Karlsruhe – Als Ersatz für den coronabedingt entfallenen BVOU-Landeskongress Baden-Württemberg hatte der badische Landesvorsitzende Dr. Johannes Flechtenmacher am 8.12.2021 zu einem berufspolitischen Online-Frühschoppen eingeladen. Anstelle einer Ganztageskongressveranstaltung mit bewährtem Mix aus fachlichem und berufspolitischem Teil gab es so „nur“ ein Zoom-Meeting mit aktuellen Informationen zur Berufspolitik. Doch auch dieses stark reduzierte Programm motivierte immerhin 70 Kolleginnen und Kollegen zur Teilnahme am zweistündigen Zoom-Meeting am frühen Samstagmorgen.
Dank an Hans-Peter Frenzel
Flechtenmacher dankte zunächst dem Organisationsteam des entfallenen Landeskongresses um Dr. Hans-Peter Frenzel für die Vorbereitungen. Der Kongress soll nun voraussichtlich am 2.4.22 nachgeholt werden. Der neu zum BVOU-Präsidenten gewählte baden-württembergische Landesvorsitzende Dr. Burkhard Lembeck sah in seiner Begrüßung das Ländle gut im neuen BVOU-Vorstand vertreten und wertete dies als Ausdruck jahrelanger Arbeit mit viel Engagement des Landesteams. Den an der Corona-Impfkampagne teilnehmenden Kollegen dankte Lembeck ausdrücklich. Engagement von Kolleginnen und Kollegen der Fachgruppe sei wichtig, auch bei den im nächsten Jahr anstehenden KV- und Kammerwahlen in Baden-Württemberg.
Orthopäde im Rennen als Nachfolger für Norbert Metke als KV-Vorstand ab 2023
Mit dem von MEDI zum Spitzenkandidaten für die KV-Wahl nominierten Dr. Karsten Braun hoffe man als Nachfolger für Dr. Norbert Metke erneut einen Orthopäden und Unfallchirurgen als KV-Vorstand zu positionieren. Orthopäde und Unfallchirurg Dr. Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, sah gute Synergien zwischen KV- und Kammerwahlen und wünschte sich ebenfalls eine gute Vertretung des Fachgebietes wie bisher.
KV-Chef Dr. Norbert Metke zur aktuellen Gesundheitspolitik
Den Hauptteil des Frühschoppens gestaltete der amtierende baden-württembergische KV-Vorstandsvorsitzende Dr. Norbert Metke, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Rehabilitationswesen mit einem Vortrag zu den aktuellen Entwicklungen in der Gesundheitspolitik und im Bereich der von ihm vertretenen KVBW.
Auch Metke würdigte das Engagement impfender Kolleginnen und Kollegen, allein in der Woche vor dem Landeskongress seien in den Praxen in Baden-Württemberg 620.000 Patienten geimpft worden. Das Problem bei der Coronaimpfkampagne sei nicht eine fehlende Zahl impfwilliger Ärzte, sondern das Impfstoffchaos mit intransparenter Verteilung der zur Verfügung stehenden Impfstoffmengen. Insofern sei die vom neuen Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach in Aussicht gestellte Impfstoffinventur gut. In verschiedenen europäischen Ländern habe sich die Impfstoffverteilung unter Leitung des Militärs bewährt, so Metke mit Blick auf Generalmajor Carsten Breuer als neu benannten Leiter des Corona-Krisenstabs.
Kommentar zum Koalitionsvertrag: Gerechtigkeit fraglich
Anschließend erläuterte und kommentierte der KV-Chef den gesundheitspolitischen Teil des Koalitionsvertrags 2021-2025 „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. An der Ausarbeitung des Koalitionsvertrags sei der neue Gesundheitsminister selbst nicht beteiligt gewesen, so dass nicht von einer Umsetzung der Inhalte 1 zu 1 ausgehen sei, jedoch eine grundsätzliche Perspektive für die Ärzteschaft aufgezeigt werde. Ungeschickt seien die derzeit von Ärztevertretern oft zu hörenden Äußerungen zu einer Überlastung im Rahmen der Coronapandemie, da sie dem ohnehin erkennbaren Trend zur Substitution ärztlicher Leistungen weiteren Vorschub leisteten. Von Gerechtigkeit sei im Koalitionsvertrag zumindest dort nichts zusehen, wenn bei vorgesehenen Bonuszahlungen in Höhe von 1 Mrd € an das Pflegepersonal in Krh. und Heimen die MFA in den Praxen wieder einmal leer ausgingen, obwohl dort 90% der Covid-19-Fälle versorgt worden seien. Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz sei eine Impfpflicht u. a. auch für Ärzte und Praxisteams ab 15.3.22 beschlossen worden, auch Geimpfte müssten sich zweimal wöchentlich mit Schnelltests wohl selbst abstreichen, er verwies auf eine kurzfristig durch die KVBW erfolgende Information.
Entbudgetierung nur für Hausärzte als Mogelpackung
Die im Koalitionsvertrag für den hausärztlichen Bereich vorgesehene Aufhebung der Budgetierung bringe den Hausärzten wenig, da einerseits in der KVBW alle hausärztlichen Leistungen schon zu 100% vergütet würden und andererseits das Problem schlicht die fehlenden EBM-Ziffern für durchgeführte Leistungen seien. Für den fachärztlichen Bereich sei eine Ausbudgetierung zwar nicht vorgesehen und im Bereich technischer Leistungen aus seiner Sicht auch nicht sinnvoll. Damit könnten Fachärzte aber leben, solange das TSVG erhalten bleibe. Im Fachgebiet 0&U seien derzeit insgesamt rund 48% aller Leistungen extrabudgetär vergütet , insbesondere durch die Entbudgetierung der Neupatienten. Auch die in Aussicht gestellte Angleichung der Vergütung über die Sektorengrenzen hinweg werde sich nach seiner Einschätzung positiv für die Niedergelassenen auswirken, da die höheren Kostenstrukturen der Krankenhäuser eingepreist würden. Der Innovationsfonds sei ebenfalls positiv zu sehen, man müsse aber darauf hinarbeiten, dass bewährte Leistungen dann in die Regelversorgung überführt werden müssten; bei der derzeitigen Kann-Regelung sei zu befürchten, dass die Krankenkassen von der Übernahme dieser Leistungen angesichts ihrer Finanzlage wenig begeistert seien.. Die nun zur „digitalen Gesundheitsagentur“ umbenannte „gematik“ habe Strukturen entwickelt, die im Alltag der Praxen nicht umsetzbar seien; erfreulich sei daher der Aufschub von eAU und eRezept bis 30.06.22.
Dauerbrenner Notfallversorgung
Hinsichtlich der Notfallversorgung sei in Zukunft festzulegen, ob das KV-System oder das Krankenhaus den „gemeinsamen Tresen“ bestücke. In Baden-Württemberg würden jährlich 1,3 Mio Notfälle durch Krankenhäuser ambulant behandelt, davon bis zu 700.000 während der Regelöffnungszeiten der Praxen. Hier bestehe Handlungsbedarf, z. B. in Form von Präsenz niedergelassener Fachärzte in den INZ größerer Städte oder engerer Vernetzung kooperierender Praxen zur Notfallversorgung im ländlichen Raum. Bei der vorgesehenen Reform der Bedarfsplanung hin zu einer gemeinsamen sektorenübergreifenden Planung sei völlig unklar, welche Stellen aus dem Klinikbereich einzubeziehen seien und welche Pflichten sich hieraus für die Klinik ergäben. Zwar sei der parteiunabhängig bestehende Trend zu einer Öffnung der Krankenhäuser feststellbar, für die Praxen gelte aber ein vorweihnachtliches „Fürchtet Euch nicht!“. Den Patienten wollten im Prinzip für ambulante Behandlungen die Struktur eines Krankenhauses nicht, sondern bevorzugten die persönlich erbrachte Behandlungsqualität der Ärzte in den Praxen. Einziger Vorteil des Krankenhauses sei die bessere Erreichbarkeit des Krankenhauses nachts und an Wochenenden; als Zukunftsvision sah Metke die Öffnung von Arztpraxen samstags, was nur mit größeren Einheiten gelingen könne, die man in Zukunft mehr fördern müsse.
Kommunale MVZ keine ernste Konkurrenz
Keine ernste Konkurrenz sei durch die Erleichterung der kommunalen MVZ-Gründungen zu fürchten, denn diese seien auch jetzt schon möglich. Ärzte dafür hätten auch die Kommunen nicht und könnten diese im Übrigen auch nicht bezahlen, ohne mit dem MVZ-Betrieb Verluste zu erleiden. Problematisch sei hingegen der Aufkauf von Arztsitzen durch Investoren in bestimmten lukrativen Fachgebieten zur Bedienung systemfremder Gewinnschöpfung. Dem müsse rasch ein Ende gesetzt werden. Für die Arzneimittelversorgung im Notfalldienst sei ein Dispensierrecht für Ärzte besser als der im Koalitionsvertrag vorgesehene Notfallfonds für einen Transportdienst.
Metke: „Ohne uns geht’s nicht, ohne uns geht das ganze System pleite.“
Zum Start seines letzten Jahres als KV Chef zeigte Metke nochmals die erfolgreiche Bilanz der Honorarentwicklung unter seiner Verantwortung von 2010 bis 2020 auf. Sein Fazit lautete: „Ohne uns geht’s nicht, ohne uns geht das ganze System pleite.“
Den letzten Teil seines Vortrags widmete Metke dem unter Beteiligung des BVOU entwickelten Programm Ortho Kids, welches 2022 starte. Man brauche eine orthopädische Präventionsziffer, das Projekt sei gut gemacht und müsse unter reger Beteiligung der Fachkollegen ein Erfolg werden.
Noch Perspektiven für die neue GOÄ?
In der nachfolgenden Diskussion wurden ergänzend noch von Flechtenmacher Aspekte des Physiotherapeutengesetzes und der GOÄ-Novellierung angesprochen. Obwohl die neue GOÄ komplett fertig gestellt sei und es bisher keinen Inflationsausgleich gegeben habe, äußerte Metke die persönliche Einschätzung, dass die neue GOÄ unter dem neuen Gesundheitsminister voraussichtlich nicht kommen werde. Dr. Flechtenmacher betonte nochmals, das Fach in 18 Sitzungen zur GOÄ gut dargestellt zu haben und erwarte ggf. eine Honorarsteigerung von 6-8%. Dr. Lembeck sah in der sehr fachkundigen Person des neuen Gesundheitsministers durchaus auch Perspektiven, die orthopädischen DMPs nun schneller durchzubringen und auch im fachärztlichen Bereich eine Entbudgetierung für grundversorgende Leistungen und sprechende Medizin erzielen zu können.
Neuer Honorarbaustein: OrthoHeroBKK – Selektivvertrag
Im zweiten Teil des Frühschoppens stellte Dr. Karsten Braun den neuen Selektivvertrag OrthoHeroBKK als weiteren Baustein fachärztlichen Honorars vor und ermunterte die Kolleginnen und Kollegen zur Einschreibung. Einzelheiten zum medizinisch sinnvollen und attraktiven Vertrag sind nachzulesen unter https://www.bvou.net/orthohero/ bzw. https://www.kvbawue.de/praxis/vertraege-recht/vertraege-von-a-z/orthohero/
Dr. Karsten Braun, LL. M.
BVOU-Referat Presse-Medien