Es ist davon auszugehen, dass in den westlichen Industrieländern ca. 15 bis 20% der Menschen über 65 Jahren an einer Koxarthrose leiden. Im Rahmen des demographischen Wandels wird dieser Anteil noch deutlich zunehmen. Aktuelle Aspekte zu Diagnose und Therapie finden sich in der Leitlinie Koxarthrose7 der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC).
Diese Leitlinie stellt wie andere internationale Leitlinien3, 4, 6 die nicht-operativen Behandlungsoptionen in den Vordergrund und betont die Einbeziehung des Patienten in therapeutische Entscheidungen im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung. Zu den nicht-operativen Verfahren zählen Patientenschulung, nicht-medikamentöse
Therapiemaßnahmen und die medikamentöse Behandlung.
Patientenschulung
Leitlinien3, 4, 6, 7 messen der Schulung und Information des Patienten über Krankheit, den Krankheitsprozess, Behandlungsoptionen und Notwendigkeit von Bewegung unter Vermeidung von Überlastung einen hohen Stellenwert bei. Die Motivation zur Gewichtsreduktion bei übergewichtigen Patienten wird im Hinblick auf die Koxarthrose anders als bei der Gonarthrose nicht einheitlich empfohlen.
Bewegungstherapie
Neben einem günstigen Nutzen-Risiko-Profil konnten in den letzten Jahren in mehreren randomisierten, kontrollierten Studien klinisch relevante Effekte insbesondere für aktive Therapieansätze nachgewiesen werden.1, 5, 8, 9 Insbesondere bewegungstherapeutische Interventionen in Form von Kraft-, Ausdauer-, Beweglichkeits- und Aquatraining haben sich in der Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen als Kernelement konservativer Behandlungsstrategien etabliert. Mit ihrer vielfältigen funktionell-somatischen, aber auch psychosozialen Wirkung wird die Bewegungstherapie dazu eingesetzt, die Pathophysiologie und Symptomatik geschädigter Körperfunktionen und -strukturen positiv zu beeinflussen, Bewegungsfertigkeiten zu verbessern und eine nachhaltige
Gesundheitskompetenz durch Bindung an regelmäßige und angepasste körperliche Aktivität aufzubauen. Das Training sollte zunächst durch einen bewegungstherapeutisch erfahrenen Therapeuten angeleitet werden, um für weitere selbständig durchgeführte Maßnahmen eine hohe Compliance zu erzielen. Gerade bei einer Koxarthrose kommt es im Krankheitsverlauf häufiger zu einer Abnahme der allgemeinen körperlichen Belastungsfähigkeit, was für die Bewältigung alltäglicher Aufgaben und die Selbständigkeit vor allem älterer Menschen eine grundlegende Bedeutung hat. Aktive Therapien beugen hier nicht nur einem Funktionsverlust vor, sondern fördern die soziale Teilhabe und Lebensqualität und können den Zeitpunkt für einen operativen Gelenkersatz hinauszögern.
Bei der Auswahl und Trainingsintensität der einzelnen Therapieverfahren sollten immer nachfolgende Faktoren berücksichtigt werden:
- Ursache
- Schweregrad und Symptomatik der Erkrankung
- Alter und Aktivitätsgrad des Patienten
- Begleiterkrankungen und Allgemeinzustand
- Lebensqualität, berufliche Situation und Erwartungshaltung.
Obwohl körperliches Training nach jetzigem Wissensstand zwar keinen direkten Einfluss auf die pathophysiologischen Veränderungen der Hüftarthrose hat und eine weitere Schädigung des hyalinen Knorpels nicht aufhalten kann, hat Bewegung einen nachweisbaren positiven Einfluss auf die Schmerzsymptomatik, Gelenkbeweglichkeit, Kraft, Gleichgewichtsfähigkeit und die allgemeine Aktivität mitsamt der von Patienten hierdurch selbst wahrgenommenen Behinderung. So können auch Low Impact Sportarten Schmerzen bei beginnender Arthrose reduzieren, Beweglichkeit und Kraft der gelenkstabilisierenden Muskulatur verbessern und den Gelenkstoffwechsel ökonomisieren.
Da es etwa ab der sechsten Lebensdekade zu einer beschleunigten Abnahme der Maximalkraft kommt, die sich in der achten Dekade nochmals steigert, ist zum Erhalt der Mobilität und auch der Fähigkeit, sich im Alltag selbst zu versorgen neben koordinativen und kardiopulmonal wirksamen Trainingsinhalten ein angepasstes muskuläres Krafttraining sinnvoll. Je inaktiver der Lebensstil, desto frühzeitiger zeigen sich altersbedingte degenerative Veränderungen. Krafttraining führt gerade auch bei älteren Menschen durch Erhöhung des Muskelvolumens zu einer Zunahme der Muskelkraft und Optimierung der Rekrutierung motorischer Einheiten, wodurch sich die Gangsicherheit und Ganggeschwindigkeit verbessert. Das Ausmaß der Anpassung bei älteren Menschen über 60 Jahre ist dabei mit dem von Jüngeren durchaus vergleichbar.
Systematische Untersuchungen und Aussagen zur Dosierung der Häufigkeit, Dauer, Intensität und Bewegungsform körperlicher Aktivität bei Arthrose gab es in der Vergangenheit allerdings nur wenige. Unabhängig davon stellen eine selbst gewählte moderat-intensive Belastungsintensität und langsame Belastungssteigerung verbunden mit einer schmerzfreien Bewegungsausführung die wichtigsten Trainingsprinzipien dar. Häufigere kürzere Trainingseinheiten (3×30 Minuten/Woche) scheinen sinnvoller zu sein als längere wenige Einheiten und werden von der WHO empfohlen. Einzelne Therapiearten weisen gegenüber anderen keine Überlegenheit auf, so dass die Therapien anhand individueller Präferenzen zusammen mit den Therapeuten ausgewählt und aktive Behandlungsverfahren durch passive Therapiemaßnahmen (Thermotherapie, Manuelle Therapie, physikalische Anwendungen) ergänzt werden können. Der Einsatz alternativer Therapieverfahren wie Magnetfeld, Phyto- und Aromatherapie kann nicht generell
empfohlen werden, da die Studienlage aufgrund der mangelnden Qualität zu inkonsistent ist. Akupunktur kann einen zusätzlich positiven Einfluss auf Funktion und Lebensqualität haben, obwohl die Studienlage auch hier nicht einheitlich ist.
Medikamentöse Therapie
Zur Reduktion von Schmerz und Entzündung stellt die medikamentöse Therapie einen wichtigen Bestandteil im konservativen Behandlungsregime der Arthrose dar. Bei der Auswahl der Schmerzmedikation müssen aber mit zunehmendem Alter immer mehr individuelle Risiken durch die mitunter bestehende Multimorbidität (wie z. B. Leber- und Niereninsuffizienz, Herzinfarkt, Schlaganfall, Allergien etc.) berücksichtigt werden. Eine oftmals vorhandene Co- und Multimedikation kann zusammen mit der im Alter eränderten Pharmakodynamik und -kinetik zu einem deutlich erhöhten Risiko für das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) führen.
Der orale Einsatz von tNSAR und Coxiben bei der Arthrose ist weit verbreitet. Er sollte sich aber auf Schmerz- und Entzündungsperioden beschränken, d. h. so kurz und niedrig dosiert wie möglich erfolgen. Mitunter kommen größere Schwankungen in der individuellen Verfügbarkeit und Halbwertzeit vor, so dass sich die einzelnen Substanzen interindividuell in Bezug auf ihren Wirkeffekt und das Nebenwirkungspotential unterscheiden. Im Vordergrund der UAW stehen vor allem gastrointestinale, kardiovaskuläre, hepatische und renale Komplikationen sowie Wirkungen auf das Gerinnungssystem mit einem erhöhten Blutungsrisiko. Daher sollte die Indikation für eine Behandlung mit tNSAR bei älteren Patienten immer streng gestellt werden. Zum Schutz des oberen Gastrointestinaltraktes ist eine begleitende Therapie mit einem Protonenpumpeninhibitor indiziert. Ein erhöhtes Blutungsrisiko zeigt die Kombination von tNSAR und Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI).
Die Kombination von Ibuprofen und ASS führt bei zeitgleicher Einnahme zu einem Ausbleiben der irreversiblen thrombozyten-aggregationshemmenden Wirkung von ASS, da beide Substanzen um die Rezeptorbindung an den Thrombozyten konkurrieren. Unter der Therapie mit tNSAR sollte besonders auch der Effekt auf die Nierenfunktion beachtet werden. Speziell die gemeinsame Verordnung von tNSAR und ACE-Hemmern bzw. Sartanen ist problematisch, da beide Substanzgruppen die Autoregulation der Nieren beeinflussen und ein Nierenversagen induzieren können. Die Einnahme von tNSAR und Coxiben kann zu einer Blutdrucksteigerung und einer verminderten Wirkung antihypertensiver Substanzen wie ß-Blocker und Diuretika führen. TNSAR können zudem in Kombination mit Sulfonylharnstoffen das Risiko einer Hypoglykämie steigern.
Der Einsatz von Paracetamol war vor Jahren noch Goldstandard, hat aber heute keine wesentliche Bedeutung mehr. Insgesamt wird von der Anwendung sogar eher abgeraten. Metamizol hat zwar eine gute analgetische und antipyretische, aber keine antiphlogistische Wirkung und ist für die Behandlung einer Arthrose nicht zugelassen. Soweit aber Kontraindikationen gegenüber anderen Substanzen bestehen, kann Metamizol bei akuten oder chronischen starken Schmerzen versuchshalber eingesetzt werden. Haupt-UAW ist die Agranulozytose, die auch von der Dosis und zeitlichen Einnahme sowie genetischen Faktoren abhängt und besondere Anforderungen an eine dokumentierte Aufklärung stellt. Bei gleichzeitiger Einnahme von ASS können Interaktionen im Hinblick auf die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung von ASS bestehen.2
Eindeutige Studien mit Opioiden zur schmerztherapeutischen Behandlung der Arthrose fehlen. Opioide sollten daher nur kurzfristig und in der niedrigsten Dosierung dann zum Einsatz kommen, wenn andere Maßnahmen wie die Gabe von NSAR nicht möglich sind oder Komorbiditäten keine andere Wahl lassen. Ihr Einsatz ist gerade bei älteren Patienten aufgrund von Nebenwirkungen nicht unumstritten. Nachteilig sind vor allem die zentralnervösen Effekte mit der Gefahr für Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und eines damit erhöhten Sturzrisikos. Für Opioide gibt es keine Standarddosen, daher gilt das Motto: start low (schwache Opioide), go slow. Prophylaktisch sollte gegen eine opioidinduzierte Obstipation für die Dauer der Therapie eine osmotisch wirksame Substanz und gegen eine opioidinduzierte Nausea oder Übelkeit ein Antiemetikum gegeben werden. Bei gleichzeitiger Einnahme von Benzodiazepinen, Antidepressiva, Phenothiazinen, Hypnotika und Antihistaminika mit sedativer Wirkung kann die sedierende Wirkung verstärkt werden. Einige Opioide (Tapentadol, Fentanyl, Buprenorphin) können ein Serotoninsyndrom (paradoxe Unruheoder gar Angstzustände) verursachen, vor allem in Kombination mit Medikamenten aus der SSRIGruppe und z.B. Triptanen und CYP-3A4-Inhibitoren wie Verapamil, Diltiazem, Amiodaron, Erythromycin oder Cimetidin, da diese ebenfalls Einfluss auf den Serotoninspiegel haben. Bei eingeschränkter Nierenfunktion und fortgeschrittener Leberinsuffizienz sollte Hydromorphon bevorzugt werden.
Die Datenlage für eine chondroprotektive bzw. analgetische und funktionsverbessernde Wirkung der sogenannten SYSADOA (Symptomatic Slow Acting Drugs in OsteoArthritis: Glucosaminsulfat, Glucosamin-Hydrochlorid und Chondroitinsulfat) ist in der Literatur aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten der einzelnen Studien widersprüchlich. Liegen Anwendungsbeschränkungen bzw. Kontraindikationen für den Einsatz anderer Medikamente vor (höheres Lebensalter, Begleiterkrankungen) kann die Gabe von Glucosamin gemäß deutscher Leitlinie aber in Erwägung gezogen werden. Auch Hyaluronsäurepräparate werden zur Behandlung symptomatischer Arthrosen eingesetzt. Trotzdem ist die Wirksamkeit weiter umstritten, so dass in internationalen Leitlinien unterschiedliche Empfehlungen für den Einsatz gegeben werden, zumal sich die einzelnen Hyaluronsäure-Substanzen erheblich voneinander unterscheiden. Auch die Datenlage zu intraartikulär applizierten Corticosteroiden ist different, so dass die Injektion auf den individuellen Fall beschränkt sein sollte. Gleiches gilt für die Behandlung mittels PRP, zumal Wirkmechanismus und Beeinflussung der arthrotischen Veränderungen sich auch aufgrund unterschiedlicher Herstellungsverfahren und damit möglicherweise einhergehender differenter Produkteigenschaften nicht beurteilen lassen.
Literatur
- Abbott JH, Robertson MC, Chapple C et al. Manual therapy, exercise therapy, or both, in addition to usual care, for osteoarthritis of the hip or knee: a randomized controlled trial. 1: clinical effectiveness. Osteoarthr Cartil 21: 525–534; 2013
- Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: „UAW-News International“, Kann Metamizol die Wirkung von ASS auf die Thrombozytenaggregation behindern? – hinsichtlich klinischer Relevanz und Empfehlungen bleiben Fragen offen, Dt Ärzteblatt 115: A897–A898; 2018
- Bannuru RR et al., OARSI guidelines for the non-surgical management of knee, hip, and polyarticular osteoarthriris, Osteoarthritis and Cartilage 27: 1578-1589; 2019
- Geenen R et al., EULAR recommendations for the health professional’s approach to pain management in inflammatory arthritis and osteoarthritis, Ann Rheum Dis 77: 797–807; 2018
- Geidl W, Hendrich S, Hofmann J et al. Entwicklung evidenzgesicherter Konzepte für die Bewegungstherapie in der Rehabilitation. 2012; https://www.sport.fau.de/ lehrstuehle-und-fachgebiete/ bewegung und-gesundheit/ abgeschlossene-forschungsprojekte/ evidenzgesicherte-konzepte-fuerdie-bewegungstherapie/
- Kolasinski SL et al., 2019 American College of Rheumatology/Arthritis Foundation Guideline for Management of Osteoarthritis of the hand, Hip, and Knee, Arthritis Rheumatology 72: 149-162; 2020
- Leitlinie Koxarthrose, AWMFRegisternummer 033-001 (www.awmf.org/uploads/tx_ szleitlinien/033-001l_S2k_ Koxarthrose_2019-07_1.pdf)
- Pinto D, Robertson MC, Abbott JH et al. Manual therapy, exercise therapy, or both, in addition to usual care, for osteoarthritis of the hip or knee. 2: economic evaluation alongside a randomized controlled trial. Osteoarthr Cartil 21: 1504–1513; 2013
- Vad V, Adin D, Solomon J. Knee osteoarthritis. Critical reviews in physical and rehabilitation medicine. Rehabilitation Medicine 16: 211–212; 2004