Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Mesmer, Kneipp, Stanger und Kaiser Karl, was haben diese vier Herren nun mit unserem Schwerpunkt-Thema Physikalische Therapie des aktuellen Infobrief gemeinsam? Nun zunächst zu unserem prominenten Nutzniesser, der Zeitgenossen nicht nur als “Sachsen-Schlächter” bekannt war, sondern Linderung für seine schmerzenden Gelenke, Gicht soll aufgrund des ungesunden Ernährungsverhaltens mit dabei gewesen sein, in den warmen Thermen seiner Pfalz, in (Bad) Aachen, suchte. Seinerzeit war es auch in unseren Breitengraden bereits vergleichsweise warm, Malaria-Mücken schwärmten an den schwefelhaltigen Gewässer aus. Nun, unter physikalischer Therapie versteht man in erster Linie mit Technik erzeugt Therapieformen, zu den für uns Relevantesten gehören Thermotherapie, Elektrotherapie und Ultraschall, Balneologie in ihren verschiedenen Spielarten, Mechanotherapie und Massagenformen. In der Geschichte der Medizin findet sich so mancher Mumpitz, durchaus von Ärzten inauguriiert, so der Mesmerismus. Ein gewisser Friedrich oder Franz Anton Messmer (1734-1815), zunächst als Arzt in Wien tätig, führte magnetische Kuren durch und begründete den animalischen Magnetismus. Den letzten Kontakt mit dem Außendienst einer Firma, die Magnetfeldmatten vertrieb, hatte ich vor vielen Jahren. Die werbliche Information, dass das Indikationsspektrum von der erektile Dysfunktion bis zum Wiedereinheilen gelockerter Kunstgelenk reiche, überzeugte nicht. Dann waren es aber auch immer wieder Personen, die nicht unbedingt dem medizinischen Sektor zuzuordnen waren, gleichwohl Innovationen vorstellten und therapeutisch Sinnvolles entwickelten. Das, was ein römisch-katholische Priester aus den bayerischen Schwaben präsentierte, würde heute im besten Sinne als “ganzheitlich” zu beschreiben sein, als das, was unsere Patientinnen und Patienten ja immer suchen. Sebastian Anton Kneipp (1821-1897) wurde mit seiner Kaltassertherapie als Hydrotherapeut und Naturheilkundler bekannt, Namensgeber einer Kneipp-Medizin, die aber so viel mehr ist, als nur Wasserkur mit Wassertreten, Ernährung und Lebensführung werden im Konzept gleichsam adressiert.
Physikalische Therapie bedeutete immer auch, in Bezug auf die Wirksamkeit, Analogieschlüssel aus der Physik zu ziehen. Ein Beispiel hierfür ist das hydroelektrische Vollbad oder auch Vierzellenbad, das auf den Gerbermeister Stanger (Geb. 1854) zurückgeführt wird. Die ersten Erfahrungen von medizinischen Versuchen mit Elektrizität und Wasser stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Gerbermeister Heinrich Stanger kam während seines Studiums der Gerberei und Elektrotechnik auf die Idee, das Gerbeverfahren mit Hilfe von Strom zu verbessern. Seine Versuche waren erfolgreich, woraufhin in Ulm eine elektrische Gerberei eingerichtet wurde. Der Vater von Stanger litt seinerzeit an Gicht, durch die Arbeiten in den Gerbgruben habe sich eine Besserung an den Händen und Ellbogengelenke eingestellt, rasch wurden die Versuche ausgedehnt auf andere Personen mit Gicht und Rheuma, bei denen sich ebenfalls Erfolge einstellten. Während die ersten Behandlungen in Holzwannen erfolgten, wurden in späterer Zeit diese aus Fayance (Ton) und heute aus glasfaserverstärktem Kunststoff hergestellt.
Wenn Therapieverfahren aus dem Bereich der Physikalischen Therapie nachgewiesenermaßen auch zu den ältesten von Menschen eingesetzten Behandlungsformen zählen, so kann Historie auch eine Bürde sein. Allein die Begrifflichkeit “konservativ” in Zusammenhang mit Orthopädie und Unfallchirurgie klingt insbesondere in Bezug auf moderne Verfahren der operativen Medizin eher nach “verstaubt” und zunächsteinmal vergleichsweise unspannnnend. Auch der Einsatz der Verfahren im Übergang zu Wellness, über den Zwischenschritt “medical wellness”, trägt nicht zwangsläufig dazu bei, dass den Verfahren im therapeutischen Kontext Wert und belegbare Wirkung beigemessen wird. Interessanterweise finden sich gerade in den Leitlinien häufig Voten der beigezogenen Selbsthilfegruppen in Bezug auf Verfahren der Physikalischen Therapie (Zum Beispiel Wärme und Massage bei FMS)
Dabei gibt es durchaus zahlreiche und auch internationale Studien, die sich mit den Therapieverfahren beschäftigen, meist aber ungeeignet für Metaanalysen, da Studiendesign, Applikations-Art, Frequenz und Intensität zu stark variieren, somit schlecht vergleichbar sind, wir kennen Ähnliches von Studien zur Hyaluronsäure und PRP.
Wenn auch Physikalische Therapie in orthopädischen Praxen und auch der stationären und ambulanten Rehabilitation in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen deutlichen Rückbau erfahren haben, meist aus ökonomischen Gründen, ihnen zudem eine fehlende Evidenz und Wissenschaftlichkeit vorgeworfen wird, die Therapieformen gerne auch in die Nähe von Schamanismus und Glaubensmedizin (d.h. Arzt und Patienten glauben fest an die Wirkung) gerückt werden, so handelt es sich doch um wirksame, Aktivität anbahnende, meist günstig und mit geringen Behandlungs-Risiken zu erbringende Heilmittel. Interessanterweise findet den letzten Jahren Physikalische Therapie wieder Eingang auch bis in die kurative Medizin Medizin, im Bereich der Psychosomatik, neu etablierten Abteilungen für Komplementär-Medizin, auch Mind Body-Medizin, alter Wein in neuen Schläuchen?
Den Autoren dieses Infobriefes sei gedankt, dass sie bereit waren, syndrom- und diagnosebezogen, Nutzen und Wert der Physikalischen Therapie als wichtigen Teil unseres orthopädisch-unfallchirurgischen Behandlungsspektrums darzustellen. Je mehr Pfeile wir im Köcher haben, desto patientenorientierter und individuallisierter können wir behandeln.
Ihr/Euer Stefan Middeldorf