Bielefeld – Forscher der Universität Bielefeld haben ein neues System im virtuellen Raum entwickelt, das dabei hilft, Sportbewegungen und andere motorische Handlungen einzuüben und gezielt zu verbessern. Der von den Wissenschaftlern konzipierte virtuelle Trainingsraum ICSPACE (Intelligent Coaching Space) nutzt neueste Technologien, um Menschen beim Erlernen und Trainieren von Bewegungsabläufen intuitiv zu unterstützen und soll künftig sowohl im Hochleistungssport als auch in der Rehabilitation zum Einsatz kommen.
Entwickelt wurde das System von sechs Forschungsgruppen des Exzellenzclusters Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld, welches das Großprojekt ICSPACE zudem bis 2017 mit 1,6 Millionen Euro fördert. Die beteiligten Forschungsgruppen stammen aus den Bereichen Biologie, Psychologie, Sportwissenschaften, Linguistik und Informatik.
Zur Simulation der computergenerierten, virtuellen Umgebung nutzen die Forscher einen Aufbau mit zwei Projektionswänden (Front und Boden). Testpersonen tragen ähnlich zum 3D-Kino eine Stereo-Brille. Die Besonderheit: Das Bild wird exakt an die Position und Blickrichtung des Nutzers angepasst. So entsteht der Eindruck, sich in einem virtuellen Fitnessraum zu befinden, dessen Trainer direkt vor einem steht. Jede Testperson wird mit reflektierenden Markern ausgestattet, die von Infrarotkameras verfolgt werden. So kann das System die Bewegungen der Person erfassen.
Betritt eine Person das System, sieht sie zunächst eine virtuelle Kopie von sich selbst im Spiegel des virtuellen Trainingsraums. „Mit dem virtuellen Spiegelbild können die Benutzerinnen und Benutzer visuell überprüfen, wie sie ihre Bewegungen ausführen“, erklärt Prof. Dr. Mario Botsch. Der Informatiker leitet das Projekt zusammen mit dem Informatiker Prof. Dr. Stefan Kopp sowie dem Sportwissenschaftler und Kognitionspsychologen Prof. Dr. Thomas Schack.
Um das virtuelle Spiegelbild zu erzeugen, wird vorab das Äußere des Nutzers eingescannt und auf eine künstliche Figur, den Avatar, übertragen. Diesen Avatar sieht der Nutzer dann sowohl von vorn als auch von der Seite, um besser erkennen zu können, ob eine Übung richtig ausgeführt wurde. Zudem können mittels des Avatars optische Trainingshinweise gegeben werden, indem einzelne Körperteile farblich hervorgehoben werden. Wenn ein Benutzer zum Beispiel während der Kniebeuge seine Oberschenkel absenkt, erscheinen die Oberschenkel des Avatars so lange in einer roten Färbung, bis sie sich in der korrekten Endposition befinden. Auch Fehler zeigt das System an: „Gewisse Fehler in der Bewegung, etwa wenn der Benutzer seinen Kopf bei der Kniebeuge zu weit in den Nacken beugt, stellt das System im Spiegel übertrieben dar, um so deutlich auf den Fehler aufmerksam zu machen“, erklärt der Kognitionswissenschaftler Kopp.
Zusätzlich verfügt der Nutzer über einen virtuellen Trainer. „Er verkörpert die Trainingskompetenz des Systems und ist mit dem aktuellen Wissen der Trainingswissenschaft ausgestattet“, sagt Kopp. Der Trainer wendet sich dem jeweiligen Benutzer zu und spricht ihn direkt an. „Er ist in der Lage, Bewegung zu beobachten und kann darauf aufbauend persönliches Feedback geben.“ Der Trainer lässt sich die Übung durch den Nutzer vormachen und erklärt dann, welche Bewegungen er noch ändern muss, um die Übung korrekt auszuführen. Außerdem kann er im virtuellen Spiegel eine Zeitlupen-Wiederholung der Bewegung des Nutzers abspielen, um auf Fehler hinzuweisen und dann die Bewegung selbst korrekt vorzumachen.
Die Trainingsumgebung sei weltweit einmalig, sagt der Sportwissenschaftler Schack. „Es ist das einzige mir bekannte System, das im Vergleich zu anderen virtuellen Systemen den kompletten Trainingsprozess simuliert und technisch umsetzt und sich dabei flexibel an das Verhalten des Nutzers anpasst“, sagt Schack. Momentan steht ein erster Prototyp des Systems, mit dem die Forscher computer-unterstütztes Bewegungslernen am Beispiel von Kniebeugen untersuchen. In der finalen Ausbaustufe, welche Schack und seine Kollegen bis Ende 2017 erreichen wollen, sollen komplexere Übungen möglich sein. „Zum geplanten Repertoire gehören auch Gymnastikübungen, Thai-Chi, Yoga oder zum Beispiel der Golfschwung“, sagt Schack.
Laut den Forschern eigne sich das System außer für Sportler auch für Patienten in der Rehabilitation. „Das System kommt sowohl für Trainings im Hochleistungssport in Frage als auch für therapeutische Ansätze – zum Beispiel bei Bewegungsproblemen aufgrund von Erkrankungen“, sagt Botsch, der sich den Einsatz von ICSPACE künftig zum Beispiel für Patienten mit Rückenschmerzen oder für die Reha nach einem Schlaganfall vorstellen kann.
ICSPACE stellt aus Sicht der Wissenschaftler eine Ergänzung zu heutigen Sportangeboten dar. „Wir wollen keinen Sporttrainer arbeitslos machen“, sagt Botsch. „Aber es gibt deutlich mehr Bedarf für Bewegungslernen als viele annehmen. So eignen sich unsere Entwicklungen auch, um ältere Menschen zu motivieren, sich zu bewegen. Das System ließe sich dafür so anpassen, dass es auch zu Hause auf dem Smart-TV laufen kann.“