Heidelberg – Etwa ein bis zwei Prozent der Gelenkprothesen lockern sich frühzeitig nach der Implantation, häufig hervorgerufen durch eine hartnäckige bakterielle Infektion. Aber nicht die Bakterien selbst verursachen eine Schädigung des Knochens. Vielmehr fördern körpereigene Immunzellen im Laufe der chronischen Entzündung dessen Abbau, wie die Heidelberger Orthopädin Dr. Ulrike Dapunt entdecken konnte. Für ihre wegweisenden Arbeiten zu Entzündungsprozessen an Gelenkprothesen wurde sie nun mit dem Anita- und Friedrich-Reutner-Preis der Medizinischen Fakultät Heidelberg ausgezeichnet.
In Deutschland erhalten etwa 330.000 Patienten jährlich ein künstliches Gelenk. In der Regel muss die Prothese nach etwa 15 bis 20 Jahren wegen Lockerung und Verschleiß ausgetauscht werden. Lockert sich die Endoprothese bereits deutlich früher, liegt das meist daran, dass sich das Gelenk entzündet hat. Bakterien, die bei der Implantation in die Operationswunde gelangen, aber auch Abriebpartikel des Kunstgelenks stehen im Verdacht, eine Entzündung des umliegenden Gewebes hervorzurufen. Beides lässt sich derzeit nur schwer in den Griff bekommen, neben einer Behandlung mit Antibiotika bleibt in der Regel nur der Austausch der Prothese.
Botenstoffe des Immunsystems aktivieren Knochen abbauende Zellen
Infektionen an Kunstgelenken sind deshalb so schwierig zu bekämpfen, weil die Bakterien Biofilme auf der Implantatoberfläche bilden. „Weder Immunsystem noch Antibiotika kommen gut an sie heran“, erklärt Dapunt, Assistenzärztin an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg. Ist das Implantat erst von Biofilmen überzogen, bildet sich die Knochensubstanz zurück und die Prothese verliert den Halt. „Diese Problematik ist bekannt. Ausgedehnte Biofilme finden sich bei entzündeten und gelockerten Gelenkprothesen, die entfernt werden mussten. Wie es zum Knochenabbau kommt, konnte man bisher nicht erklären“, so die 33-jährige Österreicherin.
Mit Hilfe von Zellkulturen und durch eine Untersuchung von Gewebeproben nahm sie die Immunreaktionen zwischen Knochen und Biofilm genauer unter die Lupe. Sie entdeckte, dass während der anhaltenden Abwehrreaktion Botenstoffe ausgeschüttet werden, die bestimmte Zellen, die Osteoklasten aktivieren. Diese bauen Knochensubstanz ab und spielen sonst bei normalen Umbauprozessen des Knochens eine wichtige Rolle. Das Signal zum Knochenabbau kommt im Laufe der Entzündung sowohl von Immunzellen als auch von Zellen des Knochengewebes selbst.
Neuer Therapieansatz könnte Lockerung von Gelenkprothesen verhindern
Neu ist auch die Erkenntnis, wie die Immunzellen die im Biofilm verborgenen Bakterien überhaupt erkennen. „Man ging bisher davon aus, dass das Immunsystem die Bakterien im Biofilm gar nicht wahrnimmt. Aber das stimmt nicht. Wir fanden in der Bakterienmatrix ein Protein namens GroEL, das Immunzellen aktiviert. Sie attackieren dann den Biofilm – offensichtlich bei den Patienten, die eine chronische Infektion entwickeln, weniger erfolgreich als bei denen ohne diese Problematik“, so Dapunt.
Vor Kurzem konnte sie mit Kollegen des Instituts für Immunologie und des Pathologischen Instituts einen Rezeptor der Immunzellen für dieses Protein identifizieren. Auf Basis dessen versuchen die Forscher nun Eiweiße zu entwickeln, die den Erkennungsmechanismus der Immunzellen blockieren. Ziel ist es, ein ergänzendes therapeutisches Konzept zu entwickeln, das, zusätzlich zur Bekämpfung der Bakterieninfektion, die überschießende Immunreaktion gezielt eindämmt, bevor der Knochen Schaden nimmt.
Mit dem seit 2011 jährlich vergebenen und mit 7.000 Euro dotierten Anita- und Friedrich-Reutner-Preis unterstützt Stifter Prof. Dr. Friedrich Reutner, Ehrensenator der Universität Heidelberg, Nachwuchswissenschaftler der Medizinischen Fakultät, die noch keine etablierte Position innehaben.
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Bei der Preisverleihung (v.l.): Stifterin Anita Reutner, Preisträgerin Dr. Ulrike Dapunt, Stifter Prof. Dr. Friedrich Reutner, Prof. Dr. Stefan Meuer, Geschäftsführender Direktor sowie Prof. Dr. Gertrud Hänsch, Leiterin der Arbeitsgruppe Immunbiologie des Instituts für Immunologie Heidelberg. (Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg)