Berlin – Weg von einem kranken System hin zur Gesundheitsförderung, die Digitalisierung nutzen, um die Versorgung zu verbessern. Jedem den Zugang zu einer bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung garantieren: Prof. Dr. Andrew Ullmann hat klare gesundheitspolitische Ziele, die er durchsetzen möchte. Auf der Gesamtvorstandssitzung schilderte der FDP-Politiker seine Sicht zur Gesundheitspolitik und stellte sich offen und ehrlich einer ausführlichen, teilweise auch kontroversen, Diskussion mit den anwesenden Mandatsträgern. Im Anschluss fasste er seine Darstellung in einem Interview zusammen.
Herr Professor Ullmann, als gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion setzen Sie sich für die Digitalisierung des Gesundheitssystems ein. Welche Projekte liegen Ihnen besonders am Herzen?
Prof. Dr. Andrew Ullmann: Die digitale Transformation unseres Gesundheitswesens ist ein essenzieller Schritt, um unsere Versorgung nachhaltig und zukunftsfähig mit hoher Qualität gestalten zu können. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir hier endlich Erfolge verzeichnen können. Elektronische Patientenakte, E-Rezept, eAU… Wir haben viele Projekte angestoßen und sind mit künstlich ambitionierten bzw. zu ehrgeizigen und unrealistischen Fristen losgelaufen – in der Regelversorgung ist davon bis jetzt leider wenig angekommen. Hier müssen wir besser werden und mehr Akzeptanz für digitale Lösungen bei den Anwendern fördern. Ebenso brauchen wir sinnvolle Konzepte für den Einsatz Künstlicher Intelligenz, etwa bei diagnostischen Entscheidungshilfen, und Cloud-Computing im Gesundheitswesen.
Was möchten Sie vorantreiben?
Prof. Ullmann: Wichtig ist in meinen Augen, dass wir allen Akteuren die Mehrwerte eines digitalisierten Gesundheitswesens verständlich machen. Das schafft Akzeptanz und beschleunigt die Transformation selbst. Höhere Qualität mit geringerem Risiko – das ist doch etwas nach dem wir alle streben, oder? Außerdem setze ich mich als Wissenschaftler dafür ein, dass wir die Potenziale, die uns die Nutzung von Gesundheitsdaten bietet, auch realisieren und wahrnehmen. Sie sind der Schlüssel zu nachhaltigen Erfolgen, beispielsweise in der Krebsbekämpfung oder, wie in der Vergangenheit deutlich zu sehen war, der Bekämpfung von Pandemien.
Thematisch geht uns der Stoff aber auch darüber hinaus sicher nicht aus. Von den Reformen der Krankenhausstrukturen, Notfallversorgung und der Pflege über die Arzneimittelforschung und -versorgung bis zur Ausweitung der digitalen Transformation – die Liste ist lang. Eines haben Sie allerdings alle gemeinsam und das ist die Verbesserung der Versorgungsqualität unseres Gesundheitssystems. Das liegt mir als Arzt und als Gesundheitspolitiker besonders am Herzen.
Auf der Vorstandstagung des BVOU betonten Sie – wie der Verband auch – die Notwendigkeit der Überwindung der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung auch hinsichtlich der Notfallversorgung. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Prof. Ullmann: Wir müssen sinnvolle Konzepte erarbeiten, um die Versorgungssituation nachhaltig zu verbessern. Da führt in meinen Augen kein Weg an einer Lösung vorbei, die die Fehlanreize der Fallpauschalen überwindet und dafür Sorge trägt, dass verschiedene Behandlungen, die aktuell vollstationär durchgeführt werden, auch in ambulantem oder zumindest teilstationärem Umfeld erbracht werden können. Das ermöglicht uns zielgerichtete Behandlungssettings und den schonenden, versorgungsorientierten Einsatz der bestehenden stationären und ambulanten Ressourcen. Die Voraussetzung dafür ist die Abschaffung der überholten Sektorengrenzen – den ersten Schritt hierzu wollen wir mit der sektorengleichen Vergütung gehen.
Gibt es aus Ihrer Sicht derzeit eine Unter-, oder Überversorgung oder vielleicht ach sowohl als auch? Welche Beispiele möchten Sie hier anführen?
Prof. Ullmann: Wir alle kennen den unsäglichen Dreiklang aus Über- und Unterversorgung sowie den bekannten Fehlanreizen. Überversorgung haben wir ja oft im städtischen Bereich, wo zwei kleinere Krankenhäuser fast nebeneinanderstehen und die gleichen Leistungen anbieten. Ähnlich ist es übrigens auch bei den Fachärztinnen und Fachärzten, die oft in den Ballungszentren übermäßig vorhanden sind. Da kann dann auch die Tendenz bestehen, dass man aus wirtschaftlichem Interesse auch Leistungen anbietet, die gar nicht im Sinne des Patienten nötig sind. Im ländlichen Bereich hat man dann oft eine Brache, was die ärztliche Versorgung betrifft.
Der Plan „ambulant vor stationär“ erfordert gewisse Anreize. Wie können diese seitens der Politik aussehen? (Vergütung)
Prof. Ullmann: Mit der Anpassung von §115 f) SGB V haben wir einen ersten Schritt hin zur sektorengleichen Vergütung und damit der verstärkten Ambulantisierung geleistet – diesen Weg müssen wir weiter gehen, ausbauen und festigen. Hier sollten zuerst entsprechende DRGs identifiziert werden, die sich für eine Testphase anbieten. Nach und nach wollen wir den Katalog dann erweitern. Wichtig bleibt allerdings, dass sich ein repräsentatives Niveau bei den Hybrid-DRGs einstellt und nicht ausschließlich ohnehin ambulante Fälle „abholt“, sondern auch im klinischen Bereich echte Anreize für ambulante Behandlungen bietet.
Sie begrüßen insbesondere die geplante Nutzung der Digitalisierung in Form von durch Algorithmen gestützte Ersteinschätzungen in den Leitstellen. Beschreiben Sie einmal wie das konkret aussehen könnte.
Prof. Ullmann: Algorithmen sind ja erst einmal Handlungsvorgaben. Die kennen wir aus den Notaufnahmen gut, weil auch das geschulte Personal automatisch nach diesen Handlungsvorgaben agiert. Hier kann das Zusammenspiel aus Mensch und Technik sehr positiv sein. Dieses Zusammenspiel sollten wir uns zu Nutze machen, indem wir computerbasierte Algorithmen als Entscheidungshilfe für eine schnellere und bessere Ersteinschätzung einsetzen. Mit dieser Hilfe ist auch der Qualifikationsgrad der menschlichen Komponente nicht mehr so entscheidend. Konkret könnte dies beispielsweise bedeuten, dass der Experte in der Leitstelle die ihm beschriebenen Symptome und Leiden aufnimmt und in den Algorithmus einpflegt. Als Ausgabe erhält er schnell eine Einschätzung über die Schwere und Priorität des vorliegenden Falls, eine Empfehlung an welche Versorgungseinheit der Patient weitergeleitet werden soll und eventuell eine erste Auswahl möglicher Diagnosen. Basierend auf diesen Informationen kann die Leitstelle anschließend eine fundierte Entscheidung treffen, ohne Zeit zu verlieren. Grundlage dafür ist, dass der verwendete Algorithmus auf Evidenz-basierter Medizin beruht. Das steigert nicht nur die Qualität der Einschätzung, sondern auch die Validität der Indikation. Hier haben wir allerdings noch einigen Aufholbedarf.
Thema ambulante Versorgung: Wie geht es hier gemeinsam mit der Ampelkoalition weiter?
Prof. Ullmann: Hier kann ich natürlich nur für uns als FDP sprechen. Wir werden uns weiter für die zunehmende Ambulantisierung einsetzen und die Versorgung so weiter effizienter gestalten. Auch die Rahmenbedingungen der ambulanten Welt brauchen ein Update. Dazu werden wir unter anderem auch die Entbudgetierung der Hausärzte vorantreiben – einen ersten Schritt gehen wir hier zeitnah mit der Pädiatrie, bevor weitere Fachbereiche folgen.
Herr Prof. Ullmann, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Janosch Kuno.