Im Jahre 1901 wurde die „Deutsche Gesellschaft für orthopädische Chirurgie“ (DGOC) gegründet, die 1913 in „Deutsche Orthopädische Gesellschaft“ umbenannt wurde. Die Gesellschaft entstand zum einen aus rein chirurgisch tätigen Ärzten, welche die Knochen- und Gelenkchirurgie in der Gesellschaft der Chirurgen unterrepräsentiert sahen, zum anderen aus konservativen Orthopäden. In dieser Entstehungsphase der konservativen Orthopädie gab es namhafte Vertreter, die weder Arzt noch Orthopäde waren, wie Hofrat Friedrich Hessing (1838-1918) in Augsburg, der als Orgelbauer und Schlosser begonnen hatte, bei Frakturen, Luxationen, Lähmungen und Gelenkentzündungen sogenannte Schienenhülsen und andere stabilisierende Apparate individuell anzumodellieren. Er war damit so erfolgreich, dass Albert Hoffa (1859–1907) verlangte, dass jeder junge orthopädische Chirurg in klinikeigener Werkstatt in die Kunst des Apparatebaus eingewiesen werden sollte.1
Somit begann die konservative Orthopädie zu weiten Teilen im Sinne der Orthopädietechnik, die auch aufgrund einer großen Zahl an Kriegsverletzungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen hohen Stellenwert hatte. Neben der Apparatetherapie entwickelten sich zur gleichen Zeit Hydrotherapie, Massage,
und andere Formen der physikalischen Medizin.
War die konservative Orthopädie in ihren Anfängen also häufig ein Begleiter orthopädisch-chirurgischer Eingriffe, so hat sie sich später zu einem breitgefächerten Fachbereich entwickelt, der über die Orthopädie und Unfallchirurgie hinaus einen weiten Bogen über Disziplinen wie Sportmedizin, Schmerztherapie, Chirotherapie, Osteopathie, Osteologie, Orthopädische Rheumatologie sowie Physikalische und Rehabilitative Medizin spannt.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Entwicklung von Therapieformen, die einen regenerativen Charakter haben und somit über eine rein symptomorientierte Strategie hinausgehen. Der Hauptvertreter ist die Extracorporale Stoßwellentherapie (ESWT), deren Wirkmechanismus im Sinne der Mechanotransduktion im beginnenden 21.Jahrhundert entschlüsselt wurde und gezeigt hat, dass durch einen physikalischen Impuls ein zellbiologischer Effekt ausgelöst wird, der regenerative Prozesse in Haut, Sehnen und Knochen ebenso anstößt, wie auch Stammzell-Migration und -Differenzierung.
Zu keinem anderen Themenfeld der konservativen Orthopädie gibt es mehr evidenzbasierte Literatur als zur Stoßwellentherapie. Aufgrund der raschen Weiterentwicklung der ESWT und der Zunahme der Indikationen in unserem und in anderen Fachgebieten bietet die Deutschsprachig Internationale Gesellschaft für Extracorporale Stoßwellentherapie (DIGEST) seit 2014 ein 60-stündiges Weiterbildungsbildungscurriculum – die Fachkunde Stoßwellentherapie – an, die zum Führen der Tätigkeitsschwerpunktbezeichnung „Stoßwellentherapie (Digestev.)“ legitimiert. Weitere regenerative Verfahren sind Photobiomodulation durch Laserlicht, PRP/ACP-Verfahren und Elektromagnetische Transduktionstherapie (EMTT), die sich aufgrund ihrer Physik deutlich von den früheren pulsierenden elektromagnetischen Feldern (PEMF) abgrenzt. Dieser Infobrief soll Ihnen einen Überblick und ein Update über die Wirkweise und Einsatzmöglichkeit von regenerativen Verfahren in der konservativen Orthopädie geben.
Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen,
Ihr Dr. Martin Ringeisen
Präsident DIGEST
Quelle: 1 D. Wessinghage, Die Gesellschaften deutscher Orthopäden in den
ersten 20 Jahren, Der Orthopäde, Band 30, Heft 10 10/2001, 675–684