Der Hüftgelenkersatz ist eine der am häufigsten durchgeführten Operationen in Deutschland. Allein im EPRD wurden im Jahr 2023 für Deutschland 177.826 Primäroperationen an der Hüfte gemeldet. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Hüft-TEP-Chirurgie enorm weiterentwickelt und verbessert.
Neue Implantatdesigns (Kurzschäfte), CAD-unterstützte präoperative Planungssoftware oder robotische Unterstützung sollten zu einer Verbesserung der Qualität und daraus resultierend auch zu einer kürzeren Verweildauer führen. Damit verbunden wurde auch die durchschnittliche Verweildauer (DVD) nach Hüftgelenkersatz verkürzt. Jedoch nur unwesentlich und viel zu wenig im Verhältnis zum betriebenen Aufwand. So war die DVD nach H-TEP in Deutschland im Jahr 2010 etwa 12 Tage, in 2017 10,2 Tage und in 2019 9,5 Tage und damit in Deutschland wesentlich höher als in vergleichbaren OECD-Ländern.
Seit dem Jahr 2010 haben wir das Rapid Recovery Programm® (ZimmerBiomet) in unserer Klinik GPR etabliert, ein firmenunterstütztes Fast-Track Programm*. Wir konnten dadurch die stationäre Verweildauer im Jahr 2020 auf durchschnittlich 3,8 Tage bei ca. 400 Patienten verkürzen. Im Jahr 2024 haben unsere H-TEP Patienten eine durchschnittliche post-OP Verweildauer von 2,8 Tagen. Strategisches Ziel war dabei eine Verbesserung der Patientenprozesse in der Klinik mit dem gleichzeitigen Wunsch, die Liegezeit zu verkürzen. Von relevanter Bedeutung ist dabei die Erreichung der Entlassungsziele für den Patienten in möglichst geringer Zeit. Siehe Entlassungsziele Tabelle 1.
Seit September 2015 bieten wir das sogenannte ‚Hip-in-a-Day‘ Programm. Dieses Fast-Track Programm beinhaltet eine tagesklinische Hüft-TEP Operation eines gut vorbereiteten und explizit ausgewählten Patienten mit interdisziplinärer Versorgung.
Ziel von Hip-in-a-Day ist es, den Patienten innerhalb von 24 Stunden nach Hause zu entlassen, um die Möglichkeit zu haben, sich im gewohnten Umfeld und nicht im Krankenhaus weiter zu erholen. Dadurch soll erreicht werden, dass der Patient nach der Operation möglichst schnell in seinen normalen Alltag zurückkehren kann und dass es dadurch zu Einsparungen im Gesundheitssystem und zu Entlastungen vor allem im Pflegebereich kommen kann.
Die Autoren möchten an dieser Stelle ihre Erfahrungen teilen, Vor-, Nachteile und Rückschläge des Implementierens sowie ‚lessons learned‘ des Hip-in-a-Day Fast-Track und der Ambulantisierung aufzeigen.
Von der Fast-Track Einführung zur tagesklinischen OP:
Grundvoraussetzung für die Durchführung einer tagesklinischen Hüft-TEP ist die vollständige Implementierung eines Fast-Track Programmes innerhalb der Klinik. Es gibt verschiedene Programmsysteme am Markt, die alle unter dem Oberbegriff ERAS (Enhanced Recovery after Surgery) subsummiert werden. In unserem Haus wurde mit Beginn im Jahre 2010 das Rapid-Recovery Programm implementiert und stringent weiterentwickelt. Neben einer Primärzertifizierung wurden regelmäßige interdisziplinäre Re-Audits durchgeführt.
Die wesentlichen Elemente eines Fast-Track Programmes:
- Regelmäßige interdisziplinäre Sitzungen, zu Beginn in vierwöchigem Abstand, später in jedem Quartal des Jahres (Steuerungsgruppe).
- Konsequente Kommunikation auf Augenhöhe aller Berufsgruppen unter besonderer Berücksichtigung des anästhesiologischen/chirurgischen Verhältnisses.
- Konsequente Durchführung einer Patientenschulung sowohl vor Ort als auch in digitalem Format (während Covid Pandemie).
- Anwendung einer muskelschonenden OP-Technik sowie einer schonenden Anästhesieform.
- Postoperative mulimodale Schmerztherapie (Tab. 2).
- Gabe von 20mg Dexamethason intraoperativ als Antiphlogistikum, Antiemetikum mit Co-analgetischer Wirkung und mit euphorisierender Co-Wirkung.
- Konsequenter Verzicht auf Redon-Drainagen, Blasenkatheter und sonstiges Schlauchwerk‘.
- Kalorien- und Wärmemanagement im Aufwachraum.
- Sofortige Mobilisierung des Patienten noch im Aufwachraum
- Gemeinsames Arbeiten des gesamten Teams an der Erfüllung der Entlassungs-Kriterien (Tab. 1).
Vor- und Nachteile:
Wenn man die durchschnittlichen Liegezeiten bundesrepublikanischer Kliniken betrachtet, muss man feststellen, dass die Anzahl der Kliniken mit bereits fest etablierten Fast-Track Programmen noch sehr gering ist. Erfreulicherweise haben in den letzten Jahren auch universitäre Einheiten damit begonnen sich diesem Thema zu stellen. Sehr viele Erkenntnisse wurden im Rahmen der PROMISE Studie erhoben und haben ausschließlich die Vorteile eines solchen Programmes zu Evidenz gebracht.
Natürlich kostet es anfangs enormen energetischen Aufwand die Geschäftsführung einer Klinik sowie die einzelnen Berufsgruppen innerhalb der Klinik für ein solches Programm zu begeistern. Nur mit dem Konsens aller Beteiligten kann eine erfolgreiche Implementierung stattfinden. Neben der primären Bestandsaufnahme der innerklinischen Prozesse bedarf es einer externen Betreuung durch eine coachingartige Führung der Gruppe sowie verschiedener aushäusiger Hospitationen in bereits etablierten Fast-Track Häusern.
Der inhaltliche Zugewinn eines solchen Aufwandes und die in der Regel erhebliche Straffung einzelner Prozesse überwiegt bei Weitem den initialen Aufwand. Grundsätzlich gilt: ein Fast-Track Programm ist ein dynamischer, selbstlernender Dauerprozess und kein statischer Akt.
Im Mittelpunkt des gesamten Prozesses steht jederzeit der betroffene Patient. Alle um ihn herumlaufenden Prozesse dienen seinem individuellen Wohlbefinden.
Ziel des Programmes ist die Wiedererlangung des Patientenautonomie in kürzest möglicher Zeit und die Nutzung stationärer Infrastruktur nur für absolut notwendige Maßnahmen (Multimorbidität, Überwachungspflicht).
Durch die Weiterentwicklung der Fast-Track Prozesse sind wir im Jahr 2015 in der Lage gewesen, bisher ausschließlich stationäre H-TEPs auch tagesklinisch durchzuführen, inspiriert im Besonderen von den Kollegen Stephan Vehmeijer aus Delft, NL sowie von Hendrik Kehlet aus Kopenhagen, DK.
Wichtig war hier eine besonders gute Vorbereitung der Patienten, eine gute Patientenauswahl (hohe Compliance) und ein gut vorbereitetes häusliches Umfeld. In der von uns zuvor publizierten Arbeit erkennt man eine hohe Patientenzufriedenheit und eine sehr niedrige Komplikations- und Risikenrate (Tab. 3).
Rückschläge und ‚lessons learned‘:
In den Jahren 2016 bis 2019 haben wir mit großer Euphorie Patienten für eine tagesklinische OP vorbereitet und diese durchgeführt. Die Ergebnisse waren durchweg positiv und konnten 2020 in „Die Orthopädie, Springer“ (ehemals „Der Orthopäde“) veröffentlicht werden. Wir hatten eine einzige Wiederaufnahme am 6. postoperativen Tag zu verzeichnen, bedingt durch eine Komplikation der Pfanne. Bis dato (Dez. 2024) hatte kein Patient eine nosokomiale Infektion erworben, wenn er mit Hip-in-a-Day versorgt worden ist. Die ausgewählten Patienten waren gut vorbereitet und mit dem nötigen „Mindset“ für eine solche Prozedur ausgestattet. Beispielhaft für einen solchen Patientenpfad haben wir 2017 ein Video erstellt, das den Weg des Patienten an einem solchen Tag nachzeichnet (YouTube: Hip-in-a-Day).
Bedauerlicherweise gibt das deutsche DRG-Abrechnungssystem eine kostenäquivalente Darstellung bis zum heutigen Tage nicht her. Der Nachteil hier ist, dass die „minimale Verweildauer“, die bei Hip-in-a-Day unterschritten ist, verursacht, dass eine Entlassung am gleichen Tag mit relevanten Abschlägen in Höhe von ca. 2.500 Euro pro Fall einhergeht.
Wir haben deshalb ausschließlich Patienten im Rahmen der integrierten Versorgung tagesklinisch operiert, da in diesem Abrechnungssystem keine Untergrenze der Verweildauer definiert ist und somit keine Abschläge stattgefunden haben.
Erfreulicherweise haben aber alle operierten Patienten von diesem System profitiert, da die Mobilisierungsgeschwindigkeit für alle erhöht wurde und eine Entlassung am ersten oder zweiten postoperativen Tag für die Mehrheit unserer Patienten möglich ist. Faktisch gibt es keinen Grund, irgendeinen Patienten nicht in den Fast-Track Pfad zu integrieren, alle profitieren von der deutlich geringeren Katabolie. Erste Applikationen in unserem Hause für Patienten mit proximalen Femurfrakturen zeigen ebenso vielversprechende Ergebnisse.
Insgesamt haben wir bis dato über 150 ausgewählte Patienten mit Hip-in-a-Day tagesklinisch versorgt.
Fast-Track und Ambulantisierung:
Neben unserer eigenen Begeisterung für Fast-Track Programme sind diese in vielfältiger Weise in der internationalen Literatur untersucht. Mittlerweile wird nicht mehr geprüft, ob der Patient am OP-Tag entlassungsfähig ist, sondern die Anzahl der Stunden bis zur Entlassung wird gemessen. Sehr interessant aus gesundheitsökonomischen Aspekten ist die Arbeit von Laura Skopec et al. (4/2024). Die Autoren haben in ihrer qualitativen Studie die Versorgungsprozesse bei Hüftgelenkersatz in den Vereinigten Staaten und sechs Ländern mit hohem Einkommen (u. a. Deutschland) untersucht. Im Vergleich zu den anderen Ländern mit hohem Einkommen haben sie herausgefunden, dass die Vereinigten Staaten effizientere Versorgungsprozesse entwickelten, die oft eine Entlassung am selben OP-Tag ermöglichen. Im Gegensatz dazu bleiben H-TEP Patienten in Deutschland 7 bis 9 Tage im Krankenhaus und rund 90 % aller Patienten erhalten eine 2- bis 3-wöchige stationäre Rehabilitation im Anschluss an die Entlassung. Die Kosten pro H-TEP in den USA liegen jedoch trotz der deutlich geringeren Anzahl an stationären Tagen weit über denen anderer Länder.
Neben unseren eigenen sehr guten klinischen Erfahrungen mit dem tagesklinischen Gelenkersatz möchten wir in besonderer Weise auf eine weitere Arbeit von Benedikt Simon et al. von 2023 hinweisen, die sich mit der Versorgungsrealität endoprothetischer Hüft-Versorgungen in den USA und in Deutschland beschäftigt haben und dabei die Behandlungsprozesse zweier großer Patientengruppen verglichen haben.
Es wurde die Versorgung von ca. 46.000 Hüftgelenksarthrose-Patienten in Deutschland (alle AOK-versichert) mit einer US-amerikanischen Kohorte von ca. 11.400 Kaiser-Permanente-versicherten Hüft-Arthrotikern retrospektiv verglichen und dabei erhebliche Unterschiede in der Dauer des Krankenhausaufenthalts bei den Patienten und in den Ansätzen zur postakuten Versorgung festgestellt. Diese Studie beschränkte sich spezifisch auf Kaiser-Permanente-Patienten mit insgesamt 12,2 Mio. Versicherten aus den USA und AOK-Patienten mit insgesamt 26,5 Mio. Versicherten aus Deutschland, und zwar von 2016 bis einschließlich 2020. Im Jahr 2020 hatten die 11.400 US-amerikanischen Hüft-Patienten eine durchschnittliche post-OP DVD von 0,6 Tagen, davon waren ca. 71 % Patienten, die noch am OP-Tag entlassen worden sind. In 2016 waren es nur 7,4 %, die noch am OP-Tag entlassen worden sind. In Deutschland hingegen war die durchschnittliche DVD der 46.000 H-TEP-operierten AOK-Patienten 10 Tage.
Simon et al. berichten über eine niedrigere Komplikationsrate, wobei der Elixhauser Comorbidity Index Score der amerikanischen Kohorte 6,9 betrug, gegenüber der deutschen Kohorte, die einen EC-Index von 5,0 aufwies.
Wie bei der Betrachtung von Kohorten in zwei Gesundheitssystemen zu erwarten, zeigten die beiden Hüft-TEP-Populationen in diesem Beitrag signifikante Unterschiede, sollten nach Meinung der Autoren aber dennoch grundsätzlich im Hinblick auf die vergleichsweise lange Klinikaufenthaltsdauer der AOK-Patienten zu denken geben.
Aufgrund der guten Erfahrung der Autorengruppe mit dem dargelegten Vorgehen erscheint es uns nicht plausibel, internistisch unauffällige Patienten nach einer Endoprothese über eine Woche in stationärer Behandlung zu behalten.
Nach unseren Erfahrungen der letzten 10 Jahre als zertifiziertes Endoprothetik-Zentrum im GPR Rüsselsheim mit über 4.000 Hüft-TEP-OPs sehen wir für eine ausgewählte Patientengruppe durchaus die Möglichkeit einer stationären Verweildauer von 3–5 Tagen, in besonderen Fällen auch mit der Option, Patienten tagesklinisch zu versorgen. Die Autorengruppe um Simon et al. schätzt dabei das Einsparpotenzial in Deutschland auf 1,5 Millionen Primärklinik-Liegetage und 3,5 Millionen Rehaklinik-Tage.
Zusammenfassung:
Wir konnten in den letzten Jahren zeigen, dass „Hip-in-a-Day“ auch in Deutschland gut und zufriedenstellend durchführbar ist. Voraussetzung dafür ist ein gut etabliertes Fast-Track-Programm nach dem Motto: „First better, then faster“!
Eine gute Vorbereitung des Patienten und neue Konzepte der Ambulantisierung sind auch in der Endoprothetik erforderlich. Es bestehen dabei, nach unserer Erfahrung mit dem dargelegten Vorgehen, keine höheren Risiken für die Patienten.
Nach Meinung der Autoren könnte eine Reduzierung der Liegezeit auch in Deutschland in spezialisierten Zentren flächendeckend angestrebt werden. Dies würde bedeuten, dass sich Wartezeiten schnell reduzieren ließen und potenziell mehr H-TEP-Patienten pro Jahr operativ versorgt werden könnten. Es gibt keinen medizinischen Grund, den Patienten länger in der Klinik zu behalten, und zwar nachdem er die Entlassungskriterien erfüllen konnte. Nach unseren Erfahrungen erreichen unsere tagesklinischen H-TEP-Patienten in der Regel die Entlassungskriterien entweder noch am selben Tag der OP (nach ca. 8–10 Stunden) oder aber nach 1 bis 3 Tagen. Dies sollte dann der Tag der Entlassung sein.