Berlin – Rückenschmerzen sind in Deutschland der Grund für jeden fünften Fehltag am Arbeitsplatz. Bei 60 bis 80 Prozent der Patienten haben die Schmerzen keine organische Ursache. Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz empfiehlt deshalb, erst dann eine bildgebende Untersuchung anzuordnen, wenn der Schmerz auch nach vier bis sechs Wochen nicht abklingt, die körperliche Aktivität einschränkt oder zunimmt. An erster Stelle stehe bei der Diagnostik die Kommunikation mit dem Patienten, betonten Experten auf der heutigen DKOU-Pressekonferenz, die unter Motto „Gemeinsam klug entscheiden“ stand.
„Im Vordergrund einer guten Diagnostik bei Rückenbeschwerden steht die fachkundige Befragung des Patienten und eine sachgerechte körperliche Untersuchung“, betonte Prof. Dr. med. Bernd Kladny, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). Bei der Erstuntersuchung gehe es hauptsächlich darum, Warnzeichen zu erkennen, die auf gefährliche Erkrankungen wie zum Beispiel einen Wirbelbruch, einen Bandscheibenvorfall mit Nervenschaden oder eine Entzündung hindeuteten. Dann kann der Arzt – je nach Verdachtsdiagnose und Dringlichkeit – weitere Untersuchungen oder eine Überweisung in fachärztliche Behandlung anordnen.
„Lassen sich keine entsprechenden Hinweise feststellen, kann man bei erstmaligen akuten Schmerzen in den ersten vier Wochen zunächst nur das Symptom Schmerz behandeln und den Patienten ausführlich aufklären“, sagte Kladny. In diesen Fällen helfen akut Schmerzmittel sowie Bewegung im Alltag und gezielte Übungen. Bei 80 Prozent aller Rückenpatienten klingen die Schmerzen innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen wieder ab. „Tritt nach vier bis sechs Wochen bei anhaltenden aktivitätseinschränkenden oder zunehmenden Kreuzschmerzen keine Besserung ein, ist es angeraten, den Einsatz von bildgebenden Verfahren zu überprüfen“, betonte Kladny.
Bildgebung bei Rückenschmerzen oft ohne Nutzen
In über 90 Prozent der Fälle wird – den Vorgaben der Leitlinie entsprechend – auf eine nicht indizierte oder zu frühe radiologische Bildgebungsdiagnostik verzichtet. Das ergab eine Analyse von Versichertendaten gesetzlicher Krankenversicherungen. „Bei einem ansonsten gesunden Patienten sind Röntgen oder teure bildgebende Verfahren wie die Kernspintomografie innerhalb der ersten vier Wochen bei fehlenden Warnhinweisen nicht zielführend“, betonte Prof. Dr. med. Heiko Reichel, einer der Kongress-Präsidenten des DKOU und Präsident der DGOOC.
Darüber hinaus könne eine zu frühe Bildgebung dem Patienten sogar schaden, fügte Kladny hinzu. Denn teils würden dadurch krankhafte Veränderungen der Wirbelsäule sichtbar, die in den meisten Fällen allerdings gar nicht für die Schmerzen verantwortlich sind. Dennoch verunsichere eine solche Information den Patienten und könne zu einer ärztlich vorangetriebenen Chronifizierung des Rückenschmerzes führen, so Kladny.
Patientengespräch nicht ausreichend vergütet
„Bilder allein liefern oft auch keinen konkreten Hinweis auf die Ursache der Schmerzen, sondern diese müssen immer in Zusammenhang mit der Patientengeschichte und der Untersuchung beurteilt werden“, so Reichel. Psychosoziale Faktoren wie Stress oder Bewegungsmangel ließen sich nämlich auf keinem Röntgenbild erkennen, betonte Dr. med. Manfred Neubert, der als Kongresspräsident den Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) auf dem DKOU 2016 vertritt: „Hier sind wir auf die Selbstauskunft des Patienten angewiesen. Dafür ist das Gespräch mit dem Patienten unverzichtbar.“ Das Arzt-Patientengespräch werde jedoch nicht ausreichend vergütet – im Gegensatz zu den teuren Bildgebungsverfahren. Das müsste sich den Experten aus Orthopädie und Unfallchirurgie zufolge dringend ändern.
DKOU-Pressestelle/Anne Faulmann