Hamburg – „Pharmalohn für Ärzte: Vielen Dank für die Millionen!“ – unter diesem Titel veröffentlichte „Spiegel online“ am 14. Juli einen Text über Zahlungen der Pharmaindustrie an Ärztinnen und Ärzte. Weitere Hintergrundtexte zum Thema schlossen sich an. Hintergrund: Ende Juni hatten 54 Pharmafirmen veröffentlicht, wie viel Geld sie in Deutschland 2015 zahlten, demnach 575 Millionen Euro an Ärzte, Apotheker und andere sogenannte Fachkreisangehörige. Die Beiträge lösten eine Vielzahl von Kommentaren auf der Homepage des Nachrichtenmagazins aus, allein der obige mehr als 200. Sie umfassen ein breites Meinungsspektrum. BVOU.net dokumentiert die Bandbreite an Reaktionen.
„Mein Hausarzt findet die Pharmaindustrie furchtbar.“
„Man sollte auch auflisten, welche Ärzte nicht zugestimmt haben. So ist die Liste leider wertlos“, schreibt ein Leser. Andere äußern: „Respekt den zustimmenden Ärzten“. Oder teilen mit: „Mein Hausarzt findet die Pharmaindustrie und deren Lobby furchtbar. Deshalb klärt er immer sehr ausführlich über Nutzen, Kosten und Risiken der Medikamente auf, denn er weiß: Wenn die Pharma-Industrie eines fürchtet, dann sind das mündige, mitdenkende Patienten.“
Andere geben zu bedenken: „Als angestelltem Arzt wird mir in meinem Haus nicht mehr die Dienstherrengenehmigung erteilt, an gesponserten Fortbildungen von Pharmaunternehmen teilzunehmen, obwohl ich keinen Einfluss auf Beschaffung habe. Weiß nicht, ob das gut ist.“ Oder: „Für unsere Gegend kann ich zu den Eintragungen sagen: Mit diesen Kleckerbeträgen schafft man keine Abhängigkeiten und auch keine geringfügigeren Risiken für Patienten.“
„Der Spiegel kann seine negative Berichterstattung über Ärzte einfach nicht lassen.“
Ein Teil der Leser kritisiert die Texte als Hetze: Der „Spiegel“ kann seine negative Berichterstattung über Ärzte einfach nicht lassen. Immerhin legt hier ein Drittel einer Berufsgruppe private Einkünfte offen. Diese Transparenz gibt es sonst eigentlich nur bei Abgeordneten. Andere Berufsgruppen, vor allem Selbstständige, erhalten durchaus auch Zuwendungen von privaten Unternehmen etc. Die Ärzte, die sich jetzt bereit erklären, in einem sehr frühen Stadium ihre Zuwendungen zu veröffentlichen, wobei es sich zum Großteil um Reisespesen oder Vortragshonorare bei Fortbildungen handelt, werden mit diesem Artikel für Ihre Offenheit „belohnt“.
Oder: „Im Grunde geht es bei diesem Artikel um Diffamierung einer kompletten Berufsgruppe! Hetze ist das und keine objektive Weitergabe von Informationen. Wenn ein Arzt als Experte auf seinem Gebiet für Vorträge an Wochenenden oder spät abends bezahlt wird, ist das für mich kein geschenktes Geld! Ebenso wenn er zu Fortbildungen eingeladen wird und die Reisekosten erstattet bekommt! Warum wird denn hierbei nicht in einem einzigen Satz erwähnt, dass unser gesamtes Gesundheitssystem vom aktuellen Wissen profitiert und dieses nun mal nicht durch Telepathie übertragen werden kann! Sicher gibt es vereinzelt auch schwarze Schafe auf beiden Seiten, die ihr privates oder unternehmerisches Nutzen daraus ziehen, aber das betrifft sicher nicht die Masse! Ich würde gerne den Spiegel-Online-Journalisten sehen, der sich von einem Arzt mit Wissensstand von 1980 behandeln lassen würde!“
„Was ist mit denen, die Pharmahonorare gespendet haben?“
Oder: „Und was ist mit denen, die ihre Pharmahonorare gespendet haben? Was ist mit den Honoraren, die jemand dafür bekommen hat, dass er dem Unternehmen etwas beigebracht hat – oder zumindest versucht hat, beizubringen? So wird das nach ein paar Protest-Beiträgen und Nachklapps genauso verschwinden wie alles andere. Es lebt sich ja besser von der Symptombeschreibung als von der Problemlösung.“
Andere Kommentatoren halten die Summen für die Spitze eines Eisbergs: „Hinter den Tagungsgebühren für Fortbildung steckt in Wirklichkeit viel mehr. Denn solche Fortbildungen sind für die eingeladenen Ärzte frei, kosten die Firmen aber Tausende für Vortragshonorare, Raum- und Bewirtungskosten. Die tatsächliche freie Zuwendung ist deshalb fünf- bis zehnmal höher.“
Ein Leser gibt zu bedenken, dass es Fehlverhalten im Gesundheitswesen gebe – aber keinesfalls nur bei Ärzten: „Wenn ich mir ansehe (oder mitbekomme), wie manche Ärzte bei der Kasse abrechnen. Wie Hebammen nicht getätigte Besuche abrechnen. Wie IGeL verkauft werden. Wie Medikamente nach dem Gusto der Pharmaindustrie verkauft werden. Und bei den Patienten: Wie Privatrechnungen zwar zur Erstattung eingereicht, nicht aber vom Patienten bezahlt werden. Wie insbesondere ältere Personen das Gesundheitssystem wegen Wehwehchen belasten, um nicht alleine zu sein. Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein.“
„Auch im Journalismus gibt es große Missstände.“
„Correctiv“-Chefredakteur Markus Grill hat im Interview mit dem „änd“ übrigens gesagt: „Die Ärzte zeigen zu Recht mit dem Finger auf uns Journalisten. Denn auch im Journalismus gibt es große Missstände. Auch in unserer Branche sollte es Transparenz über angenommene Vorteile, geflossene Gelder oder gewährte Rabatte geben.“
Sabine Rieser
Bild: Africa Studio/Fotolia