Die Kommission Leitlinie und Begutachtung der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie (DVSE, Vorsitzender: PD Dr. Marc Banerjee, Köln) ist eingebettet in die Leitlinienkommission der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC, Sektionsleiter Prof. Andreas Roth, Leipzig). Die DGOOC ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., AWMF). Sämtliche Leitlinien, an denen die DVSE beteiligt ist, sind bei der AWMF angemeldet.
2016 hat die Leitlinienkommission der DVSE unter der Leitung von Dr. Ruprecht Beickert, Murnau eine Empfehlung zur Begutachtung des Rotatorenmanschettenschadens der Schulter nach Arbeitsunfällen herausgegeben.1 Ziel war es, die Expertise von Vertretern der Organgesellschaft und von Vertretern der BG-Kliniken und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zu bündeln, um eine Empfehlung auf dem Boden der bestmöglichen Evidenz zu erstellen. Bei fehlender Evidenz wurden die getroffenen Aussagen im Konsensverfahren als „hoch“, „mittel“ oder „schwach“ gewertet. Der Unfallzusammenhang („haftungsbegründende Kausalität“) wird hierbei in zwei Schritten
geprüft. Zunächst wird im Sinne der Bedingungstheorie geprüft ob sich das Unfallereignis oder ein etwaiger Vorschaden hinwegdenken lassen, ohne dass der Gesundheitsschaden damit entfällt. Im zweiten Schritt wird nach der Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung durch Abwägen/Gewichtung aller infrage kommenden Tatsachen und Indizien entschieden, ob das Unfallereignis wesentliche Teil, -Mitursache des Gesundheitsschadens
(des Rotatorenmanschettenschadens) war.
Hervorzuhebende Kernaussagen, die sich von bisherigen Paradigmen der Zusammenhangsbegutachtung unterscheiden, sind u. a.:
- ein Impingement in der Vorgeschichte ist kein sicheres Indiz für eine Vorschädigung
- die Beurteilung der Akromionmorphologie nach Bigliani lässt keine Rückschlüsse auf
einen Unfallzusammenhang zu - der direkte Anprall und der Sturz auf die nach vorne ausgestreckte Hand schließt einen traumatischen Rotatorenmanschettenschaden nicht a priori aus
- bei der Frage der Eignung eines Unfallereignisses soll die Zusammenhangsbegutachtung nicht mit der Begründung abgebrochen werden, dass das Ereignis generell nicht geeignet sei, den Gesundheitsschaden herbeizuführen
- der histologische Befund leistet oft keinen Beitrag zur Frage des Unfallzusammenhangs
2017 wurde die S2e-Leitlinie Rotatorenmanschette (AWMF-Registernummer 033-041) federführend unter der DGOOC und der DVSE als Sektion der DGOOC in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) unter der Leitung von Prof. Dennis Liem, Berlin und Prof. Ulrich Brunner, Agatharied veröffentlicht.2 Die wichtigsten Aussagen zur Therapie können wie folgt zusammengefasst werden:
NSAR zeigen gegenüber der Placebobehandlung bei der Behandlung von Partialläsionen eine Schmerzreduktion (Evidenzlevel 1). Die Kombination aus Cortisoninfiltration und Bewegungstherapie/manueller Therapie kann zur Anwendung kommen (Evidenzlevel 1).
Asymptomatische RM-Rupturen sollten nicht operiert werden. Mini-open und arthroskopische Rekonstruktionen zeigen vergleichbare klinische Ergebnisse, wobei offene Zugänge direkt postoperativ zu mehr Schmerzen führen (Evidenzlevel2). Die knöcherne Einheilung der Sehne führt zu besseren klinischen Ergebnissen (Evidenzlevel 2). Double row Rekonstruktionen zeigen im Vergleich zu single row Rekonstruktionen geringere ReRupturraten, die klinischen Ergebnisse unterscheiden sich nicht (Evidenzlevel 1). Da sich die klinischen Ergebnisse der Rotatorenmaschettenrekonstruktion mit und ohne begleitender Akromioplastik nicht zu unterscheiden scheinen, wird keine generelle Empfehlung zur begleitenden Akromioplastik gegeben (Evidenzlevel 1). Sollte begleitend eine Tenotomie der langen Bizepssehne durchgeführt werden, so besteht kein Unterschied im klinischen Ergebnis zwischen Tenotomie und Tenodese. Die Indikation zur Tenotomie/Tenodese wird in Abhängigkeit von Patientenalter und funktionellem Anspruch gestellt (Evidenzlevel 2). Bei Massenrupturen ist die Teilrekonstruktion gegenüber dem
Debridement zu präferieren. Der Latissimus dorsi Transfer zeigt bei irreparabler Supraspinatussehnenruptur bei intakter Subscapularissehne im kurzfristigen Verlauf eine signifikante Verbesserung von Schmerz und Funktion. Die additive Gabe von platelet rich plasma (PRP) zeigt in prospektiv randomisierten Studien keinen klinischen Vorteil, aber geringere Re-Rupturraten. Es wird nach Maßgabe des Operateurs eine postoperative Immobilisation zwischen 3 und 6 Wochen empfohlen. Eine längere Immobilisation hat keine Nachteile, während eine zu aggressive Nachbehandlung zu einer höheren Re-Rupturrate führen kann.
Ebenso 2017 wurde in Analogie zu den Sonderheften der Zeitschrift „Obere Extremität“ zur klinischen Untersuchung von Schulter und Ellenbogen unter der Leitung von PD Dr. Marc Banerjee, Köln und Prof. Dr. Lars Lehmann, Karlsruhe ein Sonderheft zur Bildgebung in der Schulter- und Ellenbogenchirurgie veröffentlicht.3 Das Heft besteht aus 3 Teilen. Im ersten Teil werden aus Sicht des Klinikers durch DVSE Autoren Empfehlungen zur Bildgebung zu 13 Schulter- und 3 Ellenbogenpathologien gegeben. Im zweiten Teil werden Empfehlungen zur Bildgebung zu den genannten Pathologien aus der Sicht der Radiologen durch Kollegen der Deutschen Gesellschaft für muskuloskelettale Radiologie (DGMSR) gegeben. Im dritten Teil werden Einstellungen zu 18 nativen Röntgenaufnahmen an der Schulter und 3 Einstellungen nativer Röntgenaufnahmen am Ellenbogen beschrieben.
2018 wurde als Gemeinschaftsprojekt der DVSE und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) unter der Federführung von Dr. Michael Hackl, Köln und PD Dr. Sebastian Siebenlist, München die S2e Leitlinie Ellenbogen Erstluxation (AWMF-Registernummer 012-034) publiziert.4 Hierzu sei auf den Beitrag von Dr. Hackl
in diesem Heft verwiesen. 2019 wurde von DGOOC und der GOTS (Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin) unter der Leitung von Prof. Thomas Tischer, Rostock die S2k-Leitlinie Epicondylopathia radialis humeri (ERH, AWMF-Registernummer 033-019) publiziert.5 Basierend auf dem Konsens der beteiligten Autoren wurden bezüglich der Therapie folgende Empfehlungen bzw. Statements verabschiedet:
Cortisoninjektionen führen zu keiner langfristigen Besserung und bergen das Risiko von Komplikationen. Da nicht genügend wissenschaftliche Evidenz zur Injektion mit Eigenblut, PRP, Botulinumtoxin u. a. existiert, ist eine abschließende Beurteilung nicht möglich. Eine Trainingstherapie für die Handgelenksextensoren wird empfohlen. Von alleiniger manueller Therapie (MT) wird abgeraten, die Kombination von Trainingstherapie und MT kann durchgeführt werden. Aufgrund der unzureichenden Datenlage kann keine Aussage zur Friktionsmassage getroffen werden. Elektrotherapie und Ultraschallbehandlung sollten jeweils als alleinige Maßnahme nicht durchgeführt werden. Magnetfeldtherapie, Sauerstoff- und Strahlentherapie sollten per se nicht durchgeführt werden. Akupunktur kann bei der ERH angewendet werden, extrakorporale Stoßwellenbehandlung (ESWT) bei der therapie-resistenten Epicondylopathie. Epicondylitisbandagen und Tapes können als Therapieoptionen erwogen werden. Die Prognose der konservativen Therapie ist gut, die Epicondylopathie hat innerhalb von 12 Monaten eine hohe spontane Beschwerderegredienz.
Bei Versagen der konsequenten konservativen Therapie über mindestens 6 Monate kann bei Nachweis eines strukturellen Korrelates eine operative Therapie erwogen werden, wobei weder eine Empfehlung bezüglich des optimalen OP-Zeitpunktes noch zur Auswahl des operativen Verfahrens (auch ob arthroskopisch oder offen) gegeben werden kann. Grundsätzlich wird ein befundabhängiges Vorgehen, ggf. mit Refixation der Extensoren empfohlen. Die operativen Verfahren führen in der Regel zur subjektiven Patientenzufriedenheit.
Derzeit laufen zwei weitere S2e Leitlinienprojekte der DVSE, die Leitlinie Subacromiales Impingement unter der Federführung von Dr. Sophia Hünnebeck, Berlin (AWMF-Registernummer 033-056) sowie die Leitlinie Schultersteife unter der Federführung von Dr. Friedrich Dehlinger, Albstadt (AWMF-Registernummer 033-053). Beide Leitlinien befinden sich im Stadium der Leitlinienentwicklung, das konstituierende Treffen, die systematische Evidenzbasierung sowie die Literaturrecherche sind abgeschlossen. Mit einem Abschluss beider Projekte ist im ersten Halbjahr 2021 zu rechnen.
Literatur
- Beickert R, Panzer S, Geßmann J, Seybold D, Pauly S, Wurm S, Lehmann L, Scholtysik D. Begutachtung des Rotatorenmanschettenschadens der Schulter nach Arbeitsunfällen. Trauma Berufskrankh. 2016; 18:222–247 DOI 10.1007/s10039-016-0167-0. https://www.dvse.info/ downloads/begutachtung.html
- S2e Leitlinie Rotatorenmanschette-AWMF Registernummer 033-041 Veröffentlicht März 2017. https://www.dvse.info/ downloads/leitlinien.html
- Bildgebung in der Schulter- und Ellenbogenchirurgie. Obere Extremität, Band 12-Supplement 1, Mai 2017. https://www.dvse.info/ downloads/bildgebung.html
- S2e Leitlinie Ellenbogen Erstluxation- AWMF Registernummer 012-034 Veröffentlicht Juli 2018. https:// www.awmf.org/uploads/tx_ szleitlinien/012-034l_S2e_ Ellbogen-Erstluxation_2019-05.pdf
- S2k Leitlinie Epicondylopathia radialis humeri- AWMF Registernummer 033-019. Veröffentlicht Juni 2019. https://www.awmf.org/uploads/ tx_szleitlinien/033-019l_S2k_ Epicondylopathia_radialis_ humeri_2019-09.pdf