Unter den orthopädischen Fach-Kollegen und -Kolleginnen hat die Veröffentlichung des IGeL-Monitors vom 01.10.2025 zu Hyaluronsäure-Injektionen bei Kniegelenkarthrose hohe Wellen geschlagen (https://www.igel-monitor.de/igel-a-z/igel/show/hyaluronsaeure-injektionen-bei-kniegelenksarthrose.html). Der Medizinische Dienst Bund als Herausgeber hat auf 59 Seiten seiner ausführlichen Veröffentlichung eine Bewertung zum Nutzen dieser invasiven Therapiemaßnahme abgegeben (Link „Evidenz ausführlich“ auf der igel-monitor Homepage). Dazu wurden insgesamt 228 Publikationen bzw. Studienergebnisse der letzten Jahre ausgewertet, die üblicherweise Hyaluronsäure-Injektionen mit Placebo- bzw. Kochsalzlösung-Injektionen verglichen haben. Für die aktuelle Monitor-Bewertung relevant verblieben nach einem Selektionsprozess nur zwei systematische Übersichtsarbeiten:
Miller LE, Bhattacharyya S, Parrish WR et al. Safety of Intra-Articular Hyaluronic Acid for Knee Osteoarthritis: Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Trials Involving More than 8,000 Patients. Cartilage 2021; 13(1_suppl): 351s-363s. https://dx.doi.org/10.1177/1947603519888783 und
Pereira TV, Jüni P, Saadat P et al. Viscosupplementation for knee osteoarthritis: systematic review and meta-analysis. Bmj 2022; 378: e069722. https://dx.doi.org/10.1136/bmj-2022-069722.
Die Auswertung basiert auf 35 Studien von Miller und 169 Studien von Pereira, allerdings mit unterschiedlichen Endpunkten. Nur Pereira et al. untersuchten drei Monate nach der letzten Injektion „Schmerz“ als primären und „Funktion des Knies“ sowie „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse“ als sekundäre Endpunkte, während Miller et al. ausschließlich „unerwünschte Ereignisse“ zugrunde legte. Obwohl die Ergebnisse bezüglich Schmerz und Funktion einen positiven Effekt und statistisch signifikanten Vorteil belegten, ergaben sich keine klinisch relevanten Gruppenunterschiede. Der IGeL-Monitor sieht darin weder einen Vorteil noch einen Nachteil der Intervention im Vergleich zur Kontrollgruppe. Aufgrund des Auftretens unerwünschter Ereignisse in statistisch signifikanter Anzahl werden Hyaluronsäure-Injektionen als Nachteil bewertet. Im Ergebnis gibt der IGeL-Monitor eine negative Empfehlung ab und schreibt: „Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass intraartikuläre Hyaluronsäure-Injektionen bei Kniegelenksarthrose bei erhöhtem Schadensrisiko keinen Nutzen zeigen.“
Diese Aussage basiert auf einer stark verzerrten Datenlage, wurden doch von Pereira et al. eine Vielzahl kleinerer Studien ausgeschlossen, die weniger als 100 Studienteilnehmer aufwiesen. Damit sind die Endpunkte Schmerz und Funktion mit signifikant positiven Ergebnissen gegenüber unerwünschten Ereignissen deutlich unterrepräsentiert. Außerdem wurde ein wesentlicher Aspekt in den Studien vernachlässigt:
Der Begriff „Hyaluronsäure“ ist lediglich als Oberbegriff anzusehen. Tatsächlich fällt darunter eine Vielzahl von Produkten unterschiedlicher Hersteller, die in Herstellungsverfahren, Vernetzung und Molekulargewicht so verschieden sind, dass ihre strukturellen, physikalischen, physikalisch-chemischen und biologisch abbaubaren Eigenschaften differenziert betrachtet werden müssen. Ihre therapeutischen Wirkungen im menschlichen Kniegelenk sind deshalb nicht gleich. Weder die Autoren des IGeL-Monitors noch die ihrer Bewertung zugrunde liegenden Studien berücksichtigen die Art der Hyaluronsäure.
Differenzierung von Hyaluronsäure-Produkten
Unterschieden werden müssen niedrig-molekulare Präparate unter 1.500 kDa (Kilo-Dalton) Molekulargewicht, mittelhoch-molekulare mit 1.500 bis 3.000 kDa und hoch-molekulare mit einem Molekulargewicht über 3.000 kDa. Nach einer Injektion ins Kniegelenk unterliegen sie biologischen Abbauprozessen. Diese verlaufen umso langsamer, je höher das Molekulargewicht ist und bei Quervernetzung. Jevsevar et al. stellten fest, dass quervernetzte Produkte in Bezug auf Schmerz und Funktion zu einem höheren Behandlungsergebnis führen (David Jevsevar, Patrick Donnelly, Gregory A Brown, and Deborah S Cummins. Viscosupplementation for osteoarthritis of the knee: a systematic review of the evidence. JBJS, 97(24):2047-2060, 2015). Allerdings treten Nebenwirkungen wie Schwellung und Rötung als Lokalreaktionen mit zunehmendem Molekulargewicht häufiger auf und sind bei fermentativer (mikrobiell oder enzymatisch) Herstellung signifikant geringer als bei avianischer (Herstellung mit Vogeleiern). Insgesamt ist die Inzidenz unerwünschter Wirkungen aber als gering anzusehen, vorausgesetzt, die Gelenkinjektionen werden unter strikten aseptischen Bedingungen durchgeführt. Lokalreaktionen werden von Patienten im Allgemeinen gut toleriert.
Wieber und Catalá-Lehnen haben im Januar 2021 einen Beitrag zu Hyaluronsäure-Injektionen bei Gonarthrose in der Sportärztezeitung veröffentlicht (https://sportaerztezeitung.com/rubriken/therapie/5851/hyaluronsaeureinjektion-bei-gonarthrose/). Darin findet sich die Übersichtstabelle „Hyaluronsäure-Produkte und deren Eigenschaften“
In den letzten vier Jahren sind in Deutschland weitere Produkte hinzugekommen, deren Molekulargewicht meist unter 3.000 kDa liegt. Laut einer Veröffentlichung von Snetkov et al. (Polymers Basel, 2020 Aug 11;12(8):1800. doi: 10.3390/polym12081800) beträgt das Molekulargewicht der Hyaluronsäure in der Synovia nicht vorgeschädigter Gelenke 6.000 – 7.000 kDa, in rheumatisch veränderten Gelenken lediglich 3.000 – 5.000 kDa. Mit fortschreitender Arthrose sinken sowohl Konzentration als auch Molekulargewicht der Hyaluronsäure. Es liegt auf der Hand, dass ein visköseres Präparat, das eher der natürlichen Synovia-Zusammensetzung entspricht, einen besseren Effekt auf die nutritive Versorgung des Gelenkknorpels und auf die Stoßdämpfereigenschaften hat als ein niedrig-molekulares.
Bedeutung für die orthopädische Praxis
Orthopäden als Anwender sollten die Eigenschaften der Hyaluronsäure kennen, die sie ihren Patienten anbieten. Ein Vergleich mit Produkten anderer Hersteller hilft bei der Einordnung und bei der Aufklärung der Patienten. Allerdings konnte mir auf Nachfrage bisher kein Patient bestätigen, dass er über Vor- und Nachteile des erhaltenen Präparates von seinem Orthopäden informiert wurde. Es wurde nur von Hyaluronsäure gesprochen, so dass bei Patienten der Eindruck entstehen muss, es gäbe nur ein Produkt. Fehlende Transparenz und unzureichende Differenzierung decken sich mit den Studien, auf deren Basis die Bewertung des IGeL-Monitors erfolgte. Es werden dringend mehr Studien benötigt, die die Wirksamkeit der Präparate unterschiedlicher Molekulardichte, Vernetzung und Herstellungsverfahren bezüglich Schmerz und Funktion herausarbeiten. Eine Pauschalaussage über alle Hyaluronsäure-Produkte ist nicht zielführend und verunsichert unnötig Ärzte und Patienten.
Vorschlag einer Sterne-Klassifizierung
Denkbar wäre eine Differenzierung ähnlich den Sternen beim Crashtest von Autos. Die Richtlinien sind einheitlich und gelten europaweit. Fahrzeuge mit nur einem Stern haben eine sehr niedrige Sicherheit und bieten nur sehr begrenzten Schutz beim Aufprall. Auch Fahrzeuge mit zwei Sternen weisen eine unterdurchschnittliche Sicherheitsleistung auf. Erst Autos mit drei Sternen erreichen einen durchschnittlichen Sicherheitsstandard. Fahrzeuge mit vier und fünf Sternen gelten als sehr sicher und unterscheiden sich oft nur durch zusätzliche Sicherheitsassistenzen. Es leuchtet jedem sofort ein, dass die Aufprallsicherheit in einem leichten Kleinwagen geringer ist als in einem tonnenschweren SUV. Legt man die Vorgehensweise des IGeL-Monitors zugrunde, würde die Insassensicherheit von Daten aller Autos bewertet, und die Autoren würden zum Ergebnis kommen, dass der durchschnittliche Schutz im Fahrzeug unzureichend ist und deshalb vom Autofahren abgeraten werden muss. Das aber ist realitätsfremd. Jeder Käufer eines Autos kann sich über die Fahrzeugeigenschaften und Kosten informieren, bevor er einen Kauf abschließt.
Übertragen auf Hyaluronsäure-Produkte würde es bedeuten, dass Ärzte sich und ihre Patienten über unterschiedliche Präparate informieren. Erst damit geben sie den Patienten die Möglichkeit, differenziert zu entscheiden. Orientierungshilfe könnte eine Einteilung mit einem bis drei Sterne sein. Nach aktueller Studienlage würden die Kriterien Molekulargewicht, Vernetzung und Herstellungsverfahren in abnehmender Gewichtung angewendet werden müssen. Bei gesicherter Indikation zur Hyaluronsäure-Injektion würden Produkte mit hohem Molekulargewicht über 3.000 kDa, quervernetzt und fermentativ oder avianisch hergestellt in die Drei-Sterne-Kategorie fallen. Nach heutigem Kenntnisstand kann für diese Produkte eine positive Empfehlung bei Vorliegen einer Gonarthrose ausgesprochen werden. Es sollten weitere Studien mit entsprechender Differenzierung durchgeführt werden, um pauschale Aussagen zu vermeiden und die inhaltliche Diskussion auf eine gesicherte wissenschaftliche Basis zurückzuführen.
Dr. med. Jürgen Kosel







