Erste Schritte in die kurzstationäre Endoprothetik:
Schon seit meiner ersten Fellowship in den USA im Jahre 1999, war die Aufnahme des Patienten am Tag der Operation Standard am Hospital for Special Surgery in New York. Die in Deutschland noch damals gültige Regel zur stationären Aufnahme am Tag vor der Operation war in den USA schon damals kein Standard mehr. Die Ursache dafür ist am ehesten in der Organisation der ambulanten Versorgung in den USA zu suchen. In den USA ist der Operateur in der Regel auch der Einweiser. Das heißt, er kennt den Patienten schon von der vorherigen konservativen Behandlung und den daraus resultierenden Praxisbesuchen, sodass eine Aufnahme am Tag vor der Operation zur Indikationsprüfung nicht notwendig ist. Ist erst einmal die Aufnahme am Tag vor der Operation aus orthopädischer Sicht nicht mehr notwendig, dann bleibt nur sicherzustellen, dass der Patient medizinisch adäquat abgeklärt wurde und eine entsprechende Optimierung veranlasst wurde. Dafür sind am Hospital for Special Surgery sogenannte „Hospitalists“ zuständig, die als Allgemeinmediziner oder in der Regel als Facharzt für Innere Medizin alle Patienten vor der Operation für den entsprechenden Eingriff beurteilen und auch während des Krankenhausaufenthaltes für die medizinischen Belange des Patienten zuständig sind. Wichtig ist, dass wir für Endoprothesenoperationen und andere größere Eingriffe diese „medical clearance“ durch unsere Ärzte vornehmen lassen. Bei allen kleineren Eingriffen erfolgt die prästationäre Beurteilung durch den Hausarzt. Mit der zunehmenden ambulanten Versorgung werden auch in den USA zunehmend die Hausärzte hier eine stärkere Rolle spielen. Darüber hinaus ist die Minimale Verweildauer (MVD), wie sie im deutschen System etabliert ist, den Amerikanern fremd. Die MVD ist ein klassisch bürokratisches Instrument. Sie suggeriert, dass ein gewisser stationärer Aufenthalt notwendig ist, um eine qualitativ hochwertige Versorgung, die eine volle Fallpauschale rechtfertigt, zu ermöglichen. Darüber hinaus setzen die Abschläge, die Versicherungen bei kürzeren Aufenthalten verlangen, keine wirklichen Inzentiven, den Krankenhausaufenthalt zu verkürzen. Die Fallpauschale überbewertet die Kosten für den stationären Aufenthalt. Im Gegensatz zu den USA ist in Deutschland deshalb ein kürzerer stationärer Aufenthalt unter der minimalen Verweildauer eher unrentabel. Mit amerikanischem Blickwinkel würde man argumentieren, dass definierte Verweildauern und zusätzliche Prüfungen durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen die Effizienz des deutschen Systems momentan hemmen. In Amerika erfolgte die Zahlung der vollen Fallpauschale für viele Jahre unabhängig von der Verweildauer. Das System sSetzte unentwegt finanzielle Anreize, die Verweildauer Schritt für Schritt zu senken. So hat sich in den vergangenen 18 Jahren meiner selbständigen Tätigkeit die Verweildauer von anfangs vier Tagen für Hüftprothesen und fünf Tagen für Knieprothesen auf heute unter einem Tag für beide Eingriffe verringert hat. Diese relevante Verkürzung der Verweildauer hatte bis vor kurzem keinen Einfluss auf das gezahlte Honorar. Somit gab es in den USA jahrzehntelang Anreize für Endoprothetiker, die Verweildauer zu senken. Erst als die Senkung der Verweildauer zu einem flächendeckenden, erhöhten Angebot ambulanter Operationen geführt hatte, wurde sukzessive auch das Krankenhausentgelt reduziert. Diese Anreize haben schon früh dazu geführt, dass Behandlungspfade, so genannte „Therapie-Pathways“, etabliert wurden, um die perioperative Betreuung und postoperative Therapie zu standardisieren. Große Anstrengungen wurden in den letzten Jahren unternommen, um wissenschaftlich zu untersuchen, welche Thromboseprophylaxe, Schmerztherapie und Rehabilitation es ermöglicht den stationären Aufenthalt zu verkürzen. Im Ergebnis haben wir in den USA während der letzten 20 Jahre eine kontinuierliche Verkürzung des stationären Aufenthaltes erlebt und es war nur eine Frage der Zeit, dass die Endoprothetik der Hüfte und des Kniegelenks auch ambulant durchgeführt wurde. Der größte „Push“ kam während der Covid-Pandemie, als sowohl die Interessen US-amerikanischer Chirurgen, durch einen kürzen Krankenhausaufenthalt Kosten zu reduzieren und den persönlichen Gewinn aus der Operation zu erhöhen, und der Wunsch des Patienten, das Covid-Infektionsrisiko durch einen möglichst kurzen Krankenhausaufenthalt zu minimieren, zu steigenden ambulanten Fallzahlen in den USA geführt haben. Diese beidseitige Motivation machte es erst möglich, Vorbehalte amerikanischer Patienten nachhaltig zu überwinden und die ambulante Endoprothetik im großen Stil in den USA einzuführen.
In den USA sind ambulante und kurz stationäre Versorgungskonzepte in der Endoprothetik mittlerweile Standard. Für die Umsetzung des Konzeptes in Deutschland wäre der erste Schritt die Abschaffung der minimalen Verweildauer ohne Reduktion der Fallpauschale.
Dr. Friedrich Böttner
Stationäre Rehabilitation – Bundled Payment Programme:
In den USA wurden in den letzten zehn Jahren verschiedene sogenannte „Bundled Payment Programme“ etabliert. Das Ziel war, die gesamte Therapie, die im Rahmen einer Prothesenimplantation notwendig ist, also nicht nur die Operation und der darauffolgende akute stationäre Aufenthalt, sondern auch die präoperative Optimierung und die postoperative Rehabilitation zu einer gebündelten Zahlung zusammenzufassen und Kliniken und Ärzte an den Kosteneinsparungen zu beteiligen. Versicherer haben zudem dann noch einen gesunden Wettbewerb unter den Leistungserbringern angeregt, indem sie den Versorgern, die unterdurchschnittliche Kosten verursachten, zusätzlich einen Bonus zahlen. Diese Anreize führten zu einer weiteren Optimierung des stationären Aufenthaltes. Da die postoperative Rehabilitation Teil der Therapiekosten ist, wurde zu dieser Zeit auch hinterfragt, welche Rehabilitationsmaßnahmen wirklich notwendig sind. Relativ früh wurde klar, dass eine stationäre Rehabilitation zu keinem besseren Outcome beitrug.
Beispiele für Bundled Payment Programme in den USA:
1. Bundled Payments for Care Improvement (BPCI)
- Einführung: Dieses Programm wurde 2012 von den Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) ins Leben gerufen.
- Struktur: Es handelt sich um ein freiwilliges Programm, bei dem Anbieter Zahlungsvereinbarungen treffen, die sowohl finanzielle als auch leistungsbezogene Verantwortung für Behandlungsabschnitte umfassen. Der Ersatz von Gelenken der unteren Extremität war eines der am häufigsten gewählte Bündel.
2. Comprehensive Care for Joint Replacement (CJR)
- Einführung: Dieses Programm wurde 2016 von den Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) eingeführt.
- Struktur: Das war ein verpflichtendes Programm für Krankenhäuser in ausgewählten Regionen und konzentriert sich auf Bundled Payment Zahlungen für Knie- und Hüftgelenksersatzoperationen.
- Ziel: Das Programm soll die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern, Ärzten und Anbietern der Nachsorge fördern, um die Qualität und Koordination der Versorgung zu verbessern.
Auswirkungen und Kosteneinsparungen:
Erfahrungen des Baptist Health Systems (BHS):
Zwischen Juli 2008 und Juni 2015 konnte BHS eine Reduktion der Gesamtkosten je komplikationslose Medicare Behandlung um 20,8 % verzeichnen. Dies entspricht einer Einsparung von 5.577 USD pro endoprothetischer Versorgung. Die Kostensenkungen wurden vor allem durch geringere Implantatkosten und reduzierte Nutzung von stationärer Rehabilitation und Pflegeeinrichtungen erreicht.
Studie der RAND Corporation:
Bundled Payment Programme mit Patientenanreizen führten zu einer durchschnittlichen Reduktion der Gesamtkosten pro Eingriff um 4.229 USD (10,7 %). Patienten konnten zudem durchschnittlich 27,7 % ihrer Eigenkosten einsparen, was einer Reduktion von 498 USD entspricht.
Beurteilung des Erfolgs des Medicare-CJR-Modells:
In den ersten zwei Jahren (2016–2017) resultierte das CJR-Modell in durchschnittlichen Einsparungen von 812 USD pro Gelenkersatzverfahren, was einer Kostensenkung von 3,1 % im Vergleich zu traditionellen Zahlungsmodellen entsprach. Wichtig ist, dass keine Erhöhung der Komplikationsraten festgestellt wurde, was darauf hinweist, dass die Kostensenkungen nicht zu Lasten der Patientenversorgung gingen.
Die Bundled Payment Programme in den USA haben gezeigt, dass eine stationäre Rehabilitation für die meisten Patienten nach einer Endoprothesenimplantation nicht notwendig ist. Das Gros der Kostenreduktion in diesen Programmen erfolgte in den USA somit durch Reduktion der Implantatkosten und durch Einsparungen in der stationären Rehabilitation. In der frühen postoperativen Phase werden die Patienten in den USA oft von ambulanten Physiotherapeuten zuhause betreut. In der Regel sollten diese am Tag nach der Operation den Patienten besuchen und dann in der Folgezeit 1–2 Mal in der Woche den Therapiefortschritt begleiten. Bei entsprechendem Bedarf stehen auch Haushaltshilfen und ambulante Krankenschwestern für die Betreuung zu Hause zur Verfügung. Nach Meinung des Autors führt eine stationäre Rehabilitation nach Knie- und Hüftendoprothese nicht unbedingt zu einem besseren Therapieergebnis, sondern kann durch eine zu intensive Beübung sogar nachteilig sein. Leider setzt das deutsche System hier oft noch die falschen finanziellen Anreize. Es macht sicher keinen Sinn, das Knie eines Patienten nach Knieprothese durch bis zu acht verschiedene Anwendungen am Tag während einer stationären Reha zu überstrapazieren. Wir denken oft, dass nicht genug Geld im System ist, aber in Wirklichkeit hätten die Akutkliniken, die für die operative Versorgung verantwortlich sind, eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung, wenn Geld aus der stationären Rehabilitation in die operative Therapie und die ambulante Rehabilitation umgeleitet werden würde. Dies ist aber gerade in Deutschland auch nicht nur ein politisches Problem, sondern eben auch ein kulturelles. Es ist inzwischen tief in den Köpfen der Patienten verankert, dass eine stationäre Rehabilitation nach einer Endoprothese notwendig ist und man diesen Anspruch auch vehement einfordern muss.
Ambulante Operationszentren – der Einfluss staatlicher Regulation:
Die Möglichkeit für Operateure und Praxen ihre eigenen ambulanten Operationszentren zu gründen und damit den gesamten Behandlungsablauf zu kontrollieren und damit auch von der verbesserten Effizienz direkt finanziell zu profitieren war eine wichtige Motivation für die rasante Zunahme der ambulanten Endoprothesenoperationen. In den USA sind „Certificate of Need“ (CON)-Gesetze staatliche Regulierungen, die vorschreiben, dass Gesundheitsdienstleister vor der Eröffnung oder Erweiterung von Einrichtungen eine Genehmigung einholen müssen, um den Bedarf nachzuweisen. Diese Gesetze betreffen häufig die Gründung von ambulanten Operationszentren (Ambulatory Surgery Centers, ASCs). Derzeit haben 35 Bundesstaaten und der District of Columbia CON-Gesetze, wobei die spezifischen Anforderungen variieren. In einigen Staaten gelten diese Gesetze nicht für ambulante Operationszentren, während in anderen eine Genehmigung erforderlich ist. Beispielsweise benötigen ambulante Operationszentren in 23 Staaten eine CON-Genehmigung, was die Gründung neuer Zentren erschwert. Studien zeigen, dass Staaten mit strengen CON-Gesetzen tendenziell weniger ambulante Operationszentren pro Kopf haben. In Staaten ohne CON-Gesetze gibt es durchschnittlich 1,96 ambulante Operationszentren pro 100.000 Einwohner, während Staaten mit CON-Beschränkungen für ASCs durchschnittlich nur 1,57 ASCs pro 100.000 Einwohner aufweisen. So gibt es in dem Bundestaat Maryland mit relativen freizügigen Gesetzen, die die Gründung von ambulanten Operationszentren erleichtern, 5,54 ambulante Operationszentren pro 100.000 Einwohner, während es in New York nur 0,73 gibt. Die Einschränkungen durch CON-Gesetze begrenzen derzeit in einigen Bundesstaaten den Wettbewerb und damit den Zugang zu kostengünstigen ambulanten Operationen. In den USA zeigt sich, dass derartige Einschränkungen der beruflichen Freiheit von Ärzten negative Auswirkungen auf die zügige Erhöhung des Prozentsatzes ambulanter Operationen haben. So wie in Deutschland Kostenabschläge bei kurzstationären und ambulanten Endoprothetikoperationen Entwicklungen hin zu einer ambulanten Versorgung blockieren, so sind es in den USA derzeit Einschränkungen für Ärzte, ihre eigenen Operationszentren zu gründen. Am Beispiel ambulanter Operationen kann man gut verstehen, dass manche Eingriffe des Gesetzgebers ein Hemmnis für die ökonomische Weiterentwicklung der Medizin sein können. Aus den Erfahrungen des Autors im US-amerikanischen Gesundheitssystem zeigt sich, dass der Versuch, Krankenhäuser in ihrem Status als alleinige Versorgungseinrichtungen für die Erbringung endoprothetischer Leistungen zu schützen, die Entwicklung hin zu kostengünstiger, ambulanter Versorgung in den USA behindert hat. Wichtig ist es auch, dass größere wirtschaftliche Freiheiten immer auch durch eine bessere Qualitätskontrolle abgesichert werden.
Covid und die ambulante Endoprothetik:
Die COVID-19-Pandemie hat die Einführung ambulanter Knie- und Hüftendoprothetik in den USA rasant beschleunigt. Während der Pandemie wurden elektive Operationen, einschließlich totaler Gelenkersatzverfahren, landesweit ausgesetzt, was zu einem deutlichen Rückgang der Operationszahlen führte. So sank das Volumen elektiver Hüft- und Knieendoprothesenoperationen im Jahr 2020 auf 48 % des jährlichen Durchschnitts der Vorjahre. Um den Zugang zur Versorgung aufrechtzuerhalten, wurde ein verstärkter Übergang von stationären zu ambulanten Operationen beobachtet. Der Anteil der ambulant durchgeführten Hüft- und Knieendoprothesen stieg von 1 % vor der Pandemie auf 39 % bzw. 36 % im Jahr 2022. Zum Teil wurde diese Verschiebung aktiv durch Gesetze der Bundesstaaten ermöglicht, da elektive Eingriffe aus Gründen des Infektionsschutzes nur ambulant gestattet waren, auch um stationäre Betten für Patienten mit einer COVID-Infektion freizuhalten. Darüber hinaus gab es auch politische Veränderungen, wie das Streichen einer Hüftendoprothesen-OP von der „Medicare-Inpatient-Only-Liste“, was die Ambulantisierung der Endoprothetik in den USA erleichterte oder zum Teil auch erst ermöglichte. Retrospektiv blieben Komplikationsraten dabei stabil und die Versorgungsqualität bei ambulanten Endoprothesen während der Pandemie unbeeinträchtigt. Diese Entwicklungen stellen auch etablierte Kliniken, wie das Hospital for Special Surgery, die primär sich auf die stationäre Versorgung fokussiert haben, vor erhebliche Probleme. Wurden 2019 noch 93 % der primären Endoprothesen als „in-patient“ abgerechnet, so werden dies 2025 nur noch etwa 17 % sein. Da inzwischen auch in den USA deutlich geringere Entgelte für ambulante Operationen gezahlt werden, hat das zu erheblichen finanziellen Einbußen für Kliniken geführt und wird langfristig den Trend zu ambulanten Operationszentren weiter verstärken.
Zusammenfassung:
In den USA sind ambulante und kurz stationäre Versorgungskonzepte in der Endoprothetik mittlerweile Standard. Für die Umsetzung des Konzeptes in Deutschland wäre der erste Schritt die Abschaffung der minimalen Verweildauer ohne Reduktion der Fallpauschale. Dieser einfache Schritt würde kurzfristig nicht nur generelle Anreize schaffen, den stationären Aufenthalt zu verkürzen, sondern würde auch die Instrumentalisierung des medizinischen Dienstes als bürokratische Zwangsjacke der Kliniken eliminieren. Aus der Sicht des Autors ist es wichtig, dass Fachgesellschaften und Versicherungen gleichermaßen klarstellen, dass die Länge des stationären Aufenthaltes nicht ein Maßstab der Qualität der Versorgung ist. Begleitend müssen aber auch nach US-amerikanischem Vorbild adäquate ambulante Nachsorgestrukturen etabliert werden. In Anbetracht der Tatsache, dass in Deutschland derzeit die Höhe der Fallpauschale de facto jährlich nicht adäquat angepasst wird und/oder sogar trotz steigender Personal- und Sachkosten gesenkt wird, könnten ambulante Konzepte in der Endoprothetik Kliniken und Ärzten einen Anreiz bieten, durch Effizienz und Optimierung der Versorgung weiter wirtschaftlich profitabel zu bleiben. Eine solche Anpassung sollte auch in Deutschland schrittweise erfolgen, um die sichere Versorgung der Patienten auch in Zukunft zu garantieren.
Die Literatur finden Sie unter www.bvou.net im entsprechenden
Themendossier zum Heft.
