Berlin – Zu leichtfertig und ohne diagnostische Absicherung würden in Deutschland Antibiotika verordnet, so der BKK-Landesverband Nordwest in einer aktuellen Pressemitteilung. Die Krankenkasse fordert deshalb ein flächendeckendes Antibiogramm für alle Verdachtsfälle. Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) verurteilte die Pauschalkritik der BKK Nordwest und fordert eine differenziertere Betrachtung.
Den Äußerungen der BKK war eine Mitteilung des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe an die Zeitungen der Funke Mediengruppe vorausgegangen. Am letzten Samstag gab Gröhe bekannt, im Rahmen des geplanten Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetzes den zielgenaueren Einsatz von Antibiotika fördern zu wollen. Zu diesem Zweck sollen diagnostische Verfahren künftig besser vergütet und neue Schnelltestmethoden entwickelt werden. Damit will Gröhe der zunehmenden Gefahr multiresistenter Erreger begegnen, die gerade auch durch die zu häufige Verordnung von Antibiotika zu einem immer größeren Problem im Gesundheitswesen werden.
BKK: Diagnostische Absicherung durch verpflichtendes Antibiogramm
Die BKK Nordwest kritisierte Gröhes Vorschläge als unzureichend: bis zur Entwicklung neuer Schnelltests könnten Jahre vergehen und auch finanzielle Anreize würden nicht ausreichen, um wirksame Änderungen beim Vorgehen zur Antibiotikaverordnung herbeizuführen. Zudem gebe es mit dem Antibiogramm bereits ein geeignetes Testverfahren, so die Krankenkasse.
Sie fordert in ihrer Pressemitteilung verpflichtende Regelungen zur Anwendung des Antibiogramms. Demnach solle das Testverfahren bei jedem Verdachtsfall zur diagnostischen Absicherung zum Einsatz kommen. Denn bisher würden 95 Prozent der Antibiotika ohne vorherigen diagnostischen Test verschrieben, so die Krankenkasse mit Verweis auf eine aktuelle Studie der BKK-Landesverbände Nordwest und Mitte.
SpiFa: BKK-Forderung ist Heuchelei
Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa bezeichnete diese Forderung als Heuchelei: „Gerade die Krankenkassen, die die Budgetierung im ambulanten Bereich mit allen Mitteln verteidigen, bezeichnen die steigenden Laborkosten immer wieder als unnötig verordnete Leistungen und bedrohen Ärzte regelmäßig mit Regressen“, beklagt er. „Insofern ist die aktuelle Forderung von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, Schnelltests zukünftig zu bezahlen, völlig richtig“, so Heinrich.
Sinnvoller Einsatz von Antibiotika und Aufklärung
Zum Vorwurf des leichtfertigen Einsatzes von Antibiotika durch Ärzte entgegnete er: „Die niedergelassenen Ärzte arbeiten schon lange mit ganz differenzierten Mitteln am sinnvollen Einsatz von Antibiotika.“ Evidenzbasiert würden beispielsweise Symptomscores eingesetzt, um die Notwendigkeit von Antibiotika einschätzen zu können. Auch auf der Ebene der Patientenaufklärung wird immer mehr getan, wie unter anderem eine Kampagne der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe zeigt, die Ende letzten Jahres initiiert wurde und Patienten mittels Plakaten und Infobroschüren über das Thema Antibiotikaverordnung aufklären soll.
SpiFa: BKK ignoriert medizinische Leitlinien
Zudem ignoriere die BKK mit ihrer pauschalen Kritik die medizinischen Leitlinien, so Heinrich: „Ein Abstrich mit Antibiogramm kann sinnvoll sein, allerdings nur, wenn dies richtig eingesetzt wird. Bei vielen Infektionen sind aber die typischen Keimspektren bekannt, die Notwendigkeit einer Antibiose kann klinisch eingeschätzt werden und ein Antibiogramm ist dann nur im Einzelfall sinnvoll. Darüber hinaus gibt es viele Infektionen, die sich einem Antibiogramm entziehen“, erklärt Heinrich.
Anne Faulmann
Bild: raresb/Fotolia
Weitere Informationen:
Pressemitteilung der BKK Nordwest
Kampagne der KVen Nordrhein und Westfahlen-Lippe