risiko einer Agranulozytose und typische Symptome (Fieber, Schleimhautentzündung, Dysphagie) müssen aufgeklärt werden, da sie unter Antibiotika maskiert sein können.

Paracetamol bietet eine analgetische und antipyretische Wirkung, jedoch ohne antiphlogistischen Effekt. Es weist eine gute Verträglichkeit auf, verursacht keine gastrointestinalen Nebenwirkungen oder Blutungsneigung und besitzt opiat-sparende Eigenschaften. Eine Überdosierung birgt jedoch das Risiko einer Hepatotoxizität.

Klassische NSAR (z. B. Ibuprofen, Diclofenac) bergen Nebenwirkungen wie gastrointestinale Ulzera, renale und kardiovaskuläre Risiken sowie eine erhöhte Blutungsneigung. Insbesondere bei vorbestehender Herzinsuffizienz (NYHA II–IV), koronarer Herzkrankheit, pAVK oder zerebrovaskulären Erkrankungen sind NSAR kontraindiziert.

COX-2-Inhibitoren zeichnen sich durch eine bessere gastrointestinale Verträglichkeit aus, sind jedoch bei Langzeittherapie mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Parecoxib hat als Vertreter der COX-2-Hemmer keinen Einfluss auf die Thrombozytenaggregation und scheint das Risiko für Blutungen nicht zu erhöhen. Kontraindikationen umfassen u. a. Analgetikaasthma, kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Niereninsuffizienz. Ibuprofen, Diclofenac und Parecoxib stehen auch zur i.v.-Gabe unmittelbar perioperativ zur Verfügung. (Tab. 1)

Klinisch relevante Arzneimittelinteraktionen
Insbesondere klassische NSAR wie Ibuprofen konkurrieren mit ASS um die Bindungsstelle an der Cyclooxygenase-1 (COX-1). Durch die reversible Besetzung des aktiven Zentrums verhindern NSAR den irreversiblen Zugang von ASS zum Enzym. Dies kann die gewünschte thrombozytenaggregationshemmende Wirkung von ASS abschwächen oder sogar aufheben.1

Opioidanalgetika
Opioide wirken über μ-Opioidrezeptoren, die als G-Protein-gekoppelte Rezeptoren auf peripherer, spinaler und supraspinaler Ebene die Schmerzweiterleitung hemmen. Sie behalten insbesondere bei akuten postoperativen Schmerzen ihre klinische Relevanz, sind jedoch mit möglichen Nebenwirkungen wie Sedierung, Übelkeit, Juckreiz, Atemdepression oder Delir verbunden. Durch Kombination mit Nichtopioidanalgetika und koanalgetischen Verfahren kann die benötigte Opioiddosis deutlich reduziert werden.

In der klinischen Praxis werden retardierte und unretardierte Opioide individuell an Alter, Organfunktion und Operationstyp angepasst. Retardpräparate dienen der Basisanalgesie, niedrig dosiert. Nicht-retardierte Präparate ermöglichen die bedarfsadaptierte Dosistitration.

Retardierte niederpotente Opioide, wie Tramadol oder Tilidin/Naloxon, werden trotz ihrer Relevanz in WHO-Stufe II in der unmittelbaren postoperativen Analgesie zunehmend seltener eingesetzt. Gründe sind unter anderem das ausgeprägte Nebenwirkungsprofil und eine schlechte Steuerbarkeit aufgrund individueller Metabolisierungsunterschiede. Sie können jedoch im Entlassmanagement zur kontrollierten Reduktion der Opioidgabe sinnvoll eingesetzt werden.

Vertreter retardierter hochpotenter Basisopioide:
→ Tapentadol: dualer Wirkmechanismus als μ-Opioidrezeptor-Agonist und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer, geringe Affinität zum μ-Opioidrezeptor → weniger Nebenwirkungen, Vorsicht bei schwerer Niereninsuffizienz.7
→ Oxycodon: geringere Affinität als Morphin zum μ-Opioidrezeptor, Dosisreduktion bei GFR < 30 ml/min, Kontraindikation bei schwerer Leberinsuffizienz, erhöhtes Abhängigkeitspotenzial.5

Vertreter nicht-retardierter Bedarfsopioide:
Nicht-retardierte Opioidanalgetika kommen in der postoperativen Schmerztherapie insbesondere zur Dosistitration in der Frühphase nach Eingriffen zum Einsatz. Galenik, Wirkstärke, Metabolisierung und Nebenwirkungsprofil sollten patientenindividuell berücksichtigt werden, idealerweise am gleichen Wirkstoff wie das Basisopioid orientiert. (Tab. 2)

Fazit
Analgetika gezielt kombinieren – Wirkung steigern, Risiken begrenzen.

Patientenkontrollierte Analgesie (PCA)
Die selbstgesteuerte Bolusapplikation von Opioiden über eine programmierbare Schmerzpumpe verbessert die Schmerzkontrolle und Patientenzufriedenheit bei reduzierten Nebenwirkungen. Standardmäßig erfolgt eine kontinuierliche Basisinfusion mit individuell einstellbaren Sperrintervallen. Änderungen an der PCA-Pumpe dürfen nur durch ärztliches oder geschultes Fachpersonal erfolgen. Risiken bestehen insbesondere bei Patienten mit Hypoventilation, Schlafapnoe oder erhöhter Opioidsensitivität. Hier ist eine kontinuierliche Pulsoxymetrie mit telemetrischer Überwachung empfehlenswert. (Tab. 5)6

Wenn der Schmerzstandard an seine Grenzen stößt
Bei Ausschöpfen der standardisierten Basis- und Bedarfsanalgesie oder bei in der Anamnese bereits bestehenden Hinweisen auf vermehrte postoperative Schmerzen können Koanalgetika bzw. sogenannte Adjuvantien erwogen werden.3

Balanciertes Schmerztherapiekonzept
Rückenmarksnahe und periphere Regionalanästhesieverfahren sind der systemischen Opioidtherapie gleichwertig und ermöglichen opioidreduzierte Analgesiekonzepte. Ultraschallgestützte Techniken haben den Einsatz peripherer Blockaden erweitert. Standardlokalanästhetika wie Ropivacain oder Bupivacain werden durch volumenreduzierte Applikationstechniken ergänzt, um motorische Funktionen zu schonen und die Mobilisation zu fördern.8

Ein typisches Beispiel ist die Knieendoprothetik: Während die Femoraliskatheteranlage eine gute Analgesie bietet, limitiert sie durch motorische Blockade die Mobilität. Selektive Blockaden im Adduktorenkanal (N. saphenus, N. obturatorius) bieten eine geeignete Alternative mit geringerer Einschränkung. Plexuskatheter der oberen Extremität (z. B. interskalenär, supraklavikulär) ermöglichen effektive Analgesie ohne Mobilitätsverlust. Entscheidend ist eine tägliche Reevaluation der Blockadeausprägung und individuell angepasste Applikationsrate.

Die epidurale Analgesie besitzt weiterhin hohes analgetisches Potenzial, geht jedoch mit erheblichem logistischem Aufwand, Mobilitätseinschränkung und Risiken wie Harnverhalt oder Hämatombildung einher. Ihr Einsatz erfolgt daher heute in der Orthopädie nur noch bei klarer Indikation.1,3

Fazit
Wo Standardanalgesie nicht ausreicht, braucht es adjuvante Strategien und regionalanästhesiologische Präzision.

Kontrahierungspflicht für HZV nur noch mit angeschlossenen Facharztverträgen

Wenn es nach dem Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) geht, sollen Hausarztzentrierte Versorgungsverträge von den Krankenkassen nur noch abgeschlossen werden müssen, wenn diese auch mit Facharztverträgen verknüpft sind. Der SpiFa weist auf die positiven Erfahrungen für die Patientenversorgung aus Baden-Württemberg hin, wo die HZV seit Jahren um fachärztliche Vollversorgungsverträge ergänzt wird. Hierzu hat der SpiFa mit seinen Mitgliedsverbänden ein Positionspapier veröffentlicht.

In der vom GKV-Spitzenverband und verschiedenen Krankenkassen angestoßen Debatte um den Fortbestand der Kontrahierungspflicht der Krankenkassen zum Abschluss von HZV-Verträgen stellt sich der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e. V. (SpiFa) vor den bestehenden Kontrahierungszwang, jedoch nicht uneingeschränkt.

In seinem aktuell veröffentlichten Positionspapier „Stärkung der Selektivverträge für eine bedarfsgerechte ärztliche Versorgung in einem primärärztlichen System“, das der fachärztliche Dachverband zusammen mit seinen Mitgliedsverbänden erarbeitet hat, plädiert der SpiFa für einen bundesweit einheitlichen Basisvertrag, der HZV und fachärztliche Versorgung kombiniert und regionale Besonderheiten flexibel ergänzt. Die Teilnahme soll für die Ärztinnen und Ärzte freiwillig, unbürokratisch und digitalisiert möglich sein – auf Grundlage einer unbudgetierten, betriebswirtschaftlich fundierten Vergütung.

Hierzu SpiFa-Vorstandsmitglied Dr. Norbert Smetak: „Selektivverträge sind ein Innovationsmotor. Auch die Hausarztzentrierte Versorgung hat gerade in der Kombination mit fachärztlichen Vollversorgungsverträgen ihren Mehrwert für die Patientenversorgung in Baden-Württemberg beweisen können.“ Es zeige sich eindrücklich, dass die Verknüpfung der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) mit fachärztlichen Vollversorgungsverträgen die Versorgungsqualität deutlich steigere. Besonders chronisch Erkrankte profitierten nachweislich von engeren Behandlungsstrukturen.

„Dieses Kombinations-Modell hat sich bewährt. Es darf nicht länger regional begrenzt bleiben, sondern sollte stattdessen bundesweit eingeführt werden. Es gilt jetzt den nächsten Schritt zu gehen und diese Blaupause aus Baden-Württemberg bundesweit auszurollen. Für die Krankenkassen braucht es aber einen klaren Systemauftrag für dieses innovative Kombinations-Modell,“ so Smetak.

Das SpiFa-Positionspapier „Stärkung der Selektivverträge für eine bedarfsgerechte ärztliche Versorgung in einem primärärztlichen System“ finden Sie im Anhang. Es steht zudem unter https://spifa.de/positionen/#positionspapiere zur Ansicht und zum Download bereit.

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www.spifa.de

Umgang mit einwilligungsunfähigen Patienten aus rechtlicher Sicht

Hinweis1: Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten immer für alle Geschlechter.

Dieser Beitrag soll einen kurzen Überblick aus juristischer Sicht über die Anforderungen von Aufklärung und Einwilligung zu einer ärztlichen Maßnahme bei einwilligungsunfähigen Patienten geben.

1. Einwilligungsfähigkeit/-unfähigkeit; Grundsätze für Aufklärung und Einwilligung
Einwilligungsfähigkeit darf nicht gleichgesetzt werden mit Geschäftsfähigkeit. Einwilligungsfähig ist, wer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, um Art, Notwendigkeit, Bedeutung, Folgen und Risiken der medizinischen Maßnahme zu verstehen und die Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken.2 Der Patient muss also nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Tragweite der Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten können. Besitzt ein Patient zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einholung der Einwilligung vor Durchführung der Maßnahme nicht diese natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist er einwilligungsunfähig.

Die Frage, ob ein Patient einwilligungsfähig oder einwilligungsunfähig ist, ist somit stets und ausschließlich aus medizinischer Sicht im konkreten Einzelfall durch den behandelnden Arzt zu entscheiden. Das Alter der Patienten spielt zwar eine wichtige, aber nicht allein entscheidende Rolle.3

Bei medizinischen Maßnahmen gegenüber einwilligungsunfähigen Patienten ist nach § 630d Abs. 1 S. 2 BGB die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht der Patient selbst noch im einwilligungsfähigen Zustand durch eine wirksame und einschlägige Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht die Maßnahme gestattet oder untersagt hat. In diesem Fall muss der Patient aber noch im einwilligungsfähigen Zustand über die Maßnahme aufgeklärt worden sein, damit durch die Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht wirksam die Einwilligung erteilt bzw. abgelehnt werden kann.4

Als Berechtigte kommen der gesetzliche Vertreter (z. B. Eltern, Vormund des Minderjährigen, bestellter Betreuer bei Volljährigen, Ehegatte/eingetragener Lebenspartner im Falle des Ehegattennotvertretungsrechts) oder der rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte (z. B. Vorsorgebevollmächtigter) in Betracht. Im Fall eines gerichtlich bestellten Vormunds (bei Minderjährigen), Betreuers (bei Erwachsenen) oder eines Vorsorgebevollmächtigten muss sich der Arzt vorab vergewissern, ob diesem die Gesundheitssorge als Teil seines Aufgabenkreises übertragen wurde, da nur dann zum einen die Zuständigkeit für die Einwilligung gegeben ist und zum anderen im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht die Offenbarung gegenüber diesen Personen zulässig ist.

Dementsprechend bestimmt § 630e Abs. 4 BGB, dass im Falle eines einwilligungsunfähigen Patienten die Aufklärung auch zu erfolgen hat. Jedoch ist gemäß § 630e Abs. 5 BGB zusätzlich der einwilligungsunfähige Patient grundsätzlich über die wesentlichen Umstände der Maßnahme entsprechend seinem Verständnis zu informieren, soweit dieser aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterungen aufzunehmen und soweit dies seinem Wohl nicht zuwiderläuft. Bei Patienten im Koma oder bei Säuglingen kann demnach offenkundig von einer Erläuterung abgesehen werden.5

2. Volljährige Patienten
Bei einem Volljährigen ist grundsätzlich von dessen Einwilligungsfähigkeit auszugehen. An die Feststellung der Einwilligungsunfähigkeit sind hohe Anforderungen zu stellen. Der Arzt hat hierbei sämtliche Umstände wie Alter, physische und psychische Konstitution, Einfluss von Medikamenten, Grad der Verständnisfähigkeit, Bildungsgrad, Vorkenntnisse, Herkunft, kulturelle Tradition u. a. zu berücksichtigen. Bei Zweifeln muss konsiliarisch ein Neurologe und/oder Psychiater hinzugezogen werden.6

Bei dementen, verwirrten, drogenabhängigen oder alkoholisierten Patienten, infolge eines Unfallschocks oder erheblicher Schmerzen kann – muss aber nicht zwangsläufig – eine Einwilligungsunfähigkeit vorliegen. Eine angeordnete Betreuung, selbst wenn sie den Aufgabenkreis der medizinischen Versorgung umfasst, bedeutet ebenfalls nicht automatisch, dass der Patient einwilligungsunfähig ist.

Fehlt in diesen Fällen jedoch die Einwilligungsfähigkeit, so können – soweit nicht eine wirksame und einschlägige Patientenverfügung nach § 1827 Abs. 1 S. 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt – nur ein gerichtlich bestellter Betreuer, ein Vorsorgebevollmächtigter oder bei Vorliegen der Voraussetzungen des Ehegattennotvertretungsrechts der Ehegatte/eingetragene Lebenspartner in eine Behandlungsmaßnahme einwilligen und es sind auch diese Aufklärungsadressat (§ 630d Abs. 1 S. 2, Abs. 2 i. V. m. § 1827 Abs. 2, 6, § 1358 BGB).

Bei begründeter Gefahr des Versterbens oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens erfordert die Entscheidung der vorgenannten Berechtigten grundsätzlich zusätzlich die Genehmigung durch das Betreuungsgericht (§ 1829 Abs. 1, 2 BGB). Besteht zwischen dem Berechtigten und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber, dass die getroffene Entscheidung dem nach § 1827 BGB festgestellten Willen des Patienten entspricht, entfällt das Genehmigungserfordernis (§ 1829 Abs. 4 BGB). Aus juristischer Sicht ist die Dokumentation der diesbezüglichen Tatsachen und das Einvernehmen zwingend zu empfehlen.

Liegt Einwilligungsunfähigkeit vor, fehlt eine Patientenverfügung oder ist diese nicht einschlägig bzw. nicht eindeutig und ist kein Berechtigter vorhanden, so hat der Arzt beim Betreuungsgericht die Anordnung einer Betreuung anzuregen. Handelt es sich in dieser Situation um einen Notfall (Vornahme ärztlicher Maßnahmen ist vital indiziert und unaufschiebbar), so sind in den Fällen, in denen die Bestellung, die Aufklärung und Einwilligung eines Berechtigten oder die entsprechende Eilentscheidung des Betreuungsgerichts nach § 1867 BGB nicht mehr rechtzeitig möglich ist, die gebotenen Maßnahmen durchzuführen. Das Handeln des Arztes kann durch die Rechtfertigungsgründe der mutmaßlichen Einwilligung gemäß § 630d Abs. 1 S. 4 BGB und/oder des Notstands gemäß § 34 StGB gedeckt werden.7 Der Arzt muss, sofern die Zeit ausreicht, zunächst den mutmaßlichen Patientenwillen durch frühere Äußerungen des Patienten, Befragungen von nahen Angehörigen oder Bezugspersonen etc. ermitteln. Fehlen entgegenstehende Anhaltspunkte, kann jedoch angenommen werden, dass der Patient wie ein verständiger Patient in der konkreten Lage handeln würde, wenn die Behandlung fehlerfrei ist..8

Kann ein entsprechender Wille des Patienten nicht ermittelt werden und bleiben erhebliche Zweifel an dem Bestehen oder Fortbestehen eines vorherigen Willens, so gilt der Grundsatz: In dubio pro vita.9

Seit 01.01.2023 kommt bei verheirateten oder in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden einwilligungsunfähigen Patienten gemäß § 1358 BGB das sog. Ehegattennotvertretungsrecht in Betracht. Dieses greift nach Absatz 1, wenn ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann. Dann ist der andere Ehegatte berechtigt, für den vertretenen Ehegatten u. a. in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einzuwilligen oder sie zu untersagen sowie ärztliche Aufklärungen entgegenzunehmen oder Behandlungsverträge, Krankenhausverträge oder Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abzuschließen und durchzusetzen.

Dieses neue Vertretungsrecht sowie die in Absatz 2 geregelte Offenbarungsbefugnis gegenüber dem vertretenden Ehegatten bestehen gemäß § 1358 Abs. 3, 5 BGB jedoch nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben, ein Betreuer bestellt ist bzw. ab dem Zeitpunkt der Betreuerbestellung, soweit dessen Aufgabenkreis diese Angelegenheiten umfasst, dem vertretenden Ehegatten oder dem behandelnden Arzt bekannt ist, dass der vertretene Ehegatte
a) eine Vertretung durch den anderen Ehegatten ablehnt oder
b) einen Vorsorgebevollmächtigten bestellt hat, soweit diese Vollmacht diese Angelegenheiten umfasst,
die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht mehr vorliegen oder
mehr als 6 Monate seit dem durch den Arzt festgestellten Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 spätestens eingetreten sind, vergangen sind.

Die Vorschriften des Betreuungsrechts gelten für die Wahrnehmung des Ehegattennotvertretungsrechts entsprechend (§ 1358 Abs. 6 BGB).

3. Besonderheiten bei minderjährigen Patienten
Maßgeblich ist, ob der Minderjährige einsichts- und urteilsfähig ist. Ist dies gegeben, so kommt dem minderjährigen Patienten grundsätzlich auch die alleinige Einwilligungsbefugnis zu und er ist Aufklärungsadressat. An die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen.

Feste Altersgrenzen oder pauschale Aussagen zur Einwilligungsfähigkeit verbieten sich. Jedoch besteht aus juristischer Sicht weitestgehend Einigkeit, dass bei unter 14-Jährigen die Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich abzulehnen ist. Je näher ein Patient über 14 Jahren an der Volljährigkeit ist, desto eher wird dessen Einwilligungsfähigkeit vorliegen können. Nach der Rechtsprechung dürfte in der Regel bei Vollendung des 16. Lebensjahres Einwilligungsfähigkeit anzunehmen sein, eine ernsthafte Prüfung ist jedoch gleichwohl in jedem Einzelfall erforderlich.10

Ist ein minderjähriger Patient aber ausreichend urteilsfähig, so steht ihm nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch bei einem nur relativ indizierten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für seine künftige Lebensgestaltung (z. B. Querschnittlähmung) ein Vetorecht gegen die Fremdbestimmung durch die gesetzlichen Vertreter zu. Der BGH geht bei einem 15-jährigen Schüler regelmäßig von dessen Urteilsfähigkeit aus. Damit der minderjährige Patient von seinem Vetorecht Gebrauch machen kann, ist er ebenfalls entsprechend aufzuklären, wobei der Arzt allerdings im Allgemeinen darauf vertrauen kann, dass die Aufklärung und Einwilligung der Eltern genügt.11

Bei einwilligungsunfähigen Minderjährigen müssen, wenn beide Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind, grundsätzlich auch beide Eltern aufgeklärt werden und einwilligen. Zudem ist die Erläuterungspflicht des § 630d Abs. 5 BGB bei einwilligungsunfähigen Minderjährigen zu beachten. Folglich muss stets nach dem Sorgerecht gefragt werden, denn dies kann auch bei geschiedenen oder getrenntlebenden Eltern gemeinsam bestehen. Die Eltern können sich aber gegenseitig die Ermächtigung erteilen, auch für den anderen Elternteil zu entscheiden.

Der BGH hat für die Pflichten des Arztes zur Feststellung der Aufklärungsadressaten und Einwilligungsbefugten im Hinblick auf einen oder beide Elternteile folgende Grundsätze aufgestellt:12
→ Bei alltäglichen, geringfügigen Routinemaßnahmen darf der Arzt regelmäßig auf eine derartige wechselseitige Ermächtigung vertrauen, wenn ein Elternteil mit dem Kind zur Behandlung erscheint oder es anmeldet, solange ihm keine entgegenstehenden Anhaltspunkte bekannt sind.
→ Bei erheblicheren Maßnahmen mit nicht unbedeutenden Risiken hat der Arzt darüber hinaus eine Fragepflicht, d. h. er muss beim erschienenen Elternteil bezüglich der Ermächtigung zur Einwilligung nachfragen und wie weit diese reicht, darf dann aber auf dessen wahrheitsgemäße Auskunft vertrauen, solange keine Anhaltspunkte dem entgegenstehen.
→ Darüber hinaus kann es angebracht sein, auf den erschienenen Elternteil dahin einzuwirken, die vorgesehenen ärztlichen Eingriffe und deren Chancen und Risiken noch einmal mit dem anderen Elternteil zu besprechen.
→ Lediglich bei schweren Maßnahmen mit erheblichen Risiken für die Lebensführung des Kindes muss sich der Arzt die Gewissheit verschaffen, dass der nicht erschienene Elternteil mit der vorgesehenen Behandlung des Kindes einverstanden ist, sodass auch der nicht erschienene Elternteil aufgeklärt und dessen Einwilligung eingeholt werden muss.

Eine telefonische Aufklärung und Einholung einer Einwilligung eines Elternteils reicht aus Sicht des BGH nur aus bei einfach gelagerten Fällen. Sofern es sich dagegen um komplizierte Maßnahmen mit erheblichen Risiken handelt, wird eine telefonische Aufklärung regelmäßig unzureichend sein.13 Ob ein einfach gelagerter oder ein komplizierterer Fall vorliegt, ist letztendlich eine ausschließlich medizinisch zu beantwortende Frage. In Eil- oder Notfällen genügt jedoch grundsätzlich die Einwilligung des erreichbaren Elternteils.14

Wurde den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise für den Bereich der Gesundheitssorge entzogen, so ist das Sorgerecht für den einwilligungsunfähigen Minderjährigen regelmäßig einem gerichtlich bestellten Vormund übertragen, der dann anstelle der Eltern als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen aufzuklären und einwilligungsbefugt ist.

Literaturhinweise im Originaltext.

Literatur

1 Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten immer für alle Geschlechter.

2 Grüneberg/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Aufl. 2023, C. H. Beck, § 630d Rn. 3

3 OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.2019 – II-12 UF 236/19

4 Grüneberg/Weidenkaff, a. a. O., § 630d Rn. 3

5 Grüneberg/Weidenkaff, a. a. O., § 630e Rn. 9

6 Biermann in: Ulsenheimer/Gaede, Arztstrafrecht in der Praxis, 6. Aufl. 2020, aa) Die natürliche Einsichtsfähigkeit als Voraussetzung wirksamer Einwilligung, Rn. 435

7 Biermann, a. a. O., cc) Einwilligungsunfähige Volljährige, Rn. 453

8 Grüneberg/Weidenkaff, a. a. O., § 630d Rn. 4

9 LG Saarbrücken, Urteil vom 03.06.2024 – 4 O 308/22; Biermann, a. a. O., Rn. 453

10 OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.2019 – II-12 UF 236/19

11 BGH, Urteil vom 10.10.2006 – VI ZR 74/05

12 BGH, Urteil vom 15.06.2010 – VI ZR 204/09

12 BGH, Urteil vom 15.06.2010 – VI ZR 204/09

14 vgl. zu Ziffer 3 insgesamt: Heberer Jörg, Rechtliche und Medizinische Aspekte der gynäkologischen Aufklärung, Frauenheilkunde up2date 2022; 16 (6): 1-18, Thieme

 

Perioperative Diagnostik und der Umgang mit Rauchern, Alkohol- und Substanzgewöhnten

Die präoperative – und perioperative – Vor-Diagnostik und Überwachung hat national wie international zunehmend Aufmerksamkeit bekommen und die publizierten Empfehlungen haben hohe Evidenzstärken.

2024 erschienen für Deutschland – in zweiter Überarbeitung nach 2010 und 2017 – die aktuellen Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften für Anästhesie, Chirurgie und Innere Medizin zur perioperativen Evaluation.1 Diese Empfehlungen werden in diesem Artikel eingangs kurz referiert. Zudem werden Besonderheiten, die für Raucher sowie Alkohol- und Substanzgewöhnte bekannt sind und beachtet werden sollten, besprochen.

Allgemeine Empfehlungen zum perioperativen Vorgehen (2024)
Die Planungssicherheit für eine risikoarme2 OP und Narkose hängt ab von:
a) dem eingriffsbezogenen Risiko (i.W. Eingriffstyp und -Lokalisation)
b) dem patientenbezogenen Risiko, speziell abhängig vom Alter und dem Vorliegen von kardiovaskulären Risikofaktoren3, inkl. der Abfrage der individuellen Belastbarkeit4 und einer strukturierten Gerinnungsanamnese.

Die o. g. Informationen sind i. a. R. in einer Anamnese abfragbar. Spezielle körperliche Untersuchungen oder Daten sind zunächst einmal nicht erforderlich, jedoch eine Inspektion des geplanten OP-Bereichs und der Atemwege. Empfohlen wird eine Auskultation von Herz und Lunge. Pragmatisch (aber gestützt durch entsprechende Daten und internationale Empfehlungen) fordern die o. g. Empfehlungen noch:
→ Alter > 45 Jahre: 12-Kanal-EKG
→ Alter > 65 Jahre: Bestimmung des Serum-Kreatinins und des Hämoglobins
→ immer: eine Messung der peripheren Sauerstoffsättigung (Risiko ab ≤ 95 %)

Die Nutzung von einfachen Scoresystemen zur Erfassung des Risikos für ein postoperatives Delir und für pulmonale Komplikationen wird empfohlen.

Labor: zusätzlich zu o. g. nur bei gezielter (Organ-)spezifischer Diagnostik oder zur Funktionskontrolle (z. B. Antikoagulation). Eine routinemäßige Erhebung von Laboruntersuchungen („Screening“) soll nicht durchgeführt werden.

Weiterführende Diagnostik: Routinemäßige Thoraxröntgen-Aufnahmen („Screening“) können nicht empfohlen werden. Weitere Diagnostik erfordert valide Anhaltspunkte und Fragestellungen.

Umgang mit präoperativ etablierter Vor-Medikation:
Kritisch wird das Absetzen von anti-Parkinson-Mitteln und Psychopharmaka gesehen, aber auch die präoperative Therapie mit β-Rezeptorantagonisten soll weitergeführt werden. Bei Patienten, bei denen eine Statintherapie besteht, soll diese Therapie ebenfalls perioperativ fortgesetzt werden.

Umgang mit Rauchern, Alkoholkranken und Drogenabhängigen:
Generell sollte bei (kritischer) Substanzabhängigkeit (und dringlicher OP) zur Risikoreduktion perioperativ der Substanzkonsum nach Möglichkeit fortgesetzt (z. B. Alkohol, Nikotin) oder substituiert (z. B. Opioide) werden, um perioperative Unruhe, Entzugssymptome und lebensbedrohliche vegetative Entgleisungen zu vermeiden.

Definition von Rauchen, Alkohol- und Drogennutzung:
Unter regelmäßigem Rauchen wird tägliches Rauchen verstanden, auch wenn es sich um geringe Tabakmengen handelt. Als starker Raucher wird entsprechend den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Raucher mit einem täglichen Zigarettenkonsum von mehr als 20 Stück bezeichnet.

Alkoholgewöhnung ist schwer zu definieren: Einen riskanten Konsum von Alkohol mit potenziellen schädlichen Folgen für die Gesundheit definiert die WHO, wenn Frauen täglich mehr als 12 g Alkohol – also etwa ein Glas Sekt – zu sich nehmen. Bei Männern sind es 24 g – also mehr als ein halber Liter Bier. Alkoholabhängigkeit oder -Sucht (Alkoholkrankheit ICD-10) ist per Definition gegeben, wenn drei der folgenden Kriterien über 1 Monat erfüllt sind: starkes oder zwanghaftes Verlangen, Alkohol zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bei der Menge, dem Beginn oder Ende des Konsums; körperliche Entzugserscheinungen; Nachweis einer Toleranz; Einengung des Denkens auf Alkohol; anhaltender Substanzkonsum trotz gesundheitlicher und sozialer Folgeschäden.

Marker für chronischen Alkoholkonsum sind:
→ Phosphatidylethanol (PEth)
→ kohlenhydratdefizientes Transferrin (CDT)
→ mittleres korpuskuläres Volumen der Erythrozyten (MCV)
→ γ-Glutamyltransferase (γ-GT)

Cave: Diese Labormarker können zwar einen erhöhten Alkoholkonsum des Patienten aufdecken, nicht aber eine Abhängigkeit des Patienten nachweisen.

Drogenkonsum bezeichnet jede Art der Anwendung von psychotropen Substanzen (Drogen), wobei die Drogen einzeln und völlig unterschiedlich zu bewerten sind. Ein hochriskanter Cannabiskonsum liegt z. B. nach aktuellen Studien5 bei einem Konsummuster vor, das folgende Merkmale aufweist:
→ Mehr als 4 Joints pro Woche bei etwa 0,25 g Cannabis im Joint
→ Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von mehr als 10 % THC
→ gleichzeitiger Konsum von Cannabis mit Alkohol oder anderen Drogen

Für bestimmte Personengruppen ist jeglicher Konsum als hochriskant einzuschätzen:
→ Junge Menschen unter 21 Jahren
→ Frauen, die schwanger sind oder stillen
→ Menschen mit psychischen Problemen oder anderen psychotischen Störungen
→ Personen mit bestimmten organischen Erkrankungen wie COPD und anderen
→ Professionell Tätige, die ein Fahrzeug fahren oder schwere Maschinen bedienen

Pragmatisches Vorgehen bei den genannten Risikogruppen

Raucher:6
Ein Rauchstopp kann selbst kurz vor einer Operation zumindest noch die Sauerstoffmenge im Körper erhöhen. Schon nach 24 Stunden ohne Zigaretten werden Nikotin und Kohlenmonoxid im Blut allmählich abgebaut. Die Lungenfunktion beginnt sich nach etwa zwei rauchfreien Monaten zu verbessern. Eine Möglichkeit, die das Aufhören erleichtern kann, ist die sogenannte Nikotinersatztherapie. Sie lindert die Entzugserscheinungen, die sich durch den Rauchstopp einstellen. Nikotinpflaster und -kaugummi enthalten weniger Nikotin als Zigaretten und erhöhen – anders als das Rauchen – nicht den Kohlenmonoxidgehalt im Körper. Vier rauchfreie Wochen können die Komplikationsrate senken:7 ohne Beratung und Nikotinersatztherapie traten bei etwa 28 von 100 operierten Personen nach dem Eingriff Komplikationen auf; mit Beratung und Nikotinersatztherapie traten bei geschätzt 9 von 100 operierten Personen Wundheilungsstörungen auf.

Alkoholkranke Patienten:8
Alkoholkranke haben mit einer ganzen Fülle von erhöhten Komplikationen zu rechnen. Soweit nicht die Dringlichkeit der Versorgung dem entgegensteht, sollten Patienten grundsätzlich versuchen, vor einem operativen Eingriff möglichst mehrere Tage keinen Alkohol zu sich zu nehmen. Im Idealfall ist die komplette Woche vor der Operation alkoholfrei. Bei Alkoholkranken mit elektiven OP-Indikationen sollte geprüft werden, ob Zeit verbleibt, einen qualifizierten Alkoholentzug durchzuführen.

Drogen- / Substanzgewöhnte Personen:9
Wie oben bereits in den Empfehlungen der Fachgesellschaften 2024 ausgeführt „sollte bei Substanzabhängigkeit zur Risikoreduktion perioperativ der Substanzkonsum nach Möglichkeit fortgesetzt (z. B. Alkohol, Nikotin) oder substituiert (z. B. Opioide) werden. Neben Alkohol, Nikotin und Opioiden sind hierbei insbesondere Benzodiazepine, Gabapentinoide, Cannabinoide und Z-Substanzen von Bedeutung. Die bereits vorbestehende Opioideinnahme ist im Rahmen der präoperativen Risikoevaluation aufgrund einer möglichen Abhängigkeit, Toleranzentwicklung und psychosozialer Krankheitsaspekte von hoher Relevanz. Die Opioid-Abhängigkeit ist eine chronische Erkrankung mit wechselnden Phasen mit und ohne Konsum bzw. Substitution. Von zentraler Bedeutung ist bei diesen sehr Stress-reagiblen Patienten eine vertrauensvolle und enge Begleitung in der perioperativen Phase.“

Fazit:
Die heute vorliegenden wissenschaftlich belegten Daten und Empfehlungen zielen auf ein systematisches – überwiegend anamnestisches – Vorgehen bei der präoperativen Untersuchung und Vorbereitung der Patienten hin. Einfache, gezielt erhobene Daten, Untersuchungsbefunde und Scores sind in der Lage, Risikogruppen (z. B. hinsichtlich kardiopulmonaler perioperativer Komplikationen, Delir, Vormedikation, Substanzgebrauch etc.) zu identifizieren. Diese identifizierten Patienten sind aufzuklären und bestmöglich zu begleiten. Da nicht alle identifizierten Risiken kompensierbar sind, ist ggf. die Terminierung von Operationen abhängig zu machen von der Möglichkeit erweiterter Überwachung (IMC/ICU).

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

Literatur

  1. Anaesthesiologie (2024) https://doi.org/10.1007/s00101-024-01408-2. Präoperative Evaluation erwachsener Patientinnen und Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen. Eine gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Volume 73, p. 294–323
  2. Das Risiko ist in den meisten hier eingegangenen Publikationen mit einem Studienendpunkt: „Tod durch kardio-vaskuläre Erkrankungen, Myokardinfarkt oder Schlaganfall“ innerhalb von 30 Tagen
  3. Herzinsuffizienz, Chronisches Koronar Syndrom (CCS), Zerebrale Insuffizienz (Apoplex oder TIA), Insulin-pflichtiger Diabetes mellitus, Kompensierte Niereninsuffizienz mit einem Serum-Kreatinin >2mg/dl
  4. „Zwei Stufen-Etagen“ können bewältigt werden (= 4 metabolische Äquivalente, vierfacher Ruheumsatz [(metabolic equivalent of task,MET ]), mehr als 100 Watt
  5. Oliveras, C., Cortez, P. R. G., Nuño, L, Colom, J., Kögel, C. C., Pascual, F., Fernández-Artamendi, S., Gual, A., Balcells-Oliveró, M. & López-Pelayo, H. (2024). High-Risk Cannabis Use: A Proposal of an Operational Definition through Delphi Methodology for Scientific Consensus. Eur Addict Res, 30, 288-301, https://doi.org/10.1159/000540541.
  6. IQWiG: https://www.gesundheitsinformation.de/kann-ein-rauchstopp-vor-einer-operation-komplikationen-vorbeugen.html#
  7. Thomsen T, Villebro N, Møller AM. Interventions for preoperative smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2014; (3): CD002294.
  8. https://www.springermedizin.de/emedpedia/detail/die-anaesthesiologie/anaesthesie-bei-patienten-mit-suchterkrankungen?epediaDoi=10.1007%2F978-3-662-45539-5_117
  9. Anaesthesiologie (2024) https://doi.org/10.1007/s00101-024-01408-2. Präoperative Evaluation erwachsener Patientinnen und Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen. Eine gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

Perioperatives Gefäßmanagement in der Orthopädie: Was kann, was soll, was muss?

Neben vielfältigen von uns täglich zu differenzierenden gefäßchirurgisch-orthopädischen Diagnosen (z. B. Claudicatio spinalis vs. vaskuläre Claudicatio intermittens), können gerade bei orthopädischen Operationen, insbesondere bei Eingriffen an den Extremitäten und der Wirbelsäule, vorbestehende und insbesondere nicht berücksichtigte Gefäßerkrankungen zu erheblichen Komplikationen und im schlimmsten Fall zu einer akuten Gefährdung der Patientinnen führen. Vorher nicht diagnostizierte Gefäßerkrankungen können akute und dann meist komplexe Operationserweiterungen und komplette Konzeptveränderungen erforderlich machen. Vermeidbare perioperative Gefäßkomplikationen sind zum Glück nicht häufig, ihr Verlauf ist aber meist mit erheblicher, oft irreversibler Morbidität der Patientinnen verbunden. Eine adäquate präoperative Evaluation vorbestehender Gefäßerkrankungen und eine gezielte Gefäßdiagnostik sind daher entscheidend, um Risiken wie Thrombosen, Embolien oder relevante Durchblutungsstörungen zu verhindern. Die Durchführung geeigneter Untersuchungen ermöglicht nicht nur die frühzeitige Identifikation potenzieller Gefäßprobleme, sondern trägt auch zur individuellen Anpassung der Operationsstrategie bei.

Dieser Artikel soll die Techniken der Gefäßchirurgie, die entweder wünschenswert, empfehlungswert oder zwingend erforderlich sind, um optimale Ergebnisse zu gewährleisten, kurz aufzeigen und zusammenfassen.

Selbstverständlichkeiten, die gar keine sind!

Brauchen wir eine Anamnese?
Die einfachste und vermutlich bedeutsamste Technik der Gefäßdiagnostik ist die gründliche, spezifische Anamneseerhebung. Eine Banalität und Selbstverständlichkeit? Leider nein. Patientinnen mit leerer Gefäßanamnese (einschließlich familiärer Vorerkrankungen) haben letztlich ein schicksalhaftes Risiko perioperativer Ereignisse. Die gängigen Schemata der perioperativen Prophylaxe vaskulärer Ereignisse decken diese gut und mit sicher ausreichender Patientinnen-Sicherheit ab. Ein thrombembolisches Ereignis in der Familie oder der eigenen Patientinnen-Anamnese erfordert aber nach heutiger Überzeugung immer eine spezifische differenzierte und patientinnenindividuelle Betrachtung.

Fundierte aktuelle Gefäßmedizin ist Individualmedizin. Antiaggregations- und Antikoagulationsregime sind evidenz- und leitlinienbasiert, aber letztlich Individualkonzepte in vorsichtiger Risiko-/Nutzenabwägung aus Sicht der Patientinnen. Sie entstehen unter Einbeziehung auch anderer Fächer (z. B. hämostaseologischer Diagnostik, die heute weit über die früheren Screening-Tests hinausgeht). Diese individuellen Konzepte zu entwickeln, benötigt Zeit und spezifisches Wissen, um gerade auch seltenere Konstellationen vaskulärer Vorerkrankungen, die perioperativ bedeutsam werden könnten, zu erkennen. Diese Kompetenz sollte deutlich über das hinausgehen, was von regelrecht ausgebildeten Hausärztinnen oder Operateur*innen erwartet werden kann.

Es bedarf informierter Patientinnen, die zumindest sagen können, dass es eine besonders zu beachtende Gefäßerkrankung gibt. Mehr kann man von den Patientinnen aufgrund der hohen Komplexität und der multiplen individuellen Konstellationen nicht erwarten. Es ist ärztliche Aufgabe, über die beteiligten Fachgruppen (z. B. Gefäßchirurgie, Angiologie, Hämostaseologie) hinweg das Wissen zur Verfügung zu stellen, das für eine sichere Eingriffsplanung erforderlich ist. Dies sollte immer in Form eines reproduzierbaren, ausführlichen schriftlichen Berichts erfolgen, der die verfügbaren Informationen zusammenfasst und insbesondere auch patient*innenindividuell und im Hinblick auf die geplanten Eingriffe spezifisch bewertet. Dies generiert sowohl medizinische als auch Rechtssicherheit bei unvorhergesehenen Verläufen.

Wünschenswert, aber leider nicht überall flächendeckend möglich, ist hierbei eine präoperative gefäßchirurgische Zusammenfassung, da ausbildungsbedingt diese die einzig beteiligte Fachgruppe darstellen, die mit spezifischen perioperativen Komplikationen (und ihrer ggf. notfallmäßig erforderlichen Versorgung) vertraut ist.

Was können Orthopäden selbst erheben? Was nicht.
Der klinische Befund ist für alle Ärztinnen-Fachgruppen gleichermaßen erhebbar. Zumindest in der Theorie. So selbstverständlich in der Orthopädie z. B. Lachmann-, Pivot-Shift- und/oder viele andere klinische Tests und ihre sichere Erhebung sind, so unsicher ist z. B. die sichere Erhebung des vermeintlich einfachen Popliteapuls-Status. Warum? Weil sie es nicht täglich machen. Umgekehrt gilt das genauso für Gefäßchirurginnen.

Für die arterielle Diagnostik kann an dieser Stelle eine einfache klinische Empfehlung gegeben werden. Sind die Pulse einer Extremität peripher (A. tibialis posterior und A. dorsalis pedis; A. radialis und A. ulnaris) beide an jeweils typischer Stelle uneingeschränkt tastbar, kann (außer bei ausgeprägter Mediasklerose bei langjährigem Diabetes mellitus) eine für die operative Versorgung relevante arterielle Gefäßerkrankung nahezu sicher ausgeschlossen werden. Der intakte Gefäßstatus sollte immer ausführlich (DMS o. B. reicht hier nicht aus) dokumentiert werden.

Alle weiteren, d. h. technischen Untersuchungen sind von der Erfahrung der Untersuchenden abhängig. Natürlich könnten Orthopädinnen den Knöchel-Arm-Index mittels einer Stiftsonde und damit einem eindimensional darstellenden Continuous-Wave-Doppler (cw-Doppler) bestimmen. Es setzt nur die technische Ausstattung und die ausreichende Erfahrung zur Interpretation ggf. pathologischer Befunde voraus. In der Regel haben die Kolleginnen (zu Recht) einen anderen Fokus.

Die venöse Diagnostik der Extremitäten ist mit den gleichen Geräten ebenfalls nahezu vollständig möglich. Die hierzu erforderliche Erfahrung haben oft selbst Angiologinnen und Gefäßchirurginnen nicht mehr, denn je jünger diese sind, desto eher hat sich die Ausbildung auf mehrdimensionale, technisch aufwendigere Verfahren konzentriert.

Was sollten Gefäßchirurg*innen erheben?

Arterielle Diagnostik:
Sobald ein pathologischer Pulsstatus an den Extremitäten vorliegt, sollte eine weiterreichende fachspezifische Diagnostik erfolgen. Das Risiko z. B. einer Zehengangrän bei vermeintlich risikoarmem Vorfußeingriff ist so sicher vermeidbar. Die adäquate arterielle Perfusion einer Extremität, ggf. auch spezifisch unter Belastung, sollte heute in der Regel mittels farbcodierter Doppler-/Duplexsonographie der Beinarterien, der Beckenarterien und der Aorta überprüft werden. Die Untersuchung der Beckenarterien ist wichtig, da sich eine Beckenarterienstenose entgegen weit verbreiteter Überzeugungen nicht immer am Fluss der Leistenarterien diagnostizieren lässt. Diese farbcodierte Doppler-/Duplexsonographie ist in geübter Hand sicher und wird keine für die Operateur*innen relevante Pathologie übersehen. Insbesondere ist sie nicht invasiv und erspart die potenziellen Nebenwirkungen der technisch aufwendigeren Bildgebungen (z. B. MR-Angiographie, CT-Angiographie, intraarterielle CO₂-Angiographie, intraarterielle KM-Angiographie).

Mit der gleichen Methode lassen sich auch z. B. intraabdominelle bzw. retroperitoneale Pathologien (ohne weitere Bildgebung) untersuchen. Dies könnten z. B. massive Verkalkungen der Aorta oder Aneurysmen im Röntgenbild bei geplanten Wirbelsäuleneingriffen sein.

Venöse Diagnostik:
Ein vollständiges präoperatives sogenanntes Venenmapping ist nur dann erforderlich, wenn die Anamnese der Patientinnen oder das klinische Bild es nahelegen, dass es relevante Ereignisse in der Vergangenheit gegeben haben könnte. Diese Abklärung sollte heute immer mittels farbcodierter Doppler-/Duplexsonographie erfolgen. Das klinische Bild einer relevanten chronischen Stauung in der Peripherie der Extremität, z. B. mit erheblichen Ödemen, Hämosiderinablagerungen und/oder einer Atrophia blanche, kann sowohl auf dem Boden einer für die Operateurinnen in ihrer Eingriffsplanung banalen Stammveneninsuffizienz (Krampfader) als auch auf dem Boden stattgehabter Thrombosen mit verbliebenen kompletten Gefäßverschlüssen der venösen Abstrombahn entstanden sein. Die perioperative Einschätzung, Dosis der Thromboseprophylaxe sowie Art und Länge der Nachbehandlung ist erheblich von der Kenntnis der Entstehung und patient*innenindividuellen Bewertung sämtlicher Risikofaktoren abhängig.

Was gilt für beide Strombahnen?
Gefäßerkrankungen sollten vor, während und nach einem orthopädischen Eingriff therapiert werden. Das Patientinnen-Risiko wird dadurch relevant gesenkt. Eine adäquate medikamentöse Einstellung, z. B. einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (zumindest Antiaggregation und Statintherapie, ggf. mehr), reduziert das Risiko peri- und postoperativer ischämischer oder embolischer Ereignisse. Eine individualisierte, risikoadjustierte und insbesondere ausreichend lange dosierte perioperative Thromboseprophylaxe reduziert das Patientinnen-Risiko relevant. Erneute, bei entsprechendem Vorwissen vermeidbare, perioperative venöse Thrombosen/Embolien können zu erheblicher und vor allem dauerhaft beeinträchtigender Morbidität führen und schlimmstenfalls letal verlaufen.

Was gibt es noch?

Ödemtherapie:
Ödeme jeglicher Art sollten therapiert werden, bereits präoperativ. Gefäßmedizinisch besteht hier fachgruppenübergreifende Einigkeit. Ödeme, unabhängig von der Art ihrer Entstehung, erschweren durch die immer interzelluläre Flüssigkeitsansammlung den Stoffwechsel in relevanter Weise. Sie erhöhen die Häufigkeit und Schwere perioperativer Komplikationen. Die Therapie erfolgt im Regelfall durch rundgestrickte Kompressionsstrümpfe, bei erheblichem Ausmaß mittels flachgestrickter Kompressionsstrümpfe. So kann einem mit hoher Wahrscheinlichkeit z. B. nach einem Hüft- oder Kniegelenkseingriff auftretendem Beinödem bereits präoperativ vorgebeugt werden. Eine arterielle Verschlusskrankheit stellt, entgegen der älteren aber noch häufig geläufigen Lehrmeinung, nur im Einzelfall eine Kontraindikation zur Kompressionstherapie dar. Auch Patient*innen mit nicht mehr tastbaren Fußpulsen und bereits eingeschränkter Gehstrecke können von einer medizinischen Kompressionstherapie ihrer Ödeme profitieren. Sie wird deshalb heute regelhaft, nicht nur perioperativ, in der arteriellen Gefäßchirurgie eingesetzt.

Was braucht es gar nicht?
Aufwendige und die Diagnostik in der Praxis relevant verzögernde bildgebende Verfahren (z. B. Computertomographie, Kernspintomographie, Phlebographie, intraarterielle Angiographie), die mittels potenziell nebenwirkungsbelasteter Kontrastmittelapplikation erfolgen müssen, sind in der Routinediagnostik von Gefäßerkrankungen vor orthopädischen Eingriffen verzichtbar. Ihr Stellenwert liegt in einer vereinfachten Planung direkter gefäßmedizinischer Eingriffe.

Zusammenfassung
Die Bedeutung präoperativer Gefäßuntersuchungen vor orthopädischen Eingriffen kann nicht genug betont werden. Dies gilt auch für kleinere Eingriffe wie z. B. Arthroskopien. Sie schützt Patientinnen und Operateurinnen. Sie sind heute in ausgewählten gefäßchirurgisch-orthopädisch kooperierenden Praxen erfolgreich als Standardablauf implementiert. Im Vordergrund stehen hierbei die spezielle Anamnese, der klinische Befund und eine niederschwellig durchzuführende sonographische Diagnostik.

Während der Knöchel-Arm-Index, cw-Dopplersonographie und die farbcodierte Doppler-/Duplex-Sonographie in Verbindung mit erfahrenen Untersucherinnen kosteneffiziente und breit verfügbare Möglichkeiten zur adäquaten Diagnostik darstellen, sind weiterreichende bildgebende Verfahren nicht indiziert. Die Wahl der diagnostischen Strategie sollte individuell auf die Patientinnen abgestimmt werden. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Orthopädinnen und Gefäßchirurginnen kann eine optimale Versorgung gewährleistet werden, die das Risiko vaskulärer Komplikationen minimiert und die Patientensicherheit erhöht.

Literatur

  • Diehm, C., et al.: “Präoperative Diagnostik und Therapie gefäßchirurgischer Erkrankungen.” Springer Verlag, 2020.
  • Schulze, T., et al.: “Ultraschall in der Gefäßdiagnostik: Grundlagen und klinische Anwendung.” Thieme Verlag, 2019.
  • Klein, A., et al.: “Angiographische Techniken in der präoperativen Diagnostik – Empfehlungen.” Gefäßmedizin Journal, 2018.
  • Bünger, C., et al.: “Bildgebende Verfahren in der Gefäßdiagnostik.” Elsevier Verlag, 2017.
  • Lohrmann, C., et al.: “Thromboseprophylaxe und Diagnostik.” Deutsches Ärzteblatt, 2015.
  • Perrin, M., et al.: “Duplex Ultrasound in Venous Pathologies.” Phlebology Today, 2016.
  • https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-003, 20.06.2025
  • https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/037-009, 20.06.2025

Zusammenfassung prä-, peri-, intra- und postoperativer Maßnahmen zur Prävention postoperativer Wundinfektionen

Für die Evidenz der Maßnahmen werden die Kategorien IA bis IV der Kommission für Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen und in Einrichtungen und Unternehmen der Pflege und Eingliederungshilfe (KRINKO) bzw. der CDC-Richtlinie, unterteilt nach Empfehlungsstärke / Evidenz2, zugrunde gelegt.

Aus Platzgründen wird nachfolgend anstelle der Erläuterung der Maßnahmen auf weiterführende Literatur verwiesen.

Auf der Grundlage der Beurteilung der individuellen Infektionsgefährdung empfohlene infektionspräventive Maßnahmen

Patientenbezogen sind folgende Entscheidungen zu treffen:
→ Durchführung der Operation (OP) in einem OP-Raum der Raumluftklasse Ib oder II
→ Screening auf multiresistente Erreger (MRE) (II)
→ Leitliniengerechte perioperative Antibiotikaprophylaxe (IA)
→ kontrollierte Normothermie (IA / hoch bis moderat)
→ Reduktion beeinflussbarer patienteneigener Risikofaktoren

Operationen mit geringem oder minimalem Infektionsrisiko können in einem Eingriffsraum, der nicht in eine OP-Abteilung integriert sein muss und keine raumlufttechnische Anlage benötigt, durchgeführt werden3 (Beispiele für die Orthopädie und Unfallchirurgie)4. Es ist keine Trennung in aseptische und septische OP-Räume erforderlich (II)5.

Vor elektiven Operationen ist zu beurteilen, ob im Fall der Wahrscheinlichkeit des Vorkommens eines MRE dieser aufgrund seines Kolonisationsstandorts postoperativ zu einer schwerwiegenden SSI führen kann. Das gilt insbesondere für Operationen mit indizierter PAP, weil in diesem Fall die PAP an das Antibiogramm des MRE angepasst werden kann. Ist aufgrund des Vorkommens eines MRE der OP-Erfolg gefährdet, ist ein auf Risikofaktoren beruhendes Screening (Details in 6 und 7)sinnvoll. International gibt es bisher nur Empfehlungen zum MRSA-Screening, bei denen MRSA ein unabhängiger Risikofaktor für eine SSI ist, um beim Nachweis präoperativ die antiseptische Dekolonisierung durchzuführen.8

Die PAP ist indiziert bei sauberen Operationen, sofern gleichzeitig patienteneigene Risikofaktoren und eine erhebliche Morbidität vorliegen oder alloplastische Implantate eingebracht werden sowie bei den Wundklassen „sauber-kontaminiert“, „kontaminiert“ oder „schmutzig“.(Details in 8 und 9 )

Patienten mit einer Anästhesiedauer >30 min sollen intraoperativ aktiv erwärmt werden; bei kürzerer Dauer ist das nur bei hohem Risiko einer perioperativen Hypothermie indiziert.(6 und 10)

Bei elektiven Eingriffen kann durch Verbesserung eines reduzierten Allgemeinzustands, z. B. aufgrund von Mangelernährung, durch prä- und postoperative zeitweilige Unterbrechung des Rauchens, Verzicht auf übermäßigen Alkoholgenuss, Bluttransfusion bei Anämie oder Gewichtsabnahme bei Adipositas das SSI-Risiko reduziert werden. Deshalb sollten im Rahmen der OP-Planung beeinflussbare Risikofaktoren identifiziert werden.11

Generell zutreffende infektionspräventive Maßnahmen

Präoperativ
Die Maßnahmen der Basishygiene beinhalten für das Team:
→ den Einsatz qualitätsgerecht aufbereiteter Medizinprodukte (IA / IV)
→ die hygienische Händedesinfektion (IA)
→ Hautschutz und Hautpflege (II / IV)
→ kein Tragen von Schmuck, Ringen, Uhren an Unterarmen und Händen (IB / IV), keine künstlichen Fingernägel (IB / IV) und kein Nagellack (II)

Fachspezifische Maßnahmen am Patienten beinhalten:
→ eine kurze präoperative Verweildauer (II)
→ die Sanierung bestehender Infektionen vor elektiven Eingriffen (II)
→ die präoperative universelle antiseptische Dekolonisation vor Implantation großer alloplastischer Implantate
→ bei Diabetes mellitus die Kontrolle des Glukosespiegels prä- und perioperativ (<200 mg/dl) (IA / hoch bis moderat)
→ die präoperative Körperreinigung des Patienten (III)
→ den Verzicht auf Rasur, falls Haarentfernung Clipping (IA)

Zur Prävention implantatassoziierter Infektionen durch Staphylococcus aureus und koagulase-negative Staphylokokken sollte eine Risikoanalyse durchgeführt und ggf. eine Dekolonisierungsstrategie entwickelt werden.3 Hierzu wird in  12 ein antiseptisches Konzept begründet.

Perioperativ
Die Maßnahmen der Basishygiene beinhalten für das Team:
→ das Betreten der OP-Einheit mit sauberen, desinfizierten Händen (IB)
→ das Tragen von Berufs-, Bereichs- und Schutzkleidung (II)
→ bei Gefahr der Durchfeuchtung wasserfester Schuhe (IV)
→ das Anlegen von Mund-Nasen-(MNS) und Haarschutz vor Betreten des OP, den Wechsel des MNS nach jeder OP, bei Durchfeuchtung oder Verschmutzung (IB)
→ das Anlegen einer Schutzbrille/-schild bei Kontaminationsgefahr durch Aerosole/Sekretspritzer
→ das Tragen medizinischer Einmalhandschuhe für nicht an der Operation beteiligte Springer

Fachspezifische Maßnahmen beinhalten für das Team peri- und intraoperativ:
→ die aseptische Disziplin im OP mit Wahrung der Aseptik auf dem Instrumentiertisch einschließlich des Verhinderns der ungeschützten Lagerung von Sterilgut außerhalb der Sterilverpackung (IB)
→ die Begrenzung der Personenanzahl und Bewegung im OP (II)
→ die chirurgische Händedesinfektion (IB)
→ das Tragen von OP-Handschuhen mit Double Gloving bei erhöhtem Perforationsrisiko (II)

Fachspezifische Maßnahmen am Patienten beinhalten:
→ die erregerdichte sterile OP-Abdeckung (IB)
→ keinen Einsatz nicht-antiseptischer Inzisionsfolie (IB) und keine Hautversiegelung (III)
→ die präoperative Hautantiseptik mit alkoholbasierten Mitteln (IA) mit remanenter Wirkung (IB)

Begonnen wird die präoperative Hautantiseptik mit leichtem Druck mittels Kornzange und Tupfer für 30 s mit anschließender Benetzung für die Dauer der Einwirkungszeit (Mittel der Wahl ist Betaseptic12).

Intraoperativ
Fachspezifische Maßnahmen beinhalten für das Team:
→ keinen Wechsel des Skalpells nach der Inzision
→ den Wechsel steriler Handschuhe vor Handhabung/Einbringen von Implantaten (IB)

Fachspezifische Maßnahmen am Patienten beinhalten:
→ den Einsatz von antiseptischem Nahtmaterial (II)
→ die antiseptische Wundspülung vor dem Wundverschluss (II / gering)

Aufgrund der wachsenden Studienzahl zur Elimination der in das OP-Feld gelangten residenten Hautflora durch antiseptische Spülung wächst die Evidenz zur Durchführung vor dem Einbringen alloplastischer Implantate. (Details in 2)

Postoperativ
Fachspezifische Maßnahmen beinhalten für das Team:
→ die fortlaufende Überprüfung des Qualitätsmanagements der Hygiene (IA / IV)
→ die Surveillance von SSI (IA / IV)

Fachspezifische Maßnahmen am Patienten beinhalten:
→ das aseptische Wundmanagement (II)
→ die sterile Wundabdeckung für 48 h (IB)
→ die strenge Indikation für Drainagen (II)
→ keine Antibiotikagabe nach OP-Ende (IA)
→ die Information von Patienten zu präventivem Verhalten (II)

Es ist wünschenswert, wenn Patienten das Pflegeteam zeitnah über Schmerzen im Bereich der Wundnaht oder im OP-Gebiet informieren. Gleiches gilt für das Auftreten von Diarrhöen, Anzeichen eines grippalen Infekts (Muskel-, Gelenk- und/oder Kopfschmerzen), erschwertes, schnelleres Atmen, atemabhängige Schmerzen sowie Fieber und Schüttelfrost als Hinweis auf eine Sepsis. Ferner sollte darauf hingewiesen werden, dass der Wundverband nicht eigenständig gelockert werden darf, um die Wunde sehen zu wollen. Durch ein Informationsblatt können die Patienten zur Mitarbeit gewonnen werden.

Für die Prävention von SSI hat es sich als effektiv erwiesen, besonders wichtige Maßnahmen zu einem Maßnahmenbündel zusammenzufassen, das Bündel zu trainieren und die Einhaltung z. B. mittels Checkliste zu überwachen.14 Allerdings sind trotz aller Bemühungen SSI aufgrund vor allem endogener Erregerquellen nicht komplett vermeidbar.

Durch die ständige Überprüfung der Hygienestandards, deren Evaluation und Anpassung ist die Prävention von SSI im erreichbaren Umfang zu gewährleisten. Deshalb fordert das Infektionsschutzgesetz für Krankenhäuser und Einrichtungen für ambulantes Operieren die Festlegung innerbetrieblicher Verfahrensweisen zur Infektionshygiene in Hygieneplänen und die Infektions-Surveillance zur Evaluierung der Präventionsmaßnahmen.

Im Modul OP-KISS können für die Einrichtung relevante Indikatoroperationen ausgewählt werden.

Weiterführende Quellen

  1. Die Kategorien in der Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention– Aktualisierung der Definitionen: Mitteilung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Bgbl. 2010; 53: 754–6.
  2. Berríos-Torres SI, Umscheid CA,  Bratzler DW, et al.  Surgical site infection (SSI) prevention guideline. JAMA  2017; 152(8):784-91.
  3. Hansis M, Kramer A, Mittelmeier W, et al. Prävention postoperativer Wundinfektionen. Empfehlung der KRINKO beim Robert Koch-Institut. Bgbl. 2018; 61:448–73.
  4. Kramer A, Wendt M, Assadian O, et al. Klinische und ambulante Operationszentren, Herzkatheterlabor und Hybrid-Operationseinheit. In: Kramer, A, Assadian O, Exner M, Hübner NO, Simon A, Scheithauer S (Hrsg) Krankenhaus- und Praxishygiene, 4. Aufl. Elsevier 2022 (bei nachfolgenden Quellen aus dem Buch als A bezeichnet); 668-82.
  5. Harnoss JC, Ojan O, Diener M, et al.  Belastung in septischen und aseptischen Operationsräumen. Ergebnisse einer prospektiven, vergleichenden Beobachtungsstudie. Dtsch Arztebl Int. 2017; 114: 465-72.
  6. Kramer A, Harnoss JC, Kampf G. Grundlegende prä- und perioperative Voraussetzungen. In: A; 361-74.
  7. Bakterien (Teilkapitel mit unterschiedlichen Autoren). In: A; 222-48.
  8. Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle von Methicillinresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen. Empfehlung der KRINKObeim Robert Koch-Institut. Bgbl. 2014; 57:696–732.
  9. Eckmann C, Maier S. Perioperative Antibiotikaprophylaxe. In: A; 84-6.
  10. NICE guideline. Surgical site infections: Prevention and treatment. 2020. https://www.nice.org.uk/guidance/ng125/resources/surgical-site-infections-prevention-and-treatment-pdf-66141660564421
  11. Stropnicky PV, Becker T, Pochhammer J, et al. Vermeidung postoperativer Wundinfektionen. Allg Viszeralchir. up2date 2023; 17: 301–20.
  12. Kramer A, Assadian O, Kampf G. Antiseptische Indikationen, Konzepte und Antiseptic Stewardship. In: A; 88-105.
  13. Dörfel D, Maiwald M, Daeschlein G, et al.  Comparison of the antimicrobial efficacy of povidone-iodine-alcohol versus chlorhexidine-alcohol for surgical skin preparation on the aerobic and anaerobic skin flora of the shoulder region. Antimicrob Resist Infect Control 2021;10(1):17.
  14. Edminston CE, Leaper DJ. Prevention of orthopedic prosthetic infections using evidence-based surgical site infection care bundles: A narrative review. Surg Infect (Larchmt). 2022; 23(7):645-55.

Perioperatives Management rheumatologischer Patienten unter Immunsuppression

Die Zahl chirurgischer Eingriffe bei Patienten mit chronisch entzündlichen rheumatischen Erkrankungen steigt kontinuierlich – sei es aufgrund gelenkerhaltender Maßnahmen, endoprothetischer Versorgung oder traumatologischer Indikationen. Ein erheblicher Teil dieser Patienten steht unter immunsuppressiver Therapie, insbesondere mit Biologika oder konventionellen DMARDs. Diese Substanzen erhöhen das Risiko postoperativer Infektionen und beeinträchtigen die Wundheilung – gleichzeitig kann das Absetzen einen Schub der Grunderkrankung auslösen. Ziel dieses Artikels ist es, evidenzbasierte Empfehlungen zum perioperativen Management rheumatologischer Patienten unter Immunsuppression darzustellen und eine Empfehlung für die tägliche Praxis zu geben.

Grundlagen der Immunsuppression bei rheumatologischen Erkrankungen

Moderne Therapieansätze kombinieren konventionelle synthetische DMARDs (csDMARDs) wie Methotrexat oder Leflunomid mit Biologika (bDMARDs) oder zielgerichteten synthetischen DMARDs (tsDMARDs), z. B. JAK-Inhibitoren. Die Wirkung dieser Medikamente beruht auf einer Modulation der Immunantwort – sie reduzieren effektiv die Krankheitsaktivität, aber auch die Fähigkeit zur Infektabwehr. Häufig werden auch weiterhin Glukokortikoide als begleitende Therapie verabreicht, häufig in Kombination mit Immunsuppressiva, um die Wirkung zu verstärken beziehungsweise die Dosis zu verringern.

Immunsuppressiva im rheumatologischen Kontext

Infektionsrisiko und Wundheilung: Eine klinische Gratwanderung

Zahlreiche Studien belegen ein erhöhtes Risiko für postoperative Infektionen, insbesondere bei

  • hoher Krankheitsaktivität
  • gleichzeitiger Glukokortikoidgabe (> 5 mg Prednisonäquivalent)
  • großen oder endoprothetischen Eingriffen
  • komplexen Eingriffen an den Händen oder den Vorfüßen
  • zusätzlicher Multimorbidität (z. B. Diabetes, Niereninsuffizienz).

Das Risiko einer perioperativen Infektion wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Insbesondere beim Rheumapatienten ist die komplexe Ausgangssituation zu berücksichtigen. Die Patienten haben wegen der Grunderkrankung ein per se erhöhtes Infektionsrisiko. Daher ist es im Vorfeld wichtig, dass der Patient bestmöglich medikamentös eingestellt ist. Zusätzlich kommen patientenbezogene Risikofaktoren wie Adipositas, Diabetes mellitus und andere Grunderkrankungen, die sich potentiell ungünstig auf das Operationsrisiko auswirken. Diese sollten präoperativ ebenfalls behandelt werden.

Bei endoprothetischen Eingriffen ist zusätzlich das erhöhte Osteoporose-Risiko zu beachten. Eine reduzierte Knochendichte kann sich negativ auf die Stabilität und auch die Prognose auswirken. Darüber hinaus ist eine genaue Anamnese vorausgegangener Infektionen wichtig, um Folgeinfektionen zu minimieren.

Spezielle Empfehlungen zu häufigen Medikamenten

Glukokortikoide
Häufig wird die Wertigkeit und auch das Risiko einer Cortisonbehandlung unterschätzt. Es besteht ein dosisabhängig zunehmendes Operationsrisiko für Infektionen. Daher ist die tägliche Steroiddosis möglichst zu senken; Ziel ist ein Prednisolonäquivalent unter 5 mg pro Tag. Im Idealfall wird die Medikation gänzlich abgesetzt. Eine Dosissteigerung vor dem Hintergrund einer perioperativen hormonellen Instabilität, bedingt durch den operativen Stress und eine Nebenniereninsuffizienz, ist nicht erforderlich.

Methotrexat (MTX)
MTX ist das häufigste Basismedikament. Es wird einmal wöchentlich subkutan oder oral eingenommen. In der Vergangenheit haben sich keine Hinweise ergeben, dass für Patienten, die MTX einnehmen, ein erhöhtes postoperatives Komplikationsrisiko besteht, daher kann die Therapie fortgeführt werden. Lediglich bei Patienten mit einer entsprechenden Medikation sollte im Hinblick auf die hepatische Verstoffwechselung gegebenenfalls erwogen werden, eine einwöchige Pause durchzuführen.

Leflunomid
Leflunomid wird täglich in einer Dosis von 10–20 mg oral verabreicht. Die Halbwertszeit liegt bei vier Wochen; der aktive Metabolit Teriflunomid verbleibt aber wegen der komplexen enterohepatischen Rezirkulation zwei Jahre im Körper. Ein kurzfristiges Absetzen ist daher nicht sinnvoll. Bei einem erhöhten Infektionsrisiko kann das Auswaschen zur beschleunigten Elimination durchgeführt werden. Sowohl nach Empfehlungen der DGRh als auch der ACR-Leitlinie kann die Therapie bei niedrigem Risiko fortgeführt werden. Vereinzelt kam es auf Kongressen zu Berichten von erheblichen Wundheilungsstörungen, insbesondere bei Operationen an den kleinen Gelenken an den Händen oder Füßen. Hier sollte gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem Operateur tatsächlich empfohlen werden, die Medikation auszuwaschen. Die Empfehlung dafür ist der Einsatz von 8 mg Colestyramin dreimal täglich für 5–8 Tage oder 50 mg Aktivkohle viermal täglich über fünf Tage. Anzumerken ist, dass beide Verfahren teilweise zu erheblichen Nebenwirkungen führen und von den Patienten nur sehr ungern durchgeführt werden.

Sulfasalazin
Grundsätzlich gilt auch hier, dass die Medikation fortgeführt werden sollte. Lediglich bei Patienten mit hepatischen Vorerkrankungen ist gegebenenfalls eine kurzfristige präoperative Pause begründet.

TNF-alpha Blocker
TNF-Inhibitoren werden mittlerweile häufig und auch sehr erfolgreich bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen eingesetzt. Die Datenlage hinsichtlich der Frage, wann diese Medikamente präoperativ abgesetzt werden sollten, ist relativ uneinheitlich. Allerdings kann mittlerweile nicht mehr davon ausgegangen werden, dass eine laufende TNF-Therapie das perioperative Risiko erhöht. Auf der anderen Seite gibt es Studien, die das Risiko für Flares bei zu langer Pause erfasst haben, die jeweils eine beträchtliche Steigerung des Risikos gesehen haben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr gerechtfertigt, weiterhin das Absetzen über einen Zeitraum von zwei Halbwertszeiten zu fordern. Die Empfehlung lautet daher, die Therapiepause auf eine Halbwertszeit zu verkürzen, d. h. in der Regel eine Applikation präoperativ auszusetzen oder aber, falls dies möglich ist, die Operation am Ende des Therapieintervalls durchzuführen.

Azathioprin, Ciclosporin A und Mycophenolat
Die immunsuppressiven Wirkstoffe Azathioprin, Ciclosporin A und Mycophenolat werden vor allem bei Patienten mit schweren systemischen Autoimmunerkrankungen wie Kollagenosen (z. B. systemischer Lupus erythematodes) oder Vaskulitiden eingesetzt. Trotz ihrer breiten Anwendung ist die Studienlage zur perioperativen Handhabung dieser Substanzen bislang unzureichend für evidenzbasierte Empfehlungen. In den ACR-Leitlinien wird empfohlen, die Therapie bei Patienten mit aktiver, schwerer Grunderkrankung fortzuführen, da das Risiko eines Krankheitsrückfalls durch ein Absetzen der Medikation höher eingeschätzt wird als das perioperative Infektionsrisiko.

Für Operateure besonders relevant: Alle drei Medikamente haben kurze Halbwertszeiten (Azathioprin: 4–5 h, Ciclosporin A: 5–10 h, Mycophenolat: ca. 16 h). Eine kurzfristige Pause von 1–2 Tagen vor einem elektiven Eingriff führt in der Regel zu keiner signifikanten Beeinflussung des perioperativen Verlaufs. Die immunsuppressive Wirkung kann zwar über diesen Zeitraum hinaus bestehen, klinisch relevante Auswirkungen auf die Wundheilung oder Infektionsrate sind bei kurzer Unterbrechung jedoch nicht zu erwarten. Gleichzeitig bleibt das Risiko eines rheumatischen Schubs bei dieser Vorgehensweise gering. Eine Weiterführung der genannten Immunsuppressiva ist bei stabiler Krankheitskontrolle in der Regel möglich.

Abatacept
Aktuelle Studien geben keinen Hinweis, dass eine Pausierung von Abatacept die perioperativen Komplikationen reduziert. Die OP-Planung sollte, wenn dies möglich ist, so durchgeführt werden, dass die Operation am Ende des Therapieintervalls durchgeführt wird.

Rituximab
Für die B-Zell-Depletion mit Rituximab liegt ebenfalls nur eine unzureichende Datenlage vor. Allerdings wird zusammenfassend empfohlen, elektive Eingriffe vier Monate nach der letzten Infusion und spätestens vier Wochen vor der nächsten Infusion zu planen. Niedrige Immunglobulin-Spiegel können das Infektionsrisiko erhöhen; daher könnte eine präoperative Bestimmung des Immunglobulin-Spiegels, insbesondere bei einem erhöhten Infektionsrisiko oder bei wiederkehrenden Infektionen, sinnvoll sein. Gegebenenfalls besteht auch die Indikation für eine Substitution.

Interleukin-6-Rezeptor Inhibitoren
In dieser Gruppe ist es wichtig zu beachten, dass Tocilizumab die Warnsignale einer postoperativen Infektion unterdrückt. Bakterielle Infektionen können maskiert werden, es besteht kein Anstieg der Entzündungsparameter (CRP, Fieber). Zusammenfassend ist die Empfehlung jedoch, Tocilizumab und Sarilumab analog der übrigen bDMARDs operativ zu pausieren.

Interleukin-1, 17, 12/23 und 23 Inhibitoren
Für die Interleukin-Inhibitoren Anakinra, Canakinumab, Ixekizumab, Secukinumab, Guselkumab und Ustekinumab und auch für den (BLyS)-Inhibitor Belimumab besteht die gleiche Empfehlung wie oben. Auch hier wird empfohlen, analog zu den anderen bDMARDs die geplante Operation zum Ende des jeweiligen Therapieintervalls festzusetzen. Da Anakinra eine sehr kurze Halbwertszeit (4–6 h) hat, ist hier eine Pause 1–2 Tage vor der OP ausreichend.

Targeted-synthetic DMARDs
Zu der Gruppe der tsDMARDs oder auch „small molecules“ zählen ein Phosphodiesterase 4 (PDE4)-Inhibitor (Apremilast) und vier Januskinase (JAK)-Inhibitoren (Baricitinib, Filgotinib, Tofacitinib, Upadacitinib), die oral verabreicht werden und alle eine kurze Halbwertszeit (3–max. 14 h) haben. Dies bedeutet, dass diese Substanzen gut steuerbar sind. Daher reicht eine drei- bis viertägige Pause präoperativ aus. Nach Expertenmeinung der DGRh kann Apremilast perioperativ fortgeführt werden. Alle tsDMARDs sollten baldmöglichst bei regelrechten Wundverhältnissen wieder begonnen werden. Wegen der kurzen Halbwertszeit sollte die Therapie innerhalb von 3–5 Tagen wieder fortgesetzt werden. Wenige Tage der Unterbrechung können bereits einen Schub auslösen. Eine Pause von mehr als 14 Tagen sollte perioperativ nicht überschritten werden.

Empfehlung zu den einzelnen Substanzen – für die Praxis

Glukokortikoide


Evidenzlage:
Mehrere große, retrospektive Studien zeigen ein dosisabhängig erhöhtes Risiko für postoperative Infektionen, Mortalität und Re-Hospitalisierung, insbesondere ab >10 mg Prednisolonäquivalent/Tag.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Ziel: GC-Dosis <5 mg/Tag in den 3 Monaten vor elektiven OPs
→ Keine kurzfristige Reduktion vor OP notwendig
→ Am OP-Tag: übliche Tagesdosis verabreichen – keine zusätzliche „Stressdosis“ notwendig bis 20 mg/Tag

Methotrexat (MTX)
Evidenzlage:
RCTs zeigen kein erhöhtes perioperatives Risiko – bei RA und CED sogar möglicherweise protektiv. Keine Daten zu Dosen >20 mg/Woche.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Therapie kann fortgeführt werden
→ Bei Hochdosis (>20 mg/Woche) evtl. Reduktion auf ≤15 mg/Woche
→ Injektionszeitpunkt bei Bedenken verschieben

Leflunomid
Evidenzlage:
Uneinheitliche Studienlage – einzelne Hinweise auf Wundheilungsstörungen. Lange HWZ (bis 2 Jahre) durch enterohepatische Rezirkulation.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Kleine OPs, geringes Risiko: Fortführung möglich (cave bei Eingriffen an Händen und Füßen)
→ Größere Eingriffe: Auswaschung (z. B. mit Cholestyramin)
→ Einfaches Absetzen ohne Auswaschung ist nicht sinnvoll

Sulfasalazin
Evidenzlage:
Keine erhöhte Infektionsrate – möglicherweise sogar protektiver Effekt. Kurze HWZ (6–8 h).
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Kann fortgeführt werden
→ Bei Bedenken: Absetzen am Vortag, Wiederbeginn postoperativ

Hydroxychloroquin
Evidenzlage:
Keine Hinweise auf erhöhtes Risiko. Lange HWZ (40–50 Tage). Kein signifikanter immunmodulierender Effekt.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Fortführen empfohlen
→ Kurzfristige Pause möglich – ohne Risiko für Krankheitsschub

Azathioprin, Ciclosporin A, Mycophenolat
Evidenzlage:
Keine Studien – Empfehlungen basieren auf Expertenmeinung und ACR-Stratifizierung nach Krankheitsaktivität.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Kurze Pause (1–2 Tage) möglich, aber nicht zwingend notwendig
→ Bei aktiver Erkrankung: Therapie fortsetzen in Absprache mit Rheumatologen

TNF-Inhibitoren (z. B. Infliximab, Adalimumab, Etanercept)
Evidenzlage:
Heterogene Datenlage. Metaanalysen zeigen teils leicht erhöhtes Risiko bei Fortführung, aber auch erhöhtes Schubrisiko bei zu langer Pause. Kein Vorteil längerer Absetzphasen.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Pause von einem Dosierungsintervall (nicht mehr zwei HWZ)
→ Balance zwischen Infektions- und Schubrisiko beachten

Abatacept
Evidenzlage:
Drei Studien zeigen keinen Vorteil längerer Pausen. Komplikationsraten unabhängig von Pause oder Applikationsform.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ OP-Termin am Ende des Therapieintervalls
→ Keine verlängerte Pause notwendig

Rituximab
Evidenzlage:
Nur eine retrospektive Kohorte mit begrenzter Aussagekraft. Infektionsrisiko möglicherweise abhängig von IgG-Spiegel.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ OP idealerweise 4 Monate nach letzter Infusion
→ Bei hohem Risiko: präoperative IgG-Kontrolle, ggf. Substitution vor OP

IL-6-Inhibitoren (z. B. Tocilizumab, Sarilumab)
Evidenzlage:
Kein Zusammenhang zwischen Komplikationen und Infusionszeitpunkt. Tocilizumab maskiert Infektionszeichen (Fieber, CRP).
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Pause von einem Dosierungsintervall empfohlen
→ Wachsamkeit bei Infektionsdiagnostik nötig

Interleukin-Inhibitoren (IL-1, IL-17, IL-12/23, IL-23)
Evidenzlage:
Keine relevanten Studiendaten verfügbar.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ OP am Ende des Therapieintervalls planen
→ Anakinra: kurze HWZ → 1–2 Tage Pause ausreichend

tsDMARDs (JAK-Inhibitoren, Apremilast)
Evidenzlage:
Wenig Daten, z. T. erhöhte Infektions- und VTE-Raten. Kurze HWZ.
Empfehlung für die chirurgische Praxis:
→ Pause: 3–4 Tage vor OP, Wiedereinleitung bei regelrechter Wundheilung
→ Maximale Pause 14 Tage, um Schübe zu vermeiden
→ Apremilast: Fortführung möglich, Pause optional

Fallbeispiel

Ein 64-jähriger Patient mit rheumatoider Arthritis unter Methotrexat (15 mg/Woche) und Adalimumab (alle 2 Wochen), zusätzlich Prednisolon 5 mg/Tag, wird elektiv zur Hüfttotalendoprothese aufgenommen.

Empfehlung:
→ Adalimumab pausieren – letzter Pen 2 Wochen vor OP
→ Methotrexat beibehalten
→ Glukokortikoide: 5 mg/Tag fortführen
→ Biologikum wieder aufnehmen nach 14 Tagen bei reizloser Wunde

Postoperativer Verlauf komplikationslos. Entlassung am Tag 7, Biologikatherapie Wiederbeginn in Woche 3.

Fazit

Das perioperative Management rheumatologischer Patienten unter Immunsuppression erfordert eine differenzierte, individuelle Planung. Während Biologika je nach Substanz vorübergehend pausiert werden sollten, können konventionelle DMARDs oft weitergeführt werden. Die enge Zusammenarbeit aller beteiligten Fachrichtungen ist essenziell, um die Balance zwischen Infektionsschutz und Krankheitskontrolle zu wahren.

Abschließend noch ein Hinweis: wichtig ist die Wiederaufnahme der Basistherapie postoperativ. Dies wird in der Praxis leider immer wieder vergessen, insbesondere wenn der Patient nicht in einer spezialisierten Klinik behandelt wurde oder in der Nachbehandlung nicht auf die Medikation geachtet wurde.

Literatur

  1. Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie (SGR). Perioperatives Management von Basistherapeutika. Version 2022.
  2. Goodman SM et al. ACR/AAHKS Guidelines for Perioperative Management of Antirheumatic Medication. Arthritis Care Res. 2022.
  3. EULAR Recommendations for the Management of Rheumatoid Arthritis. Ann Rheum Dis. 2019.
  4. RKI Impfempfehlungen für Immunsupprimierte. Stand 2023.
  5. Ravi B et al. Impact of Biologic DMARDs on Surgical Outcomes. J Bone Joint Surg Am. 2022.
  6. Krüger, Klaus et al. Perioperativer Umgang mit der Therapie von Patienten mit entzündlich- rheumatischen Erkrankungen, Aktualisierte Empfehlungen der DGRh, Erstveröffentlichung, Januar 2022 / zuletzt überprüft August 2024

Perioperatives Management bei antikoagulierten Patienten in O&U: Viele Betroffene sind außerhalb kritischer Zeitfenster

In Deutschland wird der Stand der Technik zu Gelenkersatzeingriffen an der unteren Extremität in entsprechenden Leitlinien und Registern fortwährend dokumentiert und weiterentwickelt. Dafür gibt es ein aktives Endoprothesenregister (EPRD), jedoch keine umfassende Leitlinie zum Umgang mit Antikoagulanzien. Teilaspekte wie Indikationsstellung oder operative Techniken (z. B. zur Anwendung der Tranexamsäure) werden in Leitlinien oder Konsensusdokumenten bearbeitet.

Durch den inzwischen langfristigen Einsatz von Gerinnungs- oder Thrombozytenhemmstoffen in der Primär- und Sekundärprophylaxe ist der Anteil dieser Patienten mit kardiovaskulärer Morbidität und Thromboembolierisiko in der präoperativen orthopädisch-unfallchirurgischen Sprechstunde beträchtlich angestiegen.

Bemerkenswert ist, dass die perioperative Führung der gerinnungs- oder thrombozytenhemmenden Medikation in den fachspezifischen Leitlinien nicht diskutiert wird. Es finden sich aber ausführliche Empfehlungen in kardiologischen und anästhesiologischen Guidelines. Detailliert wird etwa das breite Spektrum der indirekten und direkten Gerinnungshemmstoffe in der Indikation zur perioperativen Thromboembolieprophylaxe in der S3-Leitlinie zur Thromboseprophylaxe (AWMF) diskutiert. Aus einer anästhesiologisch-kardiologischen Arbeitsgruppe gibt es ein umfassendes Dokument zur perioperativen Führung internistisch komorbider Patienten, das sehr zu empfehlen ist.

Schwerpunkt dieser Übersicht soll das Management gerinnungshemmender Medikamente bei elektiven oder semielektiven Eingriffen sein, bei denen Eingriffe so geplant werden, dass eine Pausierung dieser Substanzen gemäß den anästhesiologischen Empfehlungen möglich ist.

Moderne Antikoagulanzien und Kombinationen

Grundlagen von Hämostase und Antikoagulation

Die Hämostase ist ein hochregulierter physiologischer Prozess, der den Blutverlust nach Gefäßverletzungen begrenzt und gleichzeitig die Durchblutung im übrigen Kreislauf aufrechterhält. Für das perioperative Management – insbesondere bei antikoagulierten Patienten in der Orthopädie und Unfallchirurgie – ist ein fundiertes Verständnis der Hämostase essenziell, um Blutungsrisiken adäquat einschätzen und steuern zu können.

Die Hämostase gliedert sich klassisch in zwei eng miteinander verknüpfte Phasen:

  1. Primäre Hämostase: Bildung eines temporären Thrombozytenpfropfs (Plättchenpfropf) am Ort der Gefäßverletzung.

  2. Sekundäre Hämostase: Stabilisierung dieses Pfropfs durch die Ausbildung eines Fibrinnetzes im Rahmen der plasmatischen Gerinnung.

Die primäre Hämostase sorgt für die schnelle Abdichtung kleiner Gefäßverletzungen durch einen Thrombozytenpfropf, während die sekundäre Hämostase diesen Pfropf durch ein Fibrinnetz stabilisiert. Antikoagulanzien setzen an beiden Phasen der Hämostase an. ASS hemmt irreversibel die Cyclooxigenase-1 der Thrombozyten und verhindert dadurch die Plättchenaggregation (Abb. 1). Die klassischen Antikoagulanzien Heparin und NMH wirken indirekt über die Verstärkung der inhibitorischen Wirkung von Antithrombin auf Faktor Xa und Thrombin (Abb. 2). Moderne Antikoagulanzien hemmen direkt den Faktor Xa oder Thrombin (Abb. 3) und können oral appliziert werden. Das macht ihre Steuerung einfacher.

Pharmakokinetik von Antikoagulanzien

Bereits nach 1–2 Tagen sind direkte orale Antikoagulanzien (DOAKs) und schwächere Thrombozytenhemmstoffe (z. B. ASS) weitgehend eliminiert, sodass das Blutungsrisiko deutlich reduziert ist (Abb. 4). Die relativ schwache Thrombozytenhemmung der ASS-Monotherapie und die kurzen Halbwertszeiten der DOAKs haben das perioperative Management deutlich erleichtert.

Eine längere Abklingphase und gegebenenfalls die Notwendigkeit der individuellen Laborkontrolle sind bei Vitamin-K-Antagonisten (VKA), aber auch bei stärker wirksamen Thrombozytenhemmstoffen oder bei kombinierter Gerinnungs- und Thrombozytenhemmung zu beachten. VKA werden als langfristige Antikoagulation nur mehr für spezielle kardiologische Patienten bzw. die stärker wirksamen Thrombozytenhemmstoffe nur in kritischen Zeitfenstern (Monate) verwendet.

In den vergangenen Jahren hat die Verordnung von direkten oralen Antikoagulanzien stark zugenommen. Mit ihrer guten Steuerbarkeit bei oraler Gabe haben sie die Vitamin-K-Antagonisten längst überflügelt und werden heute doppelt bis dreimal so häufig verschrieben (Abb. 5).

Im Abschnitt zum perioperativen Management werden die Besonderheiten bei Notfalleingriffen mit rasch notwendiger Normalisierung der Hämostasekapazität (Antifibrinolytika, Blutprodukte) kurz diskutiert.

Versorgungsdaten Hüft- und Knieendoprothetik

In der elektiven Endoprothetik an Hüft- und Kniegelenk ist zwar die postoperative Thromboseprophylaxe mittels AWMF-Leitlinie empfohlen, die perioperative Vorbereitung von Patienten mit Einnahme von Gerinnungs- und Thrombozytenhemmstoffen stellt die behandelnden ÄrztInnen jedoch regelmäßig vor Herausforderungen.

Im Endoprothesenregister (EPRD) der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie- und orthopädische Chirurgie (DGOOC) wurde bereits 2016 auf ein höheres Revisionsrisiko bei Patienten mit kardialen Vorerkrankungen hingewiesen, die am ehesten auf die Einnahme von Gerinnungs- und Thrombozytenhemmstoffen zurückzuführen ist. Dies gilt es insbesondere aufgrund der zunehmenden Prävalenz antikoagulierter Patienten im Praxis- und Klinikalltag in den präoperativen Sprechstunden zu beachten.

Perioperatives Management bei Eingriffen unter Gerinnungs- und Thrombozytenhemmstoffen

Durch die breite Anwendung von ASS bzw. DOAK in der Primär- und Sekundärprophylaxe (außerhalb der kritischen Zeitfenster) sind heute viele Patienten langfristig mit Gerinnungs- oder Thrombozytenhemmung behandelt. Die Prophylaxe thromboembolischer und kardiovaskulärer Erkrankungen erfolgt in der Regel mit Acetylsalicylsäure (ASS) oder direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) als Monotherapie.

Bei der Monotherapie mit ASS in niedriger Dosierung (100 mg/d) hat sich auch bei größeren Eingriffen (z. B. elektive Endoprothetik an Hüfte und Knie) durchgesetzt, die Therapie nicht zu pausieren. Hier zeigt sich im Allgemeinen kein höheres Revisionsrisiko in der Literatur, in einigen Studien zeigen sich sogar Vorteile hinsichtlich postoperativer Thrombose- und Embolieneigung.

Diese Empfehlung gilt jedoch nicht für die Monotherapie mit DOAKs. Hier ist nach wie vor ein rechtzeitiges Absetzen/Substitution der Therapie notwendig.

Ein deutlich erhöhtes Blutungsrisiko besteht bei Kombinationstherapien, etwa bei der gleichzeitigen Gabe zweier Thrombozytenaggregationshemmer oder der Kombination von Antikoagulanzien und Plättchenhemmern. Solche Therapieschemata kommen meist nur in kritischen Zeitfenstern (z. B. nach akuten kardiovaskulären Ereignissen oder Interventionen) oder bei PatientInnen mit ausgeprägter kardiovaskulärer Multimorbidität zur Anwendung. Eingriffe sollten, wann immer möglich, während dieser in der Regel zeitlich begrenzten Kombinationstherapie vermieden werden.

Laborparameter für Gerinnungs- und Thrombozytenhemmung

Lange Zeit wurde im klinischen Alltag bei Gerinnungs- und Thrombozytenhemmstoffen nicht die Pharmakokinetik (Verweildauer der Substanzen), sondern deren meist deutlich längere Wirksamkeit beachtet. Diese wurde mit gerinnungsphysiologischen Labormethoden gemessen (Quickwert/INR, PTT/ACT, Thrombozytenfunktionstestung).

Mit dem Einsatz von kurz wirksamen DOAKs ergibt sich der Vorteil, Eingriffe rascher und präziser planen zu können und auch im Notfall eine schnellere Normalisierung der Hämostasekapazität kalkulieren und ggf. testen zu können (Anti-Xa-Spiegel).

Bei niedermolekularen Heparinen und bei DOAKs werden mit dem Anti-Xa-Test die Medikamentenspiegel und damit die Pharmakokinetik fokussiert, die bei diesen Substanzen eine Orientierung für Wirksamkeit bzw. Sicherheit (Kumulationsgefahr) geben.

Präoperative Risikostratifizierung

Wie oben diskutiert, ist ein Großteil der Patienten, die unter Antikoagulanzien zu operativen Eingriffen vorbereitet werden, im niedrigen Risikobereich, da außerhalb kritischer kardiovaskulärer Zeitfenster eine Monotherapie in niedriger Erhaltungsdosis durchgeführt wird. Entsprechend den anästhesiologischen Empfehlungen wird dann eine präoperative Pause entsprechend der pharmakologischen Halbwertszeit oder (Thrombozytenhemmer/VKA) entsprechend der tagelangen Wirksamkeit (Pharmakodynamik) durchgeführt.

Abhängig vom individuellen Risiko des Patienten wird die Art und Dauer der Antikoagulation im kardiovaskulären Fachgebiet festgelegt und überwacht. Dabei wurde eine früher nach Erkrankungen bzw. Interventionen übliche „one fits all“-Strategie durch ein maßgeschneidertes individuelles Vorgehen abgelöst. Dadurch konnte das Blutungsrisiko insbesondere bei Älteren deutlich reduziert werden.

Die Indikation für Tripletherapien und die duale Anwendung von Gerinnungs- und Thrombozytenhemmstoffen ist seltener und die Dauer dieser Therapieschemata wurde deutlich reduziert. Ein verbliebener Sonderfall ist der Einsatz von VKA mit individuellem Labormonitoring bei Patienten mit künstlicher Herzklappe, da hier nach wie vor das höchste Thromboembolierisiko besteht.

Bei Patienten mit kardiovaskulärer Morbidität wird nach interventioneller Behandlung eine perioperative Beibehaltung der langfristigen Thrombozytenhemmung empfohlen (meist ASS). Dieses Vorgehen hat sich bewährt, muss aber bei der individuellen Abschätzung des Blutungsrisikos wegen einer zusätzlichen Heparinprophylaxe und ggf. bestehenden weiteren Risiken (z. B. durch chronische Morbidität) berücksichtigt werden.

Blutungsrisiko als Nebenwirkung einer Medikation mit NSAR und SSRI

Bekannt ist die unerwünschte Thrombozytenhemmung durch NSAR, insbesondere bei länger bekannten Substanzen. Daher ist bei Blutungsrisiko eine alternative oder auch kombinierte Schmerzmedikation mit neuen Substanzgruppen zu empfehlen.

Eine neu ins Visier genommene Substanzklasse mit deutlichem Einfluss auf die Thrombozytenfunktion stellen die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) dar. Sie erhöhen das Blutungsrisiko, insbesondere in Kombination mit oralen Antikoagulanzien, ASS oder NSAR. Diese SSRI werden inzwischen breit und langfristig in der Depressionsbehandlung eingesetzt.

Blutungsrisiko durch Komorbidität

Die normale Verfügbarkeit der zellulären Blutkomponenten sowie der Gerinnungsfaktoren kann durch hämatologische oder hepatologische und nephrologische Erkrankungen eingeschränkt sein. Infolgedessen steht keine normale Hämostasekapazität zur Verfügung, was im Blutbild und/oder den Gerinnungswerten abgelesen werden kann.

Diese Erkrankungen erfordern eine längere Vorbereitung des Patienten durch den betreuenden Internisten. In jedem Fall sollte dieser über einen bevorstehenden orthopädischen Eingriff informiert werden. Schließlich muss eine fachspezifische internistische Medikation (Stoffwechsel, Blutdruck) perioperativ angepasst bzw. pausiert werden.

Wichtige Rolle der Anamnese bzgl. Blutungs- und Thromboembolierisiko

In der Gelenkersatzchirurgie können meist ältere Patienten über einen beträchtlichen Lebensabschnitt berichten, wobei spontane oder periinterventionelle Blutungskomplikationen aus der Anamnese zu dokumentieren sind. Hervorzuheben sind auch Schleimhautblutungen (Epistaxis, Menstruation, zahnärztliche Interventionen). Diese individuelle Blutungsanamnese kann auch standardisiert mit entsprechenden Fragebögen erhoben und dokumentiert werden.

Genauso wichtig ist andererseits die Erhebung und Dokumentation kardiovaskulärer und thromboembolischer Erkrankungen.

Fazit: Die individuelle Risikoerfassung erfolgt durch Erhebung der aktuellen Medikation, der Anamnese und Langzeitmorbidität des Patienten und unter Berücksichtigung des eingriffsbezogenen Blutungsrisikos.

Perioperatives Management

Elektivprogramm

Elektive oder semielektive Eingriffe sollten so geplant werden, dass eine Pausierung der Antikoagulanzien bzw. Thrombozytenaggregationshemmer entsprechend den anästhesiologischen Empfehlungen möglich ist. Durch die breite Anwendung von ASS und die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) in der langfristigen Prophylaxe befinden sich heute die meisten Patient:innen außerhalb kritischer Zeitfenster der Antikoagulation, was die perioperative Planung wesentlich beeinflusst und in der Regel vereinfacht. Bereits 2–3 Tage nach dem Absetzen sind gängige Substanzen weitgehend eliminiert, sodass das Blutungsrisiko erheblich reduziert ist.

Bei einer langfristigen Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) erfolgt für große operative Eingriffe meist eine überbrückende Antikoagulation mit NMH.

Sonderfall hohes perioperatives Thromboembolierisiko

Für die perioperative Therapieführung ist beim Entschluss zur Beibehaltung einer (niedrig dosierten) Antikoagulation (Sonderfall) eine individuelle Aufklärung des Patienten erforderlich. Diese Aufklärung beinhaltet auch die Information, dass Blutungskomplikationen – gegebenenfalls mit der Notwendigkeit spezieller operativer Techniken oder einer Transfusion – in Kauf genommen werden müssen, da eine vollständig blutungsrisikofreie Antikoagulation nicht zur Verfügung steht. Eine pragmatische Übersicht zum Bridging bzw. Non-Bridging bei DOAK und VKA findet sich bei der Arbeitsgruppe perioperative Gerinnung der ÖGARI.

Management blutungsgefährdeter Patienten im Notfall

Diese Patienten sind durch Reduktion der kritischen Zeitfenster in den kardiologischen Empfehlungen und breiten Einsatz der DOAKs mit vergleichsweise kurzen Halbwertszeiten seltener geworden. ASS wird in der Sekundärprophylaxe bei den meisten Patienten perioperativ beibehalten.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs zum blutbildenden System: Thrombozyten haben im Kreislauf eine Verweildauer von etwa 10 Tagen. Daraus lässt sich ableiten, dass bei Pausierung einer thrombozytenhemmenden Therapie täglich etwa 10 % der Thrombozyten neu gebildet werden und somit ungehemmt verfügbar sind. Nach 2–3 Tagen Pause stehen 20–30 % ungehemmt für die Gerinnselbildung zur Verfügung. In pharmakologischen Untersuchungen konnte eine entsprechend rasche Recovery der Thrombozytenfunktion gezeigt werden. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, dass die Halbwertszeit thrombozytenhemmender Medikamente zwar nur Stunden beträgt, klinisch relevant aber die lange Wirkdauer (wegen der irreversiblen Hemmung) ist.

Es bleibt ein hohes Blutungsrisiko bei dualer Thrombozytenhemmung oder bei kombinierter Gabe von Thrombozyten- und Gerinnungshemmern sowie bei Patienten mit akuten Begleiterkrankungen. Hier muss ebenso wie bei Patienten mit VKA-Dauertherapie im Notfall an den Einsatz von PPSB (Prothrombinkonzentrat) zur schnellen Reversion der Gerinnungssituation gedacht werden.

Perioperativer Einsatz von Tranexamsäure

Die breiten Erfahrungen mit Tranexamsäure haben diese zu einem Basismedikament der Prophylaxe von Blutungskomplikationen in der Knie- und Hüftendoprothetik werden lassen. Sie wird bei Patienten mit langfristiger gerinnungshemmender oder thrombozytenhemmender Therapie ebenso eingesetzt wie bei Patienten ohne diese Prädisposition für intraoperative Blutungen. Allerdings sind Kontraindikationen strikt zu beachten, um das Risiko thrombembolischer Ereignisse gering zu halten. Eine höherdosiert langfristige Gabe sollte bei Patienten, die wegen thromboembolischer Grunderkrankung antikoaguliert sind, vermieden werden.

Fazit

Zwar werden viele ältere Patienten, bei denen die Indikation zur elektiven Hüft- und Knie-TEP oder anderen Eingriffen in Orthopädie und Unfallchirurgie besteht, mit Gerinnungs- oder Thrombozytenhemmstoffen behandelt, aber diese werden in der Primär- oder in der langfristigen Sekundärprophylaxe niedrig dosiert und als Monotherapie verabreicht.

Die Patienten sind in der Regel hinsichtlich der kardiovaskulären Grunderkrankung und deren Risikofaktoren erfolgreich behandelt und außerhalb kritischer Zeitfenster. Dazu kommen rasche Abklingraten der direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) vergleichbar denen von niedermolekularem Heparin (NMH) und das Vermeiden starker Thrombozytenhemmstoffe außerhalb der kritischen Zeitfenster.

All diese Faktoren haben das Blutungsrisiko reduziert und ermöglichen eine präzise und rasche perioperative Planung der Antikoagulation.

Prof. Dr. Michael Spannagl,
Dr. Hermann Fischer,
Dr. Jörg Röling
Internistische Gemeinschaftspraxis

Prof. Dr. Arnd Steinbrück
Orthopädisch-Chirurgisches Kompetenzzentrum Augsburg (OCKA) am Ärztehaus Vincentinum,
Franziskanergasse 14, 86162 Augsburg

Weiterführende Literatur

  1. Zöllner, C. et al: Präoperative Evaluation erwachsener Patientinnen und Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen. Eine gemeinsame Empfehlung von DGAI, DGCh und DGIM. Anaesthesiologie73, 294–323 (2024). https://doi.org/10.1007/s00101-024-01408-2
  2. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). 2015, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/003-001
  3. EPRD-Jahresbericht 2016. https://www.eprd.de/fileadmin/user_upload/Dateien/Publikationen/Berichte/EPRD-Jahresbericht_2016_Einzelseiten_Online-Version.pdf
  4. Feuerstein, T: Empfehlung der Arbeitsgruppe Periopera6ve Gerinnung der ÖGARI zum Thema: „Bridging“ von VKA und NOAK. 2023.
    https://www.oegari.at/web_files/cms_daten/empfehlung_der_arbeitsgruppe_perioperative_gerinnung_der_ogari_zum_thema_bridging_von_vka_und_noak_2.0.2-2.pdf
  5. Lindhoff-Last, E.: Direct oral anticoagulants (DOAC) – Management of emergency situations. Hamostaseologie 2017; 37(04): 257-266. https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.5482/HAMO-16-11-0043
  6. Maegele, M.; Grottke, O.; Schöchl, H.; Sakowitz, O.; Spannagl, M.; Koscielny, J.: Direkte orale Antikoagulanzien in der traumatologischen Notaufnahme. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 575-82; DOI: 10.3238/arztebl.2016.0575. https://www.aerzteblatt.de/archiv/direkte-orale-antikoagulanzien-in-der-traumatologischen-notaufnahme-f694c95f-702e-43a1-a90f-2792e7b5839f
  7. Goldstein, M.; Feldmann, C.; Wulf, H.; Wiesmann, T.: Prophylaktische Gabe von Tranexamsäure bei Hüft- und Kniegelenkersatzeingriffen. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 824-30; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0824 https://www.aerzteblatt.de/archiv/prophylaktische-gabe-von-tranexamsaeure-bei-hueft-und-kniegelenkersatzeingriffen-5f7619e4-dbd7-42e9-b611-0fdba5a41743

Ärzteverbände warnen vor Kahlschlag-Vorstoß der Krankenkassen

Der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa), der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ), MEDI GENO Deutschland e. V. und der Hausärztinnen- und Hausärzteverband weisen die Forderungen des GKV-Spitzenverbandes nach massiven Kürzungen in der ambulanten Versorgung scharf zurück. Die Verbände warnen vor drastischen Folgen für die Patientenversorgung, sollte die Bundesregierung den Vorschlägen des GKV-Spitzenverbandes folgen.

Der GKV-Spitzenverband hatte in einem Papier die Bundesregierung aufgefordert, massive Einsparungen im ambulanten Bereich durchzusetzen. Dazu zählt, die Honorare der Vertragsärztinnen und -ärzte zusammenzukürzen, obwohl die Realität in den Praxen längst in eine andere Richtung weist: steigende Kosten, zunehmender Ärztemangel, eine älter und kränker werdende Gesellschaft sowie ein wachsender Bedarf an sozialmedizinischer Versorgung. Der GKV-Spitzenverband fordert unter anderem, bereits beschlossene Maßnahmen, wie die vollständige Bezahlung aller Leistungen der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte sowie der Hausärztinnen und Hausärzte, wieder zurückzunehmen.

„Mit diesen Vorschlägen legt der GKV-Spitzenverband die Axt an die Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Praxen. Konkret würde das bedeuten, dass die Praxen beispielsweise die zu Recht steigenden Gehälter ihrer Praxisteams nicht mehr finanzieren könnten. Gleichzeitig würden sie auf den Kosten für neue Versorgungsleistungen sitzen bleiben. Statt mutwillig den Rotstift bei Versorgung in den Praxen anzusetzen, braucht es endlich entschlossene Strukturreformen in den Bereichen, die seit vielen Jahren immer höhere Kosten verursachen – und das sind mit Sicherheit nicht die Praxen“, sagten die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier.

„Die Entbudgetierung in der Kinder- und Jugendmedizin wurde eingeführt, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken – und jetzt soll dieser Fortschritt wieder zunichte gemacht werden? Mindestens genauso absurd ist, dass selbst Kostensteigerungen für gesetzlich vorgeschriebene Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen nach Vorstellung des GKV-Spitzenverbands nicht mehr finanziert werden sollen. Wie wir in unserem Pakt für Kindergesundheit klar machen, braucht es mehr Prävention, stattdessen bedeutet der Kahlschlag der Kassen: weniger U-Untersuchungen, weniger Beratung der Eltern, Krankheiten würden zu spät erkannt – mit Folgen fürs ganze Leben. Und wenn Impfungen zurückgehen, drohen vermeidbare gesundheitliche Schäden bei Kindern“, warnt Dr. Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ).

„Die Forderungen des GKV-Spitzenverbandes sind absurd und planlos. Schon heute werden Millionen Patientenbehandlungen der Facharztpraxen von den Krankenkassen nicht bezahlt. Die Budgetierung der fachärztlichen Versorgung trägt heute schon zu Millionen vermeidbaren und teuren Krankenhausfällen bei. Wer die niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte jetzt noch weiter einschnürt, schädigt die Patientinnen und Patienten und wird eine Kostenexplosion bei den Krankenhäusern ernten. Wir brauchen den umgekehrten Weg und damit endlich auch die Entbudgetierung der fachärztlichen Versorgung“, so der Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands, Dr. Dirk Heinrich.

Dr. Norbert Smetak, Vorsitzender von MEDI GENO Deutschland e. V.: „Dieser Entwurf ist ein Generalangriff auf die ambulante Versorgung und die niedergelassene Ärzteschaft. Die künftigen Kosten sollen nahezu vollständig auf uns abgewälzt werden, und selbst die erreichte Entbudgetierung droht wieder einkassiert zu werden. Anstatt immer wieder mit denselben Plattitüden zu argumentieren, sollten die Kassen versuchen, gemeinsam mit uns innovative Versorgungsformen weiterzuentwickeln. Stattdessen erklingt erneut nur die Begleitmusik zu den aktuellen Honorarverhandlungen.“

Quelle: Hausärztinnen und Hausärzteverband, Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa), Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ), MEDI GENO Deutschland e. V.

KHAG: Facharztkompetenzen O&U schärfen – Versorgung sichern

Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) begrüßt die Intention des Bundesministeriums für Gesundheit, Anpassungen im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) vorzunehmen.

Leistungsgruppen (LG) definieren im Gesetz und auch im aktuellen Referentenentwurf die zukünftige medizinische Versorgungslandschaft in der Bundesrepublik. Für die Orthopädie und Unfallchirurgie ist dabei die Leistungsgruppe 14 „Allgemeine Chirurgie“ von besonderer Bedeutung.

Einerseits stellt diese Leistungsgruppe eine assoziierte Voraussetzung für die Erbringung fachtypischer Leistungsgruppen wie „Endoprothetik“, „Revisionsendoprothetik“, „Wirbelsäulenchirurgie“ und „Spezielle Traumatologie“ dar. Aber auch Kinder- und Jugendorthopädie, Schulter-, Hand- und Ellenbogenchirurgie, Tumororthopädie und -traumatologie, gelenkerhaltende Eingriffe am gesamten Achsskelett, Weichteileingriffe, sportorthopädische Verfahren, Fuß- und Sprunggelenkschirurgie, nicht-operative muskuloskelettale stationäre Behandlungen, komplexe Schmerztherapie, orthopädische Rheumatologie und Frührehabilitation sollen allesamt innerhalb dieser Leistungsgruppe erbracht werden.

Kritik am aktuellen Gesetzesentwurf: Risiken für die Versorgungssicherheit

Der nunmehr vorgelegte Gesetzesänderungsvorschlag sieht vor, dass in der LG 14 drei „Fachärzte für Allgemeinchirurgie“ vorgehalten werden sollen. Alternativ könne – der Referentenentwurf spricht von einer „2-zu-1-Regel“ – ein Facharzt für Allgemeinchirurgie durch zwei Fachärzte mit anderer Weiterbildung, konkret ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie zusammen mit einem Facharzt für Viszeralchirurgie, ersetzt werden. „Eine derartige Regelung würde die Versorgungssicherheit für Menschen mit muskuloskelettalen Erkrankungen in der Bundesrepublik Deutschland zukünftig gefährden“, warnt der Vizepräsident des BVOU, Universitätsprofessor Dr. Tobias Renkawitz. „Der Facharzt für Allgemeinchirurgie hat grundsätzlich andere medizinische Schwerpunkte und Weiterbildungsinhalte als der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie“, führt er aus. Durch die zunehmende Spezialisierung in allen chirurgischen Disziplinen hat die Bedeutung des ehemaligen chirurgischen „Allrounders“ ohnehin stark abgenommen. Facharztprüfungen in diesem Bereich sind seit Jahren rückläufig und liegen

nach Auskunft der Bundesärztekammer im Bereich der Allgemeinchirurgie aktuell bei unter 150 pro Jahr. Von den mehr als 41.400 chirurgisch tätigen Ärzten in der Bundesrepublik führen aktuell weniger als 1.400 Ärzte den Facharzttitel für Allgemeinchirurgie. Demgegenüber stehen über 15.200 Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie.

Differenzierter Facharztzuordnung und realitätsnahe Planung

Der BVOU unterstützt die von der Regierung beabsichtigte qualitätsbasierte personelle Ausstattung in Abhängigkeit von den Leistungsgruppen, so Renkawitz weiter. Bei der geforderten personellen Ausstattung der weit gefassten Leistungsgruppe 14 „Allgemeine Chirurgie“ müsse jedoch im KHAG das Gepräge der Abteilung berücksichtigt werden – also die Frage, ob es sich im Schwerpunkt eher um muskuloskelettale Versorgungen oder um einen allgemeinchirurgisch-viszeralchirurgischen Versorgungsauftrag im Krankenhaus handelt.

„Die Frage, ob es sich um eine orthopädisch-unfallchirurgische oder viszeralchirurgische Abteilung handelt, lässt sich aus den Daten der Krankenhausplanungsbehörden der Länder und Auswertungen der Kostenträger einfach herauslesen“, betont Dr. Burkhard Lembeck, Präsident des BVOU. Die vom BVOU vorgeschlagene Zuteilung der Leistungsgruppe 14 in Abhängigkeit vom Schwerpunkt der Abteilung entspreche auch der Intention des Gesetzgebers, Versorgungsqualität und Patientensicherheit durch Spezialisierung zu stärken. „Eine Abteilung, die nahezu ausschließlich Versorgungen aus dem Fachbereich für Orthopädie und Unfallchirurgie erbringt, benötigt nicht drei Fachärzte für Allgemeinchirurgie, sondern drei Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie“, so Lembeck. Ein Realitätscheck für die benötigten Facharztkompetenzen zusammen mit den Bundesländern sei somit dringend geboten. Zudem müsse in diesem Zuge der Gedankenfehler im Referentenentwurf des KHAG aufgelöst werden, dass Fachärzte in dieser sogenannten „allgemeinen Leistungsgruppe“ nicht auch in den jeweiligen „spezialisierten Leistungsgruppen“ wie Endoprothetik oder Revisionsendprothetik angerechnet werden können. Orthopädische Chirurgen erbringen in der Mehrheit mit einem hohen Grad an Spezialisierung an einzelnen Gelenken das gesamte konservative und operative Spektrum. Gelenkexperten versorgen im Tagesablauf routinemäßig sowohl gelenkerhaltend als auch gelenkersetzend. In der Leistungsgruppensystematik des Gesetzes erbringt derselbe Arzt damit zukünftig Leistungen sowohl aus einer allgemeinen Leistungsgruppe als auch aus einer spezialisierten Leistungsgruppe. Eine Vorgabe von zusätzlichen Fachärzten für diese etablierte Versorgungsstruktur in O&U würde das Personalbudget der Kliniken übermäßig belasten und widerspräche der Intention des Gesetzes, die Wirtschaftlichkeit deutscher Krankenhäuser zu verbessern.

Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) ist überzeugt, dass es der Regierung in enger Abstimmung mit den Ländern gelingt, das Krankenhausversorgungsstrukturgesetz (KHVVG) im Sinne des vorgelegten Anpassungsgesetzes positiv zu überarbeiten. Der derzeitige Entwurf zeichnet in der Leistungsgruppe 14 für einen wichtigen Teil des orthopädisch-unfallchirurgischen Versorgungsauftrags in der Bundesrepublik kein realistisches Bild der benötigten Facharztkompetenzen und birgt somit ein hohes Risiko für die Versorgungssicherheit von Menschen mit muskuloskelettalen Erkrankungen und Verletzungen. Die sich daraus ergebende Versorgungslücke würde insbesondere Kinder, ältere Menschen, Menschen mit onkologischen Erkrankungen und Patienten mit unfallbedingten Folgezuständen an Gelenken und Weichteilen treffen. Eine Anpassung der Facharztschwerpunkte in der Leistungsgruppe 14 ist aus Sicht des BVOU deshalb dringend notwendig.

Über die Personen:

Dr. Burkhard Lembeck
Präsident des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) e.V.
Berlin

Univ.-Prof. Dr. med. habil. Tobias Renkawitz
Vizepräsident des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) e.V.
Ärztlicher Direktor und Ordinarius
Klinik für Orthopädie der Universität Regensburg
Asklepios Klinikum Bad Abbach

Über den BVOU:
Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU) ist die berufspolitische Vertretung für mehr als 7.500 in Praxis und Klinik tätige Kolleginnen und Kollegen. Der BVOU setzt die beruflichen Interessen seiner Mitglieder durch, indem er zum Vorteil der Patienten und des Gemeinwohls gemeinsam mit den wissenschaftlichen Gesellschaften den Standard orthopädisch-unfallchirurgischer Versorgung entwickelt, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen prägt und dadurch die öffentliche Wahrnehmung seiner Mitglieder als Experten für orthopädisch-unfallchirurgische Versorgung gestaltet.

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