Die Sonografie stellt nach ihrer Einführung in die klinische Medizin Mitte der 1980er Jahre für die überwiegende Zahl der am Bewegungsapparat tätigen Ärztinnen und Ärzten gleichauf mit der Röntgendiagnostik der Extremitäten und der Wirbelsäule die primäre Bildgebung dar. Sie wird nach vertragsärztlichen Abrechnungsstatistiken der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (Quartal III/2020) von 86 % abgerechnet, die Sonografie der Säuglingshüfte von 22%.


Unmittelbar im Anschluss an die klinische Untersuchung, also „bed side“, ermöglichen sonografisch erzeugte Schnittbilder mit dem Vorteil der sofort sichtbaren strukturellen und zusätzlich funktionellen Diagnosestellung („real time“) eine ganz wesentliche Unterstützung der primären Diagnostik. Sonoanatomie ist Anatomie in vivo; sie verbessert einerseits anatomische Kenntnisse und erhöht andererseits als Grundlage der gezielten Beratung die Compliance der PatientInnen.
Die Sonografie erfolgt in der Hand des klinischen Untersuchers selbst ohne jegliche Bestrahlung und ohne Schmerzen und darüber hinaus nichtinvasiv; Nebenwirkungen oder Risiken, z.B. für das ungeborene Kind, sind nicht bekannt. Auch die Beurteilung des Heilungsverlaufs, egal ob bei konservativer oder operativer Behandlung kann sonografisch kontrolliert und verfolgt werden.
Einfache Möglichkeiten der muskuloskelettalen Sonografie (MSK) liegen im Bereich der Differenzierung von Gelenksschwellungen zwischen artikulärer und extraartikulärer Lokalisation. Bei kindlichem Hüftschmerz lässt Hüftgelenkserguss zumeist an eine Coxitis fugax denken (Abb. 1). Hämarthros weist fast immer auf eine schwere Gelenkverletzungen, z.B. Bandläsionen oder gelenknahe Frakturen hin, die nach der Sonografie weiter abzuklären und zu versorgen sind (Abb. 2). Hämarthros, Gelenkergüsse, Zysten oder Ganglien können ultraschallunterstützt sicher punktiert werden.

Die Erkennung von Rupturen von Muskeln, Sehnen und Bandstrukturen erfordert weitergehende sonografische Routine, insbesondere wenn es sich nicht um akute, sondern chronische Veränderungen handelt. Unter Monitorkontrolle können Gewebedefekte leichter erkannt und abgegrenzt werden. Gelenk können auf ihre Stabilität überprüft werden. Diese dynamischen Möglichkeiten sind ein Alleinstellungsmerkmal der Ultraschalldiagnostik. Beim Achillessehnenriss kann im Vergleich zwischen maximaler Spitzfußstellung und maximaler Dorsalextension die optimale Adaptation der Sehne und somit die Wahl des Therapieverfahrens am Ultraschallmonitor bestimmt werden (Abb. 3). Die sonografische Abklärung bei der sogenannten „Schulterzerrung“ kann relevante Verletzungen der Rotatorenmanschette und somit durch Unfallversicherungen entschädigungspflichtige Schäden aufzeigen oder ausschließen (Abb. 4). Knochennahe Band- und Sehnenläsionen bei Kindern lassen sich am besten sonografisch erfassen (Abb. 5). Eine hohe Zahl kernspintomografischer Untersuchungen kann durch den kompetenten Einsatz der Sonografie vermieden werden.

Rheumatologisch spezialisierte ÄrztInnen nutzen die Sonografie zur Früherkennung anhand typischer sonografischer Verteilungsmuster von Gelenkaffektionen wie z.B. Ergussbildung oder Bursitiden, aber auch zum Screening des Krankheitsverlaufs über das Staging von Erosionen und knöchernen Anbauten (Minus- und Plusdefekte).
Dies alles erfordert zweifellos modernen aktuellen Gerätestandard und fundierte Ausbildungsqualitäten. Die Ultraschallvereinbarung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung lässt für die Diagnostik an den Bewegungsorganen ausschließlich Longitudinalschallköpfe zu. Boten früher Ultraschallgeräte nur Frequenzen von 5 bis vielleicht 7,5 MHz und nur eine Standardsonde mit mäßiger Auflösung, so können moderne Geräte bis zu 18 MHz und sehr hohe Auflösung bieten, die der MRT-Diagnostik nicht nachsteht. Auflösung und diagnostischer Wert sind heute weitaus besser (Abb. 6).
Moderne Geräte bieten außerdem in aller Regel ein Farb- oder Power-Doppler-Signal an, mit dem zwischen Zysten und Gefäßen gut unterschieden werden kann und mit dem es gelingt, entzündliche Veränderungen z.B. bei Bursitiden, aktivierte Arthrosen aber auch Gefäßneubildungen in chronisch überlasteten Sehnen zu erkennen (Abb. 7). Die Gefäßdiagnostik kann durch sonografische Kontrastmittel (CEUS) zusätzlich verbessert werden. Aussagen über die Gewebeperfusion sind nützlich als Monitor für Gewebereparation und -heilung wie auch bezüglich der Dignität von Gewebeneubildungen.
Moderne hochleistungsfähige Ultraschallgeräte sind aber teuer. Leider wird die Untersuchung der Bewegungsorgane im kassenärztlichen System, das über 90% aller PatientInnen betrifft mit derzeit 7,56 € völlig unzureichend honoriert, womit pro
Patientenkontakt sämtliche untrsuchten Regionen subsumiert sind. Das mag der Grund sein, warum viele Praxen mit einem einmal angeschafften Gerät versuchen müssen, die Diagnostik, die auch immer Dokumentation und Archivierung beinhaltet, Aufrechtzuerhalten und keine Investitionsrücklagen bestehen, um moderne Geräte anzuschaffen. Wie oben dargestellt, bedarf es aber moderner Geräte, um Verletzungen und Erkrankungen auf orthopädisch-unfallchirurgischem Gebiet wirklich auf den Grund gehen zu können und für unsere PatientInnen eine optimale bildgebende Diagnostik vor Ort in unseren Praxen und Ambulanzen bieten zu können.
Wie kann eine optimale Ausbildung unserer jungen Ärztinnen und Ärzte erreicht werden? Die Weiterbildungsordnung schreibt für den Facharzt Orthopädie und Unfallchirurgie eine Mindestzahl von 300 Sonografien der Bewegungsorgane vor und für die Sonografie der Säuglingshüfte 50. Wie für viele andere fachbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten (Arthroskopien, Fußchirurgie, Kinderorthopädie, Manualtherapie, Schmerztherapie und Injektionstechniken) gilt auch für die Ultraschalldiagnostik, dass heute Qualität in, vermehrt aber auch außerhalb der Weiterbildungseinrichtung vermittelt und zertifiziert wird. Vor allem die ein ganzes mobiles Leben sichernde Sonografie der Säuglingshüfte erscheint durch nachlassende Untersuchungszahlen in der ersten Lebenswoche aktuell in hohem Maße gefährdet.
Das ist der Grund, warum sich in der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) vor vielen Jahren ein Arbeitskreis Bewegungsorgane begründet hat, der sich interdisziplinär versteht. Dort arbeiten Orthopäden, Unfallchirurgen, Rheumatologen und vereinzelt Neurologen und Kinderärzte zusammen. Die DEGUM hat in einem abgestuften Ausbildungsprogramm Ausbildungs- und Kursleiterkriterien definiert und zertifiziert die einzelnen Kurseiterstufen, sowohl für die Bewegungsorgane wie auch die Säuglingshüfte. Somit kann hier nachprüfbare Qualität geboten und erwartet werden. Die Sektion Bildgebung der Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) hat sich ebenso wie die Arbeitsgemeinschaft Ultraschall der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) vor vielen Jahren diesem Qualitätskonzept angeschlossen. Die ADOUC informiert als gemeinsame Fortbildungsplattform von BVOU, DGOOC und DGOU auch über Ultraschallkurse.
Erfahrung wird zurecht in allen medizinischen Gebieten gefordert und sie kann auf klaren Grundlagen vermittelt und erworben werden. Der Arbeitskreis Bewegungsorgane der DEGUM hat 2017 den vielfältigen sonografisch lösbaren Fragestellungen Rechnung getragen und die wenigen Standardebenen aus dem Jahr 1996 um ein Vielfaches ergänzt. Sie stellen die Grundlage der kompetenten Schulung in den DEGUM-zertifizierten Ultraschallkursen dar. Die Zugangsberechtigung zur Abrechnung der Sonografie der Bewegungsorgane im vertragsärztlichen System kann nach der Ultraschallvereinbarung der KBV nicht nur innerhalb der eigentlichen Facharztweiterbildung erreicht werden, sondern auch über das Kurssystem. Wenn eine komplette Kursreihe aus Grundkurs, Aufbaukurs und Abschlusskurs erfolgreich absolviert wurde und die geforderten 400 Untersuchungen dokumentiert wurde, kann die Zulassung zur Abrechnung im vertragsärztlichen Gebiet bei der zuständigen kassenärztlichen Vereinigung beantragt werden.
Was bringt die Zukunft?
Der Strahlenschutz ist seit 2017 nicht mehr in einer Verordnung, sondern sogar mittels Gesetz geregelt. Für alle Extremitätengelenke bietet die Sonografie die Möglichkeit, Instabilitäten am Bildschirm zu erkennen und auch zu graduieren, ohne
dass PatientIn und UntersucherIn sich strahlenexponieren müssen. Unmittelbar prä- oder sogar intraoperativ kann die Sonografie ebenfalls den Strahlenschutz von PatientInnen und vor allem auch des medizinischen Personals verbessern, z. B. durch strahlungsfreie Ortung von Implantaten oder Fremdkörpern.
Fraktursonografie kann in geeigneten Fällen wiederholte Strahlenexposition vermeiden helfen und entbehrliche Röntgenuntersuchungen bei Kindern ersetzen. Sie stellt eine neue, aber bereits etablierte Einsatzmöglichkeit dar und ist gut wissenschaftlich evaluiert. Das hat dazu geführt, dass Fraktursonografiekurse in die regelmäßige Fortbildung von Durchgangsärzten von der DGUV, dem Dachverband der gesetzlichen Unfallversicherungen implementiert wurden.
Auch für wirbelsäulennahe Injektionsverfahren bietet die Sonografie bildgestützte strahlensparende Hilfestellung für die Lokalisation der Injektionsorte an.
Nicht nur die Primärdiagnostik, sondern auch die Verlaufsbeurteilung nach Muskel- und Sehnenverletzungen stellt besondere Anforderungen an SportorthopädInnen. Neben ausgeprägter Erfahrung und Gerätetechnik kann hier die Elastografie als neue gerätetechnologische Entwicklung relevante Veränderungen der Gewebehärte, Steifigkeit und Elastizität in überlasteten Sehnen- und Muskelstrukturen darstellen und den Therapieverlauf monitoren (Abb. 8).

Ein besonderes Anliegen des Verfassers ist die Integration der Sonografie als Schichtbildtechnik bereits in die präklinische studentische Ausbildung, z.B. als Workshop oder Vorlesungsergänzung der makroskopischen Anatomie.
Zwar bleibt das stationäre hochauflösende Ultraschallgerät der goldene Standard für die sonografischen Untersuchungstechniken, portable und vor allem auch kabellose Geräte aber tragen die Vorteile der Technik aus der Praxis nach draußen auf den Sportplatz, auf das Trainingsgelände, ins Trainingslager ja sogar in die Freizeit und den Urlaub und verbessern dort die Primärdiagnostik.
Das Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NiSG) erlaubt die Anwendung der diagnostischen Sonografie grundsätzlich nur (Human-, Zahn- und Tier) ÄrztInnen. Nicht zuletzt internationale Entwicklungen, aber auch wettbewerbsbedingte Angebote privater Krankenversicherungen lassen ganz offenbar den Schallkopf auch in der Hand nichtärztlicher, immer mehr in Konkurrenz zu uns tretender Berufsgruppen wie Physiotherapeuten oder Heilpraktikern (deren Ausbildungscurriculum unbestimmt und uneinheitlich ist) und die keinerlei Ultraschallausbildung nachweisen müssen, zu. Es liegt an uns OrthopädInnen und UnfallchirugInnen selbst, unseren PatientInnen unsere gut begründete medizinische Kompetenz auf dem Gebiet der muskuloskelettalen Sonografie aufzuzeigen und ihr Verständnis für die bei ihnen vorliegenden Veränderungen und deren Konsequenzen zu stärken.
Nehmen wir also den Schallkopf in die Hand!