Exoskelette sind tragbare (robotische) Systeme, die die Bewegungen des menschlichen Körpers physisch unterstützen. Eine der möglichen Anwendung von Exoskeletten ist die Unterstützung und physische Entlastung von Beschäftigten bei körperlichen Tätigkeiten, zum Beispiel, in der Montage. Diese Technologie ist allerdings noch recht jung, und es fehlen derzeit Langzeitstudien, welche mögliche Auswirkungen solcher Exoskelette in Bezug auf Gesundheit, Produktivität und Wirtschaftlichkeit im Detail aufzeigen. Dieser kurze Beitrag beschreibt den Stand der Technik und die aktuelle Forschung über die Wirksamkeit von Exoskeletten in Hinblick auf Gesundheit und Produktivität im industriellen Kontext.
Körperlich anstrengende Arbeit ist auch in der Europäischen Union immer noch weit verbreitet.1 Ein großer Teil der Beschäftigten ist mehr als ein Viertel der Arbeitszeit „ermüdenden oder schmerzhaften Positionen”, dem „Tragen oder Bewegen schwerer Lasten” und „sich wiederholenden Hand- oder Armbewegungen” ausgesetzt.2 Dies kann zu einem erhöhten Risiko von arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) führen.
Die Schulter ist dabei eine der Körperregionen, die besonders anfällig für arbeitsbedingte MSE ist. Mehr als 42 % der Arbeitnehmer in der EU leiden jedes Jahr unter Schulterschmerzen. 3 Ein gut dokumentierter Risikofaktor für die Entwicklung von MSE in der Schulter sind Arbeitsbedingungen, bei denen die Arme über längere Zeit angehoben werden.4 Insbesondere das Arbeiten mit den Händen über der Schulterhöhe für mehr als eine Stunde pro Tag wurde mit dem Auftreten des subakromialen Impingement-Syndroms (SIS), einem Riss in einem der Rotatorenmanschettenmuskeln, sowie einer supraskapulären Nervenkompression in Verbindung gebracht.5 Ein weiterer Körperbereich, der ebenso häufig betroffen ist, ist der untere Rücken: Schmerzen im unteren Rücken (Low back Pain – LBP) betreffen mehr als 40 % der arbeitenden Bevölkerung in der EU.6 Hohe Beanspruchung der Lendenwirbelsäule durch mechanische Belastung wurden als ein Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von LBP identifiziert,7 was sich u. a. auch in der NIOSH-Norm für das Heben von Lasten widerspiegelt.8 Exoskeletten im industriellen Kontext (IEs) werden mit dem Ziel entwickelt, die Arbeit weniger belastend zu machen, indem sie beispielsweise die Beanspruchung der Rückenmuskeln und Wirbelsäule beim Heben oder die der Schultermuskeln bei Überkopfarbeiten reduzieren.
IEs können auch als persönliche, tragbare Assistenzsysteme verstanden werden, welche die körperliche Beanspruchung von Beschäftigten bei bestimmten Tätigkeiten idealerweise in bestimmten Körperregionen verringern, indem sie synergetisch mit ihren Benutzern agieren.9 Ihre praktische Anwendung und damit auch ihr Design hängen stark von Ihrem Einsatzzweck ab und muss entsprechenden Vorgaben genügen.3 Gegenwärtig sind die meisten IEs entweder zur Unterstützung bestimmter Körperregionen oder zur Erweiterung bestimmter menschlicher Fähigkeiten konzipiert. Die Mehrzahl der Systeme wurden entwickelt, um die physische Belastung der oberen Gliedmaßen und der Lendenwirbelsäule zu verringern, während die Unterstützung anderer Körperteile, wie z. B. der Knie- oder Handgelenke, bisher weniger erforscht wurde.31 Erste größere Studien erheben bereits subjektive Beanspruchung,17, 18 kardiovaskuläre Beanspruchung,19 Wirkung auf die Arbeitsqualität20 und messbare biomechanische Faktoren.21
TECHNOLOGISCHE ANSÄTZE UND LÖSUNGEN
Die Entwicklung von IEs stellt eine große Herausforderung dar. Auf der einen Seite werden hohe Anforderungen an die Hardware gestellt. In Hinblick auf die Aktuierung, zum Beispiel, gehen diese Anforderungen oft an die Grenzen des technisch machbaren. Auf der anderen Seite müssen IEs synergetisch mit dem menschliche Körper interagieren, und es ist schwierig, vorauszusagen, wie sich ein System und seine Konfiguration auf die gemeinsame Bewegung, sowie auf die Muskelaktivierung und andere physiologische Charakteristiken der Nutzenden auswirken. Zu diesem Zweck werden zum Beispiel detaillierte biomechanische Simulationen genutzt.10, 22–23 Eine Schwierigkeit ist es dabei, muskuloskelettale Modelle zu generieren, welche unter Berücksichtigung der hohen Variabilität der Anthropometrie akzeptable Ergebnisse liefern.26 In-vivo-Messungen haben demgegenüber den Nachteil, dass sie sich nur durchführen lassen können, wenn das System bereits verfügbar ist. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Evaluation der Bewegung (Kinematik) und der Muskelkräfte, wobei letztere in realen Anwendungen mit verschiedenen Herausforderungen zu messen sind. Auch muss die anthropometrische Vielfalt bei der Konzeption von Exoskeletten entsprechende Berücksichtigung finden.29
Exoskelette lassen sich durch drei Kategorien klassifizieren: Der Bereich der zu unterstützenden Körperregion (ganzer Körper, obere/untere Gliedmaßen, etc.), ihre mechanische Struktur und die Art des Antriebs.
Geräte für die oberen Gliedmaßen werden in der Regel konstruiert, um Tätigkeiten zu unterstützen, bei denen der Arm angehoben wird oder Überkopfarbeiten durchgeführt werden. Systeme welche die unteren Gliedmaßen mit einschließen sind oft für die Unterstützung von Hebeaufgaben und zur Entlastung des Rückens konzipiert.
Für die meisten Anwendungen sind die Systeme aus steifen Materialien gefertigt, mit klar definierten mechanischen Freiheitsgraden. Diese mechanische Struktur übernimmt Kräfte und leitet Sie in andere Körperbereiche ab. Es gibt ebenfalls auch Systeme aus weichen Materialien und Textilien, die hauptsächlich die Muskulatur unterstützen. Diese weisen einen deutlich höheren Tragekomfort auf, können aber in der Regel weniger dazu beitragen, die Gelenke zu entlasten.
Hinsichtlich des Antriebsprinzips lassen sich IEs in drei Kategorien einteilen: aktive, passive oder semiaktive Exoskelette. Aktive Exoskelette verwenden Elektromotoren bzw. pneumatische oder hydraulische Aktuatoren um aktiv Kräfte und Drehmomente zu erzeugen. Die Steuerung und Regelung dieser aktiven Systeme stützt sich auf Sensoren, welche die Bewegung des Exoskelettes erfassen. Diese Sensoren müssen auch die Intention der Nutzenden abschätzen um die Roboterbewegung mit der des Menschen zu synchronisieren. Gerade in dynamischen und variablen Einsatzbereichen können sich aktive Exoskelette leichter an neue Aufgaben anpassen als passive Geräte. Allerdings benötigt es dazu robuste Steuerungsalgorithmen, was derzeit ihren Einsatz in der praktischen Anwendung beschränkt. 12, 24 Passive Exoskelette verwenden statt Motoren Federn oder federähnliche Elemente, um Kräfte zu erzeugen und um Energie in verschiedenen Phasen der menschlichen Bewegung zu speichern und abzugeben.11 Derzeit sind passive Exoskelette technologisch ausgereifter und im Vergleich zu ihren aktiven Pendants stärker verbreitet, da sie keine Aktoren, Batterien oder Elektronik benötigen. Das macht sie zuverlässiger und ggf. sicherer. In der physischen Interaktion mit dem Menschen weisen Sie ein wiederholbares und damit intuitives Verhalten auf. Fehlfunktionen elastischer Elemente sind vergleichsweise selten und führen nie zu einer Überlastung für den Träger. Dies macht es entsprechend einfacher Sicherheitsstandards einzuhalten. Um trotzdem ein adaptives Verhalten zu ermöglichen, haben einige der derzeit verfügbaren passiven Geräte mechanische Kupplungen oder Arretierungen. Dadurch können die Nutzenden die unterstützenden Mechanismen aktivieren oder deaktivieren, zum Beispiel, um eine größere Bewegungsfreiheit zu ermöglichen oder um eine andere Tätigkeit durchzuführen.
Als Kompromiss zwischen der Flexibilität aktiver Systeme und der Sicherheit passiver Geräte existieren semiaktive Exoskelette. Diese verwenden Servomotoren mit geringer Leistung um passive, elastische Mechanismen je nach den Bedürfnissen des Nutzenden vorzuspannen, zu arretieren oder zu lösen. Auch gibt es die Möglichkeit, aktive Motoren durch geregelte Bremsen oder aktive Dämpfer zu ersetzen.
WIRTSCHAFTLICHE EINSATZPOTENTIALE
Arbeitsbedingte MSE sind mit hohen Kosten verbunden, sei es in Form von direkten Entschädigungskosten oder indirekten Kosten aufgrund von Lohn- und Produktionsausfällen, Kosten für die Einstellung und Schulung von zusätzlichem Personal sowie Kosten für die medizinische Versorgung der betroffenen Beschäftigten. Aufgrund dessen haben Unternehmen grundsätzliches Interesse an IEs als ein möglicher Lösungsansatz zur Verringerung der Exposition ihrer Arbeitnehmer gegenüber physischen Risikofaktoren, die MSE verursachen können.
Motiviert durch das mögliche Potenzial zur Verbesserung der Ergonomie von Arbeitsplätzen in ihren Produktionslinien haben insbesondere die Automobilhersteller Pionierarbeit bei der Erforschung des Einsatzes von IEs an Arbeitsplätzen geleistet. In diesem Bereich gibt es trotz des umfassenden Einsatzes von Robotern und Automatisierung in den Produktionslinien weiterhin Anwendungen, bei denen menschliche Arbeit erforderlich ist: die meisten Schweiß-, und Montagearbeiten für die Fahrzeuginnenausstattung erfordern immer noch die körperliche Arbeit von Menschen in den Montagelinien. Diese Arbeiten werden in häufig kurzzyklisch ausgeführt, unter Umständen in einer ungünstigen Körperhaltung.
In jüngster Zeit haben mehrere Automobilhersteller Exoskelette in ihren Fabriken evaluiert und getestet und in einigen Fällen maßgeschneiderte Geräte entwickelt, die ihren spezifischen Anforderungen entsprechen.13 Neben dem Automobilsektor wurde der Einsatz von Exoskeletten auch in mehreren anderen Branchen, wie z. B. in der Logistik,14 im Baugewerbe, in der Landwirtschaft und in der Krankenpflege, vorgeschlagen.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Noch ist der Einsatz von Exoskeletten in der Arbeitswelt begrenzt, was auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist:15 Einer davon ist der Mangel an klaren Nachweisen für die Wirksamkeit der Systeme am Arbeitsplatz besonders im Kontext der Langzeitwirkung. Andererseits muss auch die Gesamtwirksamkeit der Systeme in einem spezifischen Anwendungsfall am individuellen Arbeitsplatz in der realen Arbeitsumgebung untersucht werden16 und in Hinblick auf die Reduzierungen von MSE evaluiert werden, wie in der S2k-Leitlinie beschrieben.27 Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass die TOP-Maßnahmenhierarchie eingehalten wird. Das heißt vor der Nutzung dieser Systeme sind technische und organisatorische Maßnahmen zur Risikovermeidung soweit möglich zu identifizieren und umzusetzen.28 Die Durchführung von mehr produktspezifischen Validierungsstudien im Feld ermöglicht es Interessenvertretern und Entscheidungsträgern, die Wirksamkeit der Systeme in ihrem spezifischen Arbeitskontext und mit Beschäftigten zu bewerten, was nützliche Einblicke in praktische Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Exoskeletten in der täglichen Praxis liefern könnte. Neben der relativen Erkrankungshäufigkeit, können zu den Wirksamkeitsindizes in solchen Feldstudien Erfahrungsindikatoren gehören, die mit Hilfe von Fragebögen und strukturierten Interviews gemessen werden, sowie instrumentelle Parameter, die auf kinematischen, kinetischen und physiologischen kardiovaskulären, pulmonalen und muskulären Messungen basieren.
In Anbetracht der Tatsache, dass sich IEs noch in einem frühen Stadium der Einführung befinden, erfordert die großflächige Einführung dieser Technologie zwangsläufig eine strukturiertere Einbeziehung aller Interessengruppen, wie Beschäftigte, Arbeitsschutz-, Personal- und Produktionsabteilungen. Alle Beteiligten sollten aus ihrer Sicht und unter Berücksichtigung ihrer Interessen über die Kosten, Vorteile und mögliche Risiken von IEs informiert werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, größere Feldstudien nicht nur im wissenschaftlichen Kontext zu betrachten, sondern auch als Experimente in der Praxis, die es allen Beteiligten ermöglichen, ihr Verständnis weiter zu entwickeln. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass alle relevanten Stakeholder in die Planung größerer Feldstudien einbezogen werden, um die Auswirkungen der Studien auf die spätere breitere Einführung von Exoskeletten zu maximieren.
Die Einführung von Exoskeletten in großem Maßstab erfordert des Weiteren einen schrittweisen, wissensbasierten Ansatz, der auf einer sorgfältigen Grundlagenwissenschaftlichen Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Belastung und Beanspruchung27 mit Hilfe von Laborversuchen und biomechanischen Computersimulationen beruht. Darauf aufbauend muss die Biomechanik der Arbeitstätigkeiten, die Benutzerfreundlichkeit, die Akzeptanz und die Benutzererfahrung einbezogen werden. Dies verlangt in Zukunft konsequent die Ergänzung von Laborstudien durch Felduntersuchungen. Kombinierte Grundlagen- und Feldstudien sind von größter Bedeutung, da sie dazu beitragen können, die an spezifischen Arbeitsplätzen gewonnenen Erkenntnisse auf breitere Anwendungsszenarien zu verallgemeinern. Schließlich sollten längerfristige Feldstudien mit dem Hauptziel durchgeführt werden, zu überprüfen, ob IEs das Auftreten bestimmter arbeitsbedingter MSEs verringern können.
Literatur auf Anfrage bei den Autoren.