Ulm – Extreme Laufbelastungen führen bei durchtrainierten Sportlern zu keinen dauerhaften Schädigungen an Hirn und Gelenken. Vielmehr zeigt der Knorpel der Fuß- und Sprunggelenke auch während des Laufens ein erstaunliches Regenerationspotential. So lauten die jetzt publizierten Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung zum zweiten Transeuropalauf von 2009, der von einem Mediziner- und Forscherteam vom Universitätsklinikum Ulm mit einem mobilen MRT-Gerät begleitet wurde.
Die Forscher um Dr. Uwe Schütz aus der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Ulm konnten im Rahmen ihres von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 200.000 Euro geförderten Projekts einmalige Daten von den teilnehmenden Extremsportlern gewinnen. Diese geben erstmals Einblick in die Auswirkungen eines Ultramarathons auf den menschlichen Körper.
Ein Ultramarathon ist eine Laufveranstaltung, die die Marathon-Distanz von 42,195 km überschreitet. Der Transeuropalauf, der erstmals im Jahr 2003 stattfand, ist ein mehrere Wochen dauernder Etappen-Ultramarathon. Der zweite Transeuropalauf fand im Jahr 2009 statt. Hierbei legten die Teilnehmer vom 19. April bis 21. Juni eine Strecke von 4.487,7 Kilometern zurück – von der süditalienischen Hafenstadt Bari bis zum Nordkap. Die täglich zurückgelegte Distanz betrug zwischen 44 und 95 Kilometer.
Die Ulmer Forscher begleiteten den gesamten Lauf. Das mobile MRT-Gerät inklusive eines separaten Stromaggregats wurde auf einem Sattelzug mit einem Gesamtgewicht von 37 Tonnen durch ganz Europa transportiert. Die Forscher fertigten dabei nicht nur MRT-Aufnahmen an, sondern nahmen täglich Messungen der Temperatur und Hautfaltendicke vor. Hinzu kam die Entnahme von Urin- und Blutproben.
Lückenlose Dokumentation
Das Hauptaugenmerk der Forschung lag auf den Auswirkungen auf die Gelenke der 67 Sportler, von denen 45 die gesamte Strecke schafften. Aus wissenschaftlicher Sicht wertvoll war die besondere Möglichkeit, die gesamten Veränderungsprozesse in den Körpern lückenlos feststellen zu können. In der Regel können sportmedizinische Studien lediglich einen Vorher-Nachher-Befund liefern.
Störungen im Knorpel
Alle drei bis vier Tage untersuchten die Ulmer Wissenschaftler die Teilnehmer aus zwölf Nationen. „Die MRT-Aufnahmen, die wir in unserem eigens mitgeführten Lkw anfertigten, zeigten schnell, dass die Gelenke auf die Strapazen signifikant reagierten“, erläutert Schütz. „Es kam auf den ersten 1.500 Kilometern in allen Gelenken zu einer Zunahme der sogenannten T2-gewichteten Signale, darunter ist ein Marker zu verstehen, der eine Störung im Knorpel anzeigt“, so Schütz weiter. Von dieser Beobachtung nimmt er lediglich die Kniescheibe aus, da dieses Teilgelenk des Kniegelenks beim Laufen auf der Ebene keine relevante Belastung erfährt.
Die Forscher gehen davon aus, dass aufgrund der Extrembelastung der Verlauf der oberflächlichen Kollagenfasern gestört wurde und durch teilweise Zerstörung von Knorpelmatrixproteinen der Wassergehalt des Knorpels zugenommen hatte. „Im Bereich des Sprunggelenks konnten wir einen T2-Anstieg um 20,9 Prozent, im Knöchel um 25,6 Prozent und im Bereich des Mittelfußes um 26,3 Prozent feststellen“, sagt Schütz. Spitzenreiter sei das Femorotibialgelenk mit Werten bis zu 44 Prozent gewesen.
Gelenke erholten sich noch während des Extremlaufs
Je mehr Kilometer jedoch im Verlauf des Transeuropalaufs zurückgelegt wurden, umso mehr erholte sich der Gelenkknorpel, was eine neue und erstaunliche Beobachtung ist. Lediglich im Kniegelenk blieben die Werte erhöht. „Wir hatten eigentlich erwartet, dass die Fußgelenke auf Dauer anfälliger sind, denn ihre Gelenkfläche ist kleiner, damit ist auch die Belastung pro Flächeneinheit größer“, führt Schütz aus. Darüber hinaus sei interessant, dass sich der Durchmesser der Achillessehne vergrößert habe. Knöcherne Strukturen insgesamt seien durch die enormen Belastungen tendenziell nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, auch wenn es bei zwei Läufern zu Ermüdungsbrüchen im späteren Rennverlauf kam.
Vorübergehender Rückgang der Hirnsubstanz
Darüber hinaus konnten die Forscher auch im Gehirn signifikante Veränderungen aufgrund der Laufbelastung feststellen. „Die Auswertung der MRT-Aufnahmen zeigte, dass das Volumen der grauen Hirnsubstanz am Ende der gut zwei Monate dauernden Extrembelastung im Durchschnitt um 6,1 Prozent zurückgegangen war. Dabei waren einige Hirnbereiche mehr und andere weniger betroffen“, erläutert Schütz. Doch der Wissenschaftler kann beruhigen: „Nach acht Monaten zeigten erneute MRT-Aufnahmen, dass sich die Hirnsignale der Ultraathleten wieder vollkommen erholt hatten.“
Im Verlauf natürlicher Alterungsprozesse kommt es durchschnittlich zu einem Rückgang der grauen Hirnsubstanz um 0,2 Prozent pro Jahr. Mediziner sprechen in diesem Fall von einer Atrophie des Gehirns, die unumkehrbar ist. „Und das ist der große Unterschied zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Transeuropalaufs“, bilanziert Schütz. Es konnten bei den Extremsportlern keine dauerhaften Hirnschädigungen festgestellt werden. Das beobachtete Phänomen der vorübergehenden Hirnvolumenreduktion kann nach Meinung von Hirnforschern vor allem dadurch erklärt werden, dass durch das laufbedingte überdurchschnittlich hohe Energiedefizit, mit weitgehendem Aufbrauch relevanter Fettreserven des Körpers, auch das Gehirn versucht Energie einzusparen, und daher die während eines solchen wochenlangen Transkontinentallaufs weniger benötigten Hirnareale vorübergehend „abschaltet“.