Jürgen von Manger-Koenig, bekannt als Bühnenfigur Adolf Tegtmeier, die Älteren erinnert sich, wird mit den Worten zitiert: „Wenn man über 60 sich ist und morgens aufwacht, ohne Schmerzen zu spüren, dann ist man tot“. Hieraus lässt sich bereits der Hinweis ableiten, dass zahlreiche schmerzbezogene Krankheitsbilder im Bereich des Fachgebietes Orthopädie und Unfallchirurgie ein Altersbezug haben, bei entsprechender Demographie zunehmend. Anders, als unsere Vorfahren, wünschte der moderne Mensch Lebensqualität im Hier und Jetzt, will nicht auf ein besseres Leben im Jenseitigen warten. Auch hieraus leitet sich der Auftrag an uns Ärztinnen und Ärzte ab, entsprechende Angebote auch im Bereich der Schmerztherapie zu machen. Dabei entsteht akuter Schmerz definitionsgemäß beispielsweise als Folge einer Verletzung oder Erkrankung, er hat eine Warnfunktion, die Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem ist intakt. Hingegen ist chronischer Schmerz eine eigenständige Erkrankung, er hat seine Warnunktion vollständig verloren und ist in diesem Zusammenhang eine sinnlose Fehlfunktionen des zentralen Nervensystems.
Glaubt man den Aufzeichnungen, so ist es wohl insbesondere auch die Ärzteschaft selbst gewesen, die sich in den Anfängen der Narkose, erstmals erfolgte eine Narkose mit Äther 1846 in Boston, USA, mit diese Art der Schmerzausschaltung während der Operation nicht oder nur wenig anfreunden konnte, schließlich gehörte ja seit Jahrzehntausenden Schmerz einfach immer mit dazu. Dieser Zeit ist auch das Zitat von Voltaire (1694-1778) zuzuordnen:
„Die Kunst der Medizin besteht darin, den Kranken solange Bestimmung zu halten, bis Natur die Krankheit geheilt hat.“ Dabei sind Psyche und Schmerz immer auch eng miteinander verknüpft, die Schmerzempfindung ist individuell unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab. So können psychosoziale Ressourcen wie Glück, Zufriedenheit und Unsicherheit bei gleicher Ursache die Schmerzwahrnehmung vermindern, ganz im Gegenteil jedoch bei psychosozialen Belastungen, Ärger, Angst und Depression. Auch kennen wir bei chronischen Schmerzen das 3-Säulen-Modell, bestehend aus biologischen und körperlichen Faktoren, psychischen Faktoren und sozialen Faktoren, was letztlich auch Implikationen für das, was therapeutisch anzubieten ist, in sich trägt, eben bio-psycho-sozial. Wir wissen heute, dass unzureichend behandelte und anhaltende Schmerzen zu einer verstärkten Schmerzsignal Weiterleitung führen, in diesem Zusammenhang zu auch feingeweblich nachweisbaren Änderungen auf Rückenmarksebene und im Gehirn, Schmerz kann quasi erlernt werden, der Begriff des Schmerzgedächtnisses hat sich hier etabliert. Langfristiges Ziel der Behandlung chronischer Schmerzen ist daher die Rückbildung der normplastischen Veränderungen des Nervensystems. Dass dies in aller Regel nicht monomodal mit der einen Spritze, der einen Infusion oder der einen Intervention gelingt, lässt sich bereits hieraus ableiten. Der Teufelskreis aus körperlichen, psychischen und sozialen Veränderungen mit der sich gegenseitigen Verstärkung muss unterbrochen werden, neue seelische Körpererfahrungen, ein hieraus resultierende verbessertes Körper Feingefühl, die Entdeckung eigener Körper Ressourcen, damit auch psychisches Wohlbefinden und Entspannung führt zu einer Verringerung der allgemeinen Muskelspannung und Reduktion des Schmerzes. Bei hochchronifizierten Schmerzbildern gelingt dies durch den als Goldstandard definierten Ansatz der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST). Als auch organbezogenen tätige Fachärztinnen und Fachärzte ergänzen wir die auch stark verhaltenstherapeutisch orientierten Behandlungskonzepte durch ergänzende Maßnahmen aus dem Bereich Diagnostik und Therapie. So stehen am Anfang der Behandlung immer erst auch eine Re-Evaluation zu Inhalten der bislang durchgeführten Diagnostik und Therapie sowie deren Erkenntnisse und Wirksamkeit, auch die Frage, ob ein Nozizeptor (noch) zu identifizieren ist, am Beispiel der Wirbelsäule beispielsweise durch eine Injektionstherapie zur Stufendiagnostik, oder ob sich das Krankheitsbild letztlich bereits vollständig verselbstständigt hat, auch im Sinne schmerzbezogener Verhaltensstörungen.
Dabei hatte die gute alte Zeit, so wie wir sie als Klassik aus Musik oder Kunst kennen, in der Medizin nie gegeben. Sie ist heute besser, als sie gestern war und wird morgen wiederum besser sein, als sie heute ist.
Den Autoren dieses Themenheftes zu orthopädischen Schmerztherapie sei gedankt, das breite Spektrum der Möglichkeiten dargestellt zu haben, von den Möglichkeiten und Grenzen der ambulanten Schmerztherapie hin bis zur tagesklinischen und stationären multimodalen Schmerztherapie, von der akutmedizinischen interdisziplinärer Komplexbehandlung bis Rehabilitation, von Intervention bis Verhaltensmedizin, zudem mit Darstellung verschiedener schmerzbezogener Krankheitsbilder aus unserem Fachgebiet.
Die Klassik, wie wir sie aus Kunst und Musik kennen, gibt es in der Medizin nicht. Therapeutische Möglichkeiten sind heute besser, als sie gestern waren, sie werden morgen besser sein als heute.
Abschließen darf ich mit einem Zitat des stellvertretenden Landesvorsitzenden NRW des BVOU, Dr. Stephan Grüner, Köln, auch Mit-Autor dieses Heftes: „Es gibt mehr als Ibuprofen und Krankengymnastik!“