Mit der Einführung ambulanter Zentrifugationsverfahren gewannen
Blutderivate in der orthopädischen Praxis zunehmend an Bedeutung, da sie point-of-care Behandlungen mit autologen Blutbestandteilen ermöglichen. Besonders Thrombozytenkonzentrate wie PRP stehen im Fokus der Anwendungen am Bewegungsapparat. Die Vielzahl an Herstellungsverfahren und Anwendungstechnologien führt zu erheblichen Unterschieden in der Zusammensetzung der Blutderivate, was die Definition allgemeiner Wirkmechanismen und Indikationen erschwert. Während sich frühere Studien vor allem auf Wachstumsfaktoren konzentrierten, zeigen neuere Erkenntnisse, dass auch extrazelluläre Vesikel – lange unterschätzte Bestandteile von Blutprodukten – eine Rolle spielen. Diese enthalten Signalstoffe wie microRNAs, die nachhaltige Veränderungen des Zellverhaltens bewirken können. Eine Standardisierung der Herstellungs- und Applikationsverfahren könnte dazu beitragen, die klinische
Wirksamkeit besser darzustellen. Während erste klinische Studien positive Effekte nahelegen, bleibt der Einsatz von Blutderivaten weiterhin Gegenstand wissenschaftlicher Debatten.
Was ist PRP und welche Komponenten enthält es?
Eine erste spezifische Anwendung von Blut beziehungsweise eines Blutderivats in der Medizin erfolgte um 1905 mit Fibrin als Hämostyptikum und Klebesubstanz. Später wurde der Begriff „platelet-rich plasma“ (PRP) geprägt, welches ein konzentriertes Thrombozytenpräparat in einer Plasmafraktion ist, das Wachstumsfaktoren enthält und die Geweberegeneration fördert. Auch eine Förderung von Knochenbildung wurde beschrieben (Kingsley, 1954; Marx et al., 1998). Daraus entwickelten sich Anwendungen bei Wundheilungsstörungen. Die breitere klinische Einführung von PRP begann in den 1990er Jahren in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. 2010 erlangte PRP Popularität in der Sportmedizin, besonders nach einem Bericht über die erfolgreiche Nutzung bei einem Footballspieler während des Superbowls. Heute bleibt PRP ein zentraler Bestandteil der regenerativen Medizin mit kontinuierlicher Forschung zu neuen Anwendungen und Wirkprinzipien (Otahal et al., 2020).
PRP wird aus autologem Vollblut durch ein- oder zweistufige Zentrifugation gewonnen, um zelluläre und lösliche Bestandteile zu trennen. Zur Gerinnungshemmung wird meist Citrat als Antikoagulans verwendet, alternativ Citratdextrose oder Heparin. Einige Systeme enthalten kein Antikoagulans, wodurch die natürliche Gerinnung erfolgt, während andere absichtlich gerinnen, um autologes konditioniertes Serum (ACS) oder plättchenreiches Fibrin (SPRF) mit freigesetzten entzündungshemmenden Zytokinen wie Interleukin-1-Rezeptorantagonist zu gewinnen. (Frisbie, 2015)
Durch die erste Zentrifugation bildet sich der buffy coat zwischen Plasma- und Erythrozyten-Fraktion, angereichert mit Leukozyten. Wird er mit der flüssigen Phase appliziert, spricht man von Leukozyten-reichem PRP, was Einfluss auf biologische Wirksamkeiten haben kann. Biologische Effekte umfassen Förderung der Zellproliferation, Hemmung entzündlicher Prozesse, Regulation der Fibrose sowie Induktion von Angiogenese und Wundheilung. (Szwedowski et al., 2021)
Die Thrombozytenkonzentration in PRP variiert je nach Spender, im Vergleich zu Vollblut ist sie 2- bis 7-mal höher. Die Wahl des Antikoagulans, des Präparationssystems und Zentrifugationsprotokolls tragen zur Variabilität von PRP-Präparationen bei. Unterschiede bestehen auch in der Leukozytenkonzentration und dem Aktivierungszustand. Geschlossene PRP-Systeme erhöhen die Infektionssicherheit, und moderne Zentrifugen ermöglichen die Herstellung verschiedener PRPVarianten. (Marx, 2001), (Magalon et al., 2021), (Aizawa et al., 2020), (Cole et al., 2010), (Kobayashi et al., 2016)
Bisher wenig beachteten Bestandteilen von Blutderivaten, die extrazellulären Vesikel (EV), werden am Zentrum für Regenerative Medizin an der Universität für Weiterbildung hinsichtlich neuartiger Wirkmechanismen im Kontext einer PRP-Behandlung beforscht (Otahal et al., 2020), (Otahal et al., 2021). EVs sind biogene Membranumschlossene Nanopartikel mit einem Größenspektrum von etwa 30–1 000 Nanometern. (Yáñez-Mó et al., 2015). Der Begriff EV umfasst verschiedene Kategorien von EVs, abhängig von ihrem Biosyntheseweg in der Zelle. Kleine EVs mit einer Größe von etwa 30–150 nm werden als Exosomen bezeichnet. EVs sind in Körperflüssigkeiten wie Blut und PRP vorhanden und werden von Thrombozyten bei der PRP-Aktivierung freigesetzt. Sie fungieren als interzelluläre Boten und transportieren mRNAs, miRNAs, Lipide und Proteine, die Genexpression und Zellfunktionen beeinflussen. (Valadi et al., 2007), (De Luna et al., 2020). Besonders miRNAs regulieren entzündliche und regenerative Prozesse und zeigen nachhaltige anti-inflammatorische und regenerative Effekte. Ein therapeutischer Effekt von miRNAs entsteht dadurch, dass eine spezifische miRNA sequenzabhängig an eine bestimmte Stelle einer mRNA bindet. In Anwesenheit eines Enzymkomplexes wird daraufhin entweder die Proteintranslation dieser mRNA gehemmt oder die mRNA vollständig abgebaut. Dieser posttranskriptionale Regulationsmechanismus der Genexpression kann beispielsweise entzündliche Prozesse stoppen oder regenerative Vorgänge einleiten.
Zukünftige Forschung muss klären, welche Formulierung je nach Gelenkzustand –
ob akute Entzündung, fortgeschrittene Gonarthrose oder reizlose Arthrose –
die beste Wirkung erzielt.
Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, MSc
Das Repertoire an EV-assoziierten miRNAs kann somit in Zielzellen die Genexpression und Proteintranslation beeinflussen und langfristig entzündungshemmende, regenerative sowie immunmodulatorische Prozesse steuern. Dies könnte erklären, warum Blutderivate durch Wachstumsfaktoren und Zytokine eine sofortige Wirkung entfalten, die jedoch aufgrund der Instabilität dieser Proteine und ihrer kurzen biologischen Halbwertszeit nur lokal und kurzfristig anhält. (Otahal et al., 2021). Evidenz intraartikulärer Anwendung von PRP bei Arthrose Die Unterschiede in Herstellung, Zusammensetzung und Anwendung von PRP erschweren eine einheitliche Bewertung der klinischen Evidenz. Grundlagenwissenschaftliche Studien haben günstige krankheitsmodifizierende Wirkungen von PRP in Arthrosemodellen am Tier und auch erste Dosis-Wirkungs-Beziehungen gezeigt (Boffa et al., 2021; Hahn et al., 2020). Mehrere aktuelle Level-I- und Level-II-Studien bestätigen die Wirksamkeit von PRP bei Kniearthrose (KOA), wenngleich es auch Studien mit gegensätzlichen Ergebnissen gibt.
In klinischen Untersuchungen zeigte sich PRP im Vergleich zu Hyaluronsäure (HA) meist gleichwertig oder überlegen, wobei die Wirkung mit wiederholten Injektionen zunimmt. Systematische Übersichtsarbeiten weisen darauf hin, dass PRP bei KOA bessere klinische Ergebnisse als HA erzielt, insbesondere hinsichtlich Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung. Die Sicherheit beider Verfahren ist vergleichbar. (Tavassoli et al., 2019), (Belk et al., 2021).
Drei sehr aktuelle random controlled trials (RCTs) haben die Tatsache hervorgehoben, dass die meisten Studien zwar die Überlegenheit der PRP-Behandlung gegenüber anderen injizierbaren Wirkstoffen, einschließlich Placebo, gezeigt haben, dass aber nicht alle Studien konsistente Ergebnisse gezeigt haben, was durch die immer noch bestehende Variabilität der Studienmethodik sowie der Produkt- und Protokollvariabilität erklärt werden könnte und ein Thema für weitere Untersuchungen und Forschungen ist. Die jüngste RESTORE-Studie zum Beispiel hat dies deutlich gemacht, indem sie keine Überlegenheit der PRPBehandlung gegenüber Placebo feststellte, (Bennell et al., 2021) während zwei andere neuere RCTs erneut die Überlegenheit der PRP-Behandlung gegenüber Placebo gezeigt haben (Chu et al., 2022; Yurtbay et al., 2022), wobei es sich bei der einen um eine vierarmige Studie handelte, in der ebenfalls 1 vs. 3 Injektionen von sowohl Placebo (Kochsalzlösung) als auch PRP verglichen wurden. (Yurtbay et al., 2022).
Eine umfassende Metaanalyse mit 34 randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) und insgesamt 1 403 PRP-behandelten sowie 1 426 Kontroll-Kniegelenken ergab, dass PRP im WOMAC-Score besser abschnitt als Placebo, HA und Kortison (Filardo et al., 2021). Dennoch wurde nicht in allen Parametern eine klinisch relevante Verbesserung erreicht. PRP scheint vielmehr den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und Symptome zu lindern. Obwohl PRP signifikante Effekte erzielt – mit nachgewiesener Wirksamkeit über ein Jahr, wobei Langzeitwirkung gegenüber Placebo noch deutlicher ausfällt – konnte allerdings bislang keine Studie eine echte Krankheitsmodifikation oder eine Verbesserung des Arthrosegrades nachweisen Vergleicht man PRP jedoch mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) oder reinen Schmerztherapien, erscheint die Anwendung von Blutderivaten vorteilhafter, insbesondere im Hinblick auf Nebenwirkungen. Das Nebenwirkungsrisiko ist gering und beschränkt sich größtenteils auf die geringe Infektionsgefahr bei der Injektion, die durch geschlossene Herstellungssysteme und sterile Applikation weiter minimiert werden kann.
Die Frage, ob leukozytenreiches (LR) oder leukozytenarmes (LP) PRP bei Gonarthrose wirksamer ist, bleibt bislang unbeantwortet. Beide Varianten zeigen positive klinische Ergebnisse, unterscheiden sich jedoch in ihren Wirkmechanismen. Zukünftige Forschung muss klären, welche Formulierung je nach Gelenkzustand – ob akute Entzündung, fortgeschrittene Gonarthrose oder reizlose Arthrose – die beste Wirkung erzielt.
Conclusio
PRP kann bei Patienten mit frühen degenerativen Knieveränderungen (Kellgren-Lawrence 1–3) eine effektive Schmerzlinderung bewirken und sollte insbesondere bei moderater Knie-Osteoarthrose in Betracht gezogen werden. Für Patienten mit fortgeschrittener Osteoarthrose (Kellgren-Lawrence 4) wird die Anwendung jedoch nicht empfohlen. Klinische Studien zeigen, dass leukozytenarmes PRP die bevorzugte Methode zur Behandlung von Osteoarthritis ist. Zukünftige Forschung sollte sich auf eine standardisierte Herstellung von Blutderivaten sowie auf differenzierte Anwendungsprofile konzentrieren. Dabei gilt es, internationale Behandlungsrichtlinien zu beachten, die Injektionstherapien nicht als Erstlinientherapie empfehlen. Vorrang haben konservative Maßnahmen wie Lebensstil- und Ernährungsanpassungen, um eine langfristige Behandlung von Arthrosepatienten zu gewährleisten.
Fazit für die Praxis
- Grundlagenwissenschaftliche Arbeiten zeigen positive Effekte von PRP auf Knorpelgewebe und bei Gonarthrose
- Zu bevorzugen sind geschlossene Herstellungssysteme
- Klinische Daten zeigen eine mindestens gleichwertige bis überlegene Wirkung von PRP verglichen mit Hyaluronsäure bei Gonarthrose
- Nach wie vor erschweren die Variabilität der Herstellung, Zusammensetzung und Applikation von PRP die klinische Evaluierung
Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.