Aktuelle Untersuchungen zeigen in den letzten 20 Jahren eine deutliche Zunahme der Rekonstruktionen des vorderen Kreuzbandes (VKB) in allen Regionen der Welt [4, 9]. Gleichzeitig nimmt auch die Revisionschirurgie zu. In Anbetracht dieser Entwicklung ist eine Betrachtung der aktuellen klinischen Ergebnisse, des verbesserten Verständnis der negativen und positiven Einflussfaktoren, sowie neuer Trends dieses Eingriffs von Interesse.
Das primäre Ziel der VKB Rekonstruktion ist die langfristige Wiederherstellung der Gelenkstabilität. Tatsächlich zeigen eine Vielzahl von aktuellen Studien, dass eine mechanische Wiederherstellung der Gelenkstabilität langfristig möglich ist. Thompson et al. beobachteten in einer Langzeitstudie von 20 Jahren nach VKB Ersatz mit Patellar- oder Hamstringsehne eine normale Gelenkstabilität (Lachman negativ) bei 84%/76%, ein rotationsstabiles Kniegelenk (negativer Pivot-Shift Test) bei 98%/90% und in der instrumentellen Stabilitätsmessung mittels KT-1000 eine Seitendifferenz von < 3mm bei 86%/76% [10].
Dass die Kreuzbandchirurgie durch die Stabilisierung des Kniegelenkes nachweislich zu einer mittel- und langfristige Funktionsverbesserung des Kniegelenkes und zu einem Schutz vor Sekundärverletzungen der weiteren Gelenkstrukturen, wie Knorpel und Meniskus führt, konnte in einer aktuellen Übersichtsarbeit und Metaanalyse der Deutschen Kniegesellschaft unter Leitung von Julian Mehl gezeigt werden [6]. In 35 aus den insgesamt 40 inkludierten Studien, welche aus 1836 Publikationen zu dieser Thematik ausgewählt wurden, zeigte sich eine positive Korrelation zwischen dem Auftreten eines Meniskus und / oder Knorpelschadens und der Zeitdauer einer fortbestehenden VKB Insuffizienz. Das Fortbestehen einer VKB Insuffizienz von mehr als 6 Monaten war mit einer signifikant erhöhten Inzidenz einer Innenmeniskusverletzung, von mehr als 12 Monaten mit einer signifikant erhöhten Inzidenz von Knorpelschäden assoziiert. In den Studien von Anderson [2] und Ramski et al. [2] konnte ein solcher Zusammenhang in noch höherer Bedeutung bei Kindern mit VKB Verletzung dargelegt werden.
Das Ziel der Stabilisierung des Kniegelenkes ist neben der Fortführung der Tätigkeiten des täglichen Lebens, vor allem die Rückkehr zum Arbeitsleben bzw. die Wiederaufnahme von sportlichen Belastungen. Untersuchungen von Ardern et al. [3] und Feller et al. [5] zeigten, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von > 90% eine Rückkehr zu initialen Arbeitsfähigkeit nach 4 – 12 Monaten möglich war. Eine generelle Rückkehr zum Sport konnte bei 80%, eine Rückkehr zum initialen Belastungsniveau bei 60-70% und eine Rückkehr zum professionellen Sport bei nur etwas mehr als der Hälfte (55-60%) der Patienten beobachtet werden. Dieses zeigt, dass die alleinige mechanische Wiederherstellung des Gelenkes nicht ausreichend ist, um die Gesamtfunktion des Kniegelenkes wiederherstellen zu können. Es konnte bei einer Vielzahl von Patienten beobachtet werden, dass auch Jahre nach VKB Rekonstruktion eine signifikante muskuläre Schwächung der Kniegelenksbeuger und -strecker, der koordinativen Fähigkeiten und Ansteuerung des Kniegelenkes und des betroffenen Beins fortbestehen [8]. Entsprechende Konzepte zur postoperativen Objektivierung der Funktionsdefizite und befundorientierten Rehabilitation haben in jüngster Vergangenheit an erheblicher Bedeutung gewonnen und sollten als integraler Bestandteil der operativen Versorgung des VKB betrachtet werden. Des weiteren kommt der psychologischen Erholung nach dem häufig traumatischen Erleben der Verletzung und Versorgung des VKB eine hohe Bedeutung zu. Webster et al. konnten zeigen, dass über das standardisierte Abfragen der psychologischen Bereitschaft nach VKB Ersatz Risikoprofile für eine erneute VKB Verletzung erstellt werden konnten. Hierdurch ergaben sich Ansätze für die Prävention von VKB Re-Rupturen [12].
Das Auftreten von erneuten Rupturen des rekonstruierten VKB ist vergleichsweise selten. Betrachtet man die Gesamtpopulation der VKB Rekonstruktion, werden VKB Rerupturen bei 1,6 – 3,4 % innerhalb der ersten 5 Jahre [1] und zwischen 10-20% nach 20 Jahren [10] beobachtet. Aktuelle Untersuchungen zeigen jedoch vor allem bei jungen Patienten < 25 Jahren Rerupturraten von 20-30% innerhalb von 5 Jahren [13], sowie ein 4-6 fach erhöhtes Rerupturrisiko bei Teilnahme an pivotierenden Sportarten[13]. Neben Alter und Aktivitätsniveau sind weitere Faktoren aktuell in den Fokus der Prävention von VKB Re-Rupturen getreten. Zum einen ist das Auftreten von weiteren Bandverletzungen des Kniegelenkes bei primärer VKB Ruptur genauer analysiert worden. Es wird vermutet, dass wahrscheinlich nicht mehr als 50% aller VKB Verletzungen isoliert auftreten. Vor allem die Verletzungen des anterolateralen Kapselbereichs kann in 30-50% aller VKB Verletzungen beobachtet werden [13] und wurde bisher regelhaft nicht chirurgisch adressiert. In einer klinischen Ergebnisanalyse von Sonnery-Cottet aus dem Jahre 2017 erhielten 502 Patienten < 25 Jahren, die alle an pivotierenden Sportarten teilnahmen, einen VKB Ersatz mit Patellar- oder Semitendinosussehne, bzw. kombiniert mit Semitendinosussehne und einer anterolateralen Kapselstabilisierung . 3 Jahre nach operativem Eingriff zeigten die Patienten mit kombinierter Stabilisierung eine signifikant niedrigere Rerupturrate und höhere Rate der Rückkehr zum Sport. Es wird aktuell diskutiert, ob diese Ergebnisse sich erklären aus einer tatsächlich vorliegenden anterolateralen Instabilität oder einer „überphysiologischen“ Stabilisierung als Schutz vor den hohen Belastungen pivotierender Sportarten. Es besteht Konsens, dass die sorgfältige bildgebende und klinische Evaluation aller Bandstrukturen essentiell ist, um eine isolierte von einer kombinierten VKB Verletzung zu unterscheiden und entsprechend eine umfängliche Versorgungsstrategie zu wählen und das Rerupturrisiko des VKB zu senken. Als weiterer prädisponierender Faktor von VKB Rerupturen wurde die tibiale Inklination identifiziert. In einem systemischen Review von Tischer et al. [11] zum Einfluss der knöchernen Fehlstellungen auf die VKB Stabilität, wurde zusammenfassend im Konsens der Untersuchungen festgestellt, dass eine tibiale Inklination von > 12° mit einer signifikanten Erhöhung des VKB Rerupturrisikos einhergeht, bzw. die operative Absenkung der tibialen Inklination zu einer signifikanten Senkung der Rerupturraten führt. Ein identischer Zusammenhang konnte für das Vorliegen eines Doppel-Varus, der Kombination einer knöchernen Varusfehlstellung mit einer lateralen Kapsel/Bandauslockerung, und einem erhöhten VKB Rerupturrisiko belegt werden. Hieraus folgt, dass sowohl bei Primär-, als auch vor allem bei erneuter VKB Ruptur die bildgebende Analyse dieser Parameter erfolgen sollte, ggf. Korrekturen der knöchernen Fehlstellungen in Betracht gezogen werden müssen.
Die Diskussion über das ideale Transplantat zum VKB Ersatz wird weiter geführt. Während skandinavische Registeranalysen eine erhöhte Rerupturrate von Hamstring vs. Patellarsehnentransplantaten beobachten konnten, zeigt eine aktuelle Meta-Analyse sämtlicher vergleichender Studien der Quadrizeps- mit Hamstring- oder Patellarsehnentransplantaten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Stabilität, Versagerraten und Aktivitiätsniveau [7]. Die Entnahmemorbidität der Quadrizeps- war geringer als bei der Patellarsehne, das Aktivitätsniveau höher als bei den Hamstringsehnen. Aktuell kann festgestellt werden, dass es keine ausreichende medizinische Evidenz existiert, die einen relevanten Vorteil eines bestimmten autologen Transplantates belegen. Aktuelle Untersuchungen zu dieser Thematik werden zeigen müssen, ob bestimmte Patientengruppen im Sinne eines individualisierten Anforderungsprofils vorteilhaft mit einem bestimmten Transplantat versorgt werden können.
PD Dr. med. Sven Scheffler
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Ärztlicher Partner Sporthopaedicum
Schwerpunkt gelenkerhaltende Kniechirurgie und Sportmedizin